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Überraschend neue Blicke auf drei Meisterwerke der Moderne - Wolfgang Matz bietet eine atemlose Lektüre.Liebe und Betrug sind die ewigen Themen der Literatur, von Tristan und Isolde bis Don Giovanni - mitten im 19. Jahrhundert taucht aber plötzlich im Gesellschaftsroman eine neue Variante der alten Geschichte auf: der Ehebruch in der bürgerlichen Familie. Emma Bovary, Anna Karenina und Effi Briest - das sind die drei berühmten Frauen, die das Verbotene tun und um eines anderen Mannes willen ihre ganze Existenz riskieren: Emma, die radikale Spielerin, Anna, die leidenschaftlich Liebende, und…mehr

Produktbeschreibung
Überraschend neue Blicke auf drei Meisterwerke der Moderne - Wolfgang Matz bietet eine atemlose Lektüre.Liebe und Betrug sind die ewigen Themen der Literatur, von Tristan und Isolde bis Don Giovanni - mitten im 19. Jahrhundert taucht aber plötzlich im Gesellschaftsroman eine neue Variante der alten Geschichte auf: der Ehebruch in der bürgerlichen Familie. Emma Bovary, Anna Karenina und Effi Briest - das sind die drei berühmten Frauen, die das Verbotene tun und um eines anderen Mannes willen ihre ganze Existenz riskieren: Emma, die radikale Spielerin, Anna, die leidenschaftlich Liebende, und die viel zu junge, naive Effi, die der flüchtigen Gelegenheit nicht widersteht.Wolfgang Matz folgt in seinem temperamentvoll geschriebenen Buch den Geschichten dieser ganz verschiedenen Frauen, ihrer Ehemänner und ihrer Liebhaber und erkundet, warum ihr privates Scheitern zwischen persönlichem Freiheitsdrang und gesellschaftlicher Ordnung ihre Schöpfer Gustave Flaubert, Lew Tolstoi und TheodorFontane so fasziniert hat und wie dieses wiederum deren Schreiben bestimmt.Mit den gesellschaftlichen Befreiungen des 20. Jahrhunderts verschwindet die Gattung des Ehebruchromans zwar, aber all die katastrophal scheiternden Liebesgeschichten stehen nach wie vor im Mittelpunkt der Literatur, und deshalb nimmt Wolfgang Matz auch die heutigen Ausweitungen der Kampfzone in den Blick.
Autorenporträt
Wolfgang Matz, geb. 1955, lebte von 1987 bis 1995 in Poitiers (Frankreich), wo er am Institut für deutsche Sprache und Literatur lehrte und als Literaturübersetzer tätig war; von 1995 bis 2020 arbeitete er als Verlagslektor in München. Als Übersetzer französischer Prosa und Lyrik wurde er mit dem Paul Celan- und dem Petrarca-Preis ausgezeichnet. Veröffentlichungen u. a.: 1857. Flaubert, Baudelaire, Stifter: Die Entdeckung der modernen Literatur (2021); Frankreich gegen Frankreich. Die Schriftsteller zwischen Literatur und Ideologie (2017); Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge (2016); Die Kunst des Ehebruchs. Emma, Anna, Effi und ihre Männer (2014); Eine Kugel im Leibe. Walter Benjamin und Rudolf Borchardt: Judentum und deutsche Poesie (2011).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wer war sündiger, Effi Briest, Emma Bovary oder Anna Karenina? Oliver Pfohlmann erfährt's bei Wolfgang Matz und seiner laut Rezensent mit lauter überraschenden Erkenntnissen aufwartenden Studie über alles wagende Seitensprünge und gehörnte Ehemänner in der Literatur bei Tolstoi, Flaubert und Fontane. Dass der Autor das fiktive Personal, Liebhaber, Ehegatten und die Frauen, befragt, wie die Beteiligten an einem echten Fall, macht Pfohlmann sichtlich Spaß. Dem vermeintlich kanonischen Text gewinnt der Autor dabei jedenfalls immer wieder Aufschlussreiches und Neues ab, versichert der Rezensent. Auch, da Matz so gut fragen kann, wie Pfohlmann erklärt. Etwa nach dem Geschehen nach dem Seitensprung, oder ob der Tod der Heldinnen jeweils als Strafe zu begreifen sei.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2014

Du sollst nicht heiraten!

