Die literarische Sensation aus Japan: Eine Außenseiterin findet als Angestellte eines 24-Stunden-Supermarktes ihre wahre Bestimmung. Beeindruckend leicht und elegant entfaltet Sayaka Murata das Panorama einer Gesellschaft, deren Werte und Normen unverrückbar scheinen. Ein Roman, der weit über die Grenzen Japans hinausweist.Keiko Furukura ist anders. Gefühle sind ihr fremd, das Verhalten ihrer Mitmenschen irritiert sie meist. Um nirgendwo anzuecken, bleibt sie für sich. Als sie jedoch auf dem Rückweg von der Uni auf einen neu eröffneten Supermarkt stößt, einen sogenannten Konbini, beschließt sie, dort als Aushilfe anzufangen. Man bringt ihr den richtigen Gesichtsausdruck, das richtige Lächeln, die richtige Art zu sprechen bei. Keikos Welt schrumpft endlich auf ein für sie erträgliches Maß zusammen, sie verschmilzt geradezu mit den Gepflogenheiten des Konbini. Doch dann fängt Shiraha dort an, ein zynischer junger Mann, der sich sämtlichen Regeln widersetzt. Keikos mühsam aufgebautes Lebenssystem gerät ins Wanken. Und ehe sie sichs versieht, hat sie ebendiesen Mann in ihrer Badewanne sitzen. Tag und Nacht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.05.2018Lady Byron
Wie junge, außereuropäische
Autorinnen die universalistische
Literatur wiederbeleben
VON FELIX STEPHAN
Romane, die von weiblicher Existenz als strukturellem Nachteil erzählen, haben ein gemeinsames Problem: Häufig werden sie schon allein deshalb gut gefunden, weil sie von Frauen handeln und sie der dominanten Männerliteratur durch ihre bloße Existenz dreizehn weitere Zentimenter im Bibliotheksregal abnehmen, als handele es sich bei literarischem Schreiben um einen Stellungskampf.
Dabei kann aus diesem Ansatz glänzende Literatur entstehen wie etwa Margaret Atwoods „Der Report der Magd“, Doris Lessings „Das goldene Notizbuch“ oder Chris Kraus’ „I love Dick“. Was dabei im Zweifel auf der Strecke bleibt, hat der Literaturwissenschaftler Hans Mayer einmal am Beispiel von Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ diskutiert: „Kraftvoll spricht Bloch von den Erniedrigten und Beleidigten, meint aber nur die Gemeinsamkeit im Schicksal, nicht den erniedrigten und beleidigten Einzelnen, dessen Tun wie Leiden keiner allgemeinen Gesetzlichkeit subsumiert werden kann.“ 1981 war das, und Mayer verübelte Bloch, dass er viel über Platon, Rousseau und Hegel schrieb, aber wenig über Montaigne, den einzigen Philosophen in dieser Liste, der das Individuum als das eigentliche Rätsel begreift und nicht die Geschichte: „Das Licht der Hoffnung scheint zwar den Vielen in der Finsternis, kaum aber demjenigen, der selbst das Dunkle aufsuchte.“
In diesem Zusammenhang ist es durchaus bemerkenswert, dass in der Romanliteratur neuerdings die Ankunft einer neuen weiblichen Heldin zu beobachten ist: die sonderbare Außenseiterin. Ihren ersten großen Auftritt hatte dieser Typus in Elif Batumans Roman „Die Idiotin“, in dem es um die junge Studentin Selin geht, die gerade an der Harvard University aufgenommen wurde und nun darauf zählt, dass sich dort, im Herzen der kritischen Vernunft, endlich alle offenen Fragen klären werden. Dass dies auf den folgenden 500 Seiten nicht geschieht, liegt vor allem daran, dass auch in Harvard Wissen anhand von Sprache vermittelt wird. Der Abstand zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist immer noch sehr viel größer als der Gender Pay Gap.
