Selbstvermarktung wird immer wichtiger. Bestsellerautor Rainer Zitelmann zeigt, mit welchen Methoden es Persönlichkeiten aus unterschiedlichsten Lebensbereichen - Wissenschaft, Sport, Kunst oder Wirtschaft - gelang, sich selbst zu einer Marke zu machen und weltweit Aufmerksamkeit zu erzielen. Albert Einstein, Karl Lagerfeld, Muhammad Ali, Oprah Winfrey, Andy Warhol, Steve Jobs, Madonna, Prinzessin Diana, Stephen Hawking, Arnold Schwarzenegger, Kim Kardashian und Donald Trump - Genies der Selbstvermarktung waren und sind sie alle auf ihre eigene, unverwechselbare Art. Ihr Beispiel inspiriert und offenbart, wie jeder seine eigene Marke kreieren kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2020Wie werde ich berühmt?
Millionen Menschen träumen davon, ein Star zu werden. Ganz wenigen gelingt es. Dazu braucht es Glück, außergewöhnliches Talent, geschickte PR - und noch etwas ganz anderes.
Von Christoph Schäfer
Jeder Mensch wird einmal im Leben für 15 Minuten berühmt sein. Diese These stellte der Ausnahmekünstler Andy Warhol 1968 auf. Sie war schon damals Quatsch und ist es noch heute. Allerdings erhöhen soziale Medien wie Facebook, Instagram oder Tiktok auch für Otto Normalbürger die Chance, mit einem genialen Post berühmt zu werden. Und die Zeitgenossen legen sich ins Zeug! Millionen Menschen kennen die Zahl ihrer Follower genauer als ihren Hochzeitstag. In einer Zeit, in der Denkmäler niedergerissen werden, träumen noch viel mehr Menschen davon, aufs Podest zu kommen. Dort aber ist wenig Platz, echter Weltruhm ist nur sehr wenigen vergönnt.
Woran liegt das? Warum kennt fast jeder einen Albert Einstein oder den legendären Apple-Chef Steve Jobs? Wissenschaftler und Unternehmenslenker gibt es wie Sand am Meer. Wie haben diese beiden es geschafft, so viel bekannter zu werden als ihre Kollegen? Rainer Zitelmann hat darüber ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das der F.A.S. vorab vorliegt. In "Die Kunst, berühmt zu werden" untersucht der Historiker und Soziologe den Werdegang von zwölf weltberühmten Persönlichkeiten und geht der Frage nach, wie sie zu ihrem Kultstatus kamen.
Das vielleicht beste Beispiel ist Albert Einstein. Sein Biograph Jürgen Neffe bezeichnet den Physiker als den "ersten globalen Popstar der Wissenschaft". Das Lob, jemand sei "ein zweiter Einstein", hat es bis heute zum Synonym für Genialität gebracht. Zweifellos war Einstein ein genialer Physiker. 1905 veröffentlichte er die spezielle Relativitätstheorie und 1916 die abgeschlossene allgemeine Relativitätstheorie (E=mc²). Der Kult um Einstein begann aber erst drei Jahre später, wie Zitelmann schreibt. Denn vorerst blieben Einsteins Überlegungen unbewiesene Theorie. Am 29. Mai 1919 aber maß Sir Arthur Eddington während einer Sonnenfinsternis die Lichtablenkung und bestätigte damit empirisch Einsteins Theorie. Am 6. November wurden die Ergebnisse verkündet. "In dieser Stunde", notiert sein Biograph, "wird Albert Einstein ein zweites Mal geboren, als Legende und Mythos."
Der Physiker tat alles, um diesen Mythos zu befeuern. Ein wunderbarer Beleg dafür ist jenes Foto, das ihn mit herausgestreckter Zunge zeigt. Ein Schnappschuss, könnte man meinen, dem Wissenschaftler vielleicht sogar peinlich. Von wegen! Das Foto entstand an Einsteins 72. Geburtstag. Die ursprüngliche Aufnahme zeigt ihn mit zwei anderen Personen. Einstein ließ deshalb einen Ausschnitt nur mit seinem Kopf herstellen und verschickte Abzüge an zahlreiche Kollegen und Bekannte. In der Folge gelangte das Motiv auf T-Shirts, Kaffeetassen und Poster.
