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Wozu Heirat, Kinder, Haus, Hab und Gut? Wozu leben, lieben, arbeiten? Asketen in vielen Kulturen suchten seit alters Antworten auf solche Fragen - und setzten sie radikal um. Ein asketisches Leben bedeutet meist ein Leben in Keuschheit, Armut und Abgeschiedenheit, in einer kargen Gemeinschaft mit Ordensbrüdern und -schwestern, mit Gelübden und Kasteiungen wie Fasten, Schweigen oder lebenslange Pilgerschaft. Axel Michaels stellt die wichtigsten asketischen Praktiken in unterschiedlichen Kulturen - mit dem Schwerpunkt auf Hinduismus und Buddhismus - vor und geht der Frage nach, ob von der…mehr

Produktbeschreibung
Wozu Heirat, Kinder, Haus, Hab und Gut? Wozu leben, lieben, arbeiten? Asketen in vielen Kulturen suchten seit alters Antworten auf solche Fragen - und setzten sie radikal um. Ein asketisches Leben bedeutet meist ein Leben in Keuschheit, Armut und Abgeschiedenheit, in einer kargen Gemeinschaft mit Ordensbrüdern und -schwestern, mit Gelübden und Kasteiungen wie Fasten, Schweigen oder lebenslange Pilgerschaft. Axel Michaels stellt die wichtigsten asketischen Praktiken in unterschiedlichen Kulturen - mit dem Schwerpunkt auf Hinduismus und Buddhismus - vor und geht der Frage nach, ob von der Weltüberwindung der Asketen heute noch zu lernen ist. Er spricht sich in diesem klaren, anschaulichen Buch für eine neue Sorge um sich selbst aus, die alte Praktiken der Asketik zu einer keineswegs nur lebensfeindlichen Lebenskunst werden läßt.
Autorenporträt
Axel Michaels, geboren 1949, ist Religionswissenschaftler und Indologe. Er lehrt als Professor für Klassische Indologie an der Universität Heidelberg. Erschienen sind von ihm bisher "Der Hinduismus" (1998) sowie "Klassiker der Religionswissenschaft"(1997).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2004

Von den Stärken der Askese

Die meisten, die heute herumlaufen und sich asketisch geben, fallen wahrscheinlich unter die Rubrik, die Hans Magnus Enzensberger aufgemacht hat, als er erklärte, daß die Luxusgüter der Zukunft - die, wie wir einwenden möchten, unserer Gegenwart in individuellen Fällen schon erreicht hat - aus dem Verzicht auf den Überfluß kommen und aus Zeit, Aufmerksamkeit, Raum, Ruhe, eine gesunde Umwelt und Sicherheit bestehen werden. Aus dem freundlichen asketischen Blick mitten im Wohlstandsnest spricht eine Bescheidenheit, deren Kern die ausgetüftelte Sorge um sich ist. Axel Michaels, Professor für Klassische Indologie am Südasien-Institut der Universität Heidelberg, findet unter den asketischen Zeitgenossen weder eine Liebe zum Absoluten noch den Drang nach Selbstaufgabe ("Die Kunst des einfachen Lebens". Eine Kulturgeschichte der Askese. C. H. Beck Verlag, München 2004. 200 S., br., 11,90 [Euro]). Dem modernen Asketen, in dessen Ökonomisierung der Lüste noch die Sozialisierung in einem Wirtschaftsmodell durchschimmert, stellt er die Reihe der Asketen voran, die sich vor allem im Hinduismus und Buddhismus herausgebildet hat.

Die Radikalität, mit der in diesen kulturellen Breitengraden mit der Askese Ernst gemacht wird, legt nahe, die gegenwärtigen Asketen der westlichen Nationen mehr als Ästheten zu verstehen, die auf den Expressionismus des dicken Wohlstandslebens mit einem Purismus der ausgefeilten Wohlstandsorgen antworten. Kein Mensch würde sich doch heute auf den Marienplatz in München auf eine Säule stellen und dort jahrelang aushalten, wobei er von seinen Anhängern und Jüngern gefüttert wird, damit er nicht nach wenigen Tagen vorher zusammenklappt. Wenige asketische Zeitgenossen in Berlin würden sich mitten in ein Feuer, das aus Kuhdunghaufen gespeist wird, setzen und sich noch die glühende Sonne auf das glattgeschorene Haupt scheinen lassen.

