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In der Renaissance eroberten die frühen flämischen Musiker mit ihren Werken die ganze damalige Welt. Als großartige Meister der mehrstimmigen Musik genossen sie überall hohes Ansehen. Niemals hat die niederländische Musik eine größere Ausstrahlung gekannt als im 15. und 16. Jahrhundert. Die -fiamminghi- waren weltweit ein Begriff. In dem luxuriös ausgestatteten Geschenkbuch gewinnt die Darstellung dieses Höhepunkts in der Musikgeschichte deutliche Konturen.

Produktbeschreibung
In der Renaissance eroberten die frühen flämischen Musiker mit ihren Werken die ganze damalige Welt. Als großartige Meister der mehrstimmigen Musik genossen sie überall hohes Ansehen. Niemals hat die niederländische Musik eine größere Ausstrahlung gekannt als im 15. und 16. Jahrhundert. Die -fiamminghi- waren weltweit ein Begriff. In dem luxuriös ausgestatteten Geschenkbuch gewinnt die Darstellung dieses Höhepunkts in der Musikgeschichte deutliche Konturen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Josquin spielt auf
Ignace Bossuyt lauscht der Renaissance / Von Dirk Schümer

Der schwedische Schriftsteller Lars

Gustafsson hat einmal Verse über "die Stille der Welt vor Bach" geschrieben. Es ist ein schönes Gedicht. Für den gewöhnlichen Musikkonsumenten mag vor Johann Sebastian keine nennenswerte Geräuschproduktion existiert haben. Wenn Gustafsson zumindest das Buch von Ignace Bossuyt über die Kunst der Polyphonie gekannt und sich in den dort beschriebenen Werken umgehört hätte, dann hätte ihm die Stille vor Bach in den Ohren geklungen.

Die sogenannte "frankoflämische Schule" war bis vor kurzem nur Experten bekannt. Allenfalls mit den Namen Orlando di Lasso und Heinrich Isaac (wegen seines Liedes "Innsbruck, ich muß dich lassen") konnten Musikliebhaber etwas anfangen. Nun hat die Alte-Musik-Bewegung immer mehr Werke des späten Mittelalters und der Renaissance zum Klingen gebracht. Doch über die Zusammenhänge der Kompositionsschulen mit dem geistigen Leben ihrer Zeit, über die musikhistorische Einordnung der Meß- und Motettenklänge konnte man sich allenfalls aus Handbüchern informieren; und zu den spannenden Spezialforschungen des Briten Reinhard Strohm dringt allenfalls ein Fachpublikum vor. Nun liegt endlich eine veritable Kulturgeschichte der Musik vor 1600 vor.

Daß sich Bossuyt, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Löwen, auf die im weitesten Sinne niederländische Schule von Komponisten stützt, macht sein Werk nicht zu einer Spezialuntersuchung. So gut wie alle namhaften Musiker, die an Europas Höfen während der Renaissance Karriere machten, stammten aus der Landschaft zwischen Arras und Seeland. Wie diese einzigartige Vorherrschaft eines Musikstils, welche sogar die Dominanz der Wiener Schule vor und nach 1800 in den Schatten stellt, zu erklären ist, darüber streiten sich die Gelehrten bis heute. Die solide Gesangsausbildung an den nordfranzösischen Kathedralschulen produzierte offenbar einen versierten Nachwuchs, der an den Höfen des burgundischen Herzogs und der benachbarten Potentaten tätig wurde. Die Hofkapelle führte die Traditionen der englischen und italienischen Musiktheorie mit neuen Techniken zusammen.

Was höfische Theoretiker wie Guillaume de Machaut im vierzehnten Jahrhundert an kompositorischen Standards im Meßgesang vorbereitet hatten, kam unter Guillaume Dufay, um 1400 geboren in Cambrai und ausgebildet zum Magister kanonischen Rechts, zur Entfaltung. Polyphonie bedeutet, verkürzt gesagt, die Gleichrangigkeit aller Stimmen in einem musikalischen Geflecht. Die frankoflämischen Musiker probierten die verschiedensten Möglichkeiten durch, die Stimmen sich komplex entfalten und dabei den harmonischen Gesamtklang immer prächtiger aufblühen zu lassen. Die angestammte Kontrapunktik wurde dabei um Elemente des imitatorischen Kanons bereichert. Die gleichförmige Isorhythmie wurde zugunsten pulsierender Dynamik aufgegeben, die vorzugsweise vier Stimmlagen ließen sich mit der neuen, auf Sexten beruhenden Fauxbourdon-Technik verknüpfen, die Ohren des Publikums wurden an immer neue Harmoniekombinationen herangeführt. Der Theologie der Zeit entsprechend gab es kein Paradies ohne musizierende Engel; himmlische Klänge sollten in den Hofkapellen jener Jahre entstehen.

