Die 17 Beiträge des Bandes skizzieren das kulturelle Gesamtbild der 60er Jahre aus einer neuen Perspektive. Kultur erscheint dabei als Motor und Emanzipationsfaktor gesellschaftlicher Teilsysteme und des globalen Wertewandels. Das reicht vom alternativen Theater über die Fotografie als Alltagsmedium und den Bestseller-Roman bis zu den Individualmedien Brief und Telefon, vom Flugblatt als Medium der Protestkultur über Illustrierte, Radio und Kinofilm bis zur Flimmerkiste im kleinbürgerlichen Lebenszusammenhang und zur Schallplatte im Zentrum der Rockkultur. Das schließt auch die Kirchen ein, die Hochkultur und Avantgarde, die Architektur und die Mode, die Werbung und die Sportkultur. Der gesellschaftliche Wandel der 60er Jahre wird aus dem Funktionenwandel sich ausdifferenzierender Medienkulturen verständlich gemacht. Aus dem Inhalt Knut Hickethier Protestkultur und alternative Lebensformen Gerhard Ringshausen Die Kirchen - herausgefordert durch den Wandel der Gesellschaft in den sechziger Jahren Walter Uka Hinwendung zu Geschichte, Politik und Gesellschaft - Orientierung an neuen Formen: Das bundesdeutsche Theater in den 60er Jahren Werner Faulstich Das Versagen der Avantgarde als Bastion der Hochkultur. Zum Wertewandel bei E-Musik und Bildenden Künsten in den 60er Jahren Jörn Glasenapp Fördertürme, Degendiebe und schwangere Frauen. Sechs kurze Kapitel zur Fotografie der sechziger Jahre Gunter Grimm Zwischen Anpassung und Protest. Buchmarkt, Bestseller und Belletristik in den sechziger Jahren Jörg Türschmann Der Brief und das Telefon: Veränderungen bei den Medien der Individualkommunikation Jörn Glasenapp Titelschwund und Politisierung: Zur Illustriertenlandschaft der sechziger Jahre Ricarda Strobel Architektur, Design und Mode zwischen Funktionalismus und Pop Klaus Wernecke Flugblatt und Flugschrift in der Studentenbewegung der 60er Jahre Werner Faulstich Deutsche Schlager und deutsche Fernsehstars - Wertekontinuität im Medienwandel Walter Uka Abschied von gestern: Avantgarde, Revolte, Mainstream. Der bundesdeutsche Film in den 60er Jahren Jürgen Willke Die Tagespresse der sechziger Jahre: Krisensymptome und Selbstbehauptung Fabian Baar Von der Abendunterhaltung zum Leitmedium - vom Familienzentrum zur Geräuschkulisse: Funktionenwandel der Medien Fernsehen und Radio Karin Knop Zwischen Afri-Cola-Rausch und dem Duft der großen weiten Welt: Werbung in den 60er Jahren Michael Schaffrath Politisierung, Professionalisierung und Ökonomisierung: Die Sportkultur der sechziger Jahre Werner Faulstich Aufschwung und Höhepunkte der Rockkultur: Musik, Medien, Werte [Spalten 1, 2] Vom selben Autor: Werner Faulstich, Hrsg. Die Kultur der 50er Jahre 2002. 292 Seiten 54 s/w Abb., Kart. EUR 39,90 ISBN 3-7705-3748-3 Reihe: Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts Die 17 Beiträge des Bandes beleuchten das kulturelle Gesamtbild der 50er Jahre in bislang nicht bekannter Vollständigkeit. Thematisiert werden Philosophie und Religion ebenso wie Kunst, Architektur, Mode und Design, Werbung ebenso wie Musik, Literatur und Buchkultur, aber auch Sport, Tourismus und vor allem die neue Jugendkultur der Teenager und Halbstarken. Dabei wird den Medien der Zeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet, insbesondere Theater und Radio, dem Film, der Fotografie, den Comic-Heftchen und Groschenromanen, der Presse und dem neu sich verbreitenden Fernsehen. Insgesamt zeigt sich dabei als charakteristisch für die 50er Jahre der Beginn einer gesellschaftsumfassenden Diversifikation von Lebensstilen und neuen Teilkulturen, initiiert und gesteuert vom Motor des medienkulturellen Wandels. Mit Beiträgen von Monika Burzik, Werner Faulstich, Jörn Glasenapp, Günter Häntzschel, Kurt Hickethier, Pierangelo Maset, Gerhard Schäffner, Michael Schaffrath, Axel Schildt, Christian Steininger, Ricarda Strobel, Walter Uka, Karlheinz Wöhler
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2004Vergangene Zukunft
Aufbruchsstimmungsproduktion: Die Sechziger Jahre im Rückblick
Nichts entgeht der Nostalgie: die 70er, die 80er, und selbst die DDR – in Fernsehshows verklärt sich alles zur guten alten Zeit. Die Sehnsucht nach dem Vergangenen und wissenschaftliche Problemorientierung müssen sich aber nicht ausschließen, wie ein neuer Sammelband über die sechziger Jahre zeigt. Mit vielen der dort zusammengetragenen Fakten ist man zwar auch vertraut, wenn man damals nicht dabei war. Interessant ist aber die Perspektive, denn die 17 Beiträge verlassen die übliche Fixierung auf Politik und Zeitgeschehen und skizzieren das kulturelle Gesamtbild, das auch Bereiche wie Reklame und Rockmusik, Schlager und Sport umfasst.
