Produktdetails
  • Verlag: Schirmer Mosel
  • ISBN-13: 9783829601108
  • ISBN-10: 3829601107
  • Artikelnr.: 07693483
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2009

Der stolze Würgeengel
Ihre Stoffe waren schlicht, ihre Schnitte klar, die Farben einfach - und ihr Leben war eine Legende. In einem Buch erzählt sie von der Kunst, Coco Chanel zu sein.

Ich bin erbarmungslos, so vornehm wie wild, so unnahbar wie verrucht, und weil ich so bin, habe ich das eine erreicht: dass ihr mich jetzt anseht und euch fragt, wer ich wirklich bin. Wer wäre ich denn, mein Geheimnis zu enthüllen und mich euch zu erklären, ich denke ja gar nicht daran!" Aufrecht, mit erhobenem Kopf und funkelndem Blick, die roten Lippen fest aufeinander, spitz in der Hand die brennende Zigarette.

So wie sie da sitzt, diese Coco Chanel, kann man sich nicht vorstellen, dass sie anfängt, von sich zu erzählen. Eher stellt man sich vor, sie würde noch einmal an der Zigarette ziehen, kurz und scharf den Rauch einatmen und wortlos aufstehen, um mit kleinen festen Schritten dahin zu verschwinden, wo sie hergekommen zu sein scheint: aus einer Zeit, in der sie in Vorbereitung auf einen Abend in einer Bar in ihr palastartiges Schlafzimmer ging, sich hinter einem chinesischen Paravent umzog, heraus aus dem Kostüm, hinein ins Kleid, noch auf die Schildpattuhr auf der Anrichte sah, dann rasch die Haare zu einem muschelförmigen Gebilde drehte, den Edelstein ins parfümierte Ohr setzte, nach den Straußenlederhandschuhen griff und sich ins Auto schwang, um sich in eine Nacht fahren zu lassen, die das einlösen sollte, was all diese Dinge ihr versprachen. Nein, erzählen würde sie davon ganz bestimmt nicht. Der Vorhang einer mondänen Welt würde sich lautlos hinter ihr schließen - und das Einzige, was bliebe, wäre der Geruch von Rauch und Parfüm.

Oder? Vielleicht bliebe auch etwas ganz anderes. Geschichten von Frauen, die zu Mythen werden, verlaufen ja immer anders, als man denkt.

Es ist 1890, ein düsteres Haus in den zerklüfteten Bergen der Auvergne. Zwei alte, verknöcherte Tanten ziehen eine Halbwaise auf. Sie nennen das Mädchen nur Coco, auch wenn der helle Ton des Namens nicht recht zu der Einsamkeit und Verschlossenheit des Mädchens passt, das tagein, tagaus über die verwahrlosten Gräber des alten Dorffriedhofs streunt und sich das schwarze widerborstige Haar vom rauhen Wind zerwehen lässt, anstatt zum Katechismusunterricht zu gehen, so wie es die Provinzbourgeoisie um den Puy de Dôme mönchskuttengrau vorgezeichnet hat.

Es ist 1909, ein milder Winter, in dem die Flüsse über die Ufer treten. Bei einem Ausritt trifft das Mädchen ihren ersten Liebhaber, einen lässigen, grünäugigen Mann. Für ihn springt sie auf den nächsten Zug nach Paris, und weil sie kühn ist und etwas anstellen will mit ihrem jungen Leben, lässt sie sich von ihm, einem steinreichen Erben, kurzerhand einen Hutsalon finanzieren. Warum nun Hüte, das weiß sie selbst nicht recht, eines Tages hat sie es einfach beschlossen. Ein Jahr und zwei Liebhaber später beschäftigt sie dreihundert Angestellte, ihr Geschäft in der Rue Cambon läuft, weil sie ehrgeizig ist und ihrer Zeit voraus: Sie entwirft schnörkellose Kappen und Schuten aus Stroh und Filz, bald kommen Kleider dazu, aus Baumwolljersey und Crêpe, mal sportlich und leger, mal kniekurz und hauteng. Sie erfindet Schwarz als die Farbe des Moments und nebenbei das erste synthetische Parfüm. Wenn sie nicht arbeitet, taucht sie ein in die Freiheit, die ihr das viele Geld, das sie jetzt hat, eröffnet, und verliert sich in den Ateliers und Salons der Künstlerkreise, zu denen sie gehört. Sie steigt hinab in die Alchimistenhöhle von Pablo Picasso, in der sich die Wilden der Zeit sammeln - Satie und Cocteau, Apollinaire und Reverdy, dazu namenlose Jazzmusiker, Nackttänzer und Musen -, und kommt heraus mit Igor Strawinsky. Die wilde Affäre endet, als sie beschließt, dem Maler José María Sert und seiner kratzbürstigen Frau Misia zu folgen, und quer durch Italien reist, um auf dem Lido ein paar Cocktails zu nehmen und mit drei schönen Fremden segeln zu gehen. Auf einer Yacht vor Monaco trifft sie den Herzog von Westminster, einen scheuen Mann mit Gütern von Schottland bis zu den Karpaten, in denen geputztes Silber, vollgetankte Motorboote und dienstfertiges Hauspersonal auf sie warten.

