Produktdetails
- Herbig Gesundheitsratgeber
- Verlag: Herbig
- Seitenzahl: 192
- Deutsch
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 238g
- ISBN-13: 9783776618617
- ISBN-10: 3776618612
- Artikelnr.: 24709925
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2002Im Fangobad der Philosophie
Lob des Eskapismus: Die Essays des John Cowper Powys
"Es gibt in der europäischen Literatur eine Art Ranküne gegen die Entwicklung des menschlichen Großhirns, die mir nie anders denn als eine snobistische und alberne Form der Selbstverleugnung erschienen ist", schrieb Thomas Mann 1934 in einem Brief an Karl Kerényi. Anlaß für dieses Bekenntnis waren die philosophischen Essays von John Cowper Powys, über die in der "Neuen Zürcher Zeitung" ein Artikel erschienen war. Auf Powys waren in den dreißiger Jahren Leser wie Hermann Hesse, Elias Canetti und eben Karl Kerényi aufmerksam geworden.
Dieselben Essays, die Thomas Mann einst Stein des Anstoßes waren, liegen nun siebzig Jahre später auf deutsch vor. Derweil hat sich das Großhirn zweifellos weiter vergrößert, doch auch die Vertreter der Ranküne haben nicht klein beigegeben. Wer die großen Romane des Anglowalisers Powys gelesen hat - von "Wolf Solent" und "Glastonbury" bis zu "Weymouth" und "Porius" - und sich über die einsamen und exzentrischen Figuren gewundert, geärgert oder gefreut hat, erhält nun deren philosophisches Programm in allen Einzelheiten nachgeliefert. Es ist ein Programm der Programmlosigkeit, die sich auch in der Form niederschlägt.Abschweifung,Ausschweifung, Wiederholung, dithyrambische Exzesse, Whitmansche Gesänge und faustisches Raunen - rhetorische Züge also, denen man die Herkunft aus den exzessiven Vortragsveranstaltungen ansieht, mit denen Powys eine ganze Generation von Amerikanern an den Rand von Wahnsinn und Erleuchtung trieb. Man sollte meinen, dergleichen würde sich als gedruckte Philosophie schon schlechter verkaufen. Doch "Kultur als Lebenskunst" (The Meaning of Culture) erreichte allein im Erscheinungsjahr 1929 zwölf Auflagen.
Die vier jetzt bei Zweitausendeins vorliegenden, vorzüglich übersetzten und annotierten Bände, denen noch ein weiterer über das Glück folgen soll, predigen immer wieder dasselbe: den Rückschritt. Versuchte Powys in seinem ersten philosophischen Werk, "The Complex Vision" (1920), noch ein philosophisches System aufzubauen mit Hilfe von William James und Gustav Theodor Fechner, von Pluralismus und Panpsychismus, so stellen die späteren philosophischen Essays eine Absage an jeglichen Versuch der Systembildung dar. Powys predigt nun den schamlosen Ungehorsam gegenüber allem, was nach Ordnungsmacht riecht.
Die effektivste Form der Verweigerung aber, wie jeder Kurgast bestätigen kann, ist die Rückkehr in den Urschlamm. Hier kann das moderne Ich seine lästigen Apparaturen loswerden, die da heißen Eitelkeit, Ehrgeiz, Stolz oder Aggression. Dem Elementaren angemessen sind die Tierbilder, die vor Powys' Augen aufsteigen. Nicht Wölfe, Löwen oder andere Raubtiere, wie sie zeitgenössischen Vitalisten, etwa D. H. Lawrence, gefallen hätten, sondern menschenferne, gar pflanzennahe Wesen wie Salamander, Molch, Reptil und Fisch. In diesem philosophischen Fangobad bleibt von allen Subjektleistungen nur noch eine übrig: die des Genießens, die einen überkommt, wenn man sich in Moos, Stein und Baum hineinverwandelt.
