In der Kunst der Renaissance spielten die Nachahmung der Antike und ein mächtiger Innovationsgeist auf faszinierende Weise ineinander. In Florenz und den italienischen Fürstentümern, in Rom und Venedig entstanden auf den Gebieten der Malerei, Skulptur und Architektur Werke von bis heute ungebrochener Anziehungskraft. Andreas Tönnesmann gibt einen anschaulichen und kompetenten Überblick über die reiche Kunst der italienischen Renaissance, ihre Anverwandlung in Frankreich und die besonderen Wege der Renaissance im übrigen Europa.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2007Es bleiben die schönen Werke als Trophäen
Antike und Renaissance: Im Verlag C.H. Beck erscheinen so subjektive wie begründete Essays über Kunstepochen
Es gehört Mut dazu, „Die griechische Kunst”, „Die römische Kunst” oder „Die Kunst der Renaissance” in Taschenbüchern auf akademischem Niveau zu erklären. Dieser Mut hat bislang in der deutschen Kunstpublizistik gefehlt. Es gab immer nur das eine oder das andere: entweder wissenschaftlich fundierte Einzelanalysen wie die Bildbetrachtungen in der Reihe „Kunststück” vom Fischer Verlag. Oder allgemein gehaltene Einführungsbücher für Laien wie „Die italienische Renaissance” von DuMont. Wer aber Überblick und Einblick zugleich suchte, der musste schon zu angelsächsischer Literatur greifen, etwa zu Peter Burkes so eingängigem wie forschungskritischem Bändchen „Renaissance” (auf Deutsch bei Wagenbach).
Destabilisierende Kunst
Nun ist im C.H. Beck Verlag eine Reihe erschienen, die im Stil angelsächsischer Essayistik einzelne Kunstepochen in ein Buchformat bringt, das in die Hand- oder Jacketttasche passt. Die Autoren sind renommierte Wissenschaftler, die Gemeinplätze meiden. Allesamt haben sie sich vom Geniekult verabschiedet, der in Deutschland immer noch durch die populäre Kunstvermittlung geistert. Stattdessen bemühen sie sich um historische Einordnung, fragen nach der identitätsstiftenden Funktion von Bildern, den Absichten der Auftraggeber und dem Spielraum der Künstler.
In seinem Renaissance-Band sieht Andreas Tönnesmann, auf den Pfaden Jacob Burckhardts, den Widerstreit von Gewalt und Kultur als ein Grundmuster der Kunst im 15. und 16. Jahrhundert. Die vielen, meist kriegerischen Regionalherrscher in Italien streben nach Aufmerksamkeit, und die Maler, Architekten und Bildhauer machen das Beste daraus: Sie reizen ihre ästhetischen und gedanklichen Freiheiten aus. Manchmal endet das im ironischen Spiel wie im Palazzo del Tè in Mantua, wo Giulio Romanos stürzende Giganten Wände und Betrachter in den Abgrund mitzureißen scheinen – wer sich als fürstlicher Besteller solch eine destabilisierende Kunst leistet, muss sich seiner Position sicher sein. Oder er tut wie der Mantuaner Markgraf alles, um Bewunderer in die Stadt im Sumpfgebiet zu locken und zu überraschen.
Manche Herrscher feilen mit Porträtkampagnen an ihrem Image, allen voran Federico da Montefeltro, der so von den Gerüchten um seinen Brudermord in Urbino abzulenken versteht. Andere lassen – entgegen aller üblichen Bescheidenheitsgesten – Familienbilder an die Wand malen, wie die Gonzaga, die Andrea Mantegna beauftragen. Auch die gut verkäuflichen Zuchtpferde des Hofes sind in seiner Camera picta zu sehen – ein vormodernes Product-Placement, wie Tönnesmann bemerkt.
