Schopenhauers Die Kunst, alt zu werden reiht sich ein in eine lange Tradition philosophischen Nachdenkens über das Alter. In den hier versammelten Aphorismen und Miniaturen begegnet uns Schopenhauer nicht als der notorische Misanthrop und Pessimist. Ihm gelingt vielmehr eine Hommage an das Altern und die Vergänglichkeit, die zugleich sein Testament und eine Anleitung zum Glücklichsein ist. Am Ende entläßt uns Schopenhauer mit der tröstlichen Gewißheit, daß das Alter zumindest jene Gelassenheit und Geistesruhe gewährt, die Glück überhaupt erst ermöglicht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.06.2010Wider die Spaß-Philosophen
Starrsinn und Weisheit: Arthur Schopenhauers Altersschriften
Die Grenze zwischen Altersstarrsinn und Altersweisheit ist fließend. „Die Philosophie-Profeßoren behandeln mich mit kalter Verachtung, hinter der jedoch der glühendste Haß sich verbirgt, welchen auch ferner zu verdienen ich stets bemüht sein werde.“ Eine der letzten Notizen des greisen Arthur Schopenhauer bündelt noch einmal sein Verhältnis zur akademischen Philosophie. Schopenhauer, der es sich aufgrund seiner Vermögensverhältnisse leisten konnte, das Leben eines misanthropischen Privatgelehrten zu führen, wird nicht müde, gegen die akademischen „Schein- und Spaaß-Philosophen“ zu wettern.
Nicht nur, dass alle außer ihm die Bedeutung Immanuel Kants nicht richtig einschätzen können, auch die Naturwissenschaften seiner Zeit, die den Irrlehren Newtons anhängen, anstatt seiner oder wenigstens Goethes Farbenlehre zu folgen, werden mit Spott überzogen. Der vermeintliche Erfolg dieser Wissenschaften, der darin besteht, alles zu messen und zu quantifizieren, ist ihre Kapitulation vor den Problemen, denen sie sich angeblich stellt: „Wo das Rechnen anfängt, hört das Verstehen auf“. Und doch: Schopenhauer leidet zeitlebens darunter, dass ihm die akademische Anerkennung versagt bleibt.
Jung nie gewesen
Der alte Schopenhauer also. Jung war er nie gewesen. Als er als Knabe während einer ausgedehnten Europareise dem massenhaften Elend der frühindustriellen Gesellschaft begegnete, wusste er: Wir sind elend und wir sollen es sein. Die Grundüberzeugung, dass wir in der schlechtesten aller Welten leben, durchzieht auch sein frühes Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Lange ignoriert und angefeindet, stellten sich erst spät Erfolg und eine gewisse Popularität ein. Er weiß es und genießt es: „Das Abendroth meines Lebens wird das Morgenroth meines Ruhms.“ Nun erfreut er sich einer zunehmenden Wertschätzung, wenn auch nicht unbedingt von Seiten der etablierten Wissenschaft. Diese ignoriert ihn nach wie vor, aber immerhin: Ein gewisser Richard Wagner hatte ihm einen „Ring des Nibelungen“ gewidmet. Doch auch dies war wohl ein Missverständnis gewesen. Denn Schopenhauer hatte für die germanische Mythologie nur Spott und Hohn übrig: „Nun aber gar diese Nibelungen mit der Ilias zu vergleichen, ist eine rechte Blasphemie . . .“
Solches und anderes notiert Schopenhauer in einem Heft, dem er den Titel „Senilia“ gegeben hatte. Die Einträge beginnen im Jahr 1852, bis kurz vor seinem Tod am 21. September 1860 wird er dieses Heft mit Notizen aller Art füllen. Zitate, Gelesenes, Gedankensplitter, Verweise auf andere und eigene Werke, Einfälle für spätere Arbeiten, Vorreden zu den zunehmend häufig angefragten Neuauflagen seiner Schriften, Varianten eines Gedankens, Material und Belege für eine geplante Schrift über die „Verhunzung der deutschen Sprache“. Es handelt sich also bei diesem Konvolut weder um ein stimmiges Alterswerk noch um eine explizite Philosophie des Alters. Zwar kommt Schopenhauer immer wieder auf die Hinfälligkeit und Endlichkeit des Lebens zu sprechen – „Wenn man sich recht besinnt, wird man finden, das Alles, was vergeht, eigentlich nie wahrhaft gewesen ist“ –, aber das ist für ihn nicht Neues. Der Tod schreckt ihn nicht – wohl aber etwas anderes: „Daß in Kurzem die Würmer meinen Leib zernagen werden, ist ein Gedanke, den ich ertragen kann, – aber die Philosophie-Profeßoren meine Philosophie! – dabei schaudert’s mich.“