In der Tendai-Schule des Zen-Buddhismus in Japan wurde im achten Jahrhundert ein Gelübde festgeschrieben. Das Gelübde sieht vor, daß der Berg Hiei in der Shiga-Präfektur sieben Jahre lang umwandert werde, wobei von den Wanderern ständig Sutras und Mantras rezitiert werden müssen. Die Sache ist tödlich ernst gemeint. Denn wer bei der Umrundung des Berges schlappmacht und aus der Veranstaltung aussteigt, der kann sich nicht eine neue Erfahrungsgruppe suchen, sondern hat sein Leben verwirkt. Wer aber durchhält, der hat sich als ein lebender Buddha erwiesen. Seit dem Jahr 1885 haben sechsundvierzig Mönche das Ritual der Bergumwanderung überlebt. Die Strecke, die dabei ein Mönch während der sieben Jahre zurücklegt, entspricht einer Umrundung der Erde. Im Jahre 1996 hat der buddhistische Mönch Genshin Fujinami sich aufgemacht, die Bergumrundung begonnen und tatsächlich im September 2003 erfolgreich beendet. Ein Jahr vor dem Ende mußte er an einhundert aufeinanderfolgenden Tagen sogar jeweils sechzig Kilometer laufen. Der asketische Zeitgenosse fährt an einhundert Tagen mit dem Fahrrad zum Reformhaus und geht am Abend auch mal zu einem Vortrag über die Sonnenernährung.

Die Asketen der Tradition verließen Haus und Hof und Kleiderschrank und lebten von milden Gaben. Bekannt sind Fälle, in denen die Frauen sich aus dem Fenster lehnten, und den Männern, die sich zu einem asketischen Leben entschieden hatten, zornig hinterherriefen, sie sollten gefälligst ihre Mannespflichten im Bett erfüllen - was ein wahrer Asket nicht macht. Asketen, die sich nicht in Versuchung führen möchten, halten im Gedränge den Kopf gesenkt und schauen zuerst auf die Füße, wenn ihnen jemand gegenübertritt, um sogleich zu erkennen, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handle. Steht eine Frau vor ihnen, heben sie einfach ihren Kopf nicht.

Dennoch leidet der Asket nicht unter einem Mangel an Lust. Denn Lust erfährt er in der Überwindung des Körpers, aus dem der Geist sich zu Höherem befreit. Der asketische Zeitgenosse dagegen geht ins Wellness-Center und pflegt seinen Körper bis zur lustvollen Geistlosigkeit. Den Asketen der Tradition treibt ein mystisches Verlangen aus dem Käfig der körperlichen Welt hinaus. Die Entscheidung, ein asketisches Leben zu führen, fällt nicht nebenbei, sondern im Zentrum der Existenz. Deswegen können sich auch Gleichgesinnte zu Gemeinschaften in Klöstern zusammenschließen, denen sie ihr Leben lang treu bleiben. Die asketischen Zeitgenossen teilen die Regel einer Sorge um sich, deren Erfüllung nur daran hängt, individuell den Pflegedienst aufnehmen zu können.

Wir sind existentiell bescheiden geworden, Bewohner eines Puppenheims, in dem die Tradition im Regal steht und der Ernst im Spiegel hängt. Das einfache Leben beginnt mit der Rohkost zum Frühstück und endet beim Urlaub in Nepal. Vor siebzig Jahren hatte der Schriftsteller Ernst Wiechert großen Erfolg mit seinen Erzählungen und Romanen aus den ostpreußischen Wäldern, darunter "Das einfache Leben": leben, arbeiten, sammeln und jagen am See, unter Bäumen, auf Feldern, fern der Städte, und eine Hütte bewohnen in der hellen Luft des hohen Himmels. Das Leben, das war eine tägliche Arbeit in und mit der Natur. Dahin zogen auch die Aussteiger seit den siebziger Jahren, raus ins Wendtland zum Brotbacken und Körbeflechten. Das alte einfache Leben war ein Reflex auf die industrielle Welt, das neue asketische Leben ist ein Gewächs der industriellen Welt. Das eine wie das andere dient dem eigenen Glück. Auch die Asketen mußten sich häufig den Vorwurf aus dem Munde lustvoller Glückssucher gefallen lassen, sie hätten doch auch ihre Lust am glücklichen Leiden. Das wahre einfache Leben ist schwer.

EBERHARD RATHGEB

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