Als sie ganz am Anfang ihr erstes Bewerbungsgespräch für ein Seminar führt, entdeckt sie auf dem Schreibtisch des Dozenten eine Packung Taschentücher: „Dabei dachte ich über die strukturellen Äquivalenzen zwischen einer Schachtel Taschentücher und einem weißen Buch nach: In beiden Fällen wurden Lagen von weißem Papier von Karton umhüllt. Nur bestand ironischerweise so gut wie keine funktionelle Äquivalenz, besonders, wenn das Buch jemand anderem gehörte. Über solche Dinge dachte ich ständig nach, obwohl sie weder angenehm noch nützlich waren. Ich hatte keine Ahnung, worüber man nachdenken sollte.“ Und Harvard ist ihr bei diesem Problem nicht eben behilflich. Die Uni reicht ihr nur immer neue Bücher, die jeweils neue Enttäuschungen bergen: „Ich dachte, Gegen den Strich, sei vielleicht ein Buch über jemanden, der die Dinge so wie ich betrachtete – der versuchte, sein Leben frei von Faulheit, Feigheit und Angepasstheit zu führen. Ich lag falsch; in dem Buch ging es um Inneneinrichtung.“
Bei Elif Batuman durchlaufen Protagonistinnen Erkenntnisprozesse, die wenig mit dem Geschlecht zu tun haben und viel mit dem menschlichen Dasein. Bislang hat sie zwei Bücher veröffentlicht, beide trugen Dostojewski-Titel. Diese Poetik knüpft an die literarischen Großentwürfe des 19. Jahrhunderts an, sie überspringt de Beauvoir, Donna Haraway, Foucault und die anderen Stichwortgeber der engagierten Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Roman „Die Vegetarierin“, dem Weltbestseller der koreanischen Schriftstellerin Han Kang. Darin geht es um eine verheiratete Frau, die sich schrittweise aus der Normal- existenz zurückzieht. Erst hört sie auf, Fleisch zu essen, dann lehnt sie es ab, Kleidung zu tragen, schließlich isst sie gar nichts mehr, um sich fortan via Fotosynthese ausschließlich von Sonnenlicht zu ernähren. Als ihre Schwester sie in der geschlossenen Psychiatrie aufsucht, verbringt sie ihre Tage überwiegend im Handstand, ihre Haare hängen „wie Seetang“ herab und wenn man sie anstößt, fällt sie einfach um. Die Verwandlung der Protagonistin in eine Pflanze ist fast abgeschlossen.
Der Roman, der mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde und seine Autorin weltberühmt machte, wurde mit Kafkas „Verwandlung“ und Ovids „Metamorphosen“ verglichen. Die größere Leistung liegt vielleicht darin, dass Han Kang den ersten weiblichen „Byronic Hero“ aus der Taufe gehoben hat, eine archetypische Figur, die auf den englischen Dichter Lord Byron zurückgeht und in der Literaturgeschichte bislang ausschließlich in ihrer männlichen Version gesichtet wurde. Der Byronic Hero erscheint als überheblicher, narzisstischer Zyniker, ist in Wahrheit aber lediglich weltabgewandt. Sein Innenleben ist so reichhaltig und verwundbar, dass er der zudringlichen Welt nur in Abwehr begegnen kann, die genau wie jener Starrsinn aussieht, den sich Han Kangs Protagonistin von ihrer Familie vorwerfen lassen muss. Han Kangs Heldin weist nicht ihren Platz in der Gesellschaft zurück, sondern menschliches Dasein an sich.
Vor Kurzem ist der Roman „Die Ladenhüterin“ der japanischen Autorin Sayaka Murata erschienen, auch dieses Buch war schon ein Weltbestseller, als es in Deutschland ankam. Darin findet die Protagonistin noch im Grundschulalter einen toten Vogel, woraufhin ihre Freundin fragt, ob sie das arme Geschöpf begraben wollen. „Lieber essen“, antwortet sie und versteht die Bestürzung ihrer Mitschüler nicht. Ihr Vater möge Hähnchenspieße sehr gern. Wieso eigentlich esse man den einen Vogel und vermenschliche den anderen? Das leuchtet ihr, wie alle anderen menschlichen Konventionen, nicht ein.
Anders als die Protagonistin in „Die Vegetarierin“ entschließt sich diese Figur allerdings nicht zur Fundamentalopposition, sondern zur Unsichtbarkeit durch totale Anpassung. Sie widmet ihr Leben dem Unterfangen, möglichst wenig Anstoß zu erregen und jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen, was dazu führt, dass sie zu einem exakten Bild dessen wird, was die moderne japanische Gesellschaft von ihren Mitgliedern erwartet. Sie arbeitet also erstens in einem kleinen Convenience Store und teilt sich, zweitens, die Wohnung mit einem Mann. Die bittere Nachricht für die japanische Kulturnation ist nun, dass es das auch schon gewesen ist und dass man mehr gar nicht wollen sollte, wenn man nicht unmittelbar auf gesellschaftliche Widerstände treffen möchte.