Aus dem nachschriftlichen Nachlass Schopenhauers wurden diese Senilia nun in einer mustergültigen Edition vorgelegt. Natürlich: Erstveröffentlichung ist dies keine, der gesamte handschriftliche Nachlass liegt ja seit der Edition Arthur Hübschers aus den Jahren 1966-1975 vor, Teile daraus sind in anderen Zusammenhängen auch immer wieder veröffentlicht worden. Die neue, von dem zu früh verstorbenen italienischen Philosophen Franco Volpi und dem Historiker und Paläographen Ernst Ziegler besorgte Ausgabe greift allerdings nicht ordnend in die Texte ein, sondern belässt sie in ihrer ursprünglichen oft chaotischen und verwirrenden Form und Abfolge. Dies erleichtert zwar nicht gerade die Lektüre, ermöglicht es aber auch dem interessierten Laien, die Handschriften, die im Internet unter schopenhauersource.org als Faksimiles eingesehen werden können, zu dechiffrieren.
Wirklich Neues bieten diese Senilia also nicht. Aber es macht Freude, sich an Schopenhauers Starrsinn, seinen Eitelkeiten, seinen unverhohlenen Ressentiments ebenso zu reiben, wie an provokanten Einsichten zu erfreuen. Sein Plädoyer für die Polygamie gehört ebenso zu letzteren wie die treffliche Bemerkung, die auch über jedem Karikaturenstreit stehen könnte: „Was für ein schlechtes Gewißen die Religion haben muss, ist daran zu ermessen, dass es bei so schweren Strafen verboten ist, über sie zu spotten.“ Und mit diabolischem Vergnügen verfolgt man den Kampf des polyglotten Schopenhauer gegen die Zerstörung der deutschen Sprache. Seine Kritik der „Gallicismen“ gibt Hoffnung, dass so wie diese auch so manche Anglizismen wieder verschwinden werden, seine Empörung über die Dummheit, die glaubt, die Welt zu verändern, indem man eine Bezeichnung korrigiert, zeigt allerdings, dass sich nichts zum Besseren gewendet hat. Über die Bemühungen, das seinerzeit offenbar pejorativ verwendete Wort „Litterat“ durch „Schriftverfaßer“ zu ersetzen, notiert er grimmig: „Aber wenn eine an sich unverfängliche Benennung diskreditabel wird; so liegt es nicht an der Benennung, sondern am Benannten, und da wird die neue bald das Schicksal der alten haben.“ Solche Sätze schriebe man gerne jenen ins Stammbuch, die nicht genug politisch korrekte Sprachvorschriften haben können.
Einer ist des anderen Teufel
Die neue Edition der Senilia ist philologisch mustergültig. Der Anmerkungsapparat ist ausführlich und präzise, Schopenhauers komplexe und manchmal rätselhafte Verweise werden aufgelöst, fremdsprachliche Zitate, die er so liebte, übersetzt und so weit als möglich nachgewiesen, ein thematisches Register erleichtert die Orientierung. Dies ermöglicht nicht nur Einblick in die Fragen, mit denen sich Schopenhauer gegen Ende seines Lebens herumgeschlagen hat, sondern zeigt auch einen Menschen, der in immer neuen Varianten Einfälle oder Formulierungen umkreist. Eines der Lieblingsbilder Schopenhauers war das von der Welt als Hölle und den Menschen als Teufeln. Wie dies genau zu verstehen sei, darüber hinterließ uns der Pessimist drei Varianten: „Die Menschen sind die Teufel der Erde, und die Thiere die geplagten Seelen“, heißt es an einer Stelle; später variiert Schopenhauer diesen Gedanken: „Die Welt ist eben die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin.“ Und noch später schreibt er: „Diese Welt ist nicht nur eine Hölle; sondern sie übertrifft die des Dante dadurch, dass Einer der Teufel des Andern seyn muß.“ In sein publiziertes Werk haben alle drei Varianten Eingang gefunden. Wir können es uns also aussuchen. KONRAD PAUL LIESSMANN
ARTHUR SCHOPENHAUER: Senilia. Gedanken im Alter. Hrsg. von Franco Volpi und Ernst Ziegler. Verlag C. H. Beck, München 2010, 374 S., 29,95 Euro.