Der große Wurf der Frankoflamen war die Cantus-Firmus-Messe. Dabei wurden die Teile der gregorianischen Messe durch eine gemeinsame Melodie miteinander verknüpft. Dieses Strukturelement entstammte oft einem beliebten Volkslied, so daß die Hörer bei der Messe frivole oder kriegerische Assoziationen nicht unterdrücken konnten; Parodiemessen nennt man dergleichen, und die Kirche vermochte diesen Brauch durch kein Verbot in den Griff zu kriegen. Mit der Zeit entwickelten Meister wie Johannes Ockeghem, dessen fünfhundertstes Todesjahr man derzeit begeht, oder vor allem Josquin des Prez eine Art Collagetechnik, bei der kurze Abschnitte in immer neuer Gestalt dem musikalischen Material implantiert werden. Die Vielstimmigkeit wurde mit wachsender Virtuosität der Sänger immer waghalsiger. Vor allem die Motettenkomposition machte die Musik zu einer regelrecht philosophischen Kunst, die - so der zeitgenössische Theoretiker Tinctoris - Varietas und Euphonie, also Komplexität mit Schönheit, verbinden konnte.

Der Musikbetrieb war europäisch. Dufay komponierte eine Staatsmotette zur Einweihung des Florentiner Doms, und des Prez diente als Musikgenie vom Dienst den Sforza in Mailand und den Este in Ferrara. Sein flämischer Kollege Heinrich Isaac machte eine vergleichbare Reisekarriere von Hof zu Hof, brachte für Kaiser Maximilian die provinzielle deutsche Musikpraxis auf höheres Niveau, starb aber 1517 in seiner Wahlheimat Florenz. Wir müssen uns also die Motetten und Chansons dieser Musiker als Soundtrack zu Memling, Donatello oder Fra Angelico vorstellen. Die Renaissancekunst sollten wir nach der Lektüre dieses Buches nicht mehr nur mit Architektur und Malerei gleichsetzen. Diese Epoche tönt. Als Klangmalerei, in der die Stimmen gemäß der Perspektivenlehre immer mehr Autonomie gewinnen, lassen sich die besten Messen allemal verstehen.

Dem Autor gelingt es vorzüglich, die Fundierung der Barockmusik aus der Tonsprache der Renaissance herzuleiten. Heinrich Schütz war in Venedig in der Schule des Flamen Adriaen Willaert, Kantor an San Marco, in der strengen Kontrapunktik ausgebildet worden und wollte auch angesichts des italianisierend-expressiven Barockstils nicht von seinen Wurzeln lassen. Und Monteverdi ist ohne die Madrigalkunst des Wallonen Orlando di Lasso nicht denkbar. Dennoch - als 1634 Mateo Romero, der letzte Flame als Leiter der habsburgischen Hofkapelle in Spanien, sein Amt niederlegte und in Prag um 1620 der Flame Carolus Luython nach dem Tod seines Mäzens Rudolf II. verarmt starb, war eine Epoche zu ende gegangen. Die Abwanderung der Kreativität in die calvinistischen, weniger musikliebenden Nordniederlande sowie der Dreißigjährige Krieg legten die frankoflämischen Ressourcen trocken. Erst hundertfünfzig Jahre später brachte die ursprünglich flämische Familie van Beethoven wieder ein Talent hervor, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Bossuyt, der souverän solche historischen Bögen spannt, schließt also mit seinem Werk eine kulturhistorische Lücke; obendrein wirken seine einfühlsamen Erläuterungen wie ein Grundkurs in Musikwissenschaft. Zudem führt der Autor in die Tonsymbolik ein, deren Verwendung die Musik mit den Praktiken der spätmittelalterlichen Literatur und der Mystik kurzschließt. Auch über die Bedeutung von Notendrucken - 1501 kam der erste in Venedig bei Petrucci heraus - und über das Mäzenat der Familie Habsburg, die von Gent bis Madrid, von Innsbruck bis Prag einen Narren an flämischen Hofmusikern gefressen hatte, werden wir beiläufig informiert.

Einen kleinen Makel hat dieses opulent illustrierte Werk freilich: Bossuyt spricht konsequent von der "flämischen Musik" - eine gelinde Verbiegung der Fakten, die sich der Förderung des Projektes durch Kulturinstitute des jungen belgischen Teilstaats Flandern verdankt. Diese Sprachregelung gehorcht also politischen Vorgaben. Denn die Mehrzahl der Komponisten entstammte keineswegs dem heutigen flämischen Kulturraum und hatte auch nicht Niederländisch, sondern Französisch zur Muttersprache. Man redet also statt von flämischer, wie es der Autor unsinnigerweise tut, besser von frankoflämischer Musik, wie es die Musikwissenschaft seit jeher hält.

Was nach der Lektüre eines solchen, übrigens tadellos übersetzten, Epochenpanoramas naturgemäß fehlt, ist das sinnliche Erleben der Musik. Die flämische Kulturinstitution "Davidsfonds" bietet eine Plattensammlung mit ausgewählten Musikbeispielen zum Text an, man kann aber auch im Plattenladen selbst auf die Suche nach Josquin des Prez, Johannes Ockeghem, Guillaume Dufay, Heinrich Isaac, Orlando di Lasso e tutti quanti gehen. Die tönende Fülle der Welt vor Bach lohnt die Mühe.

Ignace Bossuyt: "Die Kunst der Polyphonie". Die flämische Musik von Guillaume Dufay. Aus dem Niederländischen von Horst Leuchtmann. Atlantis Musikverlag, Zürich 1997. 175 S., geb., Abb., 98,- DM.

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