In immer neuen Tiraden nimmt Powys Anlauf, die Ideale des modernen Menschen zu überwinden. "Flucht" kann ihm nur recht sein, Eskapismus ist ein tadelloser Akt und stellt geradezu einen soliden Wert in einer naturfernen Welt dar. Vielmehr ist ja genau diese Welt auf der Flucht vor der Natur, und die anderen, die die Flucht verdammen, sind selbst ständig auf der Flucht vor sich und dem Leben, indem sie sich mit Apparaturen umgeben, Rationalisierungen und anderen Sicherheitsvorrichtungen. Powys' Mantras, die er ständig vor sich hinmurmelt, heißen Versenkung und Ekstase. Für seine "paläolithische Demut" nimmt er Asozialität nicht nur bewußt in Kauf, sie ist geradezu deren Voraussetzung. Selbstverwirklichung? Um Gottes willen, nur das nicht! Selbstverwirklichung ist nur Treibstoff für den blinden Roboterdynamo, der uns so problemlos funktionieren läßt. Dem "Es werde Ich" Freuds stellt Powys ein respektloses "Ich werde Es" entgegen. Wo Jung fleißig das Ganze und Integrale sucht, errichtet Powys das Ideal einer "disintegrierten Persönlichkeit". Bevor sich aber Poststrukturalisten und andere Entfesselte auf dieses subjektlose und dezentrierte Subjekt stürzen, sollten sie allerdings erst mal bescheiden werden, ihre snobistische Feinschmeckerei ablegen, sich mit Käfern und Moos verbünden und Goethe oder Heraklit lesen.
Für die Religion hat Powys nichts übrig; sie ist genauso gefährlich wie der Spiritismus und andere -ismen und fällt der Kunst des Vergessens anheim. Auch Yoga und Askese sind sein Ding nicht. Auf all diesen Wegen riecht es ihm zu stark nach Zwang und Gehorsam. Denn bei allem Rückschreiten heftet sich Powys einen hemmungslosen Hedonismus auf die Fahne, eine Einstellung, die ihn wiederum konservativen Kulturkritikern unsympathisch macht. Zudem erhebt Powys die Unsicherheit zur Norm. Es gebe, schreibt er wenige Jahre nach Heisenbergs Entdeckung der Unbestimmtheitsrelation im Quantenbereich, am Urgrund der Materie, im psychischen wie subatomaren Bereich eine grundlegende Ungewißheit, wo der Zufall sein Spiel treibe. Möglicherweise handelt es sich hier um eine der ersten popularisierenden Anwendungen der Unschärfe auf die Kultur.
Bei aller gewollten Barbarei des Autors muß man sich vergegenwärtigen, daß Powys seine Rückschreitungen in das Elementare vor einem Hintergrund großer Bildung machte. Er war belesen wie kaum ein zweiter Schriftsteller seiner Generation, und zwar in den Literaturen und Philosophien der Welt, in Psychologie und Geschichte. Bevor man sich zum Reptil macht, muß man sich bilden. Die Abwendung von der Zivilisation ist ein kultureller Akt, die Gewährsleute reichen von Griechenland bis zur Weimarer Klassik und den chinesischen Daoisten. Die Vorsokratiker und Nietzsche, Lao Tse und Rabelais, Shakespeare, Goethe und Dostojewski, sie alle finden sich in Powys' Begleitung, denn in ihnen sieht er die Feinde der Spezialisierung. Sie erinnern an das Universale im Menschen, an das poetische Potential. Am Ursprung der Poesie ist aber das Kindische: "Je kindischer und weltfremder ein Mensch veranlagt ist, um so mehr Glück gewinnt er den einfachen Dingen ab; wie frischer Luft, Wasser, Sonne, Erde, Sand, Blättern, Brot, Butter, Honig oder der noch urtümlicheren Empfindung einer bestimmten köstlichen Schläfrigkeit in den Gliedern." Das Ichthyosaurus-Glück liegt "in der unmittelbaren Erfahrung, am Leben zu sein".
Das ist eine Weisheit, die erst recht für das Alter gilt, dem Powys einen eigenen großen Essay widmete. Die zweite Kindheit der Alten ist nicht nur eine Mangelerscheinung, wie der Autor selbst in seinen hohen Jahren noch zeigen konnte, in verrückten Spätwerken wie in einer Lebensweise, die die Elemente verehrte. Wem es im Laufe des Lebens gelungen ist, eine Beziehung zum Unbelebten zu entwickeln, hat mehr vom Alter, wenn so vieles an Tätigkeit und Vitalität wegfällt. Powys sieht in den Falten der Gesichter Ackerfurchen, in denen das Leben keimt. Frauen und Männer erleben es unterschiedlich, darauf geht er immer wieder ein. Als Lektüre, die diesem Zustand entgegenkommt, empfiehlt er die "langweiligen und zeitlosen Werke von epischer Breite, die wir als die Klassiker bezeichnen". Homer etwa ist ein Autor für den alten Geist. Man lese ihn möglichst, wie Powys es selber tat, mit einem Wörterbuch daneben, denn das ermöglicht eine weitere Entschleunigung. Diese Langsamkeit und Weitschweifigkeit, die Powys ebenfalls praktiziert, erlauben Gedankenfreiheit, endlose Spaziergänge der Seele, und auf die kommt es an, will man sich dem Unbelebten, dem Stein, dem Klang, der Farbe nähern.
