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Geld, sagt man, ist totes Metall - und beeilt sich, die Sphäre des Geldes sorgfältig vom Bereich der unersetzlichen Lebewesen zu trennen. Der Gedanke, daß auch das menschliche Leben einen Preis haben könnte, oder stärker noch: daß es selbst Geldcharakter haben könnte, ist das vielleicht nachhaltigste Gedankentabu in einer weithin enttabuisierten Gesellschaft. Genau hier aber liegt der Ausgangspunkt, von dem aus Klossowski die Frage des Geldes stellt. Ausgehend vom ursprünglichen Tauschakt, dem sich ein Mehrwert verdankt: nämlich der wollüstigen Begegnung der Geschlechter, die in die…mehr

Produktbeschreibung
Geld, sagt man, ist totes Metall - und beeilt sich, die Sphäre des Geldes sorgfältig vom Bereich der unersetzlichen Lebewesen zu trennen. Der Gedanke, daß auch das menschliche Leben einen Preis haben könnte, oder stärker noch: daß es selbst Geldcharakter haben könnte, ist das vielleicht nachhaltigste Gedankentabu in einer weithin enttabuisierten Gesellschaft. Genau hier aber liegt der Ausgangspunkt, von dem aus Klossowski die Frage des Geldes stellt. Ausgehend vom ursprünglichen Tauschakt, dem sich ein Mehrwert verdankt: nämlich der wollüstigen Begegnung der Geschlechter, die in die menschliche Fortpflanzung einmündet, entwickelt er eine Theorie des Geldes, die in ihrem Bereich ganz einzig dasteht. Zwischen Fourier und de Sade oszillierend entsteht ein neuartiges Bild des modernen Waren- und Gesellschaftsverkehrs. Anders als gängige Verfallsphilosophien, die zumeist die Kapitalisierung des Leibes beklagen, klärt Klossowski darüber auf, warum der menschliche Leib, dem Zwang der natürlichen Reproduktion nicht mehr unterworfen, selbst zu einem Ort der Produktion werden muß, zu lebender Münze mithin.
Autorenporträt
Pierre Klossowski, geboren 1905, ist Maler, Dichter, Philosoph und Erotomane ( Die Zeit ).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.1999

Gib mir keine Liebe, gib mir Geld
Pierre Klossowski sucht das monetäre Prinzip der Perversion

Hätte man dereinst Gelegenheit, historische Berichte über das in Bälde ausgehende Jahrhundert zu studieren, so wäre neben allen möglichen Erfindungen des Industriezeitalters sicherlich an ausgezeichneter Stelle von der Antibabypille zu lesen. Fraglich würde vielleicht sein, ob die sexuelle Revolution, in deren Namen die chemische Empfängnisverhütung in den sechziger Jahren gepriesen wurde, in eins mit der komfortablen Befreiung der Geschlechtstriebe von der Institution der Ehe und der Norm der Fruchtbarkeit nicht auch die ganze Verklemmtheit des Jahrhunderts zur Schau gestellt hat.

In Verbindung der beiden Säulenheiligen der modernen Sozialkritik, Freud und Marx, attestierte Theodor W. Adorno dem zeitgenössischen Liebesbrauchtum schon 1966, dass es längst den "Prinzipien des Tauschhandels" unterworfen sei, und warf den Schatten des "Ideologieverdachts" auf die ganze schöne Beziehungsromantik. Um postum nachzuweisen, dass er mit seiner Vermutung Recht hatte, braucht man eigentlich nur den Fernseher einzuschalten und eine der vielen Seifenopern anzuschauen: Sie, schön und reich, trifft ihn, schön und reich.

In einem von Michel Foucault überschwänglich gelobten Essay - "das höchste Werk unserer Epoche" - geht der französische Philosoph Pierre Klossowski hinter Freud und Marx zurück und zugleich über Adorno hinaus. Unter dem Titel "Die lebende Münze" kündigt er die vorbehaltlose Aufklärung der Verkettung von Trieb- und Industriekultur an. Um diese hervorzukehren, holt er Marquis de Sade gleichsam aus dem Irrenhaus wieder heraus, in welches dieser auf Veranlassung Napoleons gesteckt worden war, und meint, dass die vom Namensgeber des Sadismus ausführlichst beschriebenen Perversionen weniger pathologisch als längst der Normalfall geworden sind.

Dass die Normalität mithin die Perversion der Perversion ist, glaubt Klossowski vor allem an einer speziellen Bedeutung dieses Begriffs zu erkennen, die er bei de Sade gefunden hat: die Wahl eines "offensichtlich unpassenden Objekts", sei es nun ein reales oder nur vorgestelltes Sexualobjekt. Diese Wahl habe einen entscheidenden ökonomischen Nutzen, einen triebökonomischen zunächst. Die Triebe, so argumentiert Klossowski mit einer klassisch hegelschen Denkfigur, kennen keine andere Möglichkeit, sich ihrer selbst zu vergewissern, als gegen Widerstände. Der Widerstand gegen ihre eigene "reine Animalität", nämlich den Fortpflanzungsinstinkt, sei nun die "erste interpretative Manifestation der Triebe selbst". Die Sexualität wird gleichsam in Zeugung und Wollust zerlegt, mit dem Ziel, die "Fortpflanzungsfunktion unendlich aufzuschieben".