Effi, Emma und Anna: Wolfgang Matz untersucht in einer brillanten Studie den Ehebruch als literarisches Phänomen. Sein Material: drei Romane von Fontane, Flaubert und Tolstoi.

Nach Dr. Brehm", heißt es am Ende von Edward Westermarcks "Geschichte der menschlichen Ehe", die 1902 erschien, "paaren sich die meisten Vögel auf Dauer, während unter den Säugetieren, mit Ausnahme des Menschen und vielleicht der Menschenaffen, nur selten derselbe Mann und dieselbe Frau länger als ein Jahr lang zusammenleben." Aber, so der vergleichende Blick des Anthropologen, auch unter Menschen würden Ehen in vielen Völkern nicht für immer geschlossen und mitunter sogar ganz bewusst nicht auf Dauer.

Die Moral der vorangegangenen Jahrhunderte hatte das zumindest in Europa anders gesehen. Ja, im neunzehnten Jahrhundert waren sogar Liebe und Ehe immer mehr in eins gesetzt worden: keine Ehe ohne Liebe und keine Liebe ohne das Ein-für-alle-Mal des "Du, nur du allein". So jedenfalls sollte es sein, und wenn es sich anders ergab, dann umso schlimmer für die Tatsachen. Das war, wie konservative Beobachter sofort einwandten, ein riskantes Sollen. Denn was sei unstetiger als Gefühle, vagabundierender als Sexualität, erfahrungsärmer als junge Leute, die sich zu etwas entschließen sollten, was sie noch nicht gelernt hatten: Liebe, und was sie in seinen Folgen keinesfalls absehen konnten: Ehe.

Umso schwieriger für die Beteiligten, umso besser für die Literatur. Nach der Eheanbahnung, die seit jeher ein Komödienstoff war und in den Welten Jane Austens zum Medium von Personenkenntnis schlechthin wurde, rückt das Scheitern von Ehen zum Motiv der größten Romane auf. Es gibt, so die Erzählstimme des jungen Gustave Flaubert 1842, "für mich ein Wort, das unter den menschlichen Worten das schönste schien: Ehebruch, eine auserlesene Süße schwebte undeutlich über ihm, ein einzigartiger Zauber ziert es; jede Bewegung, die man macht, sagt es und kommentiert es auf ewig für das Herz des jungen Mannes, er berauscht sich ohne Ende, er findet darin die höchste Poesie, eine Mischung aus Verdammnis und Lust." Gegenüber der bürgerlichen Norm erschloss der Seitensprung nicht nur das außeralltägliche Abenteuer. Der Ehebruch schien als Motiv auch einer Vorstellung von Liebe gemäß, die sich keine Vorschriften machen lässt, nicht einmal von sich selbst.

Jedenfalls war das so in Kontinentaleuropa. Auf den Britischen Inseln machte man meist einen Bogen um das Thema. Oder die Autoren, argwöhnisch beäugt von den Leitern der großen englischen Leihbibliotheken, die nur sittsamen Lesestoff ankauften, schickten ihre Helden auf seltsame Ehebruchsumgehungsstraßen wie 1847 Emily Brontë in den "Sturmhöhen", wo eine Person nach der anderen geopfert wird, nur damit es nicht zum Äußersten kommt. In Frankreich, Deutschland und Russland hingegen stellen drei der meistgelesenen Romane des Jahrhunderts den durch Affären bewirkten Sturz einer Frau aus ihrer bürgerlichen Existenz in ihr Zentrum: "Madame Bovary" von 1856/57, "Anna Karenina" von 1877/78 und "Effi Briest" von 1894/95.

