Die Welt ist unsicher geworden und die Politik zum Spielball der Gesetze des Marktes.
Die Macht ist an Institutionen übergegangen, die nicht mehr gewählt und nicht mehr kontrollierbar sind. Marktzwänge ersetzen die politische Legislative. Der vom globalen Markt beherrschte und von der Politik vernachlässigte Mensch tritt die Flucht ins Private an.
In dieser Welt bedeutet Freiheit nur noch das Fehlen von Beschränkungen. Es ist eine negative Freiheit, die den Menschen zu wenig Sicherheit bietet. Erst mit der erfolgreichen Übersetzung privater Sorgen in öffentliche Probleme wird der Tatsache Rechnung getragen, dass individuelle Freiheit nur das Ergebnis kollektiver Anstrengung sein kann.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Die Macht ist an Institutionen übergegangen, die nicht mehr gewählt und nicht mehr kontrollierbar sind. Marktzwänge ersetzen die politische Legislative. Der vom globalen Markt beherrschte und von der Politik vernachlässigte Mensch tritt die Flucht ins Private an.
In dieser Welt bedeutet Freiheit nur noch das Fehlen von Beschränkungen. Es ist eine negative Freiheit, die den Menschen zu wenig Sicherheit bietet. Erst mit der erfolgreichen Übersetzung privater Sorgen in öffentliche Probleme wird der Tatsache Rechnung getragen, dass individuelle Freiheit nur das Ergebnis kollektiver Anstrengung sein kann.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2000I'm no lumberjack, but I'm O.K.
Zygmunt Bauman hält Werthüter für wertvoller als Waldhüter
Als John Dewey vor gut siebzig Jahren, am Vorabend der Weltwirtschaftskrise, auf sein Land blickte, beklagte er den Verlust des öffentlichen Raumes, in dem Menschen gemeinsam handeln und über die Folgen dieses Handelns beraten. Zwar könne ein Schuster das bequemste Schuhwerk herstellen, aber nur der gemeine Mann wisse, wo der Schuh drücke. Die Gesellschaftskritik ist bei ihrem Leisten geblieben: Das neue Werk des Soziologen Zygmunt Bauman liest sich wie eine Neuauflage von Deweys Programm, obwohl Bauman noch nie etwas von Dewey gehört zu haben scheint, der Gute! Allerdings ist Baumans Ausführungen das Pathos des Fortschritts abhanden gekommen. So glaubt er feststellen zu können, daß es heutzutage keinerlei "Brücken" mehr zwischen privaten Sorgen und öffentlichen Anliegen gibt. Es fehle eine "Kunst der Übersetzung". So entstehe ein Unbehagen, welches Bauman - auch im englischen Original - mit dem Ausdruck der "Unsicherheit" fassen möchte. Mit diesem Begriff will Bauman auffangen, was im Englischen als "uncertainty" im Sinne von Ungewißheit, "insecurity" im Sinne von Unsicherheit und "unsafety" im Sinne von Schutzlosigkeit bezeichnet wird.
In Baumans Welt gibt es nur einen privatistischen Umgang mit dieser Unsicherheit: Jeder fühlt sich potentiell überflüssig, weiß um die langfristige Gefährdung seiner sozialen Position und bastelt daher mehr schlecht als recht an seiner Biographie. Das Anwachsen individueller Freiheit verträgt sich auf erstaunlich zwanglose Weise mit dem Gefühl kollektiver Ohnmacht. Diese "endemische Instabilität der Lebenswelten" gilt Bauman aber nicht nur als Symptom und Konsequenz einer "Krise der Politik"; in ihr erblickt er auch die Ursache für eine Form symbolischer Politik, die sich wesentlich der Kompensation dieser Instabilität verschrieben hat.
Breit diskutiert Bauman etwa den jüngst in England wieder aufgeflammten Protest gegen die Freilassung von Kinderschändern. Die emotionale Intensität dieses Protestes erklärt er daraus, daß in dieser einen Frage eben eine befristete Übersetzung von privaten Sorgen in öffentliche Anliegen gelingt und so kurzzeitig von der Bürde privater Apathie und sozialer Isolation befreit. Als eine andere Form der Entlastung deutet Bauman den Umstand, daß mittlerweile nicht mehr - wie einst Habermas vermutete - die Lebenswelt durch das System kolonialisiert als vielmehr das System durch die Lebenswelt kolonialisiert werde. So aber werde das Öffentliche seines genuinen Inhalts beraubt, es bleibe ohne eigene Thematik zurück und bestehe lediglich aus einer Anhäufung privater Schwierigkeiten, Sorgen und Probleme.