Der größte Legitimationsdruck aber lastet auf den Päpsten, die nicht schon als Herrscher in spe zur Welt kommen. Jeder von ihnen muss von Neuem den Italienern und den Machthabern Europas beweisen, wie unabkömmlich der Vatikan ist. Mit Hilfe von Raffael und Michelangelo gelingt dies wie nie zuvor. Ihre Werke beziehen nicht nur die römische Antike, die Philosophie und die Literatur mit ein. Michelangelos Sixtinische Decke vereinnahmt auch die gesamte Weltgeschichte seit Erschaffung der Erde. Tönnesmann erinnert nachdrücklich daran, welche Verdrängungsleistung der römischen Kunst in den Renaissancejahren innewohnt. Immerhin gilt nördlich der Alpen der Neubau des Petersdoms als Inbegriff klerikaler Dekadenz. Erst 1527, als deutsche Landsknechte die Ewige Stadt plündern, realisieren die Römer, wie schlecht es um das Ansehen ihrer Kirche steht. Das Buch beschränkt sich nicht auf die italienische Sicht, sondern beschreibt auch die Spielarten der Renaissancekunst in Deutschland, Spanien, Frankreich und schließlich am Prager Hof von Rudolf II., dem besessenen Sammler. Mit dessen Tod 1612 sieht Tönnesmann das Ende der Epoche gekommen: Ihre Akteure sind tot, was bleibt, sind Kunstwerke, die fortan als Trophäen durch den Kontinent gereicht werden.
Natürlich kann auf nur rund 130 Seiten nicht alles gesagt werden; die venezianische Renaissancemalerei etwa kommt mit Ausnahme einiger erhellender Bemerkungen über Tizian zu kurz. Doch hat das Format den Vorteil, dass die Autoren ihre Überlegungen an konkreten Beispielen entfalten können, ohne sich mit einem kompletten Forschungsüberblick zu belasten.
Auch Tonio Hölschers Band zur griechischen und Paul Zankers Büchlein zur römischen Kunst sind pointierte, verdichtete Skizzen, die dem Leser an einem Nachmittag ein Gespür für die bildwissenschaftlich und sozialhistorisch relevanten Fragen vermitteln. So führt Hölscher in den Umgang der Griechen mit ihren Skulpturen ein, die viel gemeinschaftlicher rezipiert wurden, als wir es heute mit unseren Alltagsbildern tun. Man wusch und salbte die Werke, auf dass sie Unglück von der Stadt abwendeten. Es konnte auch passieren, dass eine unglücklich gestürzte Statue wegen Mordes verurteilt und verbannt wurde. Zanker interessiert sich ebenfalls nicht bloß für die staatspolitische Bedeutung der Kunst, sondern geht genauso dem privaten Bildgebrauch in den üppigen römischen Privatvillen nach.
Natürlich folgen alle Autoren der Bände auch ihren eigenen Forschungsinteressen. So aber bekommen die Leser nicht nur Schulbuchwissen serviert, sondern erhalten so subjektive wie begründete Ansichten zur Kunst der jeweiligen Epoche. KIA VAHLAND
TONIO HÖLSCHER: Die griechische Kunst (127 Seiten); PAUL ZANKER: Die römische Kunst (127 Seiten); ANDREAS TÖNNESMANN: Die Kunst der Renaissance (136 Seiten). Alle Bände im C.H. Beck Verlag, München 2007. 7,90 Euro.
Den Palazzo del Tè in Mantua stattete Giulio Romano (1499 - 1546) mit Fresken aus, darunter dem „Sturz der Giganten”. Foto: Bridgemanart.com
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Antike und Renaissance: Im Verlag C.H. Beck erscheinen so subjektive wie begründete Essays über Kunstepochen
Es gehört Mut dazu, „Die griechische Kunst”, „Die römische Kunst” oder „Die Kunst der Renaissance” in Taschenbüchern auf akademischem Niveau zu erklären. Dieser Mut hat bislang in der deutschen Kunstpublizistik gefehlt. Es gab immer nur das eine oder das andere: entweder wissenschaftlich fundierte Einzelanalysen wie die Bildbetrachtungen in der Reihe „Kunststück” vom Fischer Verlag. Oder allgemein gehaltene Einführungsbücher für Laien wie „Die italienische Renaissance” von DuMont. Wer aber Überblick und Einblick zugleich suchte, der musste schon zu angelsächsischer Literatur greifen, etwa zu Peter Burkes so eingängigem wie forschungskritischem Bändchen „Renaissance” (auf Deutsch bei Wagenbach).
