Thommie Bayer schafft es immer wieder, mich mit seinen Büchern in den Bann zu ziehen – diesmal ist es eine Geschichte zweier Menschen, deren gegenseitige Liebe unerfüllt bleibt, die sich jedoch näher stehen als manches Paar das von sich behaupten kann.
Schon die Umstände, unter denen sich Sylvie
und Simon kennenlernen, sind ungewöhnlich. Sylvie verliert ihren Mann, Simon seinen Vater – ein…mehrThommie Bayer schafft es immer wieder, mich mit seinen Büchern in den Bann zu ziehen – diesmal ist es eine Geschichte zweier Menschen, deren gegenseitige Liebe unerfüllt bleibt, die sich jedoch näher stehen als manches Paar das von sich behaupten kann.
Schon die Umstände, unter denen sich Sylvie und Simon kennenlernen, sind ungewöhnlich. Sylvie verliert ihren Mann, Simon seinen Vater – ein Doppelmord und keiner wusste um die Homosexualität der beiden Männer. Doch ist das Buch kein Krimi, in dem es einen Mörder zu finden gibt, und auch keine schnulzige Liebesgeschichte, sondern eine gefühlvolle Darstellung der Beziehung zwischen Simon und Sylvie über einen Zeitraum von 50 Jahren. Die beiden lernen sich kennen im Jahre 1964, als Telefone noch Wählscheiben hatten und Briefeschreiben nichts Ungewöhnliches war. Ich möchte diese Reise in die Vergangenheit, da sie bei mir nostalgische Gefühle geweckt hat und ich bei der einen oder anderen Beschreibung von Alltäglichkeiten schmunzeln musste. Für Simon ist es Liebe, was ihn mit Sylvie verbindet, für Sylvie eine Seelenverwandtschaft, die vor allem in ihren emotionalen und sehr offenen Briefen zum Ausdruck kommt. Doch die Liebe bleibt sexuell unerfüllt, die Seelenverwandtschaft ist dafür umso tiefer. Und auch der eine oder andere Schicksalsschlag, an dem die Beziehung zu scheitern droht, kann das Band nicht zerstören - und das über 50 Jahre hinweg bis ins Jahr 2014.
Die Wege der beiden laufen mal parallel, mal kreuzen sie sich, sie gehen mal auseinander und finden wieder zusammen. Nicht immer ist der Kontakt sehr eng, doch wenn sie sich sehen oder schreiben, ist die altbekannte Verbundenheit sofort wieder da.
Die beiden sind wirklich sehr gut ausgearbeitete Charaktere, auch wenn ich ihr Handeln und Tun oft nicht verstehen oder nachvollziehen konnte. Aber sie sind in sich schlüssig und authentisch, Menschen, die ich mir so wirklich auch vorstellen kann – mit Stärken und Schwächen, mit Höhen und Tiefen. Ihre Beziehung zueinander finde ich sehr tragisch, und ich habe mit den beiden gelitten. Nicht nur, dass sie nicht zueinander finden können und der Kontakt im Laufe der Jahre abzubrechen droht, flüchtet sich zwar jeder in andere Beziehungen, doch die glücklichen Jahre sind nur kurz und das Schicksal meint es nicht gut. Das Ende hat mich überrascht, damit hatte ich nicht gerechnet und lässt mich auf der einen Seite hoffnungsvoll, gleichzeitig aber auch deprimiert zurück.
Das Buch lässt sich sehr angenehm und flüssig lesen, die Sprache ist zwar einfach, dennoch sind die Sätze oft wie gemalt und für mein Empfinden poetisch. Immer wieder musste ich innehalten, weil Gedanken so treffend auf den Punkt gebracht sind, dabei mit einfachen Worten so viel Wahres gesagt wird. Ich mag den Schreibstil von Thommie Bayer, in dem ich mich wohl fühle und in den ich so richtig reinfallen kann.
Zwar ist „Die kurzen und die langen Jahre“ nur ein kurzes Buch, dennoch eines, das fesselt und das ich nicht beiseitelegen konnte. Gerade die zweite Hälfte war spannend und auch überraschend, bietet Wendungen, mit denen ich nicht gerechnet habe. Es ist ein Buch, dass sich zwar schnell lesen lässt, doch auch eines, das bei mir noch lange nachhallt und über das ich immer noch nachdenke.
Mein Fazit
Ein gefühlvoller Roman über zwei Menschen, deren körperliche Liebe zwar unerfüllt bleibt, deren Seelenverwandtschaft jedoch alle Schicksalsschläge übersteht – und das über einen Zeitraum von 50 Jahren. Eine ungewöhnliche Geschichte, in die ich mich aber wunderbar habe reinfallen lassen können, mit authentischen Charakteren und einem wiedermal angenehmen und sehr treffendem Schreibstil.