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»Wo Therapien gegen Geißeln wie Krebs fehlschlagen, wo Siege über Seuchen wie Aids ausbleiben, wo lukrative Pharmapatente ablaufen, wo wütende Forschungsanstrengungen keine Durchbrüche bringen, da wenden Mediziner und Pharmaforscher sich den Gesunden zu.« (Jörg Blech)
Die Pharmaindustrie definiert die Gesundheit des Menschen gegenwärtig neu. Viele normale Entwicklungsphasen des Lebens - Geburt, Alter, Sexualität und Tod - werden systematisch zu Krankheiten umdefiniert. Global operierende Konzerne sponsern die Erfindung von "Krankheiten" und Behandlungsmethoden und schaffen so ihren…mehr

Produktbeschreibung
»Wo Therapien gegen Geißeln wie Krebs fehlschlagen, wo Siege über Seuchen wie Aids ausbleiben, wo lukrative Pharmapatente ablaufen, wo wütende Forschungsanstrengungen keine Durchbrüche bringen, da wenden Mediziner und Pharmaforscher sich den Gesunden zu.«
(Jörg Blech)

Die Pharmaindustrie definiert die Gesundheit des Menschen gegenwärtig neu.
Viele normale Entwicklungsphasen des Lebens - Geburt, Alter, Sexualität und Tod - werden systematisch zu Krankheiten umdefiniert. Global operierende Konzerne sponsern die Erfindung von "Krankheiten" und Behandlungsmethoden und schaffen so ihren Produkten die Märkte.
Häufig genug stehen hinter alarmierenden, aufklärenden Nachrichten über Krankheiten finanzkräftige Marketingstrategien.
In diesem Zusammenhang erscheinen beispielsweise Osteoporose, das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom, Bluthochdruck und die männliche Menopause in neuem Licht.
Wo ist die Grenze zwischen seriöser Medizin und raffinierter Marketingkampagne?

Autorenporträt
Jörg Blech, geboren 1966, studierte Biologie in Köln und Biochemie an der University of Sussex in Großbritannien. Er besuchte die "Henri-Nannen-Schule" in Hamburg und war anschließend Redakteur beim "Stern" und bei der "Zeit". Heute arbeitet er im Wissenschaftsressort des "Spiegel" in Hamburg. Jörg Blech ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieses Buch wird weder bei Ärzten und der Pharmaindustrie, noch bei Patienten Freude auslösen, sagt Lorenz Beckhardt voraus. Autor Jörg Blech versucht darin nachzuweisen, dass viele Krankheiten gar keine sind, sondern lediglich dem Absatz von Medikamenten dienen, fasst der Rezensent die Hauptthese des Buches zusammen. Er führt einige Beispiele des Autors wie die Osteoporose oder ADHS an und lobt die Argumente Blechs als ziemlich überzeugend. Die "Stärke" der Darstellung sieht Beckhardt in der wiederholten Demonstration, wie aus einem "harmlosen Zipperlein" eine behandlungswürdige Krankheit wird. Nur bedauert er, dass der Autor Zusammenhängendes über verschiedene Kapitel ausbreitet und dies wegen der "blumigen" Überschriften schwer auffindbar ist. Und dass dem Patienten in diesem Buch kein Rat zuteil wird, was er tun soll, wenn an ihm eine der vermeintlichen Krankheiten diagnostiziert wird, findet der Rezensent auch schade.

© Perlentaucher Medien GmbH
literaturtest.de
Leiden Sie an Paradies-Depression?
Haben Sie schon einmal von der "Paradies-Depression" gehört, die zum Beispiel Rentner befällt, die ihren Altersruhesitz nach Mallorca verlegt haben? Oder von der "generalisierten Heiterkeitsstörung", die sich in Symptomen wie Sorglosigkeit und Realitätsverlust äußert? Nein, Sie befinden sich nicht in der Harald Schmidt-Show, sondern mitten im Wunderland unseres Medizinsystems. Anhand dieser und ähnlicher "Krankheitsbilder" dokumentiert Spiegel-Redakteur Jörg Blech einen medizinischen Megatrend: die "Medikalisierung" unseres Daseins, verbunden mit der Erfindung von Krankheiten als wichtigem Marketinginstrument.
Allianzen des Profits
Pharmafirmen sind Wirtschaftsunternehmen und versuchen als solche, ständig neue Märkte zu erschließen. So weit, so nachvollziehbar. Was aber, wenn Firmen vermeintliche Krankheiten wie Marken aufbauen, um ihre Medikamente besser verkaufen zu können? Wenn die Anwendungsbereiche eines Wirkstoffs immer weiter ausgedehnt werden, so dass etwa Alzheimer-Medikamente zur Leistungssteigerung bei Managern eingesetzt werden? Dann wird, so der Autor, "Krankheit zum Industrieprodukt". Die Angst der Menschen vor verminderter Leistungsfähigkeit, Alter, Krankheit und Tod wird regelrecht ausgeschlachtet. Oft in Zusammenarbeit mit PR-Agenturen, Journalisten und Medizinern (so genannten "Mietmäulern") werden normale Daseinsprozesse wie Haarausfall oder persönliche Probleme wie Schüchternheit so dramatisiert, dass die "Patienten" in ihrer "Not" dankbar zu den entsprechenden Präparaten greifen.
Zielgruppe "Kind"
Besonders bedenklich ist dieser Trend in Bezug auf die Zielgruppe "Kind". Ein Beispiel: Die medikamentöse Bekämpfung des so genannten "Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom" (ADS) hat mittlerweile epidemische Ausmaße angenommen. Ritalin und seine Konkurrenzprodukte dürfen zwar in Deutschland nur nach den strengen Auflagen des Betäubungsmittelgesetzes abgegeben werden. Trotzdem verabreichen manche Ärzte das Medikament auch Kindern unter sechs Jahren – legal! Auch wenn man sich mitunter ein etwas differenzierteres Herangehen gewünscht hätte: Jörg Blech hat ein aufrüttelndes Buch zu einem hoch aktuellen Thema geschrieben.
(Roland Große Holtforth)