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Starrsinn und Weisheit: Arthur Schopenhauers Altersschriften
Die Grenze zwischen Altersstarrsinn und Altersweisheit ist fließend. „Die Philosophie-Profeßoren behandeln mich mit kalter Verachtung, hinter der jedoch der glühendste Haß sich verbirgt, welchen auch ferner zu verdienen ich stets bemüht sein werde.“ Eine der letzten Notizen des greisen Arthur Schopenhauer bündelt noch einmal sein Verhältnis zur akademischen Philosophie. Schopenhauer, der es sich aufgrund seiner Vermögensverhältnisse leisten konnte, das Leben eines misanthropischen Privatgelehrten zu führen, wird nicht müde, gegen die akademischen „Schein- und Spaaß-Philosophen“ zu wettern.
Nicht nur, dass alle außer ihm die Bedeutung Immanuel Kants nicht richtig einschätzen können, auch die Naturwissenschaften seiner Zeit, die den Irrlehren Newtons anhängen, anstatt seiner oder wenigstens Goethes Farbenlehre zu folgen, werden mit Spott überzogen. Der vermeintliche Erfolg dieser Wissenschaften, der darin besteht, alles zu messen und zu quantifizieren, ist ihre Kapitulation vor den Problemen, denen sie sich angeblich stellt: „Wo das Rechnen anfängt, hört das Verstehen auf“. Und doch: Schopenhauer leidet zeitlebens darunter, dass ihm die akademische Anerkennung versagt bleibt.
Jung nie gewesen
Der alte Schopenhauer also. Jung war er nie gewesen. Als er als Knabe während einer ausgedehnten Europareise dem massenhaften Elend der frühindustriellen Gesellschaft begegnete, wusste er: Wir sind elend und wir sollen es sein. Die Grundüberzeugung, dass wir in der schlechtesten aller Welten leben, durchzieht auch sein frühes Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Lange ignoriert und angefeindet, stellten sich erst spät Erfolg und eine gewisse Popularität ein. Er weiß es und genießt es: „Das Abendroth meines Lebens wird das Morgenroth meines Ruhms.“ Nun erfreut er sich einer zunehmenden Wertschätzung, wenn auch nicht unbedingt von Seiten der etablierten Wissenschaft. Diese ignoriert ihn nach wie vor, aber immerhin: Ein gewisser Richard Wagner hatte ihm einen „Ring des Nibelungen“ gewidmet. Doch auch dies war wohl ein Missverständnis gewesen. Denn Schopenhauer hatte für die germanische Mythologie nur Spott und Hohn übrig: „Nun aber gar diese Nibelungen mit der Ilias zu vergleichen, ist eine rechte Blasphemie . . .“
Solches und anderes notiert Schopenhauer in einem Heft, dem er den Titel „Senilia“ gegeben hatte. Die Einträge beginnen im Jahr 1852, bis kurz vor seinem Tod am 21. September 1860 wird er dieses Heft mit Notizen aller Art füllen. Zitate, Gelesenes, Gedankensplitter, Verweise auf andere und eigene Werke, Einfälle für spätere Arbeiten, Vorreden zu den zunehmend häufig angefragten Neuauflagen seiner Schriften, Varianten eines Gedankens, Material und Belege für eine geplante Schrift über die „Verhunzung der deutschen Sprache“. Es handelt sich also bei diesem Konvolut weder um ein stimmiges Alterswerk noch um eine explizite Philosophie des Alters. Zwar kommt Schopenhauer immer wieder auf die Hinfälligkeit und Endlichkeit des Lebens zu sprechen – „Wenn man sich recht besinnt, wird man finden, das Alles, was vergeht, eigentlich nie wahrhaft gewesen ist“ –, aber das ist für ihn nicht Neues. Der Tod schreckt ihn nicht – wohl aber etwas anderes: „Daß in Kurzem die Würmer meinen Leib zernagen werden, ist ein Gedanke, den ich ertragen kann, – aber die Philosophie-Profeßoren meine Philosophie! – dabei schaudert’s mich.“
Aus dem nachschriftlichen Nachlass Schopenhauers wurden diese Senilia nun in einer mustergültigen Edition vorgelegt. Natürlich: Erstveröffentlichung ist dies keine, der gesamte handschriftliche Nachlass liegt ja seit der Edition Arthur Hübschers aus den Jahren 1966-1975 vor, Teile daraus sind in anderen Zusammenhängen auch immer wieder veröffentlicht worden. Die neue, von dem zu früh verstorbenen italienischen Philosophen Franco Volpi und dem Historiker und Paläographen Ernst Ziegler besorgte Ausgabe greift allerdings nicht ordnend in die Texte ein, sondern belässt sie in ihrer ursprünglichen oft chaotischen und verwirrenden Form und Abfolge. Dies erleichtert zwar nicht gerade die Lektüre, ermöglicht es aber auch dem interessierten Laien, die Handschriften, die im Internet unter schopenhauersource.org als Faksimiles eingesehen werden können, zu dechiffrieren.