Freilich, eine Kultur des Narzißmus wie eine Therapeutisierung unseres Alltags läßt sich nur dann überzeugend kritisieren, wenn man nicht nur eine Stärkung der Öffentlichkeit einklagt, sondern auch dem negativen Freiheitsbegriff sein Recht zugesteht. Nur wer das Gut einer geschützten Privatsphäre anerkennt, kann die Tyrannei der Intimität Öffentlichkeit glaubwürdig kritisieren. Bauman hingegen erweckt mitunter den Eindruck, die Freiheit individueller Wahl gelte ihm als bloßer Schein. Sein republikanisch inspirierter Begriff von Freiheit gibt sich erstaunlich herablassend gegenüber dem Recht auf Freiheit von staatlicher Beeinflußung.
Wie kann jenes Maß an Sicherheit entstehen, das öffentliches Engagement erst möglich macht? Baumans Antwort ist ein Plädoyer für die Revitalisierung des Republikanismus. Einzig die Republik, nicht der Liberalismus, vermag demgemäß die Balance zwischen der Befreiung des einzelnen von Einmischung und des Bürgerrechts auf Einmischung zu halten. Daß ein solcher, nicht neuer Ansatz, wie auch immer er zu bewerten ist, nun ausgerechnet von Bauman vorgetragen wird, darf erstaunen: Eine wesentliche Folgerung seiner zu Recht gerühmten Studie über die Genese des Holocaust aus dem Geiste der Moderne war doch gerade, alle Moral und Tugend auf den einsamen Kontakt zweier Menschen zurückzuführen, niemals aber - wie dies der Republikanismus verlangt - in den Verfahren der politischen Sphäre selbst zu lokalisieren.
Wie dem auch sei, der immer wieder zu hörende Vorwurf, der Republikanismus diktiere seinen Bürgern eine bestimmte Vorstellung des guten Lebens, verfängt gegen Bauman nicht. Ausdrücklich betont er: "Es ist nicht Zweck der Republik, ein vorgefaßtes Modell des guten Lebens durchzusetzen, sondern ihre Bürger in die Lage zu bringen, die Lebensentwürfe, denen sie den Vorzug geben, frei zu diskutieren und umzusetzen." Allerdings verblüfft an dieser Stelle erneut, daß Bauman die insbesondere in den Vereinigten Staaten geführten Debatten über die kulturellen und zivilgesellschaftlichen Grundlagen von Demokratie ignoriert. Der Grund dafür scheint in einer im schlechten Sinne alteuropäischen Ablehnung der amerikanischen Sozialwissenschaften zu liegen, die nicht weiter verwundern mag bei einem Autor, der seine wichtigsten Daten aus "Le monde diplomatique" bezieht. Baumans Ausführungen sind mitunter von einer bedenklichen empirischen Oberflächlichkeit. Gerade dort, wo es harter Tatsachen bedurft hätte, um seinen politischen Forderungen Plausibilität zu verschaffen, zeigt sich Bauman für einen Soziologen erstaunlich leichtsinnig. So führt er zur Begründung seines wichtigsten konkreten Vorschlags für eine Erweckungskur der Republik (der Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen) eine einzige Studie an, und die stammt aus dem Jahr 1989. Wohlgemerkt: Die englische Originalausgabe von Baumans Buch stammt aus dem Jahr 1999.