Destabilisierende Kunst
Nun ist im C.H. Beck Verlag eine Reihe erschienen, die im Stil angelsächsischer Essayistik einzelne Kunstepochen in ein Buchformat bringt, das in die Hand- oder Jacketttasche passt. Die Autoren sind renommierte Wissenschaftler, die Gemeinplätze meiden. Allesamt haben sie sich vom Geniekult verabschiedet, der in Deutschland immer noch durch die populäre Kunstvermittlung geistert. Stattdessen bemühen sie sich um historische Einordnung, fragen nach der identitätsstiftenden Funktion von Bildern, den Absichten der Auftraggeber und dem Spielraum der Künstler.
In seinem Renaissance-Band sieht Andreas Tönnesmann, auf den Pfaden Jacob Burckhardts, den Widerstreit von Gewalt und Kultur als ein Grundmuster der Kunst im 15. und 16. Jahrhundert. Die vielen, meist kriegerischen Regionalherrscher in Italien streben nach Aufmerksamkeit, und die Maler, Architekten und Bildhauer machen das Beste daraus: Sie reizen ihre ästhetischen und gedanklichen Freiheiten aus. Manchmal endet das im ironischen Spiel wie im Palazzo del Tè in Mantua, wo Giulio Romanos stürzende Giganten Wände und Betrachter in den Abgrund mitzureißen scheinen – wer sich als fürstlicher Besteller solch eine destabilisierende Kunst leistet, muss sich seiner Position sicher sein. Oder er tut wie der Mantuaner Markgraf alles, um Bewunderer in die Stadt im Sumpfgebiet zu locken und zu überraschen.
Manche Herrscher feilen mit Porträtkampagnen an ihrem Image, allen voran Federico da Montefeltro, der so von den Gerüchten um seinen Brudermord in Urbino abzulenken versteht. Andere lassen – entgegen aller üblichen Bescheidenheitsgesten – Familienbilder an die Wand malen, wie die Gonzaga, die Andrea Mantegna beauftragen. Auch die gut verkäuflichen Zuchtpferde des Hofes sind in seiner Camera picta zu sehen – ein vormodernes Product-Placement, wie Tönnesmann bemerkt.
Der größte Legitimationsdruck aber lastet auf den Päpsten, die nicht schon als Herrscher in spe zur Welt kommen. Jeder von ihnen muss von Neuem den Italienern und den Machthabern Europas beweisen, wie unabkömmlich der Vatikan ist. Mit Hilfe von Raffael und Michelangelo gelingt dies wie nie zuvor. Ihre Werke beziehen nicht nur die römische Antike, die Philosophie und die Literatur mit ein. Michelangelos Sixtinische Decke vereinnahmt auch die gesamte Weltgeschichte seit Erschaffung der Erde. Tönnesmann erinnert nachdrücklich daran, welche Verdrängungsleistung der römischen Kunst in den Renaissancejahren innewohnt. Immerhin gilt nördlich der Alpen der Neubau des Petersdoms als Inbegriff klerikaler Dekadenz. Erst 1527, als deutsche Landsknechte die Ewige Stadt plündern, realisieren die Römer, wie schlecht es um das Ansehen ihrer Kirche steht. Das Buch beschränkt sich nicht auf die italienische Sicht, sondern beschreibt auch die Spielarten der Renaissancekunst in Deutschland, Spanien, Frankreich und schließlich am Prager Hof von Rudolf II., dem besessenen Sammler. Mit dessen Tod 1612 sieht Tönnesmann das Ende der Epoche gekommen: Ihre Akteure sind tot, was bleibt, sind Kunstwerke, die fortan als Trophäen durch den Kontinent gereicht werden.
