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"Als die Schulmedizin und ich uns schon gegenseitig aufgegeben hatten und ich mich zu lebenslangen chronischen Schmerzen verurteilt sah, wurde mir ein wundersamer Ausweg gezeigt: Stillsitzen lautete die Empfehlung, und atmen. Ich saß still. Ich atmete. Am Anfang war das ermüdend, ziemlich schmerzhaft und ohne unmittelbare Wirkung. Aber mit der Zeit wurde es so aufregend und bescherte mir so enorme körperliche und geistige Veränderungen, dass ich anfing, meine Krankheit als Glücksfall zu betrachten." "Die Kunst stillzusitzen" ist Tim Parks persönlichstes Buch: eine Krankheitsgeschichte mit…mehr

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Produktbeschreibung
"Als die Schulmedizin und ich uns schon gegenseitig aufgegeben hatten und ich mich zu lebenslangen chronischen Schmerzen verurteilt sah, wurde mir ein wundersamer Ausweg gezeigt: Stillsitzen lautete die Empfehlung, und atmen. Ich saß still. Ich atmete. Am Anfang war das ermüdend, ziemlich schmerzhaft und ohne unmittelbare Wirkung. Aber mit der Zeit wurde es so aufregend und bescherte mir so enorme körperliche und geistige Veränderungen, dass ich anfing, meine Krankheit als Glücksfall zu betrachten." "Die Kunst stillzusitzen" ist Tim Parks persönlichstes Buch: eine Krankheitsgeschichte mit "happy end", klug und unglaublich unterhaltsam. Geplagt von undefinierbaren chronischen Schmerzen, konfrontiert er die Leser mit der buch stäblich nackten Wahrheit über das Ver hältnis von Geist und Körper. Nach einer langen und letztlich fruchtlosen Kon sul ta tion von Schulmedizinern findet er die Lösung für seine Schmerzen in einem Schweige-Retreat, in einer Atemtechnik, der Vorbereitung zur Meditation. Davon hatte Tim Parks am allerwenigsten eine Lösung seiner gesundheitlichen Probleme erwartet; als Skeptiker waren ihm die ganzen alternativen Heilmethoden und New-Age-Versprechen reichlich suspekt. Die meisten von uns werden irgendwann krank; aber nur wenige können darüber mit soviel Schwung, mit solch einer brillanten Intelligenz erzählen wie Tim Parks.
Autorenporträt
Tim Parks wurde 1954 in Manchester geboren, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Somerset-Maugham-Award. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist er als Übersetzer (u. a. von Italo Calvino und Alberto Moravia) tätig und unterrichtet Literarisches Übersetzen an der Universität von Mailand. Tim Parks lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Verona.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010

Kollaps der Psyche
Warum uns das gute Leben als Lesestoff erfreut

Es fällt auf, wie viele markante Sachbücher diesmal ihren Stoff persönlich nehmen. Fragen der persönlichen Lebensführung haben aus der Ratgeberecke herausgefunden und sind im Premiumsegment des Buchhandels gelandet. Hier ist man erkennbar bemüht, sich von der Scharlatanerie der Psychotips abzugrenzen. Philosophen, Kliniker und seriöse Journalisten nehmen sich der Materie an. Das erzählerische, wissenschaftlich informierte Genre überwiegt. Was ein gutes Leben ausmachen könnte, erfährt man am direktesten in den Büchern, die erzählen, was dem guten Leben entgegensteht. Erstaunlich viele von diesen Büchern widmen sich dem Kollaps der Psyche, wie er sich in der Depression ausdrückt.

Die Depression ist in doppelter Hinsicht eine Zeitkrankheit: als Pest unserer Tage gehört sie zu den häufigsten Leiden; zugleich ist sie eine verzerrte Zeitwahrnehmung: Der depressive Mensch sucht vergeblich, seine Vergangenheit zu erledigen, ohne dass es ihm gelänge, für die Zukunft einen Horizont zu spannen. Eine Art "Werdenshemmung" (Victor Emil Gebsattel) lässt die Biographie auf der Stelle treten, auf unerträgliche Art präsentisch sein. Etwas stimmt nicht mit der Zeitgenossenschaft, wenn sie sich in Gleichzeitigkeit erschöpft. Darauf macht der Philosoph Giorgio Agamben in seinem höchst disparaten Buch "Nacktheiten" (S. Fischer Verlag) aufmerksam: "Der Gegenwart zeitgenössisch, ihr wahrhaft zugehörig ist derjenige, der weder vollkommen in ihr aufgeht noch sich ihren Erfordernissen anzupassen versucht. Insofern ist er unzeitgemäß; aber ebendiese Abweichung, dieser Anachronismus erlauben es ihm, seine Zeit wahrzunehmen und zu erfassen."