Noch befremdlicher stimmen jene Passagen, in denen sich Bauman dem Schicksal des modernen Intellektuellen widmet. Befremden lösen diese Ausführungen nicht nur aus, weil sie zur restlichen Argumentation des Buches keinerlei logische Verbindung aufweisen und es sich hier um Exkurse handelt, die besser separat veröffentlicht worden wären. Irritieren muß vor allem Baumans wehklagendes Getöse über einen angeblichen Verrat der Intellektuellen. Hatte Julien Benda 1927 mit dieser Formel noch die intellektuellen Feinde der Dritten Republik für ihren mangelnden Wirklichkeitssinn, ihre Flucht in Utopie oder Geschichtsphilosophie, ihren allzu willfährigen Gehorsam gegenüber politischen Machthabern jeglicher Couleur kritisiert, so verkehrt Bauman Bendas Rede in ihr Gegenteil. Denn das politische Disengagement der Wissensklassen gilt ihm nunmehr als "die große Verweigerung der modernen intellektuellen Berufung". Intellektuelle Redlichkeit bemißt sich demnach an dem Versuch der geistigen Abstraktion von Zeit und Raum, an dem Bemühen, den Status quo zu transzendieren. Dankbarkeit angesichts des Untergangs von Prätentionen und Gespreiztheiten ist Baumans Sache nicht; vielmehr beklagt er das "Ende aller Ideologien" und bezeichnet trockenen Auges die Intellektuellen als "entscheidende historische Instanz", als "Kulturschöpfer", als "Wertelehrer und -hüter". Unter Verweis auf Karl Mannheims These, daß jedes Gefühl sozialer Verbundenheit die Erkenntnisfähigkeit mindere, zeigt sich Bauman fasziniert von einem Denken, welches sich jeglicher Partikularität verweigert und nachgerade in einer zeit- und ortlosen Sphäre zu schweben scheint.
Auch diesbezüglich hätte Bauman ein Blick über den Atlantik eines Besseren belehren können. Die beeindruckende Liberalität der Vereinigten Staaten hat auch damit zu tun, daß sich dort der Intellektuelle ganz bewußt als Teil seiner Gesellschaft begreift. Er will nicht wichtiger sein als der Bäcker, der jeden Morgen für Brötchen sorgt, und ganz gewiß nicht nützlicher als jene Holzfäller, die ehedem durch ihre Arbeit die "frontier" definierten. Der amerikanische Intellektuelle gewinnt seine Begriffe aus dem Diskurs der Alltagssprache, und die Distanzierung vom Alltag der Mitmenschen ist gerade nicht seine Aufgabe, sondern der eigentliche Verrat. Politik kann dann natürlich niemals mehr sein als eine "Politik der Problem-für-Problem-Kampagnen", wie Bauman im Ton der Geringschätzung formuliert. Indes, wer möchte sich heute noch an Baumans Forderung halten, Politik habe jede konkrete Maßnahme nach ihrer Verringerung der Distanz zu einem Idealzustand zu bewerten?
PETER VOGT
Zygmunt Bauman: "Die Krise der Politik". Fluch und Chance einer neuen Öffentlichkeit. Aus dem Englischen von Edith Boxberger. Hamburger Edition, Hamburg 2000. 295 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zygmunt Bauman hält Werthüter für wertvoller als Waldhüter
Als John Dewey vor gut siebzig Jahren, am Vorabend der Weltwirtschaftskrise, auf sein Land blickte, beklagte er den Verlust des öffentlichen Raumes, in dem Menschen gemeinsam handeln und über die Folgen dieses Handelns beraten. Zwar könne ein Schuster das bequemste Schuhwerk herstellen, aber nur der gemeine Mann wisse, wo der Schuh drücke. Die Gesellschaftskritik ist bei ihrem Leisten geblieben: Das neue Werk des Soziologen Zygmunt Bauman liest sich wie eine Neuauflage von Deweys Programm, obwohl Bauman noch nie etwas von Dewey gehört zu haben scheint, der Gute! Allerdings ist Baumans Ausführungen das Pathos des Fortschritts abhanden gekommen. So glaubt er feststellen zu können, daß es heutzutage keinerlei "Brücken" mehr zwischen privaten Sorgen und öffentlichen Anliegen gibt. Es fehle eine "Kunst der Übersetzung". So entstehe ein Unbehagen, welches Bauman - auch im englischen Original - mit dem Ausdruck der "Unsicherheit" fassen möchte. Mit diesem Begriff will Bauman auffangen, was im Englischen als "uncertainty" im Sinne von Ungewißheit, "insecurity" im Sinne von Unsicherheit und "unsafety" im Sinne von Schutzlosigkeit bezeichnet wird.
In Baumans Welt gibt es nur einen privatistischen Umgang mit dieser Unsicherheit: Jeder fühlt sich potentiell überflüssig, weiß um die langfristige Gefährdung seiner sozialen Position und bastelt daher mehr schlecht als recht an seiner Biographie. Das Anwachsen individueller Freiheit verträgt sich auf erstaunlich zwanglose Weise mit dem Gefühl kollektiver Ohnmacht. Diese "endemische Instabilität der Lebenswelten" gilt Bauman aber nicht nur als Symptom und Konsequenz einer "Krise der Politik"; in ihr erblickt er auch die Ursache für eine Form symbolischer Politik, die sich wesentlich der Kompensation dieser Instabilität verschrieben hat.
