Die philosophische Skepsis ist eine Form der Lebenskunst, die in unserer auf Gewißheit versessenen Zeit in Vergessenheit geraten ist. Demgegenüber zeigt dieses Buch, daß das skeptische Philosophieren mit seiner Vorliebe für die Vorläufigkeit neue Freiräume des Urteilens und Handelns eröffnet. Der Autor führt in 33 Lektionen zu alltäglichen Themen wie Geld und Reisen, Politik und Religion, Gesundheit und Liebe allgemeinverständlich in die Kunst des Zweifelns ein. Am Ende jeder Lektion wird der Leser eingeladen, in Gedankenexperimenten den Zweifel einzuüben. Ein hochwirksames Gegengift gegen die falschen Sicherheits- und Glücksversprechen, denen wir täglich ausgesetzt sind
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2006Zum Mitspielen
Andreas Urs Sommers Kunst des Zweifelns
Das Zweifeln, möchte man denken, müsste den Menschen etwas Selbstverständliches sein, so voll des Dubiosen ist die Welt. Doch von selbst versteht es sich nicht einmal in der Philosophie, die in der Neuzeit der Theologie den Dienst im Namen des Zweifels kündigte. Ihr Betrieb ist diesem vielmehr gründlich abhold. Kant-Gesellschaft, Hegel-Vereinigung, Heidegger-Gesellschaft: Derlei entsteht nur, besteht nur mit, vorsichtig geschätzt, achtzig Prozent Gläubigen. Sind Zweifelnde geduldet, dürfen sie sich glücklich schätzen.
Vermutlich ist das kein Wunder, eher schon folgerichtig. Denn jener Zweifel, mit dem die Philosophie der Neuzeit antrat, der Cartesische, war ein Mittel zur Produktion von Gewissheiten. Und wie Andreas Urs Sommer in seiner kleinen Schule des Zweifelns plausibel macht, haben diesen Geist, so oder so, selbst die Kritiker des Cartesianismus geerbt.
Sonderangebot in dubioser Welt
Dass Sommer, junger Schweizer Philophiehistoriker, der an der Universität Greifswald lehrt, den Zweifel nicht darauf verpflichten will, uns am Ende das Zweifellose zu bescheren, nimmt sogleich für seine jetzt erschienene „Anleitung zum skeptischen Denken” - so lautet der Untertitel des Büchleins - ein. Das Buch ist angelegt als „Kasuistik”, als Folge von Fallstudien. An 33 Bereichen des Menschenlebens, an Geld und Liebe, Religion und Wissenschaft, Freiheit und Bindung, spielt Sommer durch, was Kunst des Zweifelns bedeuten kann. Und ein Spiel darf dies auch darum heißen, weil der Autor am Ende jeden Abschnitts seine Leser zum Mitspielen einlädt.
Sommer schreibt flott, doch nicht flach. Er macht sein Thema zugänglich, verschweigt jedoch nicht dessen Komplikationen. Ein Skeptiker ist nicht jeder, der einmal irgendwie irgendworan zweifelt, sondern erst, wer den Zweifel zum allgemeinen Prinzip seines Denkens erhebt; doch allgemeine Prinzipien gelten Skeptikern als vorzüglich zweifelhaft: Auf solche Vertracktheiten muss man sich schon einlassen.
Wer zweifelte, es könne eine Kunst des Zweifelns geben, wird durch Andreas Urs Sommers Buch wenigstens über diese Möglichkeit außer Zweifel gesetzt. An allem anderen mag er sodann zweifeln - kunstvoll, also ein Stück weit besser, will sagen: genauer als bisher. Und denen, die zu zweifeln verstehen, mag es leichter fallen - manchmal zumindest, und mehr werden Skeptiker schwerlich erwarten -, an der Welt, der dubiosen, nicht zu verzweifeln. Dafür sind 9,90 Euro durchaus ein Sonderangebot.
ANDREAS DORSCHEL
ANDREAS URS SOMMER: Die Kunst des Zweifelns. Anleitung zum skeptischen Denken. Verlag C. H. Beck, München 2005. 156 Seiten, 9,90 Euro.
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Andreas Urs Sommers Kunst des Zweifelns
Das Zweifeln, möchte man denken, müsste den Menschen etwas Selbstverständliches sein, so voll des Dubiosen ist die Welt. Doch von selbst versteht es sich nicht einmal in der Philosophie, die in der Neuzeit der Theologie den Dienst im Namen des Zweifels kündigte. Ihr Betrieb ist diesem vielmehr gründlich abhold. Kant-Gesellschaft, Hegel-Vereinigung, Heidegger-Gesellschaft: Derlei entsteht nur, besteht nur mit, vorsichtig geschätzt, achtzig Prozent Gläubigen. Sind Zweifelnde geduldet, dürfen sie sich glücklich schätzen.
Vermutlich ist das kein Wunder, eher schon folgerichtig. Denn jener Zweifel, mit dem die Philosophie der Neuzeit antrat, der Cartesische, war ein Mittel zur Produktion von Gewissheiten. Und wie Andreas Urs Sommer in seiner kleinen Schule des Zweifelns plausibel macht, haben diesen Geist, so oder so, selbst die Kritiker des Cartesianismus geerbt.
Sonderangebot in dubioser Welt
Dass Sommer, junger Schweizer Philophiehistoriker, der an der Universität Greifswald lehrt, den Zweifel nicht darauf verpflichten will, uns am Ende das Zweifellose zu bescheren, nimmt sogleich für seine jetzt erschienene „Anleitung zum skeptischen Denken” - so lautet der Untertitel des Büchleins - ein. Das Buch ist angelegt als „Kasuistik”, als Folge von Fallstudien. An 33 Bereichen des Menschenlebens, an Geld und Liebe, Religion und Wissenschaft, Freiheit und Bindung, spielt Sommer durch, was Kunst des Zweifelns bedeuten kann. Und ein Spiel darf dies auch darum heißen, weil der Autor am Ende jeden Abschnitts seine Leser zum Mitspielen einlädt.
Sommer schreibt flott, doch nicht flach. Er macht sein Thema zugänglich, verschweigt jedoch nicht dessen Komplikationen. Ein Skeptiker ist nicht jeder, der einmal irgendwie irgendworan zweifelt, sondern erst, wer den Zweifel zum allgemeinen Prinzip seines Denkens erhebt; doch allgemeine Prinzipien gelten Skeptikern als vorzüglich zweifelhaft: Auf solche Vertracktheiten muss man sich schon einlassen.
Wer zweifelte, es könne eine Kunst des Zweifelns geben, wird durch Andreas Urs Sommers Buch wenigstens über diese Möglichkeit außer Zweifel gesetzt. An allem anderen mag er sodann zweifeln - kunstvoll, also ein Stück weit besser, will sagen: genauer als bisher. Und denen, die zu zweifeln verstehen, mag es leichter fallen - manchmal zumindest, und mehr werden Skeptiker schwerlich erwarten -, an der Welt, der dubiosen, nicht zu verzweifeln. Dafür sind 9,90 Euro durchaus ein Sonderangebot.
ANDREAS DORSCHEL
ANDREAS URS SOMMER: Die Kunst des Zweifelns. Anleitung zum skeptischen Denken. Verlag C. H. Beck, München 2005. 156 Seiten, 9,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Auch wenn er damit gegen cartesianische Gepflogenheiten verstoßen dürfen, hat Andreas Dorschel keinerlei Einwände gegen dieses Buch anzumelden, in dem Andreas Urs Sommer, Schweizer Philosophiehistoriker an der Universität Greifswald, wieder den Zweifel stark machen will. Denn dieser, so Sommers These, ist der Philosophie abhanden gekommen, die sich in Kant-Gesellschaften, Hegel-Vereinigungen und Heidegger-Clubs eher als "Gläubige" denn als Zweifelnde versammele. An 33 Beispielen nun führt Sommer die Kunst des Zweifelns vor, etwa am Geld und an der Liebe, an Religion und Wissenschaft, Freiheit und Bindung, wie Dorschel informiert. Dabei schreibe Sommer immer "flott, doch nie flach", betont der Rezensent, der dieses Buch ohne jede Einschränkung empfehlen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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