Es ist 1936, und aus dem Landmädchen ist eine Frau geworden, die aus einem kleinen Hutsalon ein Modeimperium geschaffen hat. Sie bewohnt eine Suite im "Ritz", nimmt ihren Tee im "Fleurs" und sagt auf einmal Sätze wie "Geld ist der Schlüssel zur Freiheit" und "Männer sind Kinder - wenn eine Frau das verstanden hat, weiß sie alles". Coco Chanel ist eine Figur geworden so schillernd, glatt und rund wie die Goldknöpfe an den Kostümen, die ihr dieses Leben ermöglichen. Einen adretten Hut, zwei rosa bordierte Tweedjacketts, fünf schwere Perlenketten und drei Rubinringe weiter, und man glaubt, in ihr das Urbild der Unternehmerin des zwanzigsten Jahrhunderts erkannt zu haben: "Coco Chanel, eine starke Frau, die es geschafft hat". Betrachtet man es so, sieht man ihr Leben, aber nicht sie, diese Coco Chanel. Der Vorhang hinter ihrer Pose bleibt verschlossen.

Einer, der es geschafft hat, ihn zur Seite zu ziehen, ist Paul Morand, und er hat aus dem, was er dabei gehört und gesehen hat, ein Buch gemacht, "Die Kunst, Chanel zu sein", das 1976 erstmals in Frankreich erschien. 1921 begegnete der Schriftsteller in einer rauschenden Nacht einer vor lauter Erfolg und Glück strahlenden Frau: "Wir waren hingerissen. Wer ahnte schon, dass wir an diesem Abend beim Würgeengel der Jahrhundertwende soupierten?"

Als aus der Ahnung längst Gewissheit geworden war, traf Morand sie wieder, 1946, im Winter in Sankt Moritz. Chanel war anders geworden. Sie war inzwischen dreiundsechzig, millionenschwer und lebte im Exil im Engadin, allein. Ihre letzte Affäre, mit dem Sonderbeauftragten des Reichspropagandaministeriums, Hans Günther von Dincklage, hatte sie hierhergebracht, am Ende des Krieges war sie als Kollaborateurin verhaftet worden. Gefangen zwischen ihrer glänzenden Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft, saß sie nun im "Badrutt's Palace Hotel". Es waren kurze, dunkle Wintertage, als sie, auf einmal untätig und deshalb unruhig, beschloss, Morand von sich zu erzählen. "Meine Legende ist eine", sagte sie am ersten Abend am Kamin, "an der Paris und die Provinz, Dummköpfe und Künstler, Dichter und die mondäne Welt gemeinsam gestrickt haben. Sie ist so vertrackt, so oberflächlich und gleichzeitig so verzwickt, dass selbst ich mich kaum zurechtfinde." Am letzten Abend hatte die Legende ihre Legende geschaffen.

Es ist 1914, der Erste Weltkrieg ist gerade ausgebrochen, ein Kasino im Seebad Deauville. An der Seite ihres Liebhabers betritt das Mädchen Coco den Saal, linkisch und schüchtern. Die Schönheiten im Saal beginnen zu tuscheln, was soll der seltsame Hut, so tief über die kurzen Haare in die Stirn gezogen, nicht wie bei ihnen gerüscht und breit, und dann dieses weiße einfache Kleid über den schmalen Hüften, so phantasielos und streng. Sie werden blass unter ihren leuchtenden Diamantenkolliers auf ihren üppigen Busen, eine schwere Schleppe fegt ein Glas um. Coco erscheint wie die Botin einer kargen Zeit, die noch kommen würde, aber noch nicht zu ahnen war. Sie schaut sich um im Saal, sie blickt die Frauen an und durchschaut sie bis zur letzten. Die roten, grünen, blauen Kleider, als sei Rimskij-Korsakow einmal kräftig quer durch seine Farbpalette gefahren, die zitzenartigen Taschen, die untertassengroßen Knöpfe, all die Spitzen und Stickereien - was die Frauen tragen, ist das Monument einer alten Zeit: das flamboyante neunzehnte Jahrhundert, das wie der Duft einer verblühten Lilie die Luft beschwert. "Diese Farben! Diese Schnitte! Diese Stoffe! Diese Weiber - ich werde sie alle in schlichtes Schwarz stecken!", denkt Coco und tut es auch. Eine Welt ging zu Ende, eine andere entstand.