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2003

Das sollten Sie wissen, bevor Sie wieder zu Ihrem Arzt gehen
Volkskrankheit Leben: Jörg Blech und Gerd Gigerenzer brillieren mit zwei skeptischen Studien über die Versprechen der Medizin

Viagra ist nur der populärste Fall, in dem ein ursprünglich für eng umgrenzte, physiologisch bedingte (und eher seltene) Fehlfunktionen zugelassenes Präparat durch geschickte Werbekampagnen der Pharmaindustrie einer breiten Masse nahegebracht werden soll. Soziale, emotionale Unlust wird zur "Gesundheitsstörung" umgebogen, die der Hersteller dann jedem zweiten Mann zwischen dem vierzigsten und siebzigsten Lebensjahr attestieren kann. Für den Medizinjournalisten Jörg Blech handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um einen neuen Großtrend im Gesundheitswesen. Medizinische Fachveröffentlichungen und gesundheitspolitische Artikel auswertend, trägt sein Buch "Die Krankheitserfinder" zahlreiche Fälle zusammen, in denen zu einem vorhandenen Medikament die passende, möglichst massenhaft verbreitete "Krankheit" gestrickt wurde.

Im Falle des "Aging Male Syndrome" verrät bereits der Name, daß der natürliche Prozeß des Alterns medikalisiert werden soll. Ein Testosterongel, das Patienten mit einer eher seltenen Unterfunktion der Hoden und daraus folgendem Hormonmangel ("Hypoganadismus") hilft, verwandelt sich in der konzertierten Aktion von Pharmaindustrie, Ärztegruppen und PR-Firmen zu einem Mittel gegen die angeblichen "Wechseljahre" des Mannes. Um möglichst vielen älteren Männern einen prekären Testosteronmangel zu bescheinigen, wird ein Grenzwert für das Hormon installiert, unter dem nach einer Schätzung der Firma Jenapharm jeder dritte Mann nach dem fünfundfünfzigsten Lebensjahr durchschlüpft.

Keine wissenschaftliche Studie jedoch, so Blech, fundiert diesen Grenzwert oder auch nur den Zusammenhang zwischen nachlassender Hormonproduktion und den der "Andropause" zugeschriebenen Symptomen wie sexueller Unlust, Hitzewallungen und abnehmender Knochendichte. Hingegen wurde eine amerikanische Langzeitstudie mit sechstausend Probanden aus Sorge um mögliche Nebenwirkungen der Testosterongabe kurz vor Beginn gestoppt. Weil aber ein einmal zugelassenes Medikament auch außerhalb der eigentlichen Indikation verschrieben werden darf, so Blech, stünde seiner massenhaften Verschreibung nichts mehr im Wege.

Ihren größten Triumph feiert diese redeskriptive Medizin, wenn sie gänzlich beschwerdefreie Personen in die Praxen und Apotheken zu locken vermag, wie es mit den zur Krankheit umdefinierten Wechseljahren der Frau gelang. In Deutschland nimmt heute jede vierte Frau ab vierzig Östrogenpräparate zu sich, was die Krankenkassen etwa fünfhundert Millionen Euro pro Jahr kostet - ohne daß es einen wissenschaftlichen Beweis für deren präventiven Nutzen gäbe. Nachdem eine umfangreiche Studie wegen der aufgetretenen Gesundheitsrisiken abgebrochen werden mußte, scheint die Hormonersatztherapie jetzt eine Demontage zu erleben (F.A.Z. vom 10. September).

