Die Autoren schildern umfassend und allgemein verständlich die Geschichte dieses iranischsprachigen Volkes, das heute hauptsächlich in einem großen Gebiet, das zu den Staaten Türkei, Iran und Irak gehört, lebt. Dabei wird der jüngsten Geschichte der Kurden in diesen Staaten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der letzte Teil beschäftigt sich eingehend mit Familien- und Stammesstrukturen, Kultur und Politik der Kurden in der Türkei. Ein unentbehrliches Hilfsmittel für alle, die sich präzise und zuverlässig über die vielschichtigen Hintergründe der aktuellen Kurdenfrage informieren wollen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2000Prekäre Identität
KURDEN. Öcalans Odyssee durch Europa im Frühjahr 1999 und seine anschließende Festnahme unter mysteriösen Umständen in Kenia verlief für die beteiligten Staaten - außer der Türkei - wenig ruhmreich. Nicht minder fragwürdig ist Öcalans anschließende Bekehrung zum friedliebenden Demokraten. Und dennoch: Seit die PKK ihren Kopf verloren hat, ist Bewegung in die Kurdenfrage geraten, mögliche Lösungen scheinen auf. Martin Strohmeiers und Lale Yalçin-Heckmanns Monographie zum Thema erscheint zur rechten Zeit. Der größere Teil des Buches behandelt die Geschichte der Kurden und ihre überall problematische Einbettung in das nahöstliche Staatengefüge zwischen der Türkei, Syrien, Iran und Irak. Der kurdische Nationalismus ist, wie die nationalistischen Strömungen im gesamten Nahen Osten, ein spätes Phänomen und bildete sich als Reaktion auf den Zerfall des Osmanischen Reiches. Historische Spuren der Kurden und einzelne kurdische Fürstentümer lassen sich allerdings viele Jahrhunderte zurückverfolgen; tatsächliche Ansätze zu einem Staat namens Kurdistan finden sich nicht. Kurdische Identität ist daher prekär und kaum genau zu definieren, nicht einmal über Sprachzugehörigkeit. So beherrscht zum Beispiel selbst Öcalan das Kurdische, das in mehrere, stark differierende Untergruppen zerfällt, kaum. Angesichts der Fülle von Fakten, mit denen diese 250 Seiten aufwarten, besticht im zweiten "Wirtschaft und Gesellschaft" gewidmeten Teil eine große Zahl von Fallbeispielen, die von der eingehenden Darstellung der Zermürbung eines kurdischen Bergdorfes in der Auseinandersetzung von türkischem Militär und PKK, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen, abgerundet wird. Eine Zeittafel schließt das Werk ab. Man vermisst jedoch ein Kapitel über die Kurden in Deutschland und ihre Stellung unter den türkischen Emigranten. "Kurdenproblem" und erst recht "Kurdenfrage" sind unschöne Wörter. Man sollte sie meiden. Die Konflikte jedoch, die sich dahinter verbergen, strahlen auch auf Westeuropa aus und hätten daher eine eigene Behandlung verdient. Diese ausgewogene Darstellung, frei von Polemik, Parteinahme und Eiferei empfiehlt sich trotz dieser Lücke ohne Vorbehalte. (Martin Strohmeier, Lale Yalçin-Heckmann: Die Kurden. Geschichte, Politik, Kultur. beck'sche reihe 1329. Verlag C. H. Beck, München 2000. 261 Seiten, 24,- Mark.)
STEFAN WEIDNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
KURDEN. Öcalans Odyssee durch Europa im Frühjahr 1999 und seine anschließende Festnahme unter mysteriösen Umständen in Kenia verlief für die beteiligten Staaten - außer der Türkei - wenig ruhmreich. Nicht minder fragwürdig ist Öcalans anschließende Bekehrung zum friedliebenden Demokraten. Und dennoch: Seit die PKK ihren Kopf verloren hat, ist Bewegung in die Kurdenfrage geraten, mögliche Lösungen scheinen auf. Martin Strohmeiers und Lale Yalçin-Heckmanns Monographie zum Thema erscheint zur rechten Zeit. Der größere Teil des Buches behandelt die Geschichte der Kurden und ihre überall problematische Einbettung in das nahöstliche Staatengefüge zwischen der Türkei, Syrien, Iran und Irak. Der kurdische Nationalismus ist, wie die nationalistischen Strömungen im gesamten Nahen Osten, ein spätes Phänomen und bildete sich als Reaktion auf den Zerfall des Osmanischen Reiches. Historische Spuren der Kurden und einzelne kurdische Fürstentümer lassen sich allerdings viele Jahrhunderte zurückverfolgen; tatsächliche Ansätze zu einem Staat namens Kurdistan finden sich nicht. Kurdische Identität ist daher prekär und kaum genau zu definieren, nicht einmal über Sprachzugehörigkeit. So beherrscht zum Beispiel selbst Öcalan das Kurdische, das in mehrere, stark differierende Untergruppen zerfällt, kaum. Angesichts der Fülle von Fakten, mit denen diese 250 Seiten aufwarten, besticht im zweiten "Wirtschaft und Gesellschaft" gewidmeten Teil eine große Zahl von Fallbeispielen, die von der eingehenden Darstellung der Zermürbung eines kurdischen Bergdorfes in der Auseinandersetzung von türkischem Militär und PKK, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen, abgerundet wird. Eine Zeittafel schließt das Werk ab. Man vermisst jedoch ein Kapitel über die Kurden in Deutschland und ihre Stellung unter den türkischen Emigranten. "Kurdenproblem" und erst recht "Kurdenfrage" sind unschöne Wörter. Man sollte sie meiden. Die Konflikte jedoch, die sich dahinter verbergen, strahlen auch auf Westeuropa aus und hätten daher eine eigene Behandlung verdient. Diese ausgewogene Darstellung, frei von Polemik, Parteinahme und Eiferei empfiehlt sich trotz dieser Lücke ohne Vorbehalte. (Martin Strohmeier, Lale Yalçin-Heckmann: Die Kurden. Geschichte, Politik, Kultur. beck'sche reihe 1329. Verlag C. H. Beck, München 2000. 261 Seiten, 24,- Mark.)
STEFAN WEIDNER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Stefan Weidner empfiehlt dieses Buch "ohne Vorbehalte". Er meint auch, dass es genau zum richtigen Zeitpunkt erscheine, denn mit der Festnahme des PKK-Führers Öcalan sei die "Kurdenfrage" - ein Wort, das er übrigens bei den Autoren als "unschön" kritisiert - einer Lösung näher gerückt. Weidner lobt besonders die "ausgewogene Darstellung", die ohne jede Eiferei auskomme und die zahlreichen Informationen, die in dem Buch enthalten sind. Auch eine Zeittafel gehört dazu. Als kleine Lücke macht er nur die fehlende Darstellung der Kurden in Deutschland aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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