Gibt es einen inneren Zwang zur Literatur? Unterscheiden sich die großen Bücher von allen übrigen dadurch, dass sie geschrieben werden mussten? Austers Essays über Franz Kafka, Samuel Beckett, Paul Celan, Knut Hamsun und andere große Autoren des 20. Jahrhunderts.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2000Die Geschichte vom Bleistift
Paul Auster erklärt die Kunst des Hungers
"Der Mann", schreibt unser Autor, "weiß genau, was er tut. Er sucht nicht den Erfolg. Er sucht das Scheitern." Das könnte über Jim Nashe gesagt sein, den Helden von Paul Austers allegorischem Roman "Die Musik des Zufalls". Oder über den Studenten Marco Stanley Fogg aus Austers "Mond über Manhattan". Oder über die verschiedenen Hauptfiguren, die Schriftsteller und Privatdetektive der "New-York-Trilogie". Und nicht zuletzt über Paul Auster selbst, den Protagonisten weiterer Paul-Auster-Bücher, die in gefälligem Ton um die ewigen Fragen von Identität, Liebe, Geld, Mond, Schicksal und Schreibzwang kreisen.
Aber es wird über Hamsun gesagt. Genauer: über den Helden von Knut Hamsuns Debütroman "Hunger". Es ist das Jahr 1970, und Paul Auster, dreiundzwanzig Jahre alt, schreibt einen Essay: "Der Hunger, der die Leere aufreißt, hat nicht die Kraft, sie zu verschließen. Ein kurzer Augenblick Pascalschen Schreckens ist zu einem dauerhaften Zustand geworden . . . Mit anderen Worten, es geht um eine Kunst des Hungerns: eine Kunst der Not, des Mangels, des Verlangens. Eine solche Kunst beginnt mit dem Wissen, daß es keine richtigen Antworten gibt. Und deshalb kommt man nicht daran vorbei, die richtigen Fragen zu stellen. Man findet sie, indem man sie lebt."
Später, da ist er achtundzwanzig und gerade aus Paris zurück nach New York gezogen, schreibt Auster auch noch über Beckett, über Kafka, über Paul Celan, über Hugo Balls Tagebücher und Walter Raleighs Tod, über Edmond Jabès und Georges Perec. Aber da kennen wir ihn schon. Er ist der junge Dichter, der über andere, ältere Dichter schreibt, um sein Terrain zu markieren. Er wird nie ein Kritiker werden, dazu ist sein Interesse an ästhetischen Urteilen, am Für und Wider des Rezensierens zu gering. Auster liebt, was er bespricht, er verehrt und bewundert ohne Vorbehalt. "Er war nicht imstande, einen schlechten Satz zu schreiben oder sich ungeschickt auszudrücken", erklärt er kategorisch über Kafkas Briefe, und: "Wenn er als Künstler erfolgreich sein wollte, musste er sich als Mensch verzehren." Als dieser Aufsatz entsteht, ist Auster dreißig und noch immer erfolglos, er schreibt Gedichte, lebt kümmerlich vom Übersetzen, und bis zur "Erfindung der Einsamkeit" müssen noch fünf Jahre vergehen.
Sammelbände kranken oft daran, dass sie Unversammelbares zwischen zwei Buchdeckel pressen, Aufsätze, Vorreden, Notate und Fragmente, die einfach nicht zueinander passen, auch wenn sie vom selben Autor stammen. Der vorliegende Band hat dieses Problem nicht. Die Essays und Rezensionen, die den Reigen eröffnen, entstanden zum größten Teil in den siebziger, die dann folgenden Vorworte in den achtziger und die Auster-Interviews im dritten Hauptteil des Buches in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. So markiert die Abfolge der Formen auch eine künstlerische Entwicklung: Auster, der gelegentliche Mitarbeiter der "New York Review of Books", der "Saturday Review" und anderer Zeitschriften, wird zum Entdecker und Herausgeber und schließlich selbst zum Gegenstand der Literaturkritik. Er schreibe jetzt jene Bücher, die er selbst gerne lesen würde, sagt Auster in einem Gespräch mit Joseph Mallia, und der Wechsel vom Gedicht zur Prosa sei nur "der letzte Schritt einer längeren natürlichen Entwicklung" gewesen.