Breit diskutiert Bauman etwa den jüngst in England wieder aufgeflammten Protest gegen die Freilassung von Kinderschändern. Die emotionale Intensität dieses Protestes erklärt er daraus, daß in dieser einen Frage eben eine befristete Übersetzung von privaten Sorgen in öffentliche Anliegen gelingt und so kurzzeitig von der Bürde privater Apathie und sozialer Isolation befreit. Als eine andere Form der Entlastung deutet Bauman den Umstand, daß mittlerweile nicht mehr - wie einst Habermas vermutete - die Lebenswelt durch das System kolonialisiert als vielmehr das System durch die Lebenswelt kolonialisiert werde. So aber werde das Öffentliche seines genuinen Inhalts beraubt, es bleibe ohne eigene Thematik zurück und bestehe lediglich aus einer Anhäufung privater Schwierigkeiten, Sorgen und Probleme.
Freilich, eine Kultur des Narzißmus wie eine Therapeutisierung unseres Alltags läßt sich nur dann überzeugend kritisieren, wenn man nicht nur eine Stärkung der Öffentlichkeit einklagt, sondern auch dem negativen Freiheitsbegriff sein Recht zugesteht. Nur wer das Gut einer geschützten Privatsphäre anerkennt, kann die Tyrannei der Intimität Öffentlichkeit glaubwürdig kritisieren. Bauman hingegen erweckt mitunter den Eindruck, die Freiheit individueller Wahl gelte ihm als bloßer Schein. Sein republikanisch inspirierter Begriff von Freiheit gibt sich erstaunlich herablassend gegenüber dem Recht auf Freiheit von staatlicher Beeinflußung.
Wie kann jenes Maß an Sicherheit entstehen, das öffentliches Engagement erst möglich macht? Baumans Antwort ist ein Plädoyer für die Revitalisierung des Republikanismus. Einzig die Republik, nicht der Liberalismus, vermag demgemäß die Balance zwischen der Befreiung des einzelnen von Einmischung und des Bürgerrechts auf Einmischung zu halten. Daß ein solcher, nicht neuer Ansatz, wie auch immer er zu bewerten ist, nun ausgerechnet von Bauman vorgetragen wird, darf erstaunen: Eine wesentliche Folgerung seiner zu Recht gerühmten Studie über die Genese des Holocaust aus dem Geiste der Moderne war doch gerade, alle Moral und Tugend auf den einsamen Kontakt zweier Menschen zurückzuführen, niemals aber - wie dies der Republikanismus verlangt - in den Verfahren der politischen Sphäre selbst zu lokalisieren.
Wie dem auch sei, der immer wieder zu hörende Vorwurf, der Republikanismus diktiere seinen Bürgern eine bestimmte Vorstellung des guten Lebens, verfängt gegen Bauman nicht. Ausdrücklich betont er: "Es ist nicht Zweck der Republik, ein vorgefaßtes Modell des guten Lebens durchzusetzen, sondern ihre Bürger in die Lage zu bringen, die Lebensentwürfe, denen sie den Vorzug geben, frei zu diskutieren und umzusetzen." Allerdings verblüfft an dieser Stelle erneut, daß Bauman die insbesondere in den Vereinigten Staaten geführten Debatten über die kulturellen und zivilgesellschaftlichen Grundlagen von Demokratie ignoriert. Der Grund dafür scheint in einer im schlechten Sinne alteuropäischen Ablehnung der amerikanischen Sozialwissenschaften zu liegen, die nicht weiter verwundern mag bei einem Autor, der seine wichtigsten Daten aus "Le monde diplomatique" bezieht. Baumans Ausführungen sind mitunter von einer bedenklichen empirischen Oberflächlichkeit. Gerade dort, wo es harter Tatsachen bedurft hätte, um seinen politischen Forderungen Plausibilität zu verschaffen, zeigt sich Bauman für einen Soziologen erstaunlich leichtsinnig. So führt er zur Begründung seines wichtigsten konkreten Vorschlags für eine Erweckungskur der Republik (der Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen) eine einzige Studie an, und die stammt aus dem Jahr 1989. Wohlgemerkt: Die englische Originalausgabe von Baumans Buch stammt aus dem Jahr 1999.