Der Münchner Literaturhistoriker Wolfgang Matz hat jetzt die raffinierten Konstruktionen von Flaubert, Tolstoi und Fontane - die sich 1856/57 gut hätten in Paris begegnen können - auseinandergenommen. Er führt uns ihre Mechanik vor, in allen Einzelbauteilen: die Ehemänner, die Ehebrecherinnen und ihre Geliebten. Matz befragt alle Eigenschaften dieser Figuren, Stand und Alter, Intelligenz und Gewissen, Temperament und Phantasiebegabung. Was bedeutet es, wenn der Mann doppelt so alt ist wie die Frau und wenn Effi Briests Gatte bereits um ihre Mutter geworben hat? Wie verhalten sich soziale und seelische Ebenbürtigkeit? Lieben die Paare, die hier zerstört werden, sich, lieben sich die Paare, die das Zerstörungswerk begehen? Bei Fontane ist die Ehe arrangiert, bei Tolstoi liebt der Ehemann auch mit Vernunft, bei Flaubert ist er ein Dummkopf, der sich in eine scharfe Braut verliebt, deren Haut durch die Wäsche duftet. Effi ist töricht, Emma habituell unerfüllt, für beide ist in der Ehe wie im Ehebruch fast jeder der Richtige. Anna Karenina allein liebt nicht den Ehebruch selbst, sondern den Mann, mit dem sie die Ehe bricht, und dieser allein, Wronski, ist kein Seitensprung, sondern liebt sie seinerseits.

Matz erwägt, was in einem Bruch liegt, der nach einem Jahr Ehe erfolgt (Effi Briest), im Unterschied zu einem Paar, das zuvor acht Jahre lang für sich lebte (die Karenins). Anna und Emma wollen ihre Ehe nicht bewahren, Effi schon. Anna und Effi wiederum verbergen den Ehebruch, Emma nicht. Denn sie genießt das Außeralltägliche daran: "Sie belügt ihren Mann? Wie wunderbar! Sie betrügt ihn? Herrlich!"

Matz deutet das alles zunächst von der Sache her, als die Erkundung von Liebe und Ehe in Romanform. Er tut es dabei so leichthändig, klar und ohne akademische Klingeltöne, dass man fast meint, es würden von ihm die Geschichten einfach nur nacherzählt. Doch das täuscht, es steckt ein immenses Gespür für den Stoff und seine psychologischen Komplikationen in dieser Darstellung. Die Asymmetrien von Ehen, in denen die Partner aus unterschiedlichen Gründen heiraten, sowie die unterschiedliche Verteilung von Lebensrisiken zwischen den Geschlechtern bilden hierfür - fast ist man versucht, zu sagen: nur - den sozialgeschichtlichen Hintergrund.

Was Matz viel mehr interessiert, ist die Logik, der gerade das vermeintlich Irrationale folgt. Er weist auf den Reiz hin, den besonders die verheiratete Frau für manchen Liebhaber hat. Doch warum eigentlich? Weil es schwieriger ist, weil es um einen Wettbewerb geht, weil der Ehebrecher sich um ihren Alltag nicht zu kümmern braucht und leicht in den Genuss kommt, das Außerordentliche zu repräsentieren. Das spiegelt sich auf der Seite der Ehepaare, wenn es bei Fontane im Roman "L'Adultera" heißt, treu sein, wenn man liebt, sei nicht viel. Niemand, der je geliebt hat und verheiratet ist, wird die Analysen, die an diese und zahllose andere Romanmotive anschließen, ohne Erkenntnisgewinn und ohne Anteilnahme lesen.

Doch das Buch bleibt nicht bei der Deutung erotischer und familiärer Konstellationen stehen. In seinem zweiten Teil fragt es, um welche Art von Kunstwerken es sich bei den drei Romanen handelt. Hierzu werden nicht nur die Entstehungsumstände der Werke und die Skandale, die sie jeweils machten, herangezogen. Hierzu werden sie auch kritisch beurteilt.

Matz lässt dabei wenig Zweifel daran, dass Theodor Fontane nicht auf der Höhe seiner beiden Zeitgenossen war, und er weist nach, dass "Effi Briest" voller Halbheiten steckt, weil sein Autor mit dem Befund, das Herz sei eben nicht verlässlich, schon eine Wahrheit ausgesprochen zu haben glaubte. Fontane schreibt, so Matz, als Einziger einen Gesellschaftsroman, der sich mit dem etwas plumpen Gegensatz von Norm und Abweichung begnügt. Die Auskunft, Effi scheitere, weil sie zu jung für die Ehe war und es ihrem Mann an Verständnis für sie fehlte, zeigt, dass Fontane sich von vornherein mit einer mäßigen Problemstellung begnügte. Matz hält ihm zugute, dass diese Mäßigung sich bis in Details als eine Antwort auf den erbarmungslosen Flaubert beschreiben lässt. Aber er ist zugleich empört über die resignative Bonhomie, die sich Fontane dabei durchgehen lässt. Matz, selbst ein Lektor, ruft hier nach demselben. Wo war der Leser, der hätte verhindern müssen, dass Effies Eltern am Grab der Tochter Kaffee trinken?