Wenn man die Einakter und kurzen Prosastücke kennt, die in der 1998 erschienenen Sammlung "Von der Hand in den Mund" abgedruckt sind, will einem diese Entwicklung ziemlich ruckhaft und konvulsivisch erscheinen. Vielleicht ist es doch eher das beim Tod des Vaters geerbte Geld, das Auster, wie er in einem späteren Interview andeutet, zum Romancier gemacht hat, indem es ihn von der Mühsal übersetzerischer Brotarbeit befreite.
Paul Auster ist ein erfolgreicher, aber kein ganz großer Schriftsteller geworden. Dafür gibt es Gründe. In diesem Band sind sie nicht zu finden. "Die Kunst des Hungers" bietet ein paar interessante Miszellen zum Werk eines Autors, bei dem der Ausdruck "Werk" vielleicht schon ein wenig zu hoch gegriffen ist. Aber man liest ihn recht gern. Im letzten Stück der Sammlung, einer lockeren Meditation über die Frage "Warum schreiben?", erzählt Auster, wie er als Kind dem Baseballspieler Willie Mays begegnete, den er verehrte. Der kleine Paul bat um ein Autogramm. Doch er hatte nichts zum Schreiben dabei, so dass sein Idol achselzuckend weiterging. "Seit jenem Abend trug ich immer einen Bleistift bei mir." Irgendwann hat er ihn dann benutzt.
ANDREAS KILB
Paul Auster: "Die Kunst des Hungers". Essays und Interviews. Aus dem Englischen übersetzt von Werner Schmitz. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2000. 271 S., br., 22,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paul Auster erklärt die Kunst des Hungers
"Der Mann", schreibt unser Autor, "weiß genau, was er tut. Er sucht nicht den Erfolg. Er sucht das Scheitern." Das könnte über Jim Nashe gesagt sein, den Helden von Paul Austers allegorischem Roman "Die Musik des Zufalls". Oder über den Studenten Marco Stanley Fogg aus Austers "Mond über Manhattan". Oder über die verschiedenen Hauptfiguren, die Schriftsteller und Privatdetektive der "New-York-Trilogie". Und nicht zuletzt über Paul Auster selbst, den Protagonisten weiterer Paul-Auster-Bücher, die in gefälligem Ton um die ewigen Fragen von Identität, Liebe, Geld, Mond, Schicksal und Schreibzwang kreisen.
Aber es wird über Hamsun gesagt. Genauer: über den Helden von Knut Hamsuns Debütroman "Hunger". Es ist das Jahr 1970, und Paul Auster, dreiundzwanzig Jahre alt, schreibt einen Essay: "Der Hunger, der die Leere aufreißt, hat nicht die Kraft, sie zu verschließen. Ein kurzer Augenblick Pascalschen Schreckens ist zu einem dauerhaften Zustand geworden . . . Mit anderen Worten, es geht um eine Kunst des Hungerns: eine Kunst der Not, des Mangels, des Verlangens. Eine solche Kunst beginnt mit dem Wissen, daß es keine richtigen Antworten gibt. Und deshalb kommt man nicht daran vorbei, die richtigen Fragen zu stellen. Man findet sie, indem man sie lebt."
Später, da ist er achtundzwanzig und gerade aus Paris zurück nach New York gezogen, schreibt Auster auch noch über Beckett, über Kafka, über Paul Celan, über Hugo Balls Tagebücher und Walter Raleighs Tod, über Edmond Jabès und Georges Perec. Aber da kennen wir ihn schon. Er ist der junge Dichter, der über andere, ältere Dichter schreibt, um sein Terrain zu markieren. Er wird nie ein Kritiker werden, dazu ist sein Interesse an ästhetischen Urteilen, am Für und Wider des Rezensierens zu gering. Auster liebt, was er bespricht, er verehrt und bewundert ohne Vorbehalt. "Er war nicht imstande, einen schlechten Satz zu schreiben oder sich ungeschickt auszudrücken", erklärt er kategorisch über Kafkas Briefe, und: "Wenn er als Künstler erfolgreich sein wollte, musste er sich als Mensch verzehren." Als dieser Aufsatz entsteht, ist Auster dreißig und noch immer erfolglos, er schreibt Gedichte, lebt kümmerlich vom Übersetzen, und bis zur "Erfindung der Einsamkeit" müssen noch fünf Jahre vergehen.
Sammelbände kranken oft daran, dass sie Unversammelbares zwischen zwei Buchdeckel pressen, Aufsätze, Vorreden, Notate und Fragmente, die einfach nicht zueinander passen, auch wenn sie vom selben Autor stammen. Der vorliegende Band hat dieses Problem nicht. Die Essays und Rezensionen, die den Reigen eröffnen, entstanden zum größten Teil in den siebziger, die dann folgenden Vorworte in den achtziger und die Auster-Interviews im dritten Hauptteil des Buches in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. So markiert die Abfolge der Formen auch eine künstlerische Entwicklung: Auster, der gelegentliche Mitarbeiter der "New York Review of Books", der "Saturday Review" und anderer Zeitschriften, wird zum Entdecker und Herausgeber und schließlich selbst zum Gegenstand der Literaturkritik. Er schreibe jetzt jene Bücher, die er selbst gerne lesen würde, sagt Auster in einem Gespräch mit Joseph Mallia, und der Wechsel vom Gedicht zur Prosa sei nur "der letzte Schritt einer längeren natürlichen Entwicklung" gewesen.
Wenn man die Einakter und kurzen Prosastücke kennt, die in der 1998 erschienenen Sammlung "Von der Hand in den Mund" abgedruckt sind, will einem diese Entwicklung ziemlich ruckhaft und konvulsivisch erscheinen. Vielleicht ist es doch eher das beim Tod des Vaters geerbte Geld, das Auster, wie er in einem späteren Interview andeutet, zum Romancier gemacht hat, indem es ihn von der Mühsal übersetzerischer Brotarbeit befreite.
Paul Auster ist ein erfolgreicher, aber kein ganz großer Schriftsteller geworden. Dafür gibt es Gründe. In diesem Band sind sie nicht zu finden. "Die Kunst des Hungers" bietet ein paar interessante Miszellen zum Werk eines Autors, bei dem der Ausdruck "Werk" vielleicht schon ein wenig zu hoch gegriffen ist. Aber man liest ihn recht gern. Im letzten Stück der Sammlung, einer lockeren Meditation über die Frage "Warum schreiben?", erzählt Auster, wie er als Kind dem Baseballspieler Willie Mays begegnete, den er verehrte. Der kleine Paul bat um ein Autogramm. Doch er hatte nichts zum Schreiben dabei, so dass sein Idol achselzuckend weiterging. "Seit jenem Abend trug ich immer einen Bleistift bei mir." Irgendwann hat er ihn dann benutzt.
ANDREAS KILB
Paul Auster: "Die Kunst des Hungers". Essays und Interviews. Aus dem Englischen übersetzt von Werner Schmitz. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2000. 271 S., br., 22,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einer Doppelbesprechung widmet sich Bruno Steiger zwei jüngst erschienenen Bänden des amerikanischen Erfolgsautors Paul Auster, die er für ein Beispiel gut geplanter Selbstverwertung hält, ohne dass er damit den Wert dieser Bücher schmälern möchte.
1) Paul Auster: "
1) Paul Auster: "