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Die Malerei ging von der Sichtbarkeit des Unsichtbaren aus und endete bei der Unsichtbarkeit des Sichtbaren." In ihrem faszinierenden Essay stellt die Malerin und Kunsthistorikerin Anita Albus dar, wie der Fortschritt in der Malerei zugleich ein Verlust ist.

Produktbeschreibung
Die Malerei ging von der Sichtbarkeit des Unsichtbaren aus und endete bei der Unsichtbarkeit des Sichtbaren." In ihrem faszinierenden Essay stellt die Malerin und Kunsthistorikerin Anita Albus dar, wie der Fortschritt in der Malerei zugleich ein Verlust ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.1997

Der Grünspan und der Gänsedreck
Sag mir, wo die Farben sind: Anita Albus grast auf der Augenweide erinnerter Malerei · Von Friedmar Apel

Es scheint zur Magie der neuzeitlichen Jahrhundertenden zu gehören, daß die Wiedervereinigung von Kunst und Wissenschaft auf die Tagesordnung kommt. Der gereifte Goethe und die Frühromantiker wollten gleichermaßen zusammenfügen, was der aufklärerische Rationalismus zerschlagen hatte; Hofmannsthal und Borchardt schickten sich hochfahrend schon in jungen Jahren an, die Gewaltspuren zu heilen, die die Triumphe der positiven Wissenschaften in die Bewußtseinslandschaft gerissen hatten. "Am Ende des Jahrhunderts, das die industrielle Produktion des Leichnams erfand", hat nun Anita Albus die Aufgabe einer schöpferischen Restauration übernommen. In der Nachfolge von Goethes Farbenlehre und Borchardts Garten- und Blumenbuch (das die Malerin 1987 illustriert hat) gerät ihr die Darstellung von Geist, Seele, Sinnlichkeit und Materialität der Farben zur Verlustgeschichte und Fundamentalkritik einer Gesellschaft ultimativer Sündhaftigkeit.

Dieser "Sündenfall der Trennung von Geist und Natur", der Popanz des Fortschritts und Zeitgeistes, zeigt sich vor allem in der modernen Malerei, ihren "Totgeburten permanenter Innovation" und ihren unverschämten Protagonisten: "Der in der Meute rennt, träumt, es sei die Avantgarde . . . Wer der Gesellschaft ihre Häßlichkeit vorhält, findet es selbstverständlich, zugleich um ihre Anerkennung zu buhlen. In der Hölle der Nützlichkeit hat die Konsumtion des Grauens Hochkonjunktur." Der Teufel aber steckt im Detail, nämlich als Konservenfarbe in der Tube aus kapitalistischer Produktion. Deshalb gibt Anita Albus nur der Literatur noch eine Chance, weil sie aufs Material nicht angewiesen ist, keine "Statusfetische" herstellt. Allein einer malerisch "gegen die Zeit" denkenden, gelehrten Dichterin ist es noch vergönnt, am "Kleid der Gottheit" zu weben, um die Versöhnung von Intellekt und Sinnlichkeit zu beschwören.

Aus der farblosen Landschaft der verdinglichten Gesellschaft, in der kein Gras mehr wächst, macht sich also Anita Albus als Augenpilgerin auf die Erinnerungsreise ins Land des Schutzheiligen Jan van Eyck, des Meisters der Geheimnisse der Lasur, "des vielschichtigen Denkens und der glücklichen Hand", der Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Der Schichtenaufbau der Farben, in dem der gelehrte und gottselige Maler das Wirken der Natur nachahmt, wird Anita Albus zum Perspektiv der Erfahrung der unwiederholbaren Präsenz des Kunstwerks, das keine Reproduktion verträgt, und zum Prinzip einer Rettung der Sinnlichkeit. Die Einsicht in van Eycks Technik läßt "den Verlust der Farbe ermessen, die einst das Licht in die Tiefe lockte und es verführte, so lange wie möglich im Bild zu verweilen, indem sie es zerstreute".

So ist das Buch in seinem wesentlichen Gehalt, als materiales und ästhetisches Glossarium, Gedächtnis der verlorenen Farbe. In prunkender Gelehrsamkeit, die Franz Grenos schwelgsündiger Ausstattung des Buches korrespondiert, bringt die schreibend denkende Malerin das menschliche Glänzen der Sinne und das göttliche Spiel des Lichts wieder zusammen. Himmelblau, Schilfgrün, Zitronengelb, Blutrot, Kastanienbraun, Griesgrau, Kohlrabenschwarz, Schlohweiß - aus den Farben ersteht eine von Entzücken durchlichtete Landschaft, in der es noch etwas zu sehen gab, das Bild einer Natur, die noch nicht zum bloßen Material des Produktionsprozesses degradiert war.

Diese Teile des Buches sind belehrend und einnehmend, und der Groll auf den Schund industrieller Produktion ist hier nachvollziehbar. Die kulturkritische Ambition der Verfasserin geht jedoch erheblich weiter. Von Panofsky, Cassirer, Dieter Wuttke und vielen anderen Denkern gerüstet, begibt sie sich im Namen der Ganzheit auf einen großangelegten geschichtsphilosophischen Kreuzzug gegen die Ungläubigen einer ichvergötzenden Moderne. Ihre Leitthese ist dabei, daß die Malerei einst die Kunst der Künste und der Wissenschaft war, dem Denken immer weit voraus. Seit aber die teuflische "angewandte Wissenschaft" die Gesellschaftsform bestimmt, ist die Bildkunst zur Gott- und Geistlosigkeit verkommen. Daß die Malerfürsten der Renaissance in der Vergötterung des Augensinns selbst schon die Idee einer Autonomie des Subjekts ins Bild setzten, scheint ihr dabei zu entgehen.

Von ihrer Reise in die Renaissance kehrt Anita Albus mit dem Schlüssel der Analogie zurück, mit dem sie nun in überbordender Metaphorik das Wirken universaler Korrespondenzen erschließt. Da gerät dann virtuell alles mit allem in eine Verbindung: Cusanus mit van Eyck und Anita Albus, die Geldtheorie Alfred Sohn-Rethels mit dem erst "latenten", dann "letalen Tulpenwahn" der Holländer, die Humoralpathologie der Antike mit Erdbeeren, die "auf die Seelenseite gerückt" sind, die "lauschige Atmosphäre des Waldes" mit dem "Prinzip wachsender Lasurschichten", der Grünspan mit dem Gänsedreck.

Das zentrale Motto der Darstellung zitiert Baudelaires berühmte Bestimmung der Korrespondenzen, die Natur sei ein Tempel mit lebenden Säulen, in der sich der Mensch wie in einem Wald von Symbolen bewege, die ihn mit vertrauten Blicken beobachten (qui l'observent). In der Übersetzung der gelehrten Künstlerin aber wird beobachten zu "beschatten". Das ist verräterisch, denn in der farbigen Augenweide der Anita Albus stehen bei weitem zu viele Säulenheilige herum, die lange Schatten werfen. Sie aber hat dennoch ein bewunderungswürdiges und verwunderliches Buch geschrieben, in dem sich sinnlich vermitteltes Wissen, kummervolle Einsichten und originelle Deutungen wundersam mit komplettem Humbug und tollkühnen Verwerfungen vermählen.

Anita Albus: "Die Kunst der Künste". Erinnerungen an die Malerei. Die Andere Bibliothek. Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1997. 390 S., Abb., geb., 54,- DM.

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