Flaubert hätte seiner nicht bedurft. Denn sein Buch gilt ganz und gar dem Kampf gegen die Phrase, deren zeitgenössische Aufgipfelung für ihn der romantische Selbstbetrug war. Nie zuvor und nie wieder danach ist mit solcher Kraft - aus viertausend Manuskriptseiten wurde der Roman herausgemeißelt - Kunst gegen die illusionären, tagträumerischen, medialen Wirkungen von Kunst eingesetzt worden. Im Grunde lässt der Autor sein Personal dafür büßen, dass die Literatur den Leuten eingeflößt hat, was sie von der Liebe und vom Ehebruch erwarten. Ein vollkommenes, aber ein grausames Werk, in dem die Liebe oder das, was sie dafür halten und woran sie zugrunde gehen, in erster Linie Mittel zum Kunstzweck ist.

So ist es Tolstoi, der für Matz die größte erzählerische Spannweite besitzt, weil ihn weder die Gesellschaft als solche noch vor allem die Kunst interessiert - sondern das Problem. Von 235 Kapiteln der "Anna Karenina" handelt nur die Hälfte von ihr. Ehebruch und Passion sind vor allem der Brennstoff, um alle menschlichen Verhältnisse in einem erschreckenden Licht zu zeigen. Gegenüber dem berühmten ersten Satz des Romans, wonach die Familien sich im Glück nicht unterscheiden, sondern nur die unglücklichen es je auf ihre Weise sind, erlaubt sich Matz die Rückfrage, ob das denn stimme. Und er deutet den Roman nicht als Beleg für diesen Spruch, sondern als Entfaltung der Frage, was das denn überhaupt sei, Unglück und Glück, wenn das Glücksstreben unglücklich mache.

Folgerichtig lehnt Tolstoi zuletzt nicht den Ehebruch ab, sondern die Ehe und attackiert in der "Kreutzersonate" von 1889 die bürgerliche Lebensform als solche. Der dritte Teil des Buches von Matz steigert die Dramatik der von ihm verhandelten Fragen darum noch einmal, wenn er sich dieser Gleichung von Ehe und Unmoral sowie dem Ehekrieg der Tolstois zuwendet. Nun ist es nicht die Fusion von Ehe und Liebe, sondern die von Liebe und Sexualität, über die Gericht gehalten wird. Nicht "Du sollst nicht ehebrechen", sondern "Du sollst nicht heiraten" lautet Tolstois Gebot, weil es gar keine Liebe gebe, sondern nur "das Bedürfnis des Fleisches nach Verkehr". Die romantische Lüge liegt für Tolstoi nicht, wie bei Flaubert, im Selbstbetrug der Törichten, sondern in der Unehrlichkeit derer, die von Seelenverwandtschaft reden, um zu ihrer Lust zu kommen.

In gewisser Weise hat der Fortgang der Geschichte Tolstoi hierin ironisch bestätigt, indem Liebe, Ehe und Sexualität längst auch anerkannterweise keine Zwangskombinate mehr sind. Für das Erzählmotiv bedeutet das ein Ende: "Wo der Ehebruch immer banaler wurde, da verschwand er aus dem Roman." Im letzten Teil des Buches kümmert sich Matz gleichwohl um das, was vom großen Thema übrig blieb, etwa in den weiteren Desillusionsstufen bei Michel Houellebecq und im Wissen eines Protagonisten von Arnold Geiger, dass auch in der Ehe nie ganz ausgelernt wird, wie weit sie gehen und was deshalb ertragen werden kann, weil sie das Beste ist, was ihm je zustieß. So endet das großartige, reiche und kluge Buch von Wolfgang Matz mit einem Plädoyer für die Schwierigkeiten dieser Lebensform. Um sie zu erkennen, bedarf es keiner Romane, um sie zu begreifen, schon. Man legt dieses Buch sehr dankbar aus der Hand.

JÜRGEN KAUBE

Wolfgang Matz: "Die Kunst des Ehebruchs". Emma, Anna, Effi und ihre Männer.

Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 320 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2014

Wetten auf das ganze Glück
Wolfgang Matz bewährt sich als Eheauflösungsexperte. In einer knisternden Causerie
präsentiert er Emma Bovary, Anna Karenina und Effi Briest – ein Gipfeltreffen großer Ehebrecherinnen
VON JOSEPH HANIMANN
Zwischen dem gesellschaftlichen Massenphänomen und dem persönlichen Trauma Ehebruch liegt ein Spielraum, den die Literatur zumal des 19. Jahrhunderts ausgelotet hat. Emma Bovary, Anna Karenina, Effi Briest sind Heldinnen einer Wende, in welcher der Ausstieg aus der Ehe interessanter wurde als der Einstieg. Wolfgang Matz, der brillante komparatistische Querläufer, der vor sieben Jahren schon ausgehend vom Stichjahr 1857 durch die Welten Flauberts, Baudelaires und Stifters zog, nutzt in seinem neuen Buch eine Tagebucheintragung von Tolstoi für einen weiteren Streifzug. Romane hätten die üble Gewohnheit, dort aufzuhören, wo sie eigentlich anfangen müssten, mit der Hochzeit der Liebenden, notierte der Russe, denn in Zerfall und Trennung werde das Eheleben doch erst recht spannend. Ganz richtig, attestiert Matz: Geblieben seien aus der neueren Literatur nicht die Eheanbahnungsromane, sondern die Geschichten um Heirat/Ehebruch/Tod wie eben bei Flaubert, Tolstoi, Fontane. Daraus entfacht der Autor ein wahres Feuerwerk von Vergleichen, Gegenüberstellungen, Kontrasten.
  Das um die ominöse Zahl 3 subtil komponierte Buch – drei Frauentitelromane, drei Paare, jeweils drei Akteure – ist eine Einladung zur Wiederlektüre, eine blitzgescheite Analyse, ein Kaleidoskop philologischer und biografischer Anekdoten, eine knisternde Causerie, ein Fest der Literatur. Der Autor hält von der ersten bis zur letzten Seite seinen lakonischen und zugleich verspielten Ton durch, streut großzügig Mottos über seine Kapitel, hält inne mit pointierten Zwischenbemerkungen.
  Die bürgerlich-gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür, wie die Bauerntochter Emma dem Landarzt Charles Bovary zufliegt und dann gleich zu Höherem strebt, wie Anna um ihre Trennung vom Ministerialrat Alexej Alexandrowitsch Karenin ringt, wie die viel zu junge Effi im Bürgerhaushalt des Landrats Innstetten bange ihrem Seitensprung mit dem Major von Crampas nachsinnt, werden knapp und effizient umrissen , und dann abgelegt. Familie und Ehe sind in der europäischen Kultur männlich bestimmte Ordnungssysteme, die entsprechend der berühmten Formel von Kant den natürlichen gegenseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane in eine gesellschaftliche Form bringen sollen, neuerdings aber auch das völlig unberechenbare Moment „Liebe“ ins Spiel eingeführt haben. Dabei zogen die Ehemänner laut Matz meistens die schlechten Karten, mit ihrer Doppelnatur von biologischem Geschlechtstier und gesellschaftlichem Wesen. So versuchen sie in der Ehe, dieser „Wette, das ganze Glück durch einen Kompromiss zu bekommen“, bis zuletzt den Status quo zu halten – und machen eine oft etwas lächerliche Figur. Die schon anders verliebte Anna Karenina bemerkt an dem auf dem Bahnsteig wartenden Gatten seine abstehenden Ohren. Emma Bovary braucht noch weniger lang, um die provinzielle Verstocktheit ihres Mannes zu erkennen. Und trotz seinem vorteilhaften Aussehen wachsen auch dem Baron Innstetten bald die Hörner.
  In den großen überlieferten Geschichten, konstatiert Matz, sind es fast immer die Frauen, die den Gemeinschaftsvertrag kündigen, obwohl gerade sie dabei alles verlieren: Ansehen, Stellung, soziale Sicherheit, oft das Leben. Blieb das Fremdgehen der Männer in der Ehe als kleine Unschönheit stets tolerierbar, so war der Ehebruch der Frau lange ein Skandal. Dort geht es ums Ganze – und „genau das ist es, was der große europäische Roman braucht“. Wie kommt es aber, fragt der Autor, dass diese Bücher uns immer noch ansprechen, obwohl heute keine Frau mehr Arsen zu schlucken braucht, weil sie einen anderen Mann attraktiver findet? Weil das Leben als Paar trotz allen Veränderungen noch immer der Ort ist, wo Glück und Unglück am heftigsten kollidieren, lautet die Antwort, und weil die Gattentreue zwar keine Norm mehr ist, jedoch ein vielleicht umso stärker herbeigewünschtes Ideal.