Natürlich kann auf nur rund 130 Seiten nicht alles gesagt werden; die venezianische Renaissancemalerei etwa kommt mit Ausnahme einiger erhellender Bemerkungen über Tizian zu kurz. Doch hat das Format den Vorteil, dass die Autoren ihre Überlegungen an konkreten Beispielen entfalten können, ohne sich mit einem kompletten Forschungsüberblick zu belasten.
Auch Tonio Hölschers Band zur griechischen und Paul Zankers Büchlein zur römischen Kunst sind pointierte, verdichtete Skizzen, die dem Leser an einem Nachmittag ein Gespür für die bildwissenschaftlich und sozialhistorisch relevanten Fragen vermitteln. So führt Hölscher in den Umgang der Griechen mit ihren Skulpturen ein, die viel gemeinschaftlicher rezipiert wurden, als wir es heute mit unseren Alltagsbildern tun. Man wusch und salbte die Werke, auf dass sie Unglück von der Stadt abwendeten. Es konnte auch passieren, dass eine unglücklich gestürzte Statue wegen Mordes verurteilt und verbannt wurde. Zanker interessiert sich ebenfalls nicht bloß für die staatspolitische Bedeutung der Kunst, sondern geht genauso dem privaten Bildgebrauch in den üppigen römischen Privatvillen nach.
Natürlich folgen alle Autoren der Bände auch ihren eigenen Forschungsinteressen. So aber bekommen die Leser nicht nur Schulbuchwissen serviert, sondern erhalten so subjektive wie begründete Ansichten zur Kunst der jeweiligen Epoche. KIA VAHLAND
TONIO HÖLSCHER: Die griechische Kunst (127 Seiten); PAUL ZANKER: Die römische Kunst (127 Seiten); ANDREAS TÖNNESMANN: Die Kunst der Renaissance (136 Seiten). Alle Bände im C.H. Beck Verlag, München 2007. 7,90 Euro.
Den Palazzo del Tè in Mantua stattete Giulio Romano (1499 - 1546) mit Fresken aus, darunter dem „Sturz der Giganten”. Foto: Bridgemanart.com
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kia Vahland begrüßt Andreas Tönnesmanns Essay über die Kunst der Renaissance, der im Rahmen einer Reihe des Verlags C.H. Beck erschienen ist, die in einzelne Kunstepochen kompakt, aber auf akademischem Niveau einführen will. Im Fall des vorliegenden Essays scheint ihr das hervorragend gelungen. Interessiert folgt sie Tönnesmanns Ausführungen über den Widerstreit von Gewalt und Kultur als Grundmuster der Kunst im 15. und 16. Jahrhundert, einer Epoche, in der viele Regionalherrscher nach Aufmerksamkeit strebten, Maler, Architekten und Bildhauer begannen, ihre ästhetischen und gedanklichen Freiheiten auszureizen, und der Vatikan seine Herrschaft mit Hilfe der Werke von Raffael und Michelangelo dokumentierte. Sie hebt hervor, dass sich das Buch nicht auf die italienische Sicht beschränkt, sondern die Spielarten der Renaissancekunst in Deutschland, Spanien, Frankreich und schließlich am Prager Hof von Rudolf II. einbezieht. Es versteht sich für Vahland von selbst, dass auf nur etwa 130 Seiten nicht alles berücksichtigt werden kann. Das hat für sie auch einen Vorteil: die Überlegungen des Autors werden an konkreten Beispielen entfaltet, ohne dass der Leser mit einem kompletten Forschungsüberblick belastet wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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