Peter Paul Rubens (1577-1640) führte die Bildmedien Kupferstich und Holzschnitt zu einer koloristischen Qualität, die es in der Druckgrafik bis dahin nicht gegeben hatte. Die unter ihm geschaffenen Leistungen druckgrafischer Interpretation von Malerei markieren einen Wendepunkt für die gesamte weitere Entwicklung des Bilddrucks. Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches steht in exemplarischer Auswahl die Analyse der einzelnen Schritte druckgrafischer Produktion, die unter der Aufsicht von Rubens nach dessen Gemälden geschaffen wurde. Das Spektrum umfasst - neben den Holzschnitten und Kupferstichen selbst - Ölskizzen, Gemälde, Zeichnungen, modelli und korrigierte Probedrucke. Das Buch folgt den Bänden zur französischen und italienischen Druckgrafik wird von einem umfänglichen themenbezogenen Quellenteil flankiert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2020Das Gespür für Effizienz
Wie kaum ein anderer Künstler beherrschte Peter Paul Rubens das Feld der Postproduktion. Der Kunsthistoriker
Hans Jakob Meier untersucht die druckgrafische Produktion unter der Aufsicht des Malers, der dabei religiöse Sujets bevorzugte
VON WOLFGANG ULLRICH
Dass das Werk eines Künstlers vollbracht ist, wenn er seine Signatur unter ein Bild gesetzt hat, ist eine ebenso weit verbreitete wie falsche Auffassung. Wer Erfolg haben will, hat noch etliche weitere Aufgaben zu bewältigen. In Interviews gilt es, mit den passenden Begriffen Interpretationen zu beflügeln und am eigenen Mythos zu arbeiten. Mit Galeristen, Sammlern, Kuratoren ist zu erörtern, wie sich ein Werk markant und wertsteigernd platzieren lässt, in den sozialen Medien hat man Follower und Fans neugierig zu machen.
Und früher? Da gab es zwar keine Interviews und Accounts, aber umso ernsthafter und professioneller mussten Künstler die relativ wenigen Möglichkeiten nutzen, um ihre Werke in die Diskussion zu bringen und so die Chance auf Ruhm und eine internationale Karriere zu wahren. Über Jahrhunderte hinweg kam daher der Reproduktionsgrafik größte Bedeutung zu. Als Unikat war ein Gemälde der Öffentlichkeit oft entzogen, in einen Kupferstich oder eine Radierung übersetzt, konnte es ein großes Publikum finden. Das sorgte für Bekanntheit und neue Aufträge, aber auch für erhebliche Zusatzeinkünfte, konnten und wollten sich doch viele Kunstinteressierte die eine oder andere Grafik, aber kein originales Gemälde leisten. Wer als Künstler auf sich hielt, achtete also darauf, mit guten Grafikern zusammenzuarbeiten. Sie mussten allerdings instruiert und in ihrer Arbeit überwacht werden, oft kam es dabei zu belastenden Konkurrenzsituationen zwischen ihnen und dem Meister.
Peter Paul Rubens beherrschte wie kaum ein Künstler vor oder nach ihm das Feld der Postproduktion. Nachdem er bereits etabliert war und sich erfolgreich um Druckprivilegien – eine Vorform von Urheberrechten – bemüht hatte, umfasste seine Antwerpener Werkstatt ab 1620 eine eigene Abteilung für Reproduktionsgrafik, und ein neues Buch legt dar, wie sehr alles, was dort passierte, Chefsache war.
Der Kunsthistoriker Hans Jakob Meier, der sich schon mit anderen wichtigen Publikationen zur Geschichte und Theorie der Reproduktionsgrafik einen Namen gemacht hat, versammelt und analysiert darin erstmals höchst sorgfältig knapp hundert Blätter mit Motiven von Rubens, rekonstruiert die oft vielstufigen Reproduktionsprozesse und erhellt Formen der Zusammenarbeit zwischen Rubens und den Grafikern, die auf diese Weise ebenfalls deutlich stärker als bisher üblich in ihren Eigenheiten zur Geltung kommen.