Gerüchten zufolge soll Einstein sein Haar mit beiden Händen aufgewühlt und so den typischen Einstein-Look aufgefrischt haben, sobald sich Fotografen näherten. Um darüber hinaus ins Klischee des modisch verwirrten, aber genialen Wissenschaftlers einzuzahlen, ließ Einstein oft die Socken weg und das Hemd offen. Für noch mehr Schlagzeilen schritt er bei einer Filmpremiere gemeinsam mit Charlie Chaplin den roten Teppich ab. Seinen Hang zur Selbstvermarktung rechtfertigte Einstein damit, dass Personenkult zwar grundsätzlich negativ sei, in seinem Falle aber positiv, weil es in einer materialistischen Zeit doch gut sei, wenn Menschen zu Helden würden, deren Ambitionen im intellektuellen und moralischen Bereich lägen.
Ein weiteres Beispiel für einen schlauen Kopf, der sich exzellent zur Marke machte, ist Apple-Mitgründer Steve Jobs, der 2011 mit nur 56 Jahren an Krebs starb. Nach einem internen Machtkampf musste Jobs das Unternehmen zunächst verlassen. Als er zwölf Jahre später auf den Chefsessel zurückkehrte, war Apple in einer desolaten Lage. "Es sagt viel über Steve Jobs aus, was er in dieser Situation als Erstes tat: Noch bevor er irgendwelche neuen Produkte hatte, beauftragte er eine Werbeagentur, eine 100 Millionen Dollar teure Kampagne zu entwerfen", schreibt Zitelmann.
Jobs verstand etwas von Computern, keine Frage. Doch in technischer Hinsicht gab es Bessere. Dafür war Jobs unschlagbar darin, seine Produkte und sich selbst zu vermarkten. Unübertroffen waren seine jährlichen Vorstellungen neuer Produkte in San Francisco, die seinem Biographen Walter Isaacson zufolge "mehr an eine religiöse Erweckungsveranstaltung erinnerten als an die Produktpräsentation einer Firma". Auf den ersten Blick schlenderte Jobs in Rollkragenpullover und Jeans lässig über die Bühne. Tatsächlich aber waren die Shows mit einem nicht zu übertreffenden Perfektionismus vorbereitet. Das galt auch für Jobs berühmten schwarzen Pulli. Der hing nicht etwa am Morgen der Präsentation zufällig im Schrank. Vielmehr hatte ihn Jobs extra von dem berühmten Designer Issey Miyake entwerfen und rund 100 Stück davon herstellen lassen. Jobs inspirierte seine Mitarbeiter durch die Idee, dass sie nicht einfach irgendwelche technischen Geräte produzierten, sondern dass sie Teil einer großen Mission seien. Einen seiner Mitarbeiter warb er mit den Worten: "Wir erfinden hier die Zukunft. Kommen Sie zu uns, und schlagen Sie eine Delle ins Universum!" Zu Recht stellt Zitelmann fest: So spricht eher ein Guru als ein Unternehmenschef.
Was diese beiden und auch die anderen zehn Beispiele eint, liegt für Zitelmann klar auf der Hand: "Alle zwölf Menschen in meinem Buch sind oder waren Genies der Selbstvermarktung." Zitelmann ist überzeugt: Glaubenssätze wie "Qualität setzt sich von allein durch" und "Bescheidenheit ist eine Zier" hindern viele Menschen daran, im Leben voranzukommen. "Hühner gackern, wenn sie ein Ei legen", sagt Zitelmann. "Das kann man sich zum Vorbild nehmen: Auf die eigenen Erfolge muss man selbst aufmerksam machen!"
Diese Erkenntnis sei nicht nur für Schauspieler und Sänger wichtig, sondern auch für Unternehmer, Freiberufler und Angestellte. "Wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre Leistungen ins rechte Licht zu rücken, werden andere an Ihnen vorbeiziehen." Bodybuilder Arnold Schwarzenegger, ein weiterer Protagonist in Zitelmanns Buch, schreibt dazu in seiner Autobiographie: "Egal, was du tust, du musst es auch gut verkaufen. Man kann die beste Arbeit abliefern, doch wenn die Leute nichts davon erfahren, ist alles umsonst!"