  Die Ausleuchtung dieser Antwort beschert uns eine höchst vergnügliche Farandole durch die drei Romane mit stets wechselnden Konstellationen. Zu Unrecht habe man in den drei Frauen einfach Schwestern im Geiste gesehen, gibt Matz sehr überzeugend zu bedenken, denn nie wäre Emma auf die Idee gekommen, sich die Sorgen zu machen, mit denen Anna und Effi mit Skrupeln gegenüber ihren Ehemännern sich quälen: Emmas Ehebruch sei nur der erste Schritt zu einer orgiastischen Totalzerstörung, die nach den enttäuschten Mädchenträumen alles zu Fall bringen soll. Umgekehrt steht aber im tödlichen Ausgang der drei Romane plötzlich Effi allein da. Liegt Emmas und Annas Tod in der Konsequenz ihres Lebens, erkennt Matz im Tod Effis nichts Zwingendes. Was war da eigentlich genau zwischen ihr und Crampas? Über die Frage, ob das alles schlüssig sei, lässt Fontane am Romanende den Hund Rollo vieldeutig den Kopf schütteln. „Eine Antwort bleibt Fontane schuldig“, schließt der strenge Eheauflösungsexperte Wolfgang Matz.
  Sein scharfer Blick springt ins literarische Detail und weitet sich dann wieder zum Gesamtpanorama aus. Er geht der oft vernachlässigten Frage nach, was aus den Liebhabern, diesen Ruhestörern des Ehestandes, letztlich geworden ist. Von den vier Herren in den drei Romanen enden zwei ebenfalls im Tod, Rodolphe und Léon hingegen, die beiden Liebhaber Emmas, leben munter weiter. Flaubert habe aufgeräumt mit dem erhabenen Nimbus Tristans und Don Juans – der Liebhaber sei fortan ein trivialer Bürger wie du und ich, der die Gelegenheit beim Schopf packt und sich dann trollt. Erstaunlich nur, dass Flaubert seinen Roman vor den beiden anderen schrieb und allen kommenden damit eigentlich den Wind des Tragischen aus dem Segel des Treuebruchs nahm. Warum dieses bis hin zu Michel Houellebecq und Arno Geiger sich dennoch weiterhin bläht, deutet das Buch in seinem dritten Teil an, lässt hier nur eine Figur aus: jene, die man zu Flauberts und Tolstois Zeiten noch „Mätresse“ nannte. Den Enkelinnen Nanas und der Kameliendame bleibt der Autor dieses köstlichen Werks zwischen Essay, Textkommentar und literarischer Nacherzählung einen Nachtrag schuldig.
Wolfgang Matz: Die Kunst des Ehebruchs. Emma, Anna, Effi und ihre Männer. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 304 S., 24,90 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Familie und Ehe sind in der
europäischen Kultur männlich
bestimmte Ordnungssysteme
Flaubert hat aufgeräumt
mit dem erhabenen Nimbus
Tristans und Don Juans
Eine Ahnung haben von seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen: Hanna Schygulla als Effi (m. Ulli Lommel), Isabelle Huppert als Emma, Keira Knightley als Anna in Filmen von Fassbinder, Chabrol, Joe Wright.
Fotos: Filmverlag, Concorde, Universal
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Wer meint, über 'Madame Bovary', 'Anna Karenina' und 'Effi Briest' sei längst alles gesagt, sieht sich schnell überrascht.« (Oliver Pfohlmann, Neue Zürcher Zeitung, 10.08.2014) »fabelhaftes Buch«, »schönes Hochzeitsgeschenk für die gebildeten Kreise« (Wolfgang Schneider, Die Literarische Welt, 12.07.2014) »eine knisternde Causerie, ein Fest der Literatur« (Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung, 05.07.2014) »eine ebenso kluge wie unterhaltsame Literaturgeschichte« (Manuela Reichart, Deutschlandradio Kultur, 11.3.2014)