Wirklich Neues bieten diese Senilia also nicht. Aber es macht Freude, sich an Schopenhauers Starrsinn, seinen Eitelkeiten, seinen unverhohlenen Ressentiments ebenso zu reiben, wie an provokanten Einsichten zu erfreuen. Sein Plädoyer für die Polygamie gehört ebenso zu letzteren wie die treffliche Bemerkung, die auch über jedem Karikaturenstreit stehen könnte: „Was für ein schlechtes Gewißen die Religion haben muss, ist daran zu ermessen, dass es bei so schweren Strafen verboten ist, über sie zu spotten.“ Und mit diabolischem Vergnügen verfolgt man den Kampf des polyglotten Schopenhauer gegen die Zerstörung der deutschen Sprache. Seine Kritik der „Gallicismen“ gibt Hoffnung, dass so wie diese auch so manche Anglizismen wieder verschwinden werden, seine Empörung über die Dummheit, die glaubt, die Welt zu verändern, indem man eine Bezeichnung korrigiert, zeigt allerdings, dass sich nichts zum Besseren gewendet hat. Über die Bemühungen, das seinerzeit offenbar pejorativ verwendete Wort „Litterat“ durch „Schriftverfaßer“ zu ersetzen, notiert er grimmig: „Aber wenn eine an sich unverfängliche Benennung diskreditabel wird; so liegt es nicht an der Benennung, sondern am Benannten, und da wird die neue bald das Schicksal der alten haben.“ Solche Sätze schriebe man gerne jenen ins Stammbuch, die nicht genug politisch korrekte Sprachvorschriften haben können.
Einer ist des anderen Teufel
Die neue Edition der Senilia ist philologisch mustergültig. Der Anmerkungsapparat ist ausführlich und präzise, Schopenhauers komplexe und manchmal rätselhafte Verweise werden aufgelöst, fremdsprachliche Zitate, die er so liebte, übersetzt und so weit als möglich nachgewiesen, ein thematisches Register erleichtert die Orientierung. Dies ermöglicht nicht nur Einblick in die Fragen, mit denen sich Schopenhauer gegen Ende seines Lebens herumgeschlagen hat, sondern zeigt auch einen Menschen, der in immer neuen Varianten Einfälle oder Formulierungen umkreist. Eines der Lieblingsbilder Schopenhauers war das von der Welt als Hölle und den Menschen als Teufeln. Wie dies genau zu verstehen sei, darüber hinterließ uns der Pessimist drei Varianten: „Die Menschen sind die Teufel der Erde, und die Thiere die geplagten Seelen“, heißt es an einer Stelle; später variiert Schopenhauer diesen Gedanken: „Die Welt ist eben die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin.“ Und noch später schreibt er: „Diese Welt ist nicht nur eine Hölle; sondern sie übertrifft die des Dante dadurch, dass Einer der Teufel des Andern seyn muß.“ In sein publiziertes Werk haben alle drei Varianten Eingang gefunden. Wir können es uns also aussuchen. KONRAD PAUL LIESSMANN
ARTHUR SCHOPENHAUER: Senilia. Gedanken im Alter. Hrsg. von Franco Volpi und Ernst Ziegler. Verlag C. H. Beck, München 2010, 374 S., 29,95 Euro.
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