Interessant ist, dass fast alle berühmten Menschen bestreiten, aktiv etwas für ihren Ruhm zu tun. Bei der Recherche für diesen Artikel hagelte es wochenlang Absagen. Normalerweise geben viele Menschen nur zu gerne Auskunft, wenn sie dafür in einer nationalen und seriösen Zeitung wie der F.A.S. zu Wort kommen. Diesmal nicht. Auf die Frage "Wie werde ich berühmt?" reagierten die meisten Angeschriebenen mit Schweigen. Von Fitnesskönigin Pamela Reif und ihrem Management kam keine Antwort, von den Mode-Models Pia Wurtzbach und Mrs. Bella auch nicht. Ein bekannter Youtuber mit blauen Haaren fand im gesamten Mai keine Lücke von 15 bis 30 Minuten in seinem Terminkalender. Der Videoproduzent "Montana Black" meldete sich nie. Die Pressesprecherin der Zwillinge Lisa und Lena rief immerhin zurück, wenn auch mit einer Absage: Die beiden Influencerinnen hätten nie das Ziel gehabt, berühmt zu werden. Tausende Posts auf Tiktok, Facebook und Youtube seien ausschließlich aus Spaß entstanden, das Management aus Höflichkeit verpflichtet worden, wegen all der Anfragen. Und so weiter und so weiter. Ein Manager schrieb zurück, dass "Ihr Artikel einen möglicherweise gefährlichen Spin enthält, nämlich den, dass der Interviewte berühmt werden will". Ein gefährlicher Spin?
Natürlich haben viele Sänger, Schauspieler und Influencer großen Spaß an ihrer Arbeit. Es wäre aber doch geradezu dumm, wenn sie nicht auch berühmt werden wollten. Welcher Sänger will vor leeren Hallen auftreten? Welcher Schauspieler möchte einen Film drehen, wo niemand bemerkt, dass er darin mitspielt? Ganz abgesehen vom Geld: Je mehr Konzertkarten ein Sänger verkauft und je mehr Follower jemand hat, desto schneller rollt der Rubel. Die meisten Influencer erhalten für ihre Posts höchstens ein Taschengeld. 0,3 Prozent von ihnen zählen hingegen zu den Top-Verdienern: Sie bekommen mehr als 20 000 Euro je Werbenachricht.
Glücklicherweise gibt es auch berühmte Menschen, die das Offensichtliche nicht leugnen. Die Jungs von The Boss Hoss zum Beispiel. Alec Völkel und Sascha Vollmer haben die Band vor 16 Jahren gegründet. Seitdem haben die Country-Rocker mehr als zwei Millionen Platten verkauft, erhielten neunmal Platin und 15 Mal Gold. Außerdem spielten sie 1500 Live-Konzerte mit insgesamt vier Millionen Besuchern. Wie haben sie das geschafft? Warum haben sie Erfolg, während zahllose andere Sänger von der großen Bühne nur träumen können?
"Uns hat die Idee abgehoben von den anderen. Tausende Musiker treffen sich in Proberäumen, machen die Lieder, die sie geil finden, und gehen dann in Clubs. Wir hatten mehr", sagt Völkel. Am Tresen hatten sie die Idee, Country-Musik auszuprobieren. "Aber einfach nur Country braucht kein Mensch, deshalb haben wir Songs gecovert, wo der Kontrast möglichst krass war." Von Britney Spears und Eminem beispielsweise. Heraus kam ihr Markenzeichen: "Unsere Musik ist sehr eigenständig, es gibt nichts Vergleichbares, was den Sound angeht. Da sind wir unverwechselbar."
Doch selbst sehr gute, eigenständige Musik reiche nicht. "Du brauchst noch eine zweite Story", sagt Vollmer. Madonna beispielsweise inszeniere ihre Sexualität. Bei Rammstein brenne die halbe Bühne ab. "Es muss noch etwas geben, über das die Medien gerne berichten, jenseits von deiner Kerntätigkeit", sagt das Band-Urgestein. Bei The Boss Hoss ist es der Lifestyle der "deutschen Cowboys". Die Band bediene gewisse Klischees von der Harley bis zur Gang, die dem Horizont entgegenreitet. "Aber wir haben auch live überzeugt!"
Für all die unbekannten Musiker in der Welt haben The Boss Hoss zwar keine goldene Regel, immerhin aber ein paar Ratschläge: "Auf alle Fälle muss man wirklich wollen, Zeit und Energie reinhängen. Und es muss etwas geben, was dich interessanter macht als andere."
