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Der gewaltsame Tod eines alten Professors auf der Insel Djerba stört jäh die Idylle einer kleinen internationalen Ferien-Gemeinschaft, denn plötzlich ist jeder verdächtig. Der Roman geht nun dem Schicksal der einzelnen Urlaubsgäste nach, verfolgt die Lebenslinien bis nach Japan, Amerika, Amsterdam oder Griechenland. Am Ende stellt sich heraus, daß jede der Figuren ihr eigenes Geheimnis hat.

Produktbeschreibung
Der gewaltsame Tod eines alten Professors auf der Insel Djerba stört jäh die Idylle einer kleinen internationalen Ferien-Gemeinschaft, denn plötzlich ist jeder verdächtig. Der Roman geht nun dem Schicksal der einzelnen Urlaubsgäste nach, verfolgt die Lebenslinien bis nach Japan, Amerika, Amsterdam oder Griechenland. Am Ende stellt sich heraus, daß jede der Figuren ihr eigenes Geheimnis hat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.1998

Schweige, Körper
Mario Fortunato hätte es gern leichter · Von Winfried Wehle

Was hat der Roman sich nicht alles zugemutet, um im Gewirr der Wirklichkeitsbesprechungen eine eigene Stimme zu erheben! Alles hat er auf seine Weise zu Sprache gemacht, vor allem auch sich selbst. Nichts, was er nicht durch die Mühlen seiner Reflexion hätte gehen lassen. Inzwischen ist es schwer für ihn geworden, neu und anders zu sein. Ist er am Ende seiner Kunstepoche angekommen?

Ein Fall aus Italien könnte dafür ein Prüfstück sein: Mario Fortunatos Roman "Die Kunst, leichter zu werden" ist dort auf viel Interesse und wenig Kritik gestoßen. Was macht ihn so ansprechend? Zunächst: Er hat alles, was ein Roman braucht. Zufällig, aber schicksalhaft werden die Gäste eines Inselhotels in einem tödlichen Konflikt zusammengeführt. Der Mord, durch den er ausgelöst wird, setzt Fragen nach der Schuld in Gang, bis am Ende der Fall aufgeklärt ist und alle, die mit ihm zu tun hatten, umgekommen sind. Nur daß sie nicht am Opfer, sondern an sich selbst schuldig geworden sind.

Die Figuren im Vordergrund leiden, jede auf ihre Weise, an einer unbereinigten Biographie. Benedetto Blasi, italienischer Laborarzt, hat, als Deserteur des AfrikaFeldzuges, einen anderen an der Ruhr umkommen lassen. Seither sucht ihn eine "Metaphysik der Kacke" heim. Er trifft auf Myriam Levi, Assistentin des Modefotografen David Pradine. Sie ist beruflich auf die schönen Körper der Models fixiert, leidet entsprechend an der Üppigkeit des ihren und verfällt darüber einer vagabundierenden Sinnlichkeit. Der New Yorker Fotokünstler selbst, nicht an Frauen interessiert, verzehrt sich im Zweifel an seiner Kunst zwischen Kommerz und Bildlosigkeit. Den ermordeten Julien Fabre, Professor aus Paris, hat seine Homosexualität gemeinschaftsunfähig gemacht. Andere Lebensläufe, mehr am Rande, weisen vergleichbare Verwerfungen auf.

Am Ende sind sie alle ans Licht gebracht. Sie breiten eine Menge an inneren und äußeren Alltagsbeständen aus. Doch mit bemerkenswerter Fähigkeit zur Einfühlung bringt Fortunato durch das Gewirr des Trivialen hindurch biographische Verhärtungen zum Sprechen. In den Emotionen der Figuren kreist er den tieferen Grund aller Anfechtung ein: Jeder steht auf besondere Weise im Banne seiner Körperlichkeit. Der menschliche Körper ist der wahre Agent dieser Welt. Er ist voller Begehren; er will stets etwas; in aller Regel einen anderen Körper. Doch wer hier auf seine Stimme hört, kommt ins unreine mit sich. Er macht ihn unfrei, erzwingt ein Bewußtsein der Andersartigkeit: wegen Homosexualität bei den meisten, inzestuöser Verstrickung bei den Zwillingen Sabine und Philippe, Bulimie bei Myriam, fäkalisch bei Blasi und anderem mehr. Alle versuchen ihre Schwachheit zu verdrängen; doch wird sie dadurch nur größer.

Hierin hat der Roman sein Thema. Jeder will etwas verbergen, vor sich selbst, vor den anderen. Ihre "Scham", ein Schlüsselwort, macht alle Figuren nach und nach körperlich krank. Zuletzt ist die wahre Gemeinsamkeit ihrer Körper, der Tod, ausgearbeitet. Die Darstellung dieser unaufhaltsamen Erosion ist Fortunatos Stärke. Alles nimmt spürbar ab; nichts im Leben hält stand. Die Personen kommen nur zusammen, um sich die Erfahrung der Trennung und der Vereinzelung beizubringen. Zugehörigkeiten verlieren, Körper entleeren sich. Die Sprache des Erzählers trägt der allgemeinen Auflösung Rechnung.

Am Ende ist der Schauplatz leer. Jeder, der eine Rolle gespielt hat, hat ihn durch den Ausgang des Todes verlassen. Was bleibt? Der Titel. Er meint im wörtlichen Sinne die Kunst Myriams, Gewicht zu verlieren. Hinzuzufügen wäre: auch ihr Leben. Denn darum geht es Fortunato in übertragener Hinsicht: dem Wenigerwerden des Lebens und dem Tod die Dramatik und den Schrecken zu nehmen und ihn "in leichter Weise", gleichsam unbeschwert erscheinen zu lassen. Doch hier verlieren sich die Geschichte und die Absicht des Autors aus den Augen. Jeder endet elend, gequält, fatal. Und nur weil ihr Leben kein Fatum mehr kennt, soll daraus, zumindest für den Leser, "Erleichterung" sprechen? Nein, diese "Leichtigkeit des Seins" ist nicht die Frucht des Erzählens, sondern seine Voraussetzung. Sie ist eine These und findet ihren tieferen Grund bei Kundera, in Italo Calvinos "Amerikanischen Lektionen", in Roland Barthes' "Die Lust am Text". Der Autor zitiert die postmoderne Auffassung, daß alles, was im Leben "Gewicht" hat, vor allem eine Folge seiner belastenden Besprechung ist. Sein Roman will, wie das Diätbuch Myriams, eine Erleichterung von diesen belastenden Verkörperungen sein.

Doch setzt dieser Roman, sosehr er dem unbeschwerten Lesehunger entgegenkommt, eine erschwerte Lektüre voraus. Es gibt keine Chronologie. Die Szenen sind geschnitten wie im Film; ein sorgfältiger Unzusammenhang herrscht unter ihnen. Der Leser hat zu tun, um Ordnung zu schaffen. Briefe, Aufzeichnungen, Tagebuchblätter, Monologe, unidentifizierte Passagen folgen aufeinander ohne Regel, aber doch so, daß die Bruchstücke nach und nach kumulieren, Lebensläufe sich abzeichnen und vor allem zuletzt jedes Schicksal ordnungsgemäß aufgeräumt ist. Der Autor versteht seine Kunst.

Doch tritt beim virtuosen Spiel mit dem Repertoire des modernen Erzählens unversehens der allwissende Erzähler wieder auf den Plan. Während die Figuren (und die Leser) nach Spuren suchen, ist er an allen Orten, weltweit, und in allen Köpfen; er verfügt, man weiß nicht wie, als einziger und von Anfang an über alle Informationen. Am Ende des Romans deutet sich sogar an, daß die Figuren nicht zufällig, sondern schon seit langem, aber unwissentlich aufeinander bezogen waren.

Fortunato macht strenggenommen nichts Neues. Interessant ist sein Roman, weil er frei, ja geradezu verschwenderisch über die Errungenschaften der Moderne verfügt. Die Kunstfertigkeit der Anwendung scheint an die Stelle der Erfindung getreten. Dann aber träte Postmodernes nicht als das in Erscheinung, was nach der Moderne kommt, sondern als deren letzte Spielart: Sie spielt mit dem, was ihr bisher ernst war. Wenn dies früher vorkam, wurde es für Manierismus gehalten oder galt als barock. Das aktuelle Fin de siècle weiß von keiner Endzeitvision mehr. Blasi jedenfalls sieht im Tod kein Ende, sondern nur eine Krankheit, die die Medizin noch nicht "in den Griff bekommen" hat.

Mario Fortunato: "Die Kunst, leichter zu werden". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Moshe Kahn. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1997. 237 Seiten, geb., 38,- DM.

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