»Der Schmerz, der mich weckte, drehte sich aus dem linken Handgelenk, fräste sich durch den Arm, der schwer und heiß wurde, erreichte die Schulter, lief auseinander, breitete sich als Gitter über die Brust aus, er lastete mit jedem Atemzug mehr und mehr, ein Panzer, der mir die Luft raubte, der mich zunehmend einschnürte und mir Angst machte.« Mitten in der