Ganz ähnlich antwortet auch Younes Zarou, der auf der Social-Media-Plattform Tiktok mehr als sieben Millionen Follower hat. Oberflächlich betrachtet, stellt er kurze Videos ins Netz, in denen er meist exzessiv mit Farbe spielt und sich dabei wie Bolle freut. "Viele denken, das mache ich so in zehn Minuten. Keiner sieht die Arbeit hintendran", sagt Zarou. Tatsächlich dauere die Produktion der 15-Sekunden-Clips meist fünf oder sechs Stunden, aufwendigere Videos sogar mehrere Tage.
Es ist wie beim Sport und der Musik: Wenn etwas leicht aussieht, steckt dahinter oft jede Menge Mühe. "Ich gebe jeden Tag Vollgas, zehn bis zwölf Stunden für Tiktok", so Zarou. Er sagt das nicht klagend, ganz im Gegenteil. "Ich brenne dafür, Videos zu produzieren." Ein erfolgreicher Influencer brauche Talent, Fleiß, Ehrgeiz, ein gutes Management und zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Inhalt. "Vor ein paar Jahren waren das kurze, lustige Videos. Heute feiern die Leute kreativen Content."
Noch mal professioneller blickt Adil Sbai auf die Szene. Er hat gleich eine ganze Tiktok-Bibel mit Ratschlägen zur Selbstvermarktung verfasst und berät viele Stars der Plattform. Bevor er einen aufstiegswilligen neuen Influencer coache, stelle er ihm eine Bedingung und eine Frage. "Meine Voraussetzung ist: Er muss jeden Tag zwei Videos hochladen, sonst funktioniert es nicht." Außerdem müsse der Kandidat sicher sein, dass er jahrelang durchhalte. "Das ist wie bei den Fußballprofis", sagt Sbai. "Es ist nett, mal zu kicken, aber es ist etwas ganz anderes, jeden Tag hart zu trainieren und dem Druck der Öffentlichkeit standzuhalten."
Wer sich selbst zu einer Marke machen möchte und dabei bereit ist, keine Mühe zu scheuen und sein Leben mit Fans und Hatern zu teilen, für den hat Soziologe Zitelmann ein wunderbares Buch geschrieben. "Alle wussten und wissen, wie sie sich richtig in Szene setzen und aus ihrer Persönlichkeit eine unverwechselbare Marke machen." Das fängt beim Aussehen an: Einstein fällt durch seine wirre Frisur auf, Trump durch seine unnatürlich gelben Haare, Kim Kardashian durch ihren Po. "Im Selbstmarketing gilt das Gesetz: Man muss nicht besser aussehen, sondern anders als andere", sagt Zitelmann.
Um im Gespräch zu bleiben, helfen Skandale und streitbare Thesen. Wer kennt nicht den provokanten Ausspruch von Karl Lagerfeld "Wer in einer Jogginghose herumläuft, hat die Kontrolle über sein Leben verloren"? Aber Provokation allein reicht nicht: "Es geht nicht um verschrobene Spinner, die den Mund weit aufmachen", sagt Zitelmann. "Eine gewisse Leistung muss schon da sein."
Am Ende hat der Soziologe sicher recht, wenn er schreibt: "Besondere Leistungen sind nur ein Aspekt, warum jemand berühmt wird. Ein anderer Faktor ist wichtiger, nämlich die Fähigkeit, sich selbst zu vermarkten." Das gilt übrigens auch für normale Angestellte: Wer nur still in seinem Büro sitzt, wird bei Gehaltserhöhungen meist vergessen.
Rainer Zitelmann: "Die Kunst, berühmt zu werden" Finanzbuch Verlag, München, 2020
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Millionen Menschen träumen davon, ein Star zu werden. Ganz wenigen gelingt es. Dazu braucht es Glück, außergewöhnliches Talent, geschickte PR - und noch etwas ganz anderes.