Meier arbeitet gut heraus, wie Rubens Bildideen, die er bereits als Maler umgesetzt hatte, zum Teil Jahrzehnte später nochmals aufgriff und auf den Prüfstand stellte, um sie dann in einer Reproduktionsgrafik neu zu realisieren. Doch nicht nur der Zeitabstand führte zu Modifikationen; vor allem verlangten das andere Medium, das andere Format, die andere Bildfunktion Rücksichtnahme und machten Änderungen gegenüber dem Vorbild notwendig. Dabei legen Meier und der britische Rubens-Forscher Jeremy Wood, der ebenfalls einen Beitrag für das Buch verfasst hat, gegenüber der bisherigen Forschung einen Schwerpunkt ihrer Analyse auf die Modelli – die Vorzeichnungen, in denen ein Vorbild erstmals für die Anforderungen der Druckgrafik übersetzt wurde. Hier kam es häufig bereits zu entscheidenden kompositionellen Veränderungen. Weitere Eingriffe wurden nach ersten Probedrucken vorgenommen: Details hinzugefügt, Figuren stärker profiliert, Disharmonien ausgeglichen. Keine Falte und kein noch so sehr im Hintergrund befindliches Sujet entging dem scharfen Blick von Rubens, dessen Korrekturen sich glücklicherweise oft erhalten haben.
Mochten einige der Modelli von Schülern und Werkstatt-Mitarbeitern angefertigt worden sein, so retuschierte er die Probedrucke fast immer selbst, achtete also penibel darauf, dass seine Motive so lebendig wie möglich in Szene gesetzt wurden. Den Grafikern blieb daher nur wenig Spielraum für eigene Interpretationen. Rubens bevorzugte zudem jüngere Mitarbeiter, die er noch nach seinen eigenen Vorstellungen formen konnte. Sie sollten nicht zu selbständig sein, dafür aber über herausragende handwerkliche Fertigkeiten verfügen. Interessant ist jedoch auch, wo sich Rubens zusätzlichen Aufwand sparte. So störte es ihn nicht, dass die Bildkomposition in einer Druckgrafik seitenverkehrt wiedergegeben wird. Abgesehen von wenigen Ausnahmen verzichtete er auf einen Zwischenschritt, durch den die Spiegelung ihrerseits nochmals gespiegelt und die Komposition damit wieder wie beim Vorbild dargestellt worden wäre. Vielleicht war er so überzeugt von seinen Bildentwürfen, dass er gerade durch die Spiegelverkehrung demonstrieren wollte, wie ausgewogen, in jeder Richtung perfekt sie waren. Ein sorgfältiges Gespür für Effizienz bewies Rubens aber auch hinsichtlich der Auswahl seiner Motive.
Meier zeigt, dass Rubens aus seinem breiten Oeuvre fast nur religiöse Sujets in Grafik übertragen ließ – von ihnen versprach er sich größeren Absatz als etwa von mythologischen Themen, die mehr Bildung voraussetzten. Aber auch die weiblichen Akte, für die er als Maler heute so berühmt ist, tauchen in seiner Reproduktionsgrafik kaum auf; sie wären zu verfänglich gewesen und hätten Probleme bereiten können. An solchen Entscheidungen ist zu erkennen, dass Rubens mit den Grafiken in die Breite wirken, populär werden wollte.
Gerne erführe man noch mehr über die Marktbedingungen, die Käuferschaft oder die soziale Funktion von Rubens’ Reproduktionsgrafik, doch konzentriert sich Meier ganz auf die Transformationen, die ein Motiv jeweils vom Ausgangsbild bis hin zur fertigen Reproduktionsgrafik durchlief. Er beschreibt die Änderungen und Überarbeitungen so genau und an so vielen, mit Detailabbildungen gut illustrierten Beispielen, dass man das Buch auch als Kompendium druckgrafischer Stilmittel und Techniken verwenden kann. Dabei wächst während der Lektüre die Bewunderung für den großen und vielfältigen Einsatz, der von Rubens (wie von anderen Künstlern) für die Reproduktion von Bildwerken geleistet wurde. Und man begreift, dass das Verständnis von Kunst schon lange vor den fotografischen und digitalen Vervielfältigungsmöglichkeiten mindestens so sehr durch Reproduktionen wie durch Originale ausgeprägt wurde.
Hans Jakob Meier: Die Kunst der Interpretation. Rubens und die Druckgraphik. Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2020. 424 Seiten, 98 Euro.
Keine Falte, kein Detail
im Hintergrund
entging seinem scharfen Blick
Interessant ist auch,
wo der Meister
zusätzlichen Aufwand sparte
Kupferstiche, mit denen Rubens in die Breite wirken, populär werden wollte: Links der „Engelsturz“ von Lucas Vorsterman, 1621 datiert, rechts „Das Pfingstwunder“ von Paulus Pontius.