Noch befremdlicher stimmen jene Passagen, in denen sich Bauman dem Schicksal des modernen Intellektuellen widmet. Befremden lösen diese Ausführungen nicht nur aus, weil sie zur restlichen Argumentation des Buches keinerlei logische Verbindung aufweisen und es sich hier um Exkurse handelt, die besser separat veröffentlicht worden wären. Irritieren muß vor allem Baumans wehklagendes Getöse über einen angeblichen Verrat der Intellektuellen. Hatte Julien Benda 1927 mit dieser Formel noch die intellektuellen Feinde der Dritten Republik für ihren mangelnden Wirklichkeitssinn, ihre Flucht in Utopie oder Geschichtsphilosophie, ihren allzu willfährigen Gehorsam gegenüber politischen Machthabern jeglicher Couleur kritisiert, so verkehrt Bauman Bendas Rede in ihr Gegenteil. Denn das politische Disengagement der Wissensklassen gilt ihm nunmehr als "die große Verweigerung der modernen intellektuellen Berufung". Intellektuelle Redlichkeit bemißt sich demnach an dem Versuch der geistigen Abstraktion von Zeit und Raum, an dem Bemühen, den Status quo zu transzendieren. Dankbarkeit angesichts des Untergangs von Prätentionen und Gespreiztheiten ist Baumans Sache nicht; vielmehr beklagt er das "Ende aller Ideologien" und bezeichnet trockenen Auges die Intellektuellen als "entscheidende historische Instanz", als "Kulturschöpfer", als "Wertelehrer und -hüter". Unter Verweis auf Karl Mannheims These, daß jedes Gefühl sozialer Verbundenheit die Erkenntnisfähigkeit mindere, zeigt sich Bauman fasziniert von einem Denken, welches sich jeglicher Partikularität verweigert und nachgerade in einer zeit- und ortlosen Sphäre zu schweben scheint.
Auch diesbezüglich hätte Bauman ein Blick über den Atlantik eines Besseren belehren können. Die beeindruckende Liberalität der Vereinigten Staaten hat auch damit zu tun, daß sich dort der Intellektuelle ganz bewußt als Teil seiner Gesellschaft begreift. Er will nicht wichtiger sein als der Bäcker, der jeden Morgen für Brötchen sorgt, und ganz gewiß nicht nützlicher als jene Holzfäller, die ehedem durch ihre Arbeit die "frontier" definierten. Der amerikanische Intellektuelle gewinnt seine Begriffe aus dem Diskurs der Alltagssprache, und die Distanzierung vom Alltag der Mitmenschen ist gerade nicht seine Aufgabe, sondern der eigentliche Verrat. Politik kann dann natürlich niemals mehr sein als eine "Politik der Problem-für-Problem-Kampagnen", wie Bauman im Ton der Geringschätzung formuliert. Indes, wer möchte sich heute noch an Baumans Forderung halten, Politik habe jede konkrete Maßnahme nach ihrer Verringerung der Distanz zu einem Idealzustand zu bewerten?
PETER VOGT
Zygmunt Bauman: "Die Krise der Politik". Fluch und Chance einer neuen Öffentlichkeit. Aus dem Englischen von Edith Boxberger. Hamburger Edition, Hamburg 2000. 295 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der Vordenker der Postmoderne, Zygmunt Bauman, verortet in seinem neuen essayistischen Buch “Die Krise der Politik” (englisches Original: “In Search of Politics”) die moderne Gesellschaft im Spannungsfeld von (zu viel) Freiheit und (zu wenig) Sicherheit. Und Uwe Justus Wenzel kann sich in seiner langen Kritik nicht entscheiden, ob er das wichtig findet. Zum einen vermisst er den Bezug zum ähnlich denkenden Richard Sennet (“Der flexible Mensch”), zum anderen gibt er zu bedenken, dass die von Baumann mal wieder als “Vision” bezeichnete Idee eines Grundeinkommens für alle doch ein “arg kleines Brötchen … aus einem groß angerührten Teig” sein könnte. Analytisch interessant scheint ohnehin nur Baumanns Differenzierung der allgemeinen Unsicherheit in (ethische) uncertainty, (materielle) insecurity und (emotionale) unsafety.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH