Produktdetails
- Verlag: Haffmans
- Seitenzahl: 240
- Deutsch
- Abmessung: 180mm
- Gewicht: 262g
- ISBN-13: 9783251002757
- ISBN-10: 3251002759
- Artikelnr.: 24185625
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1995Onkelchens Traum
"Die Kugeln in unseren Köpfen": Max Goldt kolumniert und gibt dem Fiesen Kontra Von Heinrich Detering
Jedes populäre Genre gilt so lange als trivial, wie sich kein Meister der in ihm schlummernden Möglichkeiten angenommen hat. Bekanntlich hielt Schiller den Roman für bloße Unterhaltungsschreiberei, die dem Drama notwendig unterlegen bleiben müsse, bis Goethe das Gegenteil bewies. Chaplin zeigte, was Filmkunst ist, und Heinz Erhardt vervollkommnete den Kalauer. Max Goldt hat ein Genre zum Kunstwerk gemacht, das vor ihm und neben ihm noch immer ein Schattendasein in der Zeitschriftenwelt zwischen "Bäckerblume" und "Brigitte" fristete: die Kolumne. "Kolumnieren" nennt er mit extravagantem Recht die Tätigkeit, die er als "Onkel Max" vor einigen Jahren in der Monatsschrift "Titanic" auszuüben begann und deren Ergebnisse in mittlerweile zwei Bänden gesammelt vorliegen: zuerst "Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau", jetzt, mit den Kolumnen 48 bis 71, "Die Kugeln in unseren Köpfen".
Die Kolumne ist ja etwas ganz anderes als das altbackene Feuilleton, das anläßlich eines Hosenknopfes über alles, nur über nichts Ernsthaftes plaudern darf, und sie ist grundverschieden auch von der Glosse, die als beiläufige Randnotiz einen ernsten Gegenstand nicht ernst nehmen muß. Onkel Max schreibt Kolumnen, Kulturkolumnen. Und früher nannte er sie auch so. Leider hat "Onkel Max' Kulturkolumne" mittlerweile den Namen gewechselt; aber wenn auch die Namen wechseln, das Gute bleibt. Gute Gedanken gut formuliert: Das ist Onkel Max' Maxime. Es geht um vieles Schwere und Ernste, aber Onkel Max sieht auch das Positive.
Wo es etwas anzuprangern und zu geißeln gibt, da geißelt er und prangert an, das seltene "Gewerbe der Amselvergrämung" ebenso glühend wie die verbreitete Unsitte des Pullunderverspottens. Getreu seinem Grundsatz, "daß man die Angst, von anderen Leuten für spießig gehalten zu werden, unbedingt ablegen sollte", kennt er keine modischen Tabus. Da es "Sinn meiner Existenz ist, fiesen Existenzen Kontra zu geben", gilt seine Liebe dem Guten und Schönen, seine Abneigung aber dem Häßlichen und Bösen. Darum ist Onkel Max so liebenswert. Darum ist es auch gar nicht charmelos, wenn er sich Gedanken über den Körpergeruch von Dagmar Berghoff macht (die nämlich keineswegs Gestank ausströmt, sondern sich vielmehr vorteilhaft durch "frauliches Düfteln bemerkbar macht") oder über die Schleimhautsekrete von Langschläfern. Immer bemüht sich Onkel Max, uns die beglückende Seite zu zeigen, die auch das scheinbar Doofe hat. "Der Gedanke, daß Rudolf Scharping und Konstantin Wecker einander interessieren, ist total süß", freut er sich. Und aufmerksam hört er hin, wenn in der S-Bahn ein männlicher Teenager zum anderen über das auffallende Schuhwerk eines weiblichen Teenagers äußert: "Voll die Botten ey, die Alte".
Mit Onkel Max ist die Kolumne zur Poesie des Hochglanzmagazin- und Privatsender-Zeitalters geworden. Wer nie sein Brot beim Zappen aß, weiß nicht, wieso hier die Themen so plötzlich wechseln. Wer mit Inge Meysel und Whitney Houston nicht ebenso vertraut ist wie mit der Lenor-Werbung, wird hier sehr einsam sein. Nicht minder aber auch jeder, der nicht willens ist, sie alle auf dem Boden des Samstagabend zurückzulassen. Hier heißt es wägen und wagen. Denn im Unterschied zu Kolumnen-Dilettanten wie Harald Schmidt und Helge Schneider, deren schriftstellerische Produktion deshalb so enttäuschend ist, weil sie das Fernsehen bloß mit weniger geeigneten Mitteln fortsetzen will, führt Onkel Max uns über das Fernsehen hinaus, empor in die kühle, reine Höhenluft des Schönen. Seine Welt ist das Feld zwischen Wigald Boning und Peter Rosegger.
Onkel Max fragt weiter, wo andere verstummen. Er macht Entdeckungen, wo andere gar nicht hinsehen: "Was man übrigens sehr selten sieht, sind Schwarzweißphotos von Erdbeeren." Wie wahr, und wie überaus erstaunlich, daß erst Onkel Max kommen mußte, um das zu bemerken! Auch bemerkt er, daß Herr Leichner, der Erfinder der fettfreien Schminke, auf demselben Friedhof begraben liegt wie Rudi Dutschke. Er öffnet Pfade in die "nicht unverwirrende Welt der Mischgetränke" und findet Wege zum Auskämmen von Meerschweinchensperma aus Meerschweinchenfellen.
Hier werden ernste, ja schmerzliche Denkanstöße vermittelt. Dann wieder heißt es: gackern mit Onkel Max. Das Komische und das Ernste sind bei Max Goldt nicht nur eineiige Zwillinge, ja sie sind eigentlich überhaupt identisch. Onkel Max ist bekennender Moralist und heimlicher Metaphysiker. Weil er erkennt, "daß alles, aber auch wirklich alles im Leben unglaublich kompliziert und letztlich unerklärlich ist", darum bewundert er "die Mannigfaltigkeit der Mittel, mit der die Welt ihren Willen zur Unvollkommenheit zum Ausdruck bringt". Und darum mündet seine Suche nach haltbaren Lebensregeln in den kategorischen Satz: "Ab und zu ist auch mal was egal." Mit Heinz Erhardt könnte er angesichts von Welt und Leben ausrufen: "Trari-trara, die Pest ist da!" Und eben darum betreibt er mit Nietzsche seine Sprachkunst als letzte metaphysische Tätigkeit.
Denn wer die Doofheit angeschaut mit Augen, ist dem Schönen schon anheimgegeben. Die Gegenwehr des schönen Stils handhabt Onkel Max mit berückender Geschmeidigkeit. Er schreibt, als ob eine der Gestalten aus Morgensterns "Galgenliedern" sich ans Kolumnieren gemacht hätte. Ein Palmström der Prosa, gehört er zu jenen Käuzen, die oft unvermittelt-nackt Ehrfurcht vor dem Schönen packt. So liebt er zum Beispiel zart platzende Verschlußlaute wie "knospt" und seltene Konjunktive wie "höben" oder "büke", und eigens zu ihrer Aufbewahrung formt er Wunder des Wohlklangs wie: "Phnom-Penher pennte mit Phnom-Penherin" oder "Ich wollte, man büke mir einen Klöben." Manchmal ist es schön, wenn kein planer Sinn den zarten Klang beschwert.
Das gilt auch für den unerschöpflichen Vorrat von Antworten auf die Frage: Wie komme ich von einem Thema auf ein ganz anderes, zum Beispiel von Mantafahrern auf Yehudi Menuhin? Max Goldts bevorzugte Bewegungsart ist das zarte "Huschen". Und daher wird sein Nachdenken über die Mantafahrer unterbrochen durch das Wort "Geigen". Punkt, husch. "Apropos Geigen: Der weise Geiger Sir Yehudi Menuhin machte kürzlich den Vorschlag.". Das ist nicht nur heiter und besinnlich, es ist auch, mit zweien von Max Goldts Lieblingswörtern, apart und dezent. Nein, da kann es keine Widerrede geben: Der Mensch mag schlecht sein, Onkel Max ist gut. Er ist, mit einem von ihm selbst sehr geschätzten Chris-Roberts-Zitat, "okay-hey für mich!"
Max Goldt: "Die Kugeln in unseren Köpfen". Kolumnen. Mit einigen Zeichnungen von Tex Rubinowitz. Haffmans Verlag, Zürich 1995. 220 S., geb., 28,50 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Kugeln in unseren Köpfen": Max Goldt kolumniert und gibt dem Fiesen Kontra Von Heinrich Detering
Jedes populäre Genre gilt so lange als trivial, wie sich kein Meister der in ihm schlummernden Möglichkeiten angenommen hat. Bekanntlich hielt Schiller den Roman für bloße Unterhaltungsschreiberei, die dem Drama notwendig unterlegen bleiben müsse, bis Goethe das Gegenteil bewies. Chaplin zeigte, was Filmkunst ist, und Heinz Erhardt vervollkommnete den Kalauer. Max Goldt hat ein Genre zum Kunstwerk gemacht, das vor ihm und neben ihm noch immer ein Schattendasein in der Zeitschriftenwelt zwischen "Bäckerblume" und "Brigitte" fristete: die Kolumne. "Kolumnieren" nennt er mit extravagantem Recht die Tätigkeit, die er als "Onkel Max" vor einigen Jahren in der Monatsschrift "Titanic" auszuüben begann und deren Ergebnisse in mittlerweile zwei Bänden gesammelt vorliegen: zuerst "Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau", jetzt, mit den Kolumnen 48 bis 71, "Die Kugeln in unseren Köpfen".
Die Kolumne ist ja etwas ganz anderes als das altbackene Feuilleton, das anläßlich eines Hosenknopfes über alles, nur über nichts Ernsthaftes plaudern darf, und sie ist grundverschieden auch von der Glosse, die als beiläufige Randnotiz einen ernsten Gegenstand nicht ernst nehmen muß. Onkel Max schreibt Kolumnen, Kulturkolumnen. Und früher nannte er sie auch so. Leider hat "Onkel Max' Kulturkolumne" mittlerweile den Namen gewechselt; aber wenn auch die Namen wechseln, das Gute bleibt. Gute Gedanken gut formuliert: Das ist Onkel Max' Maxime. Es geht um vieles Schwere und Ernste, aber Onkel Max sieht auch das Positive.
Wo es etwas anzuprangern und zu geißeln gibt, da geißelt er und prangert an, das seltene "Gewerbe der Amselvergrämung" ebenso glühend wie die verbreitete Unsitte des Pullunderverspottens. Getreu seinem Grundsatz, "daß man die Angst, von anderen Leuten für spießig gehalten zu werden, unbedingt ablegen sollte", kennt er keine modischen Tabus. Da es "Sinn meiner Existenz ist, fiesen Existenzen Kontra zu geben", gilt seine Liebe dem Guten und Schönen, seine Abneigung aber dem Häßlichen und Bösen. Darum ist Onkel Max so liebenswert. Darum ist es auch gar nicht charmelos, wenn er sich Gedanken über den Körpergeruch von Dagmar Berghoff macht (die nämlich keineswegs Gestank ausströmt, sondern sich vielmehr vorteilhaft durch "frauliches Düfteln bemerkbar macht") oder über die Schleimhautsekrete von Langschläfern. Immer bemüht sich Onkel Max, uns die beglückende Seite zu zeigen, die auch das scheinbar Doofe hat. "Der Gedanke, daß Rudolf Scharping und Konstantin Wecker einander interessieren, ist total süß", freut er sich. Und aufmerksam hört er hin, wenn in der S-Bahn ein männlicher Teenager zum anderen über das auffallende Schuhwerk eines weiblichen Teenagers äußert: "Voll die Botten ey, die Alte".
Mit Onkel Max ist die Kolumne zur Poesie des Hochglanzmagazin- und Privatsender-Zeitalters geworden. Wer nie sein Brot beim Zappen aß, weiß nicht, wieso hier die Themen so plötzlich wechseln. Wer mit Inge Meysel und Whitney Houston nicht ebenso vertraut ist wie mit der Lenor-Werbung, wird hier sehr einsam sein. Nicht minder aber auch jeder, der nicht willens ist, sie alle auf dem Boden des Samstagabend zurückzulassen. Hier heißt es wägen und wagen. Denn im Unterschied zu Kolumnen-Dilettanten wie Harald Schmidt und Helge Schneider, deren schriftstellerische Produktion deshalb so enttäuschend ist, weil sie das Fernsehen bloß mit weniger geeigneten Mitteln fortsetzen will, führt Onkel Max uns über das Fernsehen hinaus, empor in die kühle, reine Höhenluft des Schönen. Seine Welt ist das Feld zwischen Wigald Boning und Peter Rosegger.
Onkel Max fragt weiter, wo andere verstummen. Er macht Entdeckungen, wo andere gar nicht hinsehen: "Was man übrigens sehr selten sieht, sind Schwarzweißphotos von Erdbeeren." Wie wahr, und wie überaus erstaunlich, daß erst Onkel Max kommen mußte, um das zu bemerken! Auch bemerkt er, daß Herr Leichner, der Erfinder der fettfreien Schminke, auf demselben Friedhof begraben liegt wie Rudi Dutschke. Er öffnet Pfade in die "nicht unverwirrende Welt der Mischgetränke" und findet Wege zum Auskämmen von Meerschweinchensperma aus Meerschweinchenfellen.
Hier werden ernste, ja schmerzliche Denkanstöße vermittelt. Dann wieder heißt es: gackern mit Onkel Max. Das Komische und das Ernste sind bei Max Goldt nicht nur eineiige Zwillinge, ja sie sind eigentlich überhaupt identisch. Onkel Max ist bekennender Moralist und heimlicher Metaphysiker. Weil er erkennt, "daß alles, aber auch wirklich alles im Leben unglaublich kompliziert und letztlich unerklärlich ist", darum bewundert er "die Mannigfaltigkeit der Mittel, mit der die Welt ihren Willen zur Unvollkommenheit zum Ausdruck bringt". Und darum mündet seine Suche nach haltbaren Lebensregeln in den kategorischen Satz: "Ab und zu ist auch mal was egal." Mit Heinz Erhardt könnte er angesichts von Welt und Leben ausrufen: "Trari-trara, die Pest ist da!" Und eben darum betreibt er mit Nietzsche seine Sprachkunst als letzte metaphysische Tätigkeit.
Denn wer die Doofheit angeschaut mit Augen, ist dem Schönen schon anheimgegeben. Die Gegenwehr des schönen Stils handhabt Onkel Max mit berückender Geschmeidigkeit. Er schreibt, als ob eine der Gestalten aus Morgensterns "Galgenliedern" sich ans Kolumnieren gemacht hätte. Ein Palmström der Prosa, gehört er zu jenen Käuzen, die oft unvermittelt-nackt Ehrfurcht vor dem Schönen packt. So liebt er zum Beispiel zart platzende Verschlußlaute wie "knospt" und seltene Konjunktive wie "höben" oder "büke", und eigens zu ihrer Aufbewahrung formt er Wunder des Wohlklangs wie: "Phnom-Penher pennte mit Phnom-Penherin" oder "Ich wollte, man büke mir einen Klöben." Manchmal ist es schön, wenn kein planer Sinn den zarten Klang beschwert.
Das gilt auch für den unerschöpflichen Vorrat von Antworten auf die Frage: Wie komme ich von einem Thema auf ein ganz anderes, zum Beispiel von Mantafahrern auf Yehudi Menuhin? Max Goldts bevorzugte Bewegungsart ist das zarte "Huschen". Und daher wird sein Nachdenken über die Mantafahrer unterbrochen durch das Wort "Geigen". Punkt, husch. "Apropos Geigen: Der weise Geiger Sir Yehudi Menuhin machte kürzlich den Vorschlag.". Das ist nicht nur heiter und besinnlich, es ist auch, mit zweien von Max Goldts Lieblingswörtern, apart und dezent. Nein, da kann es keine Widerrede geben: Der Mensch mag schlecht sein, Onkel Max ist gut. Er ist, mit einem von ihm selbst sehr geschätzten Chris-Roberts-Zitat, "okay-hey für mich!"
Max Goldt: "Die Kugeln in unseren Köpfen". Kolumnen. Mit einigen Zeichnungen von Tex Rubinowitz. Haffmans Verlag, Zürich 1995. 220 S., geb., 28,50 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main