Abb.: aus dem besprochenen Band; Staatliche Graphische Sammlung München; Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek
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Wie kaum ein anderer Künstler beherrschte Peter Paul Rubens das Feld der Postproduktion. Der Kunsthistoriker
Hans Jakob Meier untersucht die druckgrafische Produktion unter der Aufsicht des Malers, der dabei religiöse Sujets bevorzugte
VON WOLFGANG ULLRICH
Dass das Werk eines Künstlers vollbracht ist, wenn er seine Signatur unter ein Bild gesetzt hat, ist eine ebenso weit verbreitete wie falsche Auffassung. Wer Erfolg haben will, hat noch etliche weitere Aufgaben zu bewältigen. In Interviews gilt es, mit den passenden Begriffen Interpretationen zu beflügeln und am eigenen Mythos zu arbeiten. Mit Galeristen, Sammlern, Kuratoren ist zu erörtern, wie sich ein Werk markant und wertsteigernd platzieren lässt, in den sozialen Medien hat man Follower und Fans neugierig zu machen.
Und früher? Da gab es zwar keine Interviews und Accounts, aber umso ernsthafter und professioneller mussten Künstler die relativ wenigen Möglichkeiten nutzen, um ihre Werke in die Diskussion zu bringen und so die Chance auf Ruhm und eine internationale Karriere zu wahren. Über Jahrhunderte hinweg kam daher der Reproduktionsgrafik größte Bedeutung zu. Als Unikat war ein Gemälde der Öffentlichkeit oft entzogen, in einen Kupferstich oder eine Radierung übersetzt, konnte es ein großes Publikum finden. Das sorgte für Bekanntheit und neue Aufträge, aber auch für erhebliche Zusatzeinkünfte, konnten und wollten sich doch viele Kunstinteressierte die eine oder andere Grafik, aber kein originales Gemälde leisten. Wer als Künstler auf sich hielt, achtete also darauf, mit guten Grafikern zusammenzuarbeiten. Sie mussten allerdings instruiert und in ihrer Arbeit überwacht werden, oft kam es dabei zu belastenden Konkurrenzsituationen zwischen ihnen und dem Meister.
Peter Paul Rubens beherrschte wie kaum ein Künstler vor oder nach ihm das Feld der Postproduktion. Nachdem er bereits etabliert war und sich erfolgreich um Druckprivilegien – eine Vorform von Urheberrechten – bemüht hatte, umfasste seine Antwerpener Werkstatt ab 1620 eine eigene Abteilung für Reproduktionsgrafik, und ein neues Buch legt dar, wie sehr alles, was dort passierte, Chefsache war.
Der Kunsthistoriker Hans Jakob Meier, der sich schon mit anderen wichtigen Publikationen zur Geschichte und Theorie der Reproduktionsgrafik einen Namen gemacht hat, versammelt und analysiert darin erstmals höchst sorgfältig knapp hundert Blätter mit Motiven von Rubens, rekonstruiert die oft vielstufigen Reproduktionsprozesse und erhellt Formen der Zusammenarbeit zwischen Rubens und den Grafikern, die auf diese Weise ebenfalls deutlich stärker als bisher üblich in ihren Eigenheiten zur Geltung kommen.
Meier arbeitet gut heraus, wie Rubens Bildideen, die er bereits als Maler umgesetzt hatte, zum Teil Jahrzehnte später nochmals aufgriff und auf den Prüfstand stellte, um sie dann in einer Reproduktionsgrafik neu zu realisieren. Doch nicht nur der Zeitabstand führte zu Modifikationen; vor allem verlangten das andere Medium, das andere Format, die andere Bildfunktion Rücksichtnahme und machten Änderungen gegenüber dem Vorbild notwendig. Dabei legen Meier und der britische Rubens-Forscher Jeremy Wood, der ebenfalls einen Beitrag für das Buch verfasst hat, gegenüber der bisherigen Forschung einen Schwerpunkt ihrer Analyse auf die Modelli – die Vorzeichnungen, in denen ein Vorbild erstmals für die Anforderungen der Druckgrafik übersetzt wurde. Hier kam es häufig bereits zu entscheidenden kompositionellen Veränderungen. Weitere Eingriffe wurden nach ersten Probedrucken vorgenommen: Details hinzugefügt, Figuren stärker profiliert, Disharmonien ausgeglichen. Keine Falte und kein noch so sehr im Hintergrund befindliches Sujet entging dem scharfen Blick von Rubens, dessen Korrekturen sich glücklicherweise oft erhalten haben.
