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Die Krim, rund zweieinhalb Jahre von Ende 1941 bis Anfang 1944 unter deutscher Besatzung, sollte zu einem Mustergebiet nationalsozialistischer Herrschaft werden. Der Besatzungsalltag auf dieser ethnisch stark gemischten Halbinsel aber hatte mit deutschen Germanisierungsutopien kaum noch etwas gemein. Umfassend und anschaulich wird hier erstmals die Besatzungswirklichkeit in dieser sowjetischen Region geschildert.

Produktbeschreibung
Die Krim, rund zweieinhalb Jahre von Ende 1941 bis Anfang 1944 unter deutscher Besatzung, sollte zu einem Mustergebiet nationalsozialistischer Herrschaft werden. Der Besatzungsalltag auf dieser ethnisch stark gemischten Halbinsel aber hatte mit deutschen Germanisierungsutopien kaum noch etwas gemein. Umfassend und anschaulich wird hier erstmals die Besatzungswirklichkeit in dieser sowjetischen Region geschildert.
Autorenporträt
Norbert Kunz, geb. 1971, ist Historiker und Bibliothekar an der Universitätsbibliothek Osnabrück.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2006

Riesiges Heerlager
Deutsche Eroberungs- und Herrschaftssicherungsstrategien auf der Krim 1941 bis 1944

Im Bestand "Deutsches Auslandsinstitut" (DAI) des Bundesarchivs befindet sich ein auf den 5. März 1942 datierter Brief eines Feldarztes der Wehrmacht. Abgesehen davon, daß der Absender offenbar davon überzeugt war, durch seinen Waffendienst dazu beizutragen, die "gesamte europäische Kultur auf tausend Jahre" zu retten, hatte er dem Empfänger noch zwei selbstgedichtete Hymnen auf die Krim beigefügt, die im Rahmen eines von der Armee ausgelobten Preisausschreibens verfaßt worden waren. Die literarische Qualität der "Krim-Gesänge", wie der Absender seine dichterischen Versuche bezeichnete, steht hier nicht zur Diskussion. Freilich ist ihre Aussage bemerkenswert, weil sie zeigt, wie ein Wehrmachtsangehöriger seinen Kampf an der Ostfront im allgemeinen und auf der Krim im besonderen verstand. Die deutschen Soldaten erscheinen hier als "edle Retter", die die Krim vom "bolschewistischen Joch" befreien wollen, Hitler wird als "tapferer Heiland" glorifiziert, in dessen Auftrag die "grauen Kolonnen" eine "neue Welt" auf der Krim errichteten.

In der Tat stellten zu dieser Zeit zahlreiche Dienststellen des "Dritten Reichs" Überlegungen dahin gehend an, welche Zukunft der Halbinsel im Schwarzen Meer im künftigen europäischen Großraum nationalsozialistischer Prägung beschieden sein sollte. Das DAI versuchte beispielsweise, die ethnische Herkunft der Krim-Bevölkerung kartographisch zu erfassen, um eine gesicherte Planungsgrundlage für künftige Um- und Ansiedlungsmaßnahmen zu schaffen. Auf der Grundlage der entsprechenden Recherchen entstand ein Kartensatz, der Ende August 1942 dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete übergeben werden konnte. Das DAI war somit unmittelbar in die Planungsarbeiten des sogenannten "Generalplans Ost" des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) eingebunden und damit in die hauptsächlich im Umfeld der SS angestellten Überlegungen, die sich mit der Frage einer primär nach rasseideologischen Gesichtspunkten erfolgten Neuordnung Mittel- und Osteuropas einschließlich des Ural- und Kaukasus-Gebietes befaßten. Die Durchsicht des betreffenden Aktenbestandes spiegelt in mancherlei Hinsicht die Erfolge der Wehrmacht im Osten - war es im November 1939 noch primär um Um- und Ansiedlungsfragen in den baltischen Staaten und den besetzten polnischen Gebieten gegangen, befaßten sich die einschlägigen Überlegungen in den Folgemonaten zunehmend mit weiteren mittel-, ostmittel- und südosteuropäischen Regionen, um sich dann ab 1942 auch mit der Ukraine und der Kaukasus-Region zu befassen. Ein prominenter Mitarbeiter des DAI, der Lehrer und Schriftsteller Karl Götz (1903-1989), brachte es auf diesem Wege sogar bis zum "Kulturreferenten für ,Volkstumsfragen' in der Ukraine und Transnistrien", bevor er sich nach Kriegsende wieder ins Schwäbische zurückzog, um dort bis zu seinem Tode als Heimatschriftsteller zu wirken. Folglich läßt sich am Beispiel des DAI gut zeigen, wie sich eine ursprünglich der Volkstumsarbeit verpflichtete und dem Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA) nahestehende Organisation nach ihrer "Gleichschaltung" vom NS-System einvernehmen ließ und zu einem Handlager der SS-Siedlungspolitik wurde.