Blitzlichtartig beschreibt Blech die Verflechtungen von pharmazeutischer Industrie, Ärzteverbänden und Ärzten, die sich zu Fürsprechern bestimmter Produkte machen. So werden Praktiken einer "legal abgesicherten Ausbeutung der Sozialversicherung" in zahlreichen Beispielen greifbar. Blechs Buch ist populär geschrieben; es will den "informierten Patienten", auf den die Pharmaindustrie zielt, ein wenig mündiger machen. Dabei hätte es dem Autor sicherlich gut angestanden, seine spektakuläreren Zahlen seinerseits ohne Ausnahme gründlich zu belegen. Daß die Pharmaindustrie pro Arzt jährlich 8000 bis 13 000 Euro für Marketingmaßnahmen ausgebe, vermittelt zwar einen lebhaften Eindruck von den Einsparpotentialen im Gesundheitswesen; aber Blech selbst lehrt ja den Leser zu fragen, woher eine solche Zahl denn stammt.

Was Zahlenangaben besagen, ist die Leitfrage einer faszinierenden Arbeit des Psychologen Gerd Gigerenzer, die in Kürze auch als Taschenbuch erscheinen soll. Mit seiner Studie über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken hat der Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung geradezu ein Manual für die Risikogesellschaft vorgelegt: ein brillant argumentierendes, lebhaft und klar geschriebenes, auch dem Laien eingängiges, im besten Sinne aufklärerisches Buch, nach dessen Lektüre man statistischen Aussagen nicht einfach mit Mißtrauen, sondern mit der richtigen Art von Nachfragen begegnen wird. Auch wenn sich Gigerenzer allgemein mit dem mangelnden Verständnis von Wahrscheinlichkeitsaussagen und statistischen Angaben, mit "Zahlenblindheit", befaßt, stammen doch seine instruktivsten Fallbeispiele aus dem Bereich der Medizin.

So untersuchte Gigerenzer das Verständnis, das Ärzte von ebenjenen Zahlen haben, auf deren Grundlage sie Patienten beraten und Entscheidungen treffen. Den Medizinern wurden folgende Angaben zu Reihenuntersuchungen auf Brustkrebs bei symptomlosen Frauen vorgelegt: In einer bestimmten Gegend beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß eine dieser Frauen Brustkrebs hat, 0,8 Prozent. Mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit wird ihr Mammogramm positiv ausfallen, der Krebs also diagnostiziert. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit von sieben Prozent, daß das Mammogramm ein positives Resultat liefert, obwohl die Untersuchte keinen Brustkrebs hat. Wenn Sie nun mit einem positiven Mammogramm konfrontiert sind - mit welcher Wahrscheinlichkeit hat die betreffende Frau Brustkrebs?

Die Ergebnisse der Befragung ernüchtern. Zwei von vierundzwanzig Ärzten kamen auf den richtigen Wert; ein Drittel setzten ihn viel zu hoch, bei neunzig Prozent, an. Ganz anders sah es aus, wenn man Ärzten dieselben Zahlen nicht als Wahrscheinlichkeitsangaben, sondern als "natürliche Häufigkeiten" vorlegte, etwa so: Von tausend Frauen haben acht Brustkrebs. Für sieben von ihnen wird das Mammogramm die Krankheit anzeigen. Von den verbleibenden 992 Frauen ohne Brustkrebs werden gleichwohl rund siebzig ein Untersuchungsergebnis bekommen, das eine Erkrankung indiziert. Nun war leicht zu sehen, daß nur bei sieben von 77 positiv getesteten Frauen, also rund neun Prozent, auch tatsächlich eine Krebserkrankung vorlag.

Dies ist die Grundeinsicht, mit der Gigerenzer zahlreiche Felder der Gesundheitsvorsorge akribisch untersucht: Man übersetze Wahrscheinlichkeitsangaben in natürliche Häufigkeiten, und schon lassen sich Nützlichkeitserwägungen und Risikoberechnungen ohne komplizierte mathematische Formeln durchführen. Bei allen Testverfahren, so zeigt der Autor, ist es zudem wesentlich, sowohl die Rate falsch positiver Ergebnisse als auch die Bezugsgruppe zu kennen (der Grundanteil an Aids-Erkrankungen ist in einer Risikogruppe höher als in einer Nicht-Risikogruppe, was sich wiederum auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, daß ein positiver Test falsch-positiv ist). Gigerenzers Untersuchung von Aids-Beratungsstellen und -Aufklärungsbroschüren sät Skepsis ebenso wie seine Durchleuchtung des Brustkrebs-Screenings: Viele der kursierenden Zahlen und Aussagen sind grob irreführend oder schlicht falsch. So ist sein Buch, das Risiken zu beurteilen helfen will, eines geworden, das falsche Gewißheiten zerstreut. Man wird sich darum nicht unsicherer fühlen.

MICHAEL ADRIAN

Jörg Blech: "Die Krankheitserfinder". Wie wir zu Patienten gemacht werden. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 256 S., geb., 17,90 [Euro].

Gerd Gigerenzer: "Das Einmaleins der Skepsis". Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Aus dem Amerikanischen von Michael Zillgitt. Berlin Verlag, Berlin 2002. 406 S., geb., 22,- [Euro].

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"Eine sorgfältige Recherche zum Geschäft mit der Krankheit." Die Zeit