In diesen drei aktuellen literarischen Welterfolgen geht es um Frauen, die sich nicht deshalb außerhalb der Gesellschaft befinden, weil sie Frauen, sondern weil sie Individuen sind. Die postfeministische Wende möchten wir an dieser Stelle noch nicht ausrufen, aber dass weibliche Schriftstellerinnen neuerdings weltberühmt werden, indem sie an den europäischen Universalismus, den Individualismus und die Idee einer allgemeingültigen Menschlichkeit anknüpfen, das wollen wir dann doch zumindest vermerkt haben.
Das ist nicht zuletzt deshalb eine Nachricht, weil keine dieser Autorinnen aus Europa stammt und schon deshalb den Eurozentrismus-Vorwurf nicht befürchten muss, der immer schnell zur Hand ist, wenn aufklärerisch-universalistische Poetiken im Spiel sind. Als feminisierter Re-Import aus Japan, Südkorea und den postmigrantischen Milieus der USA aber entwickeln diese Ansätze eine völlig neue Attraktivität: Auf einmal sehen sie wieder erstaunlich frisch aus, zukunftsweisend und verheißungsvoll.
Elif Batuman: Die Idiotin. Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Kemper. S. Fischer, Frankfurt 2017. 477 Seiten, 24 Euro.
Han Kang: Die Vegetarierin. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 190 Seiten, 18,95 Euro.
Sayaka Murata: Die Ladenhüterin. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Aufbau Verlag, Berlin, 2018. 145 Seiten, 18 Euro.
Selin hat die Hoffnung, dass
sich in Harvard endlich
sämtliche Fragen beantworten
Sie befinden sich
außerhalb der Gesellschaft,
weil sie Individuen sind
Die südkoreanische Autorin Han Kang, die Amerikanerin mit türkischen Wurzeln Elif Batuman und die Japanerin Sayaka Murata (von links im Uhrzeigersinn).
Foto: imago/GlobalImagens (links), Basso Cannarsa/Opale/Leemage/laif (oben), imago/AFLO
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Wie junge, außereuropäische
Autorinnen die universalistische
Literatur wiederbeleben
VON FELIX STEPHAN
Romane, die von weiblicher Existenz als strukturellem Nachteil erzählen, haben ein gemeinsames Problem: Häufig werden sie schon allein deshalb gut gefunden, weil sie von Frauen handeln und sie der dominanten Männerliteratur durch ihre bloße Existenz dreizehn weitere Zentimenter im Bibliotheksregal abnehmen, als handele es sich bei literarischem Schreiben um einen Stellungskampf.
Dabei kann aus diesem Ansatz glänzende Literatur entstehen wie etwa Margaret Atwoods „Der Report der Magd“, Doris Lessings „Das goldene Notizbuch“ oder Chris Kraus’ „I love Dick“. Was dabei im Zweifel auf der Strecke bleibt, hat der Literaturwissenschaftler Hans Mayer einmal am Beispiel von Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ diskutiert: „Kraftvoll spricht Bloch von den Erniedrigten und Beleidigten, meint aber nur die Gemeinsamkeit im Schicksal, nicht den erniedrigten und beleidigten Einzelnen, dessen Tun wie Leiden keiner allgemeinen Gesetzlichkeit subsumiert werden kann.“ 1981 war das, und Mayer verübelte Bloch, dass er viel über Platon, Rousseau und Hegel schrieb, aber wenig über Montaigne, den einzigen Philosophen in dieser Liste, der das Individuum als das eigentliche Rätsel begreift und nicht die Geschichte: „Das Licht der Hoffnung scheint zwar den Vielen in der Finsternis, kaum aber demjenigen, der selbst das Dunkle aufsuchte.“
In diesem Zusammenhang ist es durchaus bemerkenswert, dass in der Romanliteratur neuerdings die Ankunft einer neuen weiblichen Heldin zu beobachten ist: die sonderbare Außenseiterin. Ihren ersten großen Auftritt hatte dieser Typus in Elif Batumans Roman „Die Idiotin“, in dem es um die junge Studentin Selin geht, die gerade an der Harvard University aufgenommen wurde und nun darauf zählt, dass sich dort, im Herzen der kritischen Vernunft, endlich alle offenen Fragen klären werden. Dass dies auf den folgenden 500 Seiten nicht geschieht, liegt vor allem daran, dass auch in Harvard Wissen anhand von Sprache vermittelt wird. Der Abstand zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist immer noch sehr viel größer als der Gender Pay Gap.