Um der ökonomischen Forderung der Nützlichkeit zu widerstehen, treiben die Triebe sich also lieber mit Phantasmen und Surrogaten herum, und das ist nach Klossowski recht eigentlich pervers. Und absurderweise sehr nützlich. Denn was sind die erotischen Luftschlösser anderes als "gezielte Dividenden auf den Vermehrungstrieb". Wiederum in hegelschen Begriffen: Die Einheit des Individuums hängt nun einmal von der Differenz zu einem notwendigerweise unerschwinglichen Phantasma ab, das die Emotionen zugleich stimuliert und unterdrückt, denn diese fortdauernde Anspannung garantiert Arbeitsproduktivität.

Dass der "Rückstau der Instinkte auf den Narzissmus", die Neurosen, die eigentlichen "Stützen der Gesellschaft" sind, wurde freilich auch schon von Adorno bemerkt. Der klossowskische Ansatz - "dass die Formen der wollüstigen Emotion eine zugleich geheime wie tragische Verbindung zu der anthropomorphen Erscheinung der Ökonomie und des Tausches verraten" - ist im Ganzen nicht sonderlich originell. Doch was bei Adorno essayistisch angedeutet blieb, versucht Klossowski in seiner Tiefe auszuloten. Der Refrain des Klageliedes, der sich dialektisch durch den Text schraubt, ist allerdings immer wieder dieselbe Diagnose - das perverse Phantasma als Sündenfall.

Indessen geht Klossowski über Adorno hinaus, wenn er die Ähnlichkeit der Triebwirtschaft insbesondere mit den ökonomischen Gesetzen des späten Industriezeitalters unter die Lupe nimmt. Die Selbstbezogenheit des verschwenderischen Produktionsaktes will den ruinösen "Sieg über das Objekt" forttragen, das die hypertrophierenden Begierden ohnehin nicht mehr zu befriedigen vermochte. Wenn man Klossowski zustimmte, wäre das Konsumzeitalter also der vollendete Sadismus: "das Prinzip der Produktion bis zum Äußersten, das einen Konsum bis zum Äußersten fordert: zerstörbare Objekte produzieren, den Konsumenten daran gewöhnen, die Idee eines haltbaren Gegenstandes zu verlieren".

Die Zwanghaftigkeit der Perversion ist es nach Klossowski auch, die den monetären Geist auf dem industriellen Jahrmarkt der Eitelkeiten versprüht. Das Phantasma muss in seiner Unentgeltlichkeit durch ein Äquivalent kompensiert werden und repräsentiert, ihm wird einfach ein Preisschild aufgedruckt. So wird der Ernst der Tragödie, dass Subjekt und Objekt posthegelsch anscheinend nicht einmal mehr dialektisch zueinander finden können, durch die Rolle des Geldes schlicht verhöhnt, das Wort von der Unschätzbarkeit des menschlichen Lebens muss vor dem simplen Motto kapitulieren, dass nichts wert ist, was nichts kostet, und die viel beschworene Kommunikation wird zum Prinzip der allseitigen Prostitution.

Doch Klossowski meint auch diesen Schrecken noch steigern zu können, wenn er mit einem abschließenden Szenario versichert, dass sich die provozierende Metapher des Titels schon buchstäblich bewahrheitet habe: Wer sagt, dass man Leben kaufen kann, meint in der Logik des Tauschhandels gleichwertig, dass man auch mit dem Leben bezahlen kann. Wer die ganze schreckliche Wahrheit so schonungslos verkündet, sollte freilich darauf gefasst sein, dass sein Publikum ihn um Erlösung anfleht. Doch den Utopiehunger stillt Klossowski allenfalls mit einem kleinen Häppchen. Hinter den Sündenfall können wir nicht zurück, viel zu tief sei der merkantile Charakter dem Gefühlshaushalt eingeprägt. Und so schimmert als einzige Hoffnung jene Vision durch, die der französische Sozialkritiker Charles Fourier dem Industriezeitalter schon an dessen Beginn - ebenfalls lange vor Freud - mit auf den Weg gegeben hatte: die spielerisch ästhetische Regulierung der Triebökonomie. Oder in den Worten Klossowskis: "Als Simulacrum ist das Phantasma fortpflanzungsfähig."

HEIKO JOOSTEN

Pierre Klossowski: "Die lebende Münze". Aus dem Französischen von Martin Burckhardt. Kulturverlag Kadmos, Berlin 1998. 92 S., geb., 29,80 DM.

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