Insofern ist es schade, daß dieser Aktenbestand von Norbert Kunz nicht zur Kenntnis genommen wurde. Doch hinsichtlich der großen Linien der siedlungspolitischen Überlegungen und Maßnahmen zum "Gotengau", der gemäß der Planungen vom Mai 1942 aus der Krim und weiten Teile der südöstlichen Ukraine bestehen sollte, genügen die ausgewerteten Bestände der Volksdeutschen Mittelstelle, des RSHA, der Reichsstelle und der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumordnung, des Rasse- und Siedlungshauptamtes, des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete und einiger anderer einschlägiger Dienststellen vollauf. Ohnehin blieben, wie Kunz zeigen kann, die siedlungspolitischen Maßnahmen auf der Schwarzmeer-Halbinsel aus Sicht der nationalsozialistischen Planer bis zum Rückzug der deutschen Truppen weit hinter den selbstgesteckten Zielen zurück. Anders als die Ukraine glich die Krim stets eher einem riesigen Heerlager denn einem Mustergau. Folglich widmet sich der Verfasser primär der Untersuchung der deutschen Eroberungs- und Herrschaftssicherungsstrategien sowie dem Widerstand dagegen.

Seinem Untersuchungsgegenstand nähert sich Kunz aus der Vogelperspektive, indem er zunächst die strategische Bedeutung der Krim hervorhebt, von der aus sich der gesamte Schwarzmeer-Raum überwachen ließ. Darüber hinaus spielte die Halbinsel in den ersten Kriegsjahren eine Zeitlang eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als mögliche Verhandlungsmasse bei den Sondierungen über eine Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen. Damit war ein Gesprächsfaden wiederaufgenommen worden, der schon 1918, als die deutschen Truppen die Krim einige Monate lang besetzt hatten, geknüpft worden war. Allerdings zeitigten die Gespräche weder 1918 noch 1941 die gewünschten Erfolge, sondern legen höchstens die unterschiedlichen Vorstellungen über den Umgang mit der Krim offen.

Aus deutscher Sicht speisten sich diese, wie Kunz zeigen kann, aus drei verschiedenen Quellen: Der Wehrmacht ging es darum, durch die Kontrolle der Krim eine nachhaltige Verbesserung der eigenen Position an der Ostfront zu erreichen, wobei die Halbinsel von feindlichen Truppen befreit werden mußte, damit diese den weiter östlich kämpfenden Truppen als Nachschub- und Rückzugsbasis dienen konnte. Aus kriegswirtschaftlicher Sicht stellte die Kontrolle der Krim eine wesentliche Voraussetzung für die Sicherung der südosteuropäischen Rohstoffgebiete dar. Und aus rasse- und raumideologischen Erwägungen hatten die einschlägigen Planer der SS der Krim als prominentem Teil des "Reichsgaus Gotenland" die Funktion einer germanischen Grenzmark zugedacht. Es ging ihnen also mittel- und langfristig um die "Germanisierung" auch der Krim-Bevölkerung, womit die Grundlage für den Einsatz der "Einsatzgruppe D" der Waffen-SS gegeben war. Freilich waren die Schergen Himmlers auf der Krim keineswegs auf sich allein gestellt, sondern arbeiteten vielerorts eng mit Wehrmachtseinheiten zusammen. Kunz zufolge wurde erst durch diese Kooperation ein "Gesamtklima" geschaffen, in dem "der Genozid auf der Krim sein letztendliches Ausmaß erreichen" konnte - seinen Schätzungen zufolge fielen allein auf der Schwarzmeer-Halbinsel in der Zeit der deutschen Besatzungszeit mehr als 40 000 Menschen den "Säuberungsmaßnahmen" der Besatzungsmacht zum Opfer.

Auf den ersten Blick hat Norbert Kunz in seinem Buch einen zeitlich wie räumlich begrenzten Aspekt des Zweiten Weltkriegs behandelt. Doch handelt es sich deswegen nicht zwangsläufig um eine bloße Marginalie. Gerade die Überschaubarkeit des Untersuchungsgegenstandes erweist sich hier für die geschichtswissenschaftliche Analyse des Zweiten Weltkriegs als vorteilhaft. Offensichtlich klafften auch auf der Krim von vornherein Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. So stellte sich die Errichtung einer effektiv arbeitenden Militärverwaltung, die auf Zusammenarbeit mit einheimischen Kräften angewiesen war, gerade angesichts der mittel- und langfristigen rasse- und raumpolitischen Planungen und den daraus abgeleiteten konkurrierenden Herrschaftsansprüchen der einschlägigen Institutionen als kaum realisierbar heraus. Zudem wurden die landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Potentiale der Krim in den einschlägigen Planungen deutlich überschätzt, selbst unter größten Anstrengungen und den damit verbundenen Opfern der Bevölkerung konnten nicht die Erträge erwirtschaftet werden, die die Planungsstäbe im Reich und an der Front ihren Plänen zugrunde gelegt hatten. Das im Detail nachgewiesen zu haben ist ein wesentliches Verdienst dieses Buches.

JÜRGEN ELVERT

Norbert Kunz: Die Krim unter deutscher Herrschaft 1941-1944. Germanisierungsutopie und Besatzungsrealität. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005. 434 S., 74,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Überzeugend findet Rezensent Jürgen Elvert diese Arbeit über die deutschen Eroberungs- und Herrschaftssicherungsstrategien auf der Krim 1941 bis 1944, die Norbert Kunz vorgelegt hat. Er bescheinigt dem Autor die Auswertung zahlloser Aktenbestände, wodurch er auch zeigen könne, wie sehr die offiziellen Germanisierungsutopien und die Besatzerrealität auf der Schwarzmeer-Halbinsel auseinander klafften. Positiv wertet auch er die Überschaubarkeit des Untersuchungsgegenstandes, die sich für die geschichtswissenschaftliche Analyse des Zweiten Weltkriegs als "vorteilhaft" erweise.

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