Als sie ganz am Anfang ihr erstes Bewerbungsgespräch für ein Seminar führt, entdeckt sie auf dem Schreibtisch des Dozenten eine Packung Taschentücher: „Dabei dachte ich über die strukturellen Äquivalenzen zwischen einer Schachtel Taschentücher und einem weißen Buch nach: In beiden Fällen wurden Lagen von weißem Papier von Karton umhüllt. Nur bestand ironischerweise so gut wie keine funktionelle Äquivalenz, besonders, wenn das Buch jemand anderem gehörte. Über solche Dinge dachte ich ständig nach, obwohl sie weder angenehm noch nützlich waren. Ich hatte keine Ahnung, worüber man nachdenken sollte.“ Und Harvard ist ihr bei diesem Problem nicht eben behilflich. Die Uni reicht ihr nur immer neue Bücher, die jeweils neue Enttäuschungen bergen: „Ich dachte, Gegen den Strich, sei vielleicht ein Buch über jemanden, der die Dinge so wie ich betrachtete – der versuchte, sein Leben frei von Faulheit, Feigheit und Angepasstheit zu führen. Ich lag falsch; in dem Buch ging es um Inneneinrichtung.“
Bei Elif Batuman durchlaufen Protagonistinnen Erkenntnisprozesse, die wenig mit dem Geschlecht zu tun haben und viel mit dem menschlichen Dasein. Bislang hat sie zwei Bücher veröffentlicht, beide trugen Dostojewski-Titel. Diese Poetik knüpft an die literarischen Großentwürfe des 19. Jahrhunderts an, sie überspringt de Beauvoir, Donna Haraway, Foucault und die anderen Stichwortgeber der engagierten Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Roman „Die Vegetarierin“, dem Weltbestseller der koreanischen Schriftstellerin Han Kang. Darin geht es um eine verheiratete Frau, die sich schrittweise aus der Normal- existenz zurückzieht. Erst hört sie auf, Fleisch zu essen, dann lehnt sie es ab, Kleidung zu tragen, schließlich isst sie gar nichts mehr, um sich fortan via Fotosynthese ausschließlich von Sonnenlicht zu ernähren. Als ihre Schwester sie in der geschlossenen Psychiatrie aufsucht, verbringt sie ihre Tage überwiegend im Handstand, ihre Haare hängen „wie Seetang“ herab und wenn man sie anstößt, fällt sie einfach um. Die Verwandlung der Protagonistin in eine Pflanze ist fast abgeschlossen.
Der Roman, der mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde und seine Autorin weltberühmt machte, wurde mit Kafkas „Verwandlung“ und Ovids „Metamorphosen“ verglichen. Die größere Leistung liegt vielleicht darin, dass Han Kang den ersten weiblichen „Byronic Hero“ aus der Taufe gehoben hat, eine archetypische Figur, die auf den englischen Dichter Lord Byron zurückgeht und in der Literaturgeschichte bislang ausschließlich in ihrer männlichen Version gesichtet wurde. Der Byronic Hero erscheint als überheblicher, narzisstischer Zyniker, ist in Wahrheit aber lediglich weltabgewandt. Sein Innenleben ist so reichhaltig und verwundbar, dass er der zudringlichen Welt nur in Abwehr begegnen kann, die genau wie jener Starrsinn aussieht, den sich Han Kangs Protagonistin von ihrer Familie vorwerfen lassen muss. Han Kangs Heldin weist nicht ihren Platz in der Gesellschaft zurück, sondern menschliches Dasein an sich.