Mochten einige der Modelli von Schülern und Werkstatt-Mitarbeitern angefertigt worden sein, so retuschierte er die Probedrucke fast immer selbst, achtete also penibel darauf, dass seine Motive so lebendig wie möglich in Szene gesetzt wurden. Den Grafikern blieb daher nur wenig Spielraum für eigene Interpretationen. Rubens bevorzugte zudem jüngere Mitarbeiter, die er noch nach seinen eigenen Vorstellungen formen konnte. Sie sollten nicht zu selbständig sein, dafür aber über herausragende handwerkliche Fertigkeiten verfügen. Interessant ist jedoch auch, wo sich Rubens zusätzlichen Aufwand sparte. So störte es ihn nicht, dass die Bildkomposition in einer Druckgrafik seitenverkehrt wiedergegeben wird. Abgesehen von wenigen Ausnahmen verzichtete er auf einen Zwischenschritt, durch den die Spiegelung ihrerseits nochmals gespiegelt und die Komposition damit wieder wie beim Vorbild dargestellt worden wäre. Vielleicht war er so überzeugt von seinen Bildentwürfen, dass er gerade durch die Spiegelverkehrung demonstrieren wollte, wie ausgewogen, in jeder Richtung perfekt sie waren. Ein sorgfältiges Gespür für Effizienz bewies Rubens aber auch hinsichtlich der Auswahl seiner Motive.
Meier zeigt, dass Rubens aus seinem breiten Oeuvre fast nur religiöse Sujets in Grafik übertragen ließ – von ihnen versprach er sich größeren Absatz als etwa von mythologischen Themen, die mehr Bildung voraussetzten. Aber auch die weiblichen Akte, für die er als Maler heute so berühmt ist, tauchen in seiner Reproduktionsgrafik kaum auf; sie wären zu verfänglich gewesen und hätten Probleme bereiten können. An solchen Entscheidungen ist zu erkennen, dass Rubens mit den Grafiken in die Breite wirken, populär werden wollte.
Gerne erführe man noch mehr über die Marktbedingungen, die Käuferschaft oder die soziale Funktion von Rubens’ Reproduktionsgrafik, doch konzentriert sich Meier ganz auf die Transformationen, die ein Motiv jeweils vom Ausgangsbild bis hin zur fertigen Reproduktionsgrafik durchlief. Er beschreibt die Änderungen und Überarbeitungen so genau und an so vielen, mit Detailabbildungen gut illustrierten Beispielen, dass man das Buch auch als Kompendium druckgrafischer Stilmittel und Techniken verwenden kann. Dabei wächst während der Lektüre die Bewunderung für den großen und vielfältigen Einsatz, der von Rubens (wie von anderen Künstlern) für die Reproduktion von Bildwerken geleistet wurde. Und man begreift, dass das Verständnis von Kunst schon lange vor den fotografischen und digitalen Vervielfältigungsmöglichkeiten mindestens so sehr durch Reproduktionen wie durch Originale ausgeprägt wurde.
Hans Jakob Meier: Die Kunst der Interpretation. Rubens und die Druckgraphik. Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2020. 424 Seiten, 98 Euro.
Keine Falte, kein Detail
im Hintergrund
entging seinem scharfen Blick
Interessant ist auch,
wo der Meister
zusätzlichen Aufwand sparte
Kupferstiche, mit denen Rubens in die Breite wirken, populär werden wollte: Links der „Engelsturz“ von Lucas Vorsterman, 1621 datiert, rechts „Das Pfingstwunder“ von Paulus Pontius.
Abb.: aus dem besprochenen Band; Staatliche Graphische Sammlung München; Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek
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"Gerne erführe man noch mehr über die Marktbedingungen, die Käuferschaft oder die soziale Funktion von Rubens' Reproduktionsgrafik, doch konzentriert sich Meier ganz auf die Transformationen, die ein Motiv jeweils vom Ausgangsbild bis hin zur fertigen Reproduktionsgrafik durchlief. Er beschreibt die Änderungen und Überarbeitungen so genau und an so vielen, mit Detailabbildungen gut illustrierten Beispielen, dass man das Buch auch als Kompendium druckgrafischer Stilmittel und Techniken verwenden kann. Dabei wächst während der Lektüre die Bewunderung für den großen und vielfältigen Einsatz, der von Rubens (wie von anderen Künstlern) für die Reproduktion von Bildwerken geleistet wurde. Und man begreift, dass das Verständnis von Kunst schon lange vor den fotografischen und digitalen Vervielfältigungsmöglichkeiten mindestens so sehr durch Reproduktionen wie durch Originale ausgeprägt wurde."
Wolfgang Ulrich in: SZ (15.02.2020), https://www.sueddeutsche.de/kultur/kunstgeschichte-das-gespuer-fuer-effizienz-1.4845053
Wolfgang Ulrich in: SZ (15.02.2020), https://www.sueddeutsche.de/kultur/kunstgeschichte-das-gespuer-fuer-effizienz-1.4845053