Sie sei eine Anarchistin, deren "tiefer Drang zu Zerstörung und Neuanfang" sie in die Couture geführt habe, so erzählte sie Morand: "Mir ging es nicht darum zu schaffen, was mir gefiel, sondern erstmal darum, zu beseitigen, was mir nicht gefiel." Entschlossen und unbarmherzig kratzte sie um sich, "wie eine Wildkatze", sagte Satie, sie zerkratzte den Plüsch und den Pomp, bis nur noch Schlichtes übrigblieb: einfache Stoffe, klare Schnitte, monochrome Farben. Dass es die Kleider der Frauen waren, an denen sie ihre Krallen schärfte, sei Zufall gewesen: "Ich habe nicht die Kleider geliebt, sondern die Arbeit." Alles habe sie in diese Arbeit gesteckt, vor allem sich selbst. Wenn Kleidung der äußere Ausdruck eines inneren Zustands ist, zeigte die von Chanel ihren Stolz. "Mein Stolz flammt in allem auf, was ich tue, in meiner harten Stimme, in meinem funkelnden Blick, in meinem herben Gesicht, in meiner ganzen Person. Ich bin der einzige noch nicht erloschene Vulkankrater der Auvergne."

Es war 1946, als sie das sagte, und Paris hielt den Vulkan längst für erloschen. Sie saß da, aufrecht und im Kostüm, die Augen noch immer funkelnd, und begann zu sprechen, mit einer rollenden, sturzbachartigen Stimme: "Mein Leben, das ist die Geschichte der alleinstehenden Frau, ihrer Höhen und Tiefen, des ungleichen Kampfes gegen sich selbst, gegen Männer, Verlockungen und Annehmlichkeiten. Ein Leben ohne diese reizvollen Illusionen und Wunschträume, die uns vorgaukeln, da wären noch andere, fast wie wir selbst. Ohne all dies werde ich weiter leben und arbeiten: allein auf mich gestellt."

Wie Lavabrocken, die aus einem Feuersteinherzen heraussprudeln, seien ihre Worte damals gewesen, sagte Paul Morand dreißig Jahre später, fünf Jahre nach ihrem Tod. Er habe sie auffangen wollen. Die dünnen Briefbögen mit seinen Aufzeichnungen habe er durch Zufall wiedergefunden, zerknittert und vergilbt in einer Kiste. Als er sie öffnete, habe er "eine wiedergefundene Zeit" vor sich gehabt - und gleichzeitig das Wesen der Coco Chanel.

"Meine Legende verleiht mir ein anderes Gesicht. Um mich in ihr wiederzufinden, brauche ich mir nur meinen Stolz vor Augen zu führen, der mein Laster und meine Tugend ist." An den langen Winterabenden in Sankt Moritz war alles weit weg von ihr, der Wind der Auvergne, das Kasino von Deauville und die Kleider der Rue Cambon. Doch ihr Stolz war geblieben, er war der Stoff, mit dem sie arbeitete, in ihren Kleidern und in ihrem Leben, und der auch ihre Geschichte "fragil wie Stahl" macht.

Coco Chanel blieb in ihrer Pose, aufrecht, mit verschlossenen Lippen, selbst wenn sie ihr Leben erzählte. Sie tat es, weil darin das Geheimnis ihres Mythos liegt. Wenn Mode aus der Phantasie dessen, der sie schafft, in der Gegenwart angekommen ist, stirbt sie - sie muss sterben können, damit sie überhaupt leben kann, enthoben und entrückt und einen Sprung voraus. Genauso ist es mit der Legende der Coco Chanel.

Hinter dem Vorhang, zwischen Pose, Parfüm und Rauch, sitzt ein Wesen, für das das Prädikat "starke Frau" so unpassend wirkt wie die wallenden Kleider und kreischenden Farben, die sie aus der Zeit verbannte: eine Wildkatze im kleinen Schwarzen. Sie hat erreicht, dass dieses Bild kein Paradox ist, sondern der Schlüssel zu dem werden konnte, was sie schuf: emanzipierte Eleganz.

MARA DELIUS

"Die Kunst, Chanel zu sein". Aufgezeichnet von Paul Morand. Aus dem Französischen von Annette Lallemand. Schirmer Graf, 256 Seiten mit zahlreichen Fotos, 19,80 Euro (erscheint am 17. Juli)

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In einer knappen Kritik stellt der mit dem Kürzel "lanf" zeichnende Rezensent die Lebenserinnerungen von Coco Chanel vor, die sie 1946 dem Schriftsteller Paul Morand mitgeteilt hat. Das Buch stellt keine Beschreibung der beruflichen "Erfolge" oder des glamourösen gesellschaftlichen Lebens der Modeschöpferin dar, sondern beschreibt vielmehr die "Stärken und Schwächen" Chanels, bemerkt der Rezensent eingenommen. Es entsteht ein "gnadenlos scharfes Psychogramm" ihrer Person, und auch die vielen bekannten Persönlichkeiten, die Chanel während ihres trotz ihrer Berühmtheit einsamen Lebens begegnete, werden hier nicht vergessen, so lanf angetan.

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