Vor Kurzem ist der Roman „Die Ladenhüterin“ der japanischen Autorin Sayaka Murata erschienen, auch dieses Buch war schon ein Weltbestseller, als es in Deutschland ankam. Darin findet die Protagonistin noch im Grundschulalter einen toten Vogel, woraufhin ihre Freundin fragt, ob sie das arme Geschöpf begraben wollen. „Lieber essen“, antwortet sie und versteht die Bestürzung ihrer Mitschüler nicht. Ihr Vater möge Hähnchenspieße sehr gern. Wieso eigentlich esse man den einen Vogel und vermenschliche den anderen? Das leuchtet ihr, wie alle anderen menschlichen Konventionen, nicht ein.
Anders als die Protagonistin in „Die Vegetarierin“ entschließt sich diese Figur allerdings nicht zur Fundamentalopposition, sondern zur Unsichtbarkeit durch totale Anpassung. Sie widmet ihr Leben dem Unterfangen, möglichst wenig Anstoß zu erregen und jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen, was dazu führt, dass sie zu einem exakten Bild dessen wird, was die moderne japanische Gesellschaft von ihren Mitgliedern erwartet. Sie arbeitet also erstens in einem kleinen Convenience Store und teilt sich, zweitens, die Wohnung mit einem Mann. Die bittere Nachricht für die japanische Kulturnation ist nun, dass es das auch schon gewesen ist und dass man mehr gar nicht wollen sollte, wenn man nicht unmittelbar auf gesellschaftliche Widerstände treffen möchte.
In diesen drei aktuellen literarischen Welterfolgen geht es um Frauen, die sich nicht deshalb außerhalb der Gesellschaft befinden, weil sie Frauen, sondern weil sie Individuen sind. Die postfeministische Wende möchten wir an dieser Stelle noch nicht ausrufen, aber dass weibliche Schriftstellerinnen neuerdings weltberühmt werden, indem sie an den europäischen Universalismus, den Individualismus und die Idee einer allgemeingültigen Menschlichkeit anknüpfen, das wollen wir dann doch zumindest vermerkt haben.
Das ist nicht zuletzt deshalb eine Nachricht, weil keine dieser Autorinnen aus Europa stammt und schon deshalb den Eurozentrismus-Vorwurf nicht befürchten muss, der immer schnell zur Hand ist, wenn aufklärerisch-universalistische Poetiken im Spiel sind. Als feminisierter Re-Import aus Japan, Südkorea und den postmigrantischen Milieus der USA aber entwickeln diese Ansätze eine völlig neue Attraktivität: Auf einmal sehen sie wieder erstaunlich frisch aus, zukunftsweisend und verheißungsvoll.
Elif Batuman: Die Idiotin. Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Kemper. S. Fischer, Frankfurt 2017. 477 Seiten, 24 Euro.
Han Kang: Die Vegetarierin. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 190 Seiten, 18,95 Euro.
Sayaka Murata: Die Ladenhüterin. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Aufbau Verlag, Berlin, 2018. 145 Seiten, 18 Euro.
Selin hat die Hoffnung, dass
sich in Harvard endlich
sämtliche Fragen beantworten
Sie befinden sich
außerhalb der Gesellschaft,
weil sie Individuen sind
Die südkoreanische Autorin Han Kang, die Amerikanerin mit türkischen Wurzeln Elif Batuman und die Japanerin Sayaka Murata (von links im Uhrzeigersinn).
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Das höchste Ziel der Protagonistin von Sayaka Muratas Roman "Die Ladenhüterin" ist es, ein kleines, aber unermüdlich drehendes Rädchen im System des rund um die Uhr geöffneten Konbini-Supermarkts zu sein, schreibt Rezensent Martin Oehlen. Da ihr das Gespür fürs "Normale" eigentlich abgehe, sie aber als perfekte Verkäuferin auch die normale Japanerin geben müsse, orientiere sie sich in solchen Fragen einfach an ihrer Umwelt. Das einzige Manko, das sie noch von der Durchschnittskonsumentin trennt, hat Oehlen bald als ihre Ehelosigkeit ausgemacht. Aber auch das lässt sich korrigieren. Wenn die Protagonistin an dem alltäglichsten aller Lebensläufe feilt wie an einem schwierigen Kunstprojekt, hat das einen ganz eigenen, skurrilen Charme, lobt der Rezensent, der sich offenbar gerne zeigen lässt, wie absurd das Gewöhnliche sein kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» Es ist diese vollendete Entfremdung, von der diese herzbitterliche, absurd komische Groteske erzählt. « DIE ZEIT 20180709