Der Auftrieb einer passionierten Seelenliteratur ist offenkundig mehr als das saisonale Echo des vor einem Jahr verstorbenen, schwer depressiven Torwarts Robert Enke. Die eindringlichste biographische Skizze Enkes legt die frühere DDR-Leistungssportlerin und Schriftstellerin Ines Geipel in ihrem Buch "Seelenriss. Depression und Leistungsdruck" vor (Klett-Cotta). Sie entziffert in diesem vielschichtigen Depressionsreport das Muster einer vollständigen Selbstregulierung, während der sich der um Haltung bemühte Mensch auf unheimliche Weise abhandenkommt.

Mit dem nach zwanzig Jahren jetzt wieder aufgelegten Bericht "Sturz in die Nacht. Geschichte einer Depression" (Ullstein) hat der Schriftsteller William Styron dem Grauen dieser Krankheit ein Denkmal gesetzt und seine persönlichen Abwehrstrategien vorgestellt. Jenseits der klinischen Routine, mit der man von der Depression als einer chemischen Funktionsstörung spricht, hält Styron am Unfassbaren, am metaphysischen Aufruhr dieser Geisteskrankheit fest, die sich hinter einem Begriffsschwindel versteckt: "Melancholie wäre noch immer das bei weitem passendere und bezeichnendere Wort für die besonders schwarzen Spielarten der Störung, doch wurde es von einem Substantiv entthront, das sich viel nüchterner anhört und dem jeglicher gelehrte Anklang abgeht, ein Wort, das gleichermaßen die Bezeichnung für wirtschaftlichen Niedergang wie für eine Bodensenke ist, kurz: eine recht billige Worthülse für eine so schlimme Krankheit."

Wird hier das Unvermögen, ein gutes Leben zu führen, als individuelles Schicksal ausgelotet, nehmen die Journalisten Giovanni di Lorenzo und Axel Hacke die Gesellschaft als soziale Überdruckkammer in den Blick, in der die Menschen Angst haben, ihren Aufgaben nicht gewachsen zu sein: "Wenn es wahr ist, dass in Deutschland vier Millionen Menschen an Depressionen leiden, wenn es (bei hoher Dunkelziffer) zehntausend Suizide pro Jahr gibt, die zum größten Teil auf Depressionen zurückgehen, und wenn ich allein in meinem Bekannten- und Freundeskreis etliche Fälle von Menschen kenne, die teils offen von ihrer Erkrankung reden, teils versteckt hinter den Mauern anderer, physischer Erkrankungen mit ihren Depressionen kämpfen, dann muss in unserer Gesellschaft ein schwarzer Vulkan brodeln, ein träges, zähes Magma der Verzweiflung", schreibt di Lorenzo unter dem Titel "Wofür stehst Du? Was in unserem Leben wichtig ist - eine Suche" (Kiepenheuer & Witsch). Nicht vorschreibend, sondern suchend entwickeln die Autoren anhand ihrer eigenen biographischen Erfahrungen Kriterien guten Lebens.

Hilft positives Denken weiter? Die Publizistin Barbara Ehrenreich vermutet im Gegenteil, dass die Rezepte der Selbsttäuschung - Autosuggestion, Bewusstseinskontrolle, Gedankensteuerung - einer ganzen Generation das Denken ausgetrieben haben. In ihrem Buch "Smile or die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt" (Kunstmann) lässt sie an den kommerziellen Gesundbetern kein gutes Haar. In dieselbe Kerbe haut auch die Psychologin Ursula Nuber. "Die Annahme, dass ein gutes Leben nur dann möglich ist, wenn wir nur wenige negative Gedanken hegen, ist nicht haltbar", schreibt sie unter dem Titel "Das 11. Gebot" (Knaur) und mahnt, im Gegenteil das "katastrophische Gehirn" zu trainieren. Bei Überforderung ist nicht positives Denken, sondern Zaudern das Mittel der Wahl, erklärt der Philosoph Joseph Vogl in dem Band "Ökonomien der Zurückhaltung. Kulturelles Handeln zwischen Askese und Restriktion" (transcript). Das Zaudern ist gleichsam die produktive Seite der Desorientiertheit. Im Zaudernden, so Vogl, "taucht ein elementares ethisches Moment auf, das darin besteht, die Welt nicht von der Seite ihrer Lösungen, sondern von der Seite ihrer Probleme zu begreifen und dabei zu unterstellen, dass das, was vorliegt, Antworten sind auf Fragen, die noch gar nicht gestellt wurden. Das Zaudern ist ein Suchlauf für das, was an Welt antwortförmig - aber noch ohne Frage - vorliegt."

Als eine sentenzenhafte Anleitung zum Zaudern lassen sich auch die "Notizhefte" lesen, die Henning Ritter, langjähriger Leiter des Ressorts "Geisteswissenschaften" dieser Zeitung, auf den Spuren der französischen Moralistik veröffentlicht (Berlin Verlag). Er sucht und findet das Neue da, wo es sich nicht als solches ausgibt, und weiß sich damit in Einklang mit Agambens Konzept der Zeitgenossenschaft. Das Neue, so Ritter, "ist längst nicht mehr, was es zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war - ein Schock, der ein Zuwachs an Erkenntnis versprach. Der Gedanke, dass das Neue per se authentisch sei, hat an Glanz verloren. Die einstmals produktive Provokation der Sehgewohnheiten hat das Wegsehen zur Gewohnheit werden lassen, wo immer Neues verheißen wird." Wer seine Zeit wahrnehmen will, muss solches Wegsehen lernen.

Man könnte auch sagen: Er muss "Die Kunst stillzusitzen" (Kunstmann) erlernen. Das kommt als Psychohygiene in reizüberfluteter Zeit auf dasselbe hinaus. Meint jedenfalls der Schriftsteller Tim Parks, der mit diesem Buch seine persönliche Leidens- und Heilungsgeschichte erzählt. Es ist eine spezielle Atemtechnik, die ihn aus dem burn out, dem depressiven Erschöpfungszustand, herausreißt, in welchen ihn die Strapaze des permanenten Produktionsdrucks geführt hatte. Es war, wie Parks nach seiner Heilung erkannte, die Struktur der geistigen Tätigkeit selbst, die ihn in ein Weltverhältnis des Immer-so-Weiter getrieben hatte. Mit anderen Worten: Er war auf hochreflexivem Niveau eingerostet, weil er seine Art der Welterschließung für die einzig mögliche hielt. Parks verkörperte gleichsam die Kehrseite des heilsamen Wegsehens: Er konnte, da er allen Dingen ihre Herkunft ansah, überhaupt nichts Neues mehr entdecken und hatte sich darob in stiller Verzweiflung eingerichtet. Bis sein Leben wieder in Fluss geriet. Statt einer neuen Atemtechnik hätte er zu therapeutischen Zwecken vielleicht auch eine neue Sprache lernen können. In seinem Buch "Im Spiegel der Sprache" (C.H. Beck) führt der Linguist Guy Deutscher vor, warum die vertraute Welt in einer fremden Sprache etwas anders aussieht. Da könnte man meinen: Ein Mensch, der auf andere Gedanken kommen will, sollte es mal mit einer anderen Sprache versuchen.

Geschichten von Glück im Unglück erzählt auch die Publizistin Ursula von Arx in ihrem von einer persönlichen Erschütterung angeleiteten Buch "Ein gutes Leben" (Kein & Aber). Darin lässt sie zwanzig Menschen berichten, wie sie Unglück ausgehalten oder daraus herausgefunden haben. Das Buch ist ein Glücksfall der narrativen Glücksforschung, ein hochwirksames, nicht apothekenpflichtiges Antidepressivum. Es ist nicht die schlechteste Sachbuch-Saison, die das gute Leben so voller Demut auf ihre Druckfahnen schreibt.

CHRISTIAN GEYER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ausgesprochen fasziniert ist Mathias Greffrath Tim Parks auf dieser medizinischen Odyssee gefolgt, die ihn zu den Ursprüngen der Park'schen Pinkelprobleme führen sollte. Die konventionelle Medizin suchte die Ursachen hierfür im Penis, mittels "Zystokopie, Urogramm und transurethraler Resektion", aber weil dies natürlich viel zu kurzsichtig gedacht war, ohne Erfolg. Ein Ayurveda-Arzt Parks riet Parks, sich um das "Gerangel in seinem Kopf" zu kümmern, und dieser begann, mithilfe traditioneller Medizin, Yoga, Shiatsu und Vipassanta-Meditation, den "Kopfschmerz im Becken" zu behandeln. Solche Wege der Heilung wurden schon öfter beschrieben, räumt Greffrath ein, aber selten so selbstironisch und klug, versichert der Rezensent,  so dass er aus diesem Buch auch die Erkenntnis mitnimmt, dass es außer Beckenverspannungen nichts bringt, sich den Hintern aufzureißen.

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