Wie in dem 2002 erschienenen Vorläuferband über die 50er Jahre geht der Herausgeber Werner Faulstich von der These aus, dass im kulturellen Subsystem jene „Sinnkonzepte, Wertemuster und Leitbilder” entwickelt werden, die dann in anderen gesellschaftlichen Bereichen als gestaltender Faktor wirksam werden; die Medien fungieren als Motor des gesellschaftlichen Wandels.
Deutlich wird dies beim Fernsehen: Die „Institution zur nationalen Beruhigung”, wie ein Intendant das Fernsehen 1963 nannte, nivellierte auch Gegensätze wie die zwischen den Milieus oder zwischen Stadt und Land. Die gesamte Nation, vertaktet durch das gleichzeitige Einschalten der „Tagesschau”, bekam im Gewand seichter Unterhaltung Werte und Verhalten vorgeführt, die das Entstehen der modernen Konsumgesellschaft beförderten. Auch die deutsche Protestbewegung wurde durch die Medien vorangetrieben, etwa durch die Ikonisierung Che Guevaras, die das Gefühl vermittelte, in eine weltweite Aufbruchsstimmung eingebunden zu sein.
SEBASTIAN WERR
WERNER FAULSTICH (Hrsg.): Die Kultur der 60er Jahre. Fink Verlag, München 2003. 306 Seiten, 39,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Aufbruchsstimmungsproduktion: Die Sechziger Jahre im Rückblick
Nichts entgeht der Nostalgie: die 70er, die 80er, und selbst die DDR – in Fernsehshows verklärt sich alles zur guten alten Zeit. Die Sehnsucht nach dem Vergangenen und wissenschaftliche Problemorientierung müssen sich aber nicht ausschließen, wie ein neuer Sammelband über die sechziger Jahre zeigt. Mit vielen der dort zusammengetragenen Fakten ist man zwar auch vertraut, wenn man damals nicht dabei war. Interessant ist aber die Perspektive, denn die 17 Beiträge verlassen die übliche Fixierung auf Politik und Zeitgeschehen und skizzieren das kulturelle Gesamtbild, das auch Bereiche wie Reklame und Rockmusik, Schlager und Sport umfasst.
Wie in dem 2002 erschienenen Vorläuferband über die 50er Jahre geht der Herausgeber Werner Faulstich von der These aus, dass im kulturellen Subsystem jene „Sinnkonzepte, Wertemuster und Leitbilder” entwickelt werden, die dann in anderen gesellschaftlichen Bereichen als gestaltender Faktor wirksam werden; die Medien fungieren als Motor des gesellschaftlichen Wandels.
Deutlich wird dies beim Fernsehen: Die „Institution zur nationalen Beruhigung”, wie ein Intendant das Fernsehen 1963 nannte, nivellierte auch Gegensätze wie die zwischen den Milieus oder zwischen Stadt und Land. Die gesamte Nation, vertaktet durch das gleichzeitige Einschalten der „Tagesschau”, bekam im Gewand seichter Unterhaltung Werte und Verhalten vorgeführt, die das Entstehen der modernen Konsumgesellschaft beförderten. Auch die deutsche Protestbewegung wurde durch die Medien vorangetrieben, etwa durch die Ikonisierung Che Guevaras, die das Gefühl vermittelte, in eine weltweite Aufbruchsstimmung eingebunden zu sein.
SEBASTIAN WERR
WERNER FAULSTICH (Hrsg.): Die Kultur der 60er Jahre. Fink Verlag, München 2003. 306 Seiten, 39,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Weder pure Nostalgie noch eine reine Darstellung des Zeitgeschehens, sondern ein Blick auf das "kulturelle Gesamtbild" der sechziger Jahre eröffnete sich Sebastian Werr in dem von Werner Faulstich herausgegebenen Sammelband zu Kultur der 60er Jahre. Dabei lasse sich Faulstich von der These leiten, dass die Medien "als Motor des gesellschaftlichen Wandels" fungieren, wie der Band eindrucksvoll anhand des Fernsehens belege, berichtet der Rezensent: Demnach verdankt sich unsere moderne Konsumgesellschaft nicht unwesentlich der "Vertaktung", wenn nicht Gleichschaltung der Nation durch die "Tagesschau".
© Perlentaucher Medien GmbH
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