Wir alle warten, immer wieder - an der Grenze, auf dem Amt, im Krankenhaus, in der Leitung, auf Weihnachten, auf den Schlaf, auf das erlösende 1:0. Warten ist Teil unseres Lebens und oft mit Hoffnung verbunden. Dabei wird das Warten nicht selten als leere oder gestohlene Zeit erlebt, als langweilig, ja quälend. An der Dauer und der Art des Wartens lässt sich der Status eines Menschen ablesen: Kürzere Wartezeiten kann man heute häufig mit Geld erkaufen, wohingegen Geflüchtete manchmal jahrelang auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag warten müssen, ohne sie beschleunigen zu können.
Brigitte Kölle und Claudia Peppel erkunden verschiedene Arten des Wartens in den Werken und Positionen vor allem zeitgenössischer Film- und Fotokünstler und verbinden sie mit literarischen oder essayistischen Texten über das Warten. Die Bilder und Texte verdichten sich zu einer verblüffenden Analyse unserer Gegenwart. So wird aus der ungenutzten oder verlorenen Zeit des Wartens eine geschenkte Zeit, die ungeahnte Möglichkeiten eröffnen kann - und einen Freiraum für Reflexion, Kreativität und Entschleunigung.
Mit Werken von David Claerbout, Andrea Diefenbach, Omer Fast, Andreas Gursky, Candida Höfer, Ursula Schulz-Dornburg, Philip Scheffner, Tobias Zielony und vielen anderen.
Brigitte Kölle und Claudia Peppel erkunden verschiedene Arten des Wartens in den Werken und Positionen vor allem zeitgenössischer Film- und Fotokünstler und verbinden sie mit literarischen oder essayistischen Texten über das Warten. Die Bilder und Texte verdichten sich zu einer verblüffenden Analyse unserer Gegenwart. So wird aus der ungenutzten oder verlorenen Zeit des Wartens eine geschenkte Zeit, die ungeahnte Möglichkeiten eröffnen kann - und einen Freiraum für Reflexion, Kreativität und Entschleunigung.
Mit Werken von David Claerbout, Andrea Diefenbach, Omer Fast, Andreas Gursky, Candida Höfer, Ursula Schulz-Dornburg, Philip Scheffner, Tobias Zielony und vielen anderen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2019Wenn die Zeit nicht recht vergehen will
Ein karger Raum. Wände in schmutzigem Grau-Weiß, das Licht der Neonröhren grell, der Boden verschmutzt. Die Menschen in diesem Wartesaal wirken wie erstarrt. Ein Mann sieht in die Ferne, eine Frau schläft, eine stillt ihr Kind, andere lesen. Dieses Foto mit dem Titel "Waiting Room" wurde 1984 - in den Thatcher-Jahren - in einem Londoner Arbeitsamt von dem britischen Fotografen Paul Graham aufgenommen. Zu finden ist es in einem Sammelband, der Bilder und Texte zum Phänomen des Wartens versammelt (Die Kunst des Wartens". Hrsg. von Brigitte Kölle und Claudia Peppel. Wagenbach Verlag, Berlin 2019, 192 S., br., 28,- [Euro]).
Der Vorsatz der beiden Herausgeberinnen ist es, das Warten philosophisch, kulturell und soziologisch zu beleuchten. Dazu werden Bilder und Texte ganz verschiedener Art präsentiert. Das Gedicht "Fünfter Sein" von Ernst Jandl etwa, welches das Warten in einer Schlange persifliert, oder der Aufsatz "Land im Wartestand" von Bernd Lindner über den Leipziger Fotografen Gerhard Gäbler, der das Warten in der DDR als soziale Plastik inszeniert. Daneben stehen Texte von Franz Kafka oder Samuel Beckett und immer wieder zeitgenössische Kunst und Fotografie.
So bildet der algerische Fotograf Fethi Sahraoui das Flüchtlingselend in den Lagern Nordafrikas ab, in denen das Warten auf ein Weiterkommen endlos zu werden droht, während die Düsseldorferin Ursula Schulz- Dornburg das verspielte, aber marode Design armenischer Bushaltestellen den Feiertagskleidern der armen Kaukasusbewohner gegenüberstellt. Dem Warten der Rezeptionisten in den Firmenfoyers der späten Bundesrepublik verleiht Andreas Gursky mit dem Werk "Pförtner" von 1982 Ausdruck, und der Fotograf Tobias Zielony setzt mit den Szenen seiner Serien "Curfew" und "Car Park" der Jugend als Wartestand des Lebens ein fotografisches Denkmal.
Warten sei in einer von Mobilität und Produktivitätsstreben geprägten Welt ein gefährlicher Zustand und gleichzeitig global gelebte Alltags- erfahrung, so formulieren es die Herausgeberinnen in ihrer Einführung zum Bildteil. Während täglich Reisende in den Transiträumen der Moderne, in Flughäfen und Bahnhöfen, auf das Verkehrsmittel in die Ferne oder in die Heimat warten, das Warten auf die Freilassung die wohl einzige Hoffnung von Gefängnisinsassen ist, wurde in der DDR die Warteschlange zum Synonym für Misswirtschaft und die unerfüllten Wohlstandträume einer realsozialistischen Gesellschaft. "Warten ist häufig unbequem", so hält es der britische Sozialwissenschaftler Tom Chatfield fest, "aber es ist eine Kompetenz, das zu akzeptieren, statt diese vermeintliche Störung ständig durch Ersatzhandlungen entstören zu wollen."
Ob beim Arzt, in der Supermarktschlange oder bei Zugverspätungen, das Warten ist tägliche Realität. Der Band beleuchtet die Janusköpfigkeit dieses Phänomens, das auch Chancen bietet. Warten sollte, so schreibt Brigitte Kölle in ihrem Essay, insbesondere als eine Möglichkeit wahrgenommen werden für Entschleunigung und Nachdenken. Und so schließt das Buch mit einem Zitat von Ingeborg Bachmann: "Da ich den Atem anhalte, die Zeit aufhalte und telefoniere und rauche und warte". (keha.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein karger Raum. Wände in schmutzigem Grau-Weiß, das Licht der Neonröhren grell, der Boden verschmutzt. Die Menschen in diesem Wartesaal wirken wie erstarrt. Ein Mann sieht in die Ferne, eine Frau schläft, eine stillt ihr Kind, andere lesen. Dieses Foto mit dem Titel "Waiting Room" wurde 1984 - in den Thatcher-Jahren - in einem Londoner Arbeitsamt von dem britischen Fotografen Paul Graham aufgenommen. Zu finden ist es in einem Sammelband, der Bilder und Texte zum Phänomen des Wartens versammelt (Die Kunst des Wartens". Hrsg. von Brigitte Kölle und Claudia Peppel. Wagenbach Verlag, Berlin 2019, 192 S., br., 28,- [Euro]).
Der Vorsatz der beiden Herausgeberinnen ist es, das Warten philosophisch, kulturell und soziologisch zu beleuchten. Dazu werden Bilder und Texte ganz verschiedener Art präsentiert. Das Gedicht "Fünfter Sein" von Ernst Jandl etwa, welches das Warten in einer Schlange persifliert, oder der Aufsatz "Land im Wartestand" von Bernd Lindner über den Leipziger Fotografen Gerhard Gäbler, der das Warten in der DDR als soziale Plastik inszeniert. Daneben stehen Texte von Franz Kafka oder Samuel Beckett und immer wieder zeitgenössische Kunst und Fotografie.
So bildet der algerische Fotograf Fethi Sahraoui das Flüchtlingselend in den Lagern Nordafrikas ab, in denen das Warten auf ein Weiterkommen endlos zu werden droht, während die Düsseldorferin Ursula Schulz- Dornburg das verspielte, aber marode Design armenischer Bushaltestellen den Feiertagskleidern der armen Kaukasusbewohner gegenüberstellt. Dem Warten der Rezeptionisten in den Firmenfoyers der späten Bundesrepublik verleiht Andreas Gursky mit dem Werk "Pförtner" von 1982 Ausdruck, und der Fotograf Tobias Zielony setzt mit den Szenen seiner Serien "Curfew" und "Car Park" der Jugend als Wartestand des Lebens ein fotografisches Denkmal.
Warten sei in einer von Mobilität und Produktivitätsstreben geprägten Welt ein gefährlicher Zustand und gleichzeitig global gelebte Alltags- erfahrung, so formulieren es die Herausgeberinnen in ihrer Einführung zum Bildteil. Während täglich Reisende in den Transiträumen der Moderne, in Flughäfen und Bahnhöfen, auf das Verkehrsmittel in die Ferne oder in die Heimat warten, das Warten auf die Freilassung die wohl einzige Hoffnung von Gefängnisinsassen ist, wurde in der DDR die Warteschlange zum Synonym für Misswirtschaft und die unerfüllten Wohlstandträume einer realsozialistischen Gesellschaft. "Warten ist häufig unbequem", so hält es der britische Sozialwissenschaftler Tom Chatfield fest, "aber es ist eine Kompetenz, das zu akzeptieren, statt diese vermeintliche Störung ständig durch Ersatzhandlungen entstören zu wollen."
Ob beim Arzt, in der Supermarktschlange oder bei Zugverspätungen, das Warten ist tägliche Realität. Der Band beleuchtet die Janusköpfigkeit dieses Phänomens, das auch Chancen bietet. Warten sollte, so schreibt Brigitte Kölle in ihrem Essay, insbesondere als eine Möglichkeit wahrgenommen werden für Entschleunigung und Nachdenken. Und so schließt das Buch mit einem Zitat von Ingeborg Bachmann: "Da ich den Atem anhalte, die Zeit aufhalte und telefoniere und rauche und warte". (keha.)
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