Das Defizit dieser Lebensanweisungen liegt auf der Hand. Hier dreht sich alles um das Ich und seine Empfindungen; für ein Du als Gesprächspartner oder eine Gesellschaft als Forum der Verständigung, des Streits oder der Reform und Revolution ist kein Spielraum. Es ist eine Bibel der Introversion, die Powys hier in mehreren Bänden vorlegt. Aber auch die hat ihre Berechtigung. Nicht nur werden die Introvertierten sich gestärkt fühlen. Man sieht Powys' Rezepten auch an, daß sie nicht der Ranküne entstammen, sondern der Erfahrung eines Genesenden, eines von Krankheiten und Widrigkeiten Gebeutelten, der sich und uns zäh daran erinnert, wie sehr die kleinen Dinge zählen. Thomas Mann bekannte im selben Brief, ein Vertreter des Gleichgewichts zu sein. Das war Powys mit Sicherheit nicht. Sein Trotz gegen die Moderne ist nichtsdestoweniger der ständige Versuch, ein Gleichgewicht zu erreichen.
Eigentlich schreibt dieser Powys keine Ratgeber. Hier ist nichts zum Anklicken und Abhaken. Vieles ist altbacken und verzwirnt. Aber das Lesen selbst wird zum Rat; es verändert langsam die Wahrnehmung.
ELMAR SCHENKEL
John Cowper Powys: "Die Philosophie des Trotzdem". Aus dem Englischen übersetzt von Annette von Charpentier, mit Texterläuterungen von Klaus Gabbert. 518 S., geb., 12,75 [Euro].
John Cowper Powys: "Kultur als Lebenskunst". Aus dem Englischen übersetzt von Susan Nurmi-Schomers, mit Texterläuterungen von Ekkehard Kunze. 378 S., geb., 12,75 [Euro].
John Cowper Powys: "Die Verteidigung der Sinnlichkeit". Aus dem Englischen übersetzt von Annette von Charpentier, mit Texterläuterungen von Klaus Gabbert. 374 S., geb., 12,75 [Euro].
John Cowper Powys: "Die Kunst des Älterwerdens". Aus dem Englischen übersetzt von Waltraud Götting, mit Texterläuterungen von Klaus Gabbert und Waltraud Götting. 452 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Bände erschienen bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2001/2002.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lob des Eskapismus: Die Essays des John Cowper Powys
"Es gibt in der europäischen Literatur eine Art Ranküne gegen die Entwicklung des menschlichen Großhirns, die mir nie anders denn als eine snobistische und alberne Form der Selbstverleugnung erschienen ist", schrieb Thomas Mann 1934 in einem Brief an Karl Kerényi. Anlaß für dieses Bekenntnis waren die philosophischen Essays von John Cowper Powys, über die in der "Neuen Zürcher Zeitung" ein Artikel erschienen war. Auf Powys waren in den dreißiger Jahren Leser wie Hermann Hesse, Elias Canetti und eben Karl Kerényi aufmerksam geworden.
Dieselben Essays, die Thomas Mann einst Stein des Anstoßes waren, liegen nun siebzig Jahre später auf deutsch vor. Derweil hat sich das Großhirn zweifellos weiter vergrößert, doch auch die Vertreter der Ranküne haben nicht klein beigegeben. Wer die großen Romane des Anglowalisers Powys gelesen hat - von "Wolf Solent" und "Glastonbury" bis zu "Weymouth" und "Porius" - und sich über die einsamen und exzentrischen Figuren gewundert, geärgert oder gefreut hat, erhält nun deren philosophisches Programm in allen Einzelheiten nachgeliefert. Es ist ein Programm der Programmlosigkeit, die sich auch in der Form niederschlägt.Abschweifung,Ausschweifung, Wiederholung, dithyrambische Exzesse, Whitmansche Gesänge und faustisches Raunen - rhetorische Züge also, denen man die Herkunft aus den exzessiven Vortragsveranstaltungen ansieht, mit denen Powys eine ganze Generation von Amerikanern an den Rand von Wahnsinn und Erleuchtung trieb. Man sollte meinen, dergleichen würde sich als gedruckte Philosophie schon schlechter verkaufen. Doch "Kultur als Lebenskunst" (The Meaning of Culture) erreichte allein im Erscheinungsjahr 1929 zwölf Auflagen.