Von Christoph Schäfer
Jeder Mensch wird einmal im Leben für 15 Minuten berühmt sein. Diese These stellte der Ausnahmekünstler Andy Warhol 1968 auf. Sie war schon damals Quatsch und ist es noch heute. Allerdings erhöhen soziale Medien wie Facebook, Instagram oder Tiktok auch für Otto Normalbürger die Chance, mit einem genialen Post berühmt zu werden. Und die Zeitgenossen legen sich ins Zeug! Millionen Menschen kennen die Zahl ihrer Follower genauer als ihren Hochzeitstag. In einer Zeit, in der Denkmäler niedergerissen werden, träumen noch viel mehr Menschen davon, aufs Podest zu kommen. Dort aber ist wenig Platz, echter Weltruhm ist nur sehr wenigen vergönnt.
Woran liegt das? Warum kennt fast jeder einen Albert Einstein oder den legendären Apple-Chef Steve Jobs? Wissenschaftler und Unternehmenslenker gibt es wie Sand am Meer. Wie haben diese beiden es geschafft, so viel bekannter zu werden als ihre Kollegen? Rainer Zitelmann hat darüber ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das der F.A.S. vorab vorliegt. In "Die Kunst, berühmt zu werden" untersucht der Historiker und Soziologe den Werdegang von zwölf weltberühmten Persönlichkeiten und geht der Frage nach, wie sie zu ihrem Kultstatus kamen.
Das vielleicht beste Beispiel ist Albert Einstein. Sein Biograph Jürgen Neffe bezeichnet den Physiker als den "ersten globalen Popstar der Wissenschaft". Das Lob, jemand sei "ein zweiter Einstein", hat es bis heute zum Synonym für Genialität gebracht. Zweifellos war Einstein ein genialer Physiker. 1905 veröffentlichte er die spezielle Relativitätstheorie und 1916 die abgeschlossene allgemeine Relativitätstheorie (E=mc²). Der Kult um Einstein begann aber erst drei Jahre später, wie Zitelmann schreibt. Denn vorerst blieben Einsteins Überlegungen unbewiesene Theorie. Am 29. Mai 1919 aber maß Sir Arthur Eddington während einer Sonnenfinsternis die Lichtablenkung und bestätigte damit empirisch Einsteins Theorie. Am 6. November wurden die Ergebnisse verkündet. "In dieser Stunde", notiert sein Biograph, "wird Albert Einstein ein zweites Mal geboren, als Legende und Mythos."
Der Physiker tat alles, um diesen Mythos zu befeuern. Ein wunderbarer Beleg dafür ist jenes Foto, das ihn mit herausgestreckter Zunge zeigt. Ein Schnappschuss, könnte man meinen, dem Wissenschaftler vielleicht sogar peinlich. Von wegen! Das Foto entstand an Einsteins 72. Geburtstag. Die ursprüngliche Aufnahme zeigt ihn mit zwei anderen Personen. Einstein ließ deshalb einen Ausschnitt nur mit seinem Kopf herstellen und verschickte Abzüge an zahlreiche Kollegen und Bekannte. In der Folge gelangte das Motiv auf T-Shirts, Kaffeetassen und Poster.
Gerüchten zufolge soll Einstein sein Haar mit beiden Händen aufgewühlt und so den typischen Einstein-Look aufgefrischt haben, sobald sich Fotografen näherten. Um darüber hinaus ins Klischee des modisch verwirrten, aber genialen Wissenschaftlers einzuzahlen, ließ Einstein oft die Socken weg und das Hemd offen. Für noch mehr Schlagzeilen schritt er bei einer Filmpremiere gemeinsam mit Charlie Chaplin den roten Teppich ab. Seinen Hang zur Selbstvermarktung rechtfertigte Einstein damit, dass Personenkult zwar grundsätzlich negativ sei, in seinem Falle aber positiv, weil es in einer materialistischen Zeit doch gut sei, wenn Menschen zu Helden würden, deren Ambitionen im intellektuellen und moralischen Bereich lägen.
Ein weiteres Beispiel für einen schlauen Kopf, der sich exzellent zur Marke machte, ist Apple-Mitgründer Steve Jobs, der 2011 mit nur 56 Jahren an Krebs starb. Nach einem internen Machtkampf musste Jobs das Unternehmen zunächst verlassen. Als er zwölf Jahre später auf den Chefsessel zurückkehrte, war Apple in einer desolaten Lage. "Es sagt viel über Steve Jobs aus, was er in dieser Situation als Erstes tat: Noch bevor er irgendwelche neuen Produkte hatte, beauftragte er eine Werbeagentur, eine 100 Millionen Dollar teure Kampagne zu entwerfen", schreibt Zitelmann.
Jobs verstand etwas von Computern, keine Frage. Doch in technischer Hinsicht gab es Bessere. Dafür war Jobs unschlagbar darin, seine Produkte und sich selbst zu vermarkten. Unübertroffen waren seine jährlichen Vorstellungen neuer Produkte in San Francisco, die seinem Biographen Walter Isaacson zufolge "mehr an eine religiöse Erweckungsveranstaltung erinnerten als an die Produktpräsentation einer Firma". Auf den ersten Blick schlenderte Jobs in Rollkragenpullover und Jeans lässig über die Bühne. Tatsächlich aber waren die Shows mit einem nicht zu übertreffenden Perfektionismus vorbereitet. Das galt auch für Jobs berühmten schwarzen Pulli. Der hing nicht etwa am Morgen der Präsentation zufällig im Schrank. Vielmehr hatte ihn Jobs extra von dem berühmten Designer Issey Miyake entwerfen und rund 100 Stück davon herstellen lassen. Jobs inspirierte seine Mitarbeiter durch die Idee, dass sie nicht einfach irgendwelche technischen Geräte produzierten, sondern dass sie Teil einer großen Mission seien. Einen seiner Mitarbeiter warb er mit den Worten: "Wir erfinden hier die Zukunft. Kommen Sie zu uns, und schlagen Sie eine Delle ins Universum!" Zu Recht stellt Zitelmann fest: So spricht eher ein Guru als ein Unternehmenschef.
Was diese beiden und auch die anderen zehn Beispiele eint, liegt für Zitelmann klar auf der Hand: "Alle zwölf Menschen in meinem Buch sind oder waren Genies der Selbstvermarktung." Zitelmann ist überzeugt: Glaubenssätze wie "Qualität setzt sich von allein durch" und "Bescheidenheit ist eine Zier" hindern viele Menschen daran, im Leben voranzukommen. "Hühner gackern, wenn sie ein Ei legen", sagt Zitelmann. "Das kann man sich zum Vorbild nehmen: Auf die eigenen Erfolge muss man selbst aufmerksam machen!"
Diese Erkenntnis sei nicht nur für Schauspieler und Sänger wichtig, sondern auch für Unternehmer, Freiberufler und Angestellte. "Wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre Leistungen ins rechte Licht zu rücken, werden andere an Ihnen vorbeiziehen." Bodybuilder Arnold Schwarzenegger, ein weiterer Protagonist in Zitelmanns Buch, schreibt dazu in seiner Autobiographie: "Egal, was du tust, du musst es auch gut verkaufen. Man kann die beste Arbeit abliefern, doch wenn die Leute nichts davon erfahren, ist alles umsonst!"
Interessant ist, dass fast alle berühmten Menschen bestreiten, aktiv etwas für ihren Ruhm zu tun. Bei der Recherche für diesen Artikel hagelte es wochenlang Absagen. Normalerweise geben viele Menschen nur zu gerne Auskunft, wenn sie dafür in einer nationalen und seriösen Zeitung wie der F.A.S. zu Wort kommen. Diesmal nicht. Auf die Frage "Wie werde ich berühmt?" reagierten die meisten Angeschriebenen mit Schweigen. Von Fitnesskönigin Pamela Reif und ihrem Management kam keine Antwort, von den Mode-Models Pia Wurtzbach und Mrs. Bella auch nicht. Ein bekannter Youtuber mit blauen Haaren fand im gesamten Mai keine Lücke von 15 bis 30 Minuten in seinem Terminkalender. Der Videoproduzent "Montana Black" meldete sich nie. Die Pressesprecherin der Zwillinge Lisa und Lena rief immerhin zurück, wenn auch mit einer Absage: Die beiden Influencerinnen hätten nie das Ziel gehabt, berühmt zu werden. Tausende Posts auf Tiktok, Facebook und Youtube seien ausschließlich aus Spaß entstanden, das Management aus Höflichkeit verpflichtet worden, wegen all der Anfragen. Und so weiter und so weiter. Ein Manager schrieb zurück, dass "Ihr Artikel einen möglicherweise gefährlichen Spin enthält, nämlich den, dass der Interviewte berühmt werden will". Ein gefährlicher Spin?
Natürlich haben viele Sänger, Schauspieler und Influencer großen Spaß an ihrer Arbeit. Es wäre aber doch geradezu dumm, wenn sie nicht auch berühmt werden wollten. Welcher Sänger will vor leeren Hallen auftreten? Welcher Schauspieler möchte einen Film drehen, wo niemand bemerkt, dass er darin mitspielt? Ganz abgesehen vom Geld: Je mehr Konzertkarten ein Sänger verkauft und je mehr Follower jemand hat, desto schneller rollt der Rubel. Die meisten Influencer erhalten für ihre Posts höchstens ein Taschengeld. 0,3 Prozent von ihnen zählen hingegen zu den Top-Verdienern: Sie bekommen mehr als 20 000 Euro je Werbenachricht.
Glücklicherweise gibt es auch berühmte Menschen, die das Offensichtliche nicht leugnen. Die Jungs von The Boss Hoss zum Beispiel. Alec Völkel und Sascha Vollmer haben die Band vor 16 Jahren gegründet. Seitdem haben die Country-Rocker mehr als zwei Millionen Platten verkauft, erhielten neunmal Platin und 15 Mal Gold. Außerdem spielten sie 1500 Live-Konzerte mit insgesamt vier Millionen Besuchern. Wie haben sie das geschafft? Warum haben sie Erfolg, während zahllose andere Sänger von der großen Bühne nur träumen können?
"Uns hat die Idee abgehoben von den anderen. Tausende Musiker treffen sich in Proberäumen, machen die Lieder, die sie geil finden, und gehen dann in Clubs. Wir hatten mehr", sagt Völkel. Am Tresen hatten sie die Idee, Country-Musik auszuprobieren. "Aber einfach nur Country braucht kein Mensch, deshalb haben wir Songs gecovert, wo der Kontrast möglichst krass war." Von Britney Spears und Eminem beispielsweise. Heraus kam ihr Markenzeichen: "Unsere Musik ist sehr eigenständig, es gibt nichts Vergleichbares, was den Sound angeht. Da sind wir unverwechselbar."
Doch selbst sehr gute, eigenständige Musik reiche nicht. "Du brauchst noch eine zweite Story", sagt Vollmer. Madonna beispielsweise inszeniere ihre Sexualität. Bei Rammstein brenne die halbe Bühne ab. "Es muss noch etwas geben, über das die Medien gerne berichten, jenseits von deiner Kerntätigkeit", sagt das Band-Urgestein. Bei The Boss Hoss ist es der Lifestyle der "deutschen Cowboys". Die Band bediene gewisse Klischees von der Harley bis zur Gang, die dem Horizont entgegenreitet. "Aber wir haben auch live überzeugt!"
Für all die unbekannten Musiker in der Welt haben The Boss Hoss zwar keine goldene Regel, immerhin aber ein paar Ratschläge: "Auf alle Fälle muss man wirklich wollen, Zeit und Energie reinhängen. Und es muss etwas geben, was dich interessanter macht als andere."
Ganz ähnlich antwortet auch Younes Zarou, der auf der Social-Media-Plattform Tiktok mehr als sieben Millionen Follower hat. Oberflächlich betrachtet, stellt er kurze Videos ins Netz, in denen er meist exzessiv mit Farbe spielt und sich dabei wie Bolle freut. "Viele denken, das mache ich so in zehn Minuten. Keiner sieht die Arbeit hintendran", sagt Zarou. Tatsächlich dauere die Produktion der 15-Sekunden-Clips meist fünf oder sechs Stunden, aufwendigere Videos sogar mehrere Tage.
Es ist wie beim Sport und der Musik: Wenn etwas leicht aussieht, steckt dahinter oft jede Menge Mühe. "Ich gebe jeden Tag Vollgas, zehn bis zwölf Stunden für Tiktok", so Zarou. Er sagt das nicht klagend, ganz im Gegenteil. "Ich brenne dafür, Videos zu produzieren." Ein erfolgreicher Influencer brauche Talent, Fleiß, Ehrgeiz, ein gutes Management und zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Inhalt. "Vor ein paar Jahren waren das kurze, lustige Videos. Heute feiern die Leute kreativen Content."
