Worin liegt die Faszination des Bergsteigens? Der Schriftsteller Erri de Luca - mit über fünfzig Jahren selbst zum Alpinisten geworden - unterhält sich mit Nives Meroi, einer der drei Frauen, die über die Hälfte aller Achttausender bestiegen haben. Beiden geht es nicht um Rekorde, nicht um das"Bezwingen"der Berge. Ihre nächtlichen Gespräche im Zelt handeln von der Mühsal des Bergsteigens, von Abenteuern und tödlichen Gefahren und vom Gipfel, der nicht Ziel, sondern erst die Hälfte der Reise ist. Ein Buch, das wichtige Fragen des Lebens berührt und auch die in Bann schlägt, die die eisigen Höhen lieber vom Tal aus betrachten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2006Der Galopp des Metapherngauls
Nives Meroi hat die Hälfte der vierzehn Achttausender bestiegen. Der italienische Schriftsteller und Bergsteiger Erri de Luca begleitete seine Landsfrau in den Himalaja, wenngleich er nicht damit herausrückt, bis auf welche Höhe. Im Zelt reden sie über Gott und die Welt der Berge. Nives Meroi findet poetische Worte, oder De Luca legt sie ihr in den Mund, das läßt sich schwer auseinanderdividieren. Sie sei jedoch, so Meroi, "ein übriggebliebener Teil der Worte anderer Menschen, die diese Worte nicht mehr sagen können". Auch die Besten, die Schnellsten, die Stärksten stürben in den Bergen. Darum glaube sie, daß ihre eigenen Geschichten auch die der anderen seien, "daß ich diese Geschichten enthalte und überbringe". Sie berichtet, während der Tage am Berg "werden meine Steigeisen und Eispickel zu Krallen, ich bin ein Tier in meinem Territorium". Und vom Aufenthalt in großen Höhen, die dem Körper entsetzlich zusetzen, weiß sie noch zu sagen, man wandere "über ein Geröllfeld aus Sternen". Nives Meroi klettert seit Jahrzehnten zusammen mit ihrem Mann, "den höchstgelegenen Streit haben wir auf dem Nanga Parbat ausgetragen, auf siebentausenddreihundert Metern". Noch weiter oben habe man gar nicht mehr genug Atem, um ihn für Zänkereien zu verschwenden. Erri de Luca versteigt sich mitunter zu eigenwilligen Erkenntnissen, der Alpinismus sei, so der Autor, "das letzte Kapitel der Geographie" gewesen: "Noch fehlten dort oben die Schritte der zweibeinigen Wesen ohne Flügel, dieser ewigen aufdringlichen Reisenden." Und wenn ihm dann der Metapherngaul durchgeht und er sagt, der Kailash in Tibet, der nicht bestiegen, sondern umkreist wird, sei "die Hommage eines Libertins, der auf die letzte Entjungferung verzichtet", bremst ihn Meroi dankenswerterweise und bemerkt nur: "Du denkst dir alles mögliche aus."
bär
"Die Krümmung des Horizonts. Mit einer Bergsteigerin im Himalaja" von Erri de Luca. Hanser Verlag, München und Wien 2006. 176 Seiten. Gebunden, 15,90 Euro. ISBN 3-446-20781-3.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nives Meroi hat die Hälfte der vierzehn Achttausender bestiegen. Der italienische Schriftsteller und Bergsteiger Erri de Luca begleitete seine Landsfrau in den Himalaja, wenngleich er nicht damit herausrückt, bis auf welche Höhe. Im Zelt reden sie über Gott und die Welt der Berge. Nives Meroi findet poetische Worte, oder De Luca legt sie ihr in den Mund, das läßt sich schwer auseinanderdividieren. Sie sei jedoch, so Meroi, "ein übriggebliebener Teil der Worte anderer Menschen, die diese Worte nicht mehr sagen können". Auch die Besten, die Schnellsten, die Stärksten stürben in den Bergen. Darum glaube sie, daß ihre eigenen Geschichten auch die der anderen seien, "daß ich diese Geschichten enthalte und überbringe". Sie berichtet, während der Tage am Berg "werden meine Steigeisen und Eispickel zu Krallen, ich bin ein Tier in meinem Territorium". Und vom Aufenthalt in großen Höhen, die dem Körper entsetzlich zusetzen, weiß sie noch zu sagen, man wandere "über ein Geröllfeld aus Sternen". Nives Meroi klettert seit Jahrzehnten zusammen mit ihrem Mann, "den höchstgelegenen Streit haben wir auf dem Nanga Parbat ausgetragen, auf siebentausenddreihundert Metern". Noch weiter oben habe man gar nicht mehr genug Atem, um ihn für Zänkereien zu verschwenden. Erri de Luca versteigt sich mitunter zu eigenwilligen Erkenntnissen, der Alpinismus sei, so der Autor, "das letzte Kapitel der Geographie" gewesen: "Noch fehlten dort oben die Schritte der zweibeinigen Wesen ohne Flügel, dieser ewigen aufdringlichen Reisenden." Und wenn ihm dann der Metapherngaul durchgeht und er sagt, der Kailash in Tibet, der nicht bestiegen, sondern umkreist wird, sei "die Hommage eines Libertins, der auf die letzte Entjungferung verzichtet", bremst ihn Meroi dankenswerterweise und bemerkt nur: "Du denkst dir alles mögliche aus."
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"Die Krümmung des Horizonts. Mit einer Bergsteigerin im Himalaja" von Erri de Luca. Hanser Verlag, München und Wien 2006. 176 Seiten. Gebunden, 15,90 Euro. ISBN 3-446-20781-3.
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