Die vier jetzt bei Zweitausendeins vorliegenden, vorzüglich übersetzten und annotierten Bände, denen noch ein weiterer über das Glück folgen soll, predigen immer wieder dasselbe: den Rückschritt. Versuchte Powys in seinem ersten philosophischen Werk, "The Complex Vision" (1920), noch ein philosophisches System aufzubauen mit Hilfe von William James und Gustav Theodor Fechner, von Pluralismus und Panpsychismus, so stellen die späteren philosophischen Essays eine Absage an jeglichen Versuch der Systembildung dar. Powys predigt nun den schamlosen Ungehorsam gegenüber allem, was nach Ordnungsmacht riecht.
Die effektivste Form der Verweigerung aber, wie jeder Kurgast bestätigen kann, ist die Rückkehr in den Urschlamm. Hier kann das moderne Ich seine lästigen Apparaturen loswerden, die da heißen Eitelkeit, Ehrgeiz, Stolz oder Aggression. Dem Elementaren angemessen sind die Tierbilder, die vor Powys' Augen aufsteigen. Nicht Wölfe, Löwen oder andere Raubtiere, wie sie zeitgenössischen Vitalisten, etwa D. H. Lawrence, gefallen hätten, sondern menschenferne, gar pflanzennahe Wesen wie Salamander, Molch, Reptil und Fisch. In diesem philosophischen Fangobad bleibt von allen Subjektleistungen nur noch eine übrig: die des Genießens, die einen überkommt, wenn man sich in Moos, Stein und Baum hineinverwandelt.
In immer neuen Tiraden nimmt Powys Anlauf, die Ideale des modernen Menschen zu überwinden. "Flucht" kann ihm nur recht sein, Eskapismus ist ein tadelloser Akt und stellt geradezu einen soliden Wert in einer naturfernen Welt dar. Vielmehr ist ja genau diese Welt auf der Flucht vor der Natur, und die anderen, die die Flucht verdammen, sind selbst ständig auf der Flucht vor sich und dem Leben, indem sie sich mit Apparaturen umgeben, Rationalisierungen und anderen Sicherheitsvorrichtungen. Powys' Mantras, die er ständig vor sich hinmurmelt, heißen Versenkung und Ekstase. Für seine "paläolithische Demut" nimmt er Asozialität nicht nur bewußt in Kauf, sie ist geradezu deren Voraussetzung. Selbstverwirklichung? Um Gottes willen, nur das nicht! Selbstverwirklichung ist nur Treibstoff für den blinden Roboterdynamo, der uns so problemlos funktionieren läßt. Dem "Es werde Ich" Freuds stellt Powys ein respektloses "Ich werde Es" entgegen. Wo Jung fleißig das Ganze und Integrale sucht, errichtet Powys das Ideal einer "disintegrierten Persönlichkeit". Bevor sich aber Poststrukturalisten und andere Entfesselte auf dieses subjektlose und dezentrierte Subjekt stürzen, sollten sie allerdings erst mal bescheiden werden, ihre snobistische Feinschmeckerei ablegen, sich mit Käfern und Moos verbünden und Goethe oder Heraklit lesen.
Für die Religion hat Powys nichts übrig; sie ist genauso gefährlich wie der Spiritismus und andere -ismen und fällt der Kunst des Vergessens anheim. Auch Yoga und Askese sind sein Ding nicht. Auf all diesen Wegen riecht es ihm zu stark nach Zwang und Gehorsam. Denn bei allem Rückschreiten heftet sich Powys einen hemmungslosen Hedonismus auf die Fahne, eine Einstellung, die ihn wiederum konservativen Kulturkritikern unsympathisch macht. Zudem erhebt Powys die Unsicherheit zur Norm. Es gebe, schreibt er wenige Jahre nach Heisenbergs Entdeckung der Unbestimmtheitsrelation im Quantenbereich, am Urgrund der Materie, im psychischen wie subatomaren Bereich eine grundlegende Ungewißheit, wo der Zufall sein Spiel treibe. Möglicherweise handelt es sich hier um eine der ersten popularisierenden Anwendungen der Unschärfe auf die Kultur.