Noch mal professioneller blickt Adil Sbai auf die Szene. Er hat gleich eine ganze Tiktok-Bibel mit Ratschlägen zur Selbstvermarktung verfasst und berät viele Stars der Plattform. Bevor er einen aufstiegswilligen neuen Influencer coache, stelle er ihm eine Bedingung und eine Frage. "Meine Voraussetzung ist: Er muss jeden Tag zwei Videos hochladen, sonst funktioniert es nicht." Außerdem müsse der Kandidat sicher sein, dass er jahrelang durchhalte. "Das ist wie bei den Fußballprofis", sagt Sbai. "Es ist nett, mal zu kicken, aber es ist etwas ganz anderes, jeden Tag hart zu trainieren und dem Druck der Öffentlichkeit standzuhalten."
Wer sich selbst zu einer Marke machen möchte und dabei bereit ist, keine Mühe zu scheuen und sein Leben mit Fans und Hatern zu teilen, für den hat Soziologe Zitelmann ein wunderbares Buch geschrieben. "Alle wussten und wissen, wie sie sich richtig in Szene setzen und aus ihrer Persönlichkeit eine unverwechselbare Marke machen." Das fängt beim Aussehen an: Einstein fällt durch seine wirre Frisur auf, Trump durch seine unnatürlich gelben Haare, Kim Kardashian durch ihren Po. "Im Selbstmarketing gilt das Gesetz: Man muss nicht besser aussehen, sondern anders als andere", sagt Zitelmann.
Um im Gespräch zu bleiben, helfen Skandale und streitbare Thesen. Wer kennt nicht den provokanten Ausspruch von Karl Lagerfeld "Wer in einer Jogginghose herumläuft, hat die Kontrolle über sein Leben verloren"? Aber Provokation allein reicht nicht: "Es geht nicht um verschrobene Spinner, die den Mund weit aufmachen", sagt Zitelmann. "Eine gewisse Leistung muss schon da sein."
Am Ende hat der Soziologe sicher recht, wenn er schreibt: "Besondere Leistungen sind nur ein Aspekt, warum jemand berühmt wird. Ein anderer Faktor ist wichtiger, nämlich die Fähigkeit, sich selbst zu vermarkten." Das gilt übrigens auch für normale Angestellte: Wer nur still in seinem Büro sitzt, wird bei Gehaltserhöhungen meist vergessen.
Rainer Zitelmann: "Die Kunst, berühmt zu werden" Finanzbuch Verlag, München, 2020
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Auf 295 Seiten liefert Rainer Zitelmann Unterhaltung im Sachbuchformat. Ein 28 Seiten langes Quellenverzeichnis zeigt, wie sorgfältig der Historiker für sein Werk recherchiert hat. Die Promi-Anekdoten sind nicht Selbstzweck, sondern liefern dem Leser und der Leserin auch konkrete Tipps für die eigene Selbstvermarktungsstrategie." Handelszeitung Schweiz, 31.10.2020 "Obwohl das Buch über 300 Seiten zählt, hat es Rainer Zitelmann geschafft, ein kurzweiliges und spannendes Werk zu präsentieren, das auch mit gut gehüteten Geheimnissen dieser Stars aufwartet. Ein Buch, das nicht nur bildet, sondern auch Spaß macht." founders Magazin #16, August 2020 "Das Buch porträtiert zwölf völlig unterschiedliche Berühmtheiten, die mehr miteinander gemeinsam haben, als sie es wohl selbst gedacht hätten. Die illustre Auswahl kann allen als Vorbild und Beispiel dienen, die die Kniffe der Vermarktungskunst erlernen möchte - um beruflich und privat voranzukommen, im Internet und anderswo Reichweite und Eindruck erzielen wollen." GRAZIA "Gekonnt verbindet Zitelmann in seinem Werk akribische Analyse mit unterhaltsamen Mini-Biografien, Nutzwert mit Klatsch. Selbstvermarktung wird für die Karriere und das Vorwärtskommen in allen Lebenslagen immer wichtiger. Auch wer nicht auf die große Show-Bühne möchte, sollte lesen, wie es andere geschafft haben." OK! Magazin "Wer sich selbst zu einer Marke machen möchte und dabei bereit ist, keine Mühe zu scheuen und sein Leben mit Fans und Hatern zu teilen, für den hat Soziologe Zitelmann ein wunderbares Buch geschrieben." Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5.7.2020