Bei aller gewollten Barbarei des Autors muß man sich vergegenwärtigen, daß Powys seine Rückschreitungen in das Elementare vor einem Hintergrund großer Bildung machte. Er war belesen wie kaum ein zweiter Schriftsteller seiner Generation, und zwar in den Literaturen und Philosophien der Welt, in Psychologie und Geschichte. Bevor man sich zum Reptil macht, muß man sich bilden. Die Abwendung von der Zivilisation ist ein kultureller Akt, die Gewährsleute reichen von Griechenland bis zur Weimarer Klassik und den chinesischen Daoisten. Die Vorsokratiker und Nietzsche, Lao Tse und Rabelais, Shakespeare, Goethe und Dostojewski, sie alle finden sich in Powys' Begleitung, denn in ihnen sieht er die Feinde der Spezialisierung. Sie erinnern an das Universale im Menschen, an das poetische Potential. Am Ursprung der Poesie ist aber das Kindische: "Je kindischer und weltfremder ein Mensch veranlagt ist, um so mehr Glück gewinnt er den einfachen Dingen ab; wie frischer Luft, Wasser, Sonne, Erde, Sand, Blättern, Brot, Butter, Honig oder der noch urtümlicheren Empfindung einer bestimmten köstlichen Schläfrigkeit in den Gliedern." Das Ichthyosaurus-Glück liegt "in der unmittelbaren Erfahrung, am Leben zu sein".
Das ist eine Weisheit, die erst recht für das Alter gilt, dem Powys einen eigenen großen Essay widmete. Die zweite Kindheit der Alten ist nicht nur eine Mangelerscheinung, wie der Autor selbst in seinen hohen Jahren noch zeigen konnte, in verrückten Spätwerken wie in einer Lebensweise, die die Elemente verehrte. Wem es im Laufe des Lebens gelungen ist, eine Beziehung zum Unbelebten zu entwickeln, hat mehr vom Alter, wenn so vieles an Tätigkeit und Vitalität wegfällt. Powys sieht in den Falten der Gesichter Ackerfurchen, in denen das Leben keimt. Frauen und Männer erleben es unterschiedlich, darauf geht er immer wieder ein. Als Lektüre, die diesem Zustand entgegenkommt, empfiehlt er die "langweiligen und zeitlosen Werke von epischer Breite, die wir als die Klassiker bezeichnen". Homer etwa ist ein Autor für den alten Geist. Man lese ihn möglichst, wie Powys es selber tat, mit einem Wörterbuch daneben, denn das ermöglicht eine weitere Entschleunigung. Diese Langsamkeit und Weitschweifigkeit, die Powys ebenfalls praktiziert, erlauben Gedankenfreiheit, endlose Spaziergänge der Seele, und auf die kommt es an, will man sich dem Unbelebten, dem Stein, dem Klang, der Farbe nähern.
Das Defizit dieser Lebensanweisungen liegt auf der Hand. Hier dreht sich alles um das Ich und seine Empfindungen; für ein Du als Gesprächspartner oder eine Gesellschaft als Forum der Verständigung, des Streits oder der Reform und Revolution ist kein Spielraum. Es ist eine Bibel der Introversion, die Powys hier in mehreren Bänden vorlegt. Aber auch die hat ihre Berechtigung. Nicht nur werden die Introvertierten sich gestärkt fühlen. Man sieht Powys' Rezepten auch an, daß sie nicht der Ranküne entstammen, sondern der Erfahrung eines Genesenden, eines von Krankheiten und Widrigkeiten Gebeutelten, der sich und uns zäh daran erinnert, wie sehr die kleinen Dinge zählen. Thomas Mann bekannte im selben Brief, ein Vertreter des Gleichgewichts zu sein. Das war Powys mit Sicherheit nicht. Sein Trotz gegen die Moderne ist nichtsdestoweniger der ständige Versuch, ein Gleichgewicht zu erreichen.
Eigentlich schreibt dieser Powys keine Ratgeber. Hier ist nichts zum Anklicken und Abhaken. Vieles ist altbacken und verzwirnt. Aber das Lesen selbst wird zum Rat; es verändert langsam die Wahrnehmung.
ELMAR SCHENKEL
John Cowper Powys: "Die Philosophie des Trotzdem". Aus dem Englischen übersetzt von Annette von Charpentier, mit Texterläuterungen von Klaus Gabbert. 518 S., geb., 12,75 [Euro].
John Cowper Powys: "Kultur als Lebenskunst". Aus dem Englischen übersetzt von Susan Nurmi-Schomers, mit Texterläuterungen von Ekkehard Kunze. 378 S., geb., 12,75 [Euro].
John Cowper Powys: "Die Verteidigung der Sinnlichkeit". Aus dem Englischen übersetzt von Annette von Charpentier, mit Texterläuterungen von Klaus Gabbert. 374 S., geb., 12,75 [Euro].
John Cowper Powys: "Die Kunst des Älterwerdens". Aus dem Englischen übersetzt von Waltraud Götting, mit Texterläuterungen von Klaus Gabbert und Waltraud Götting. 452 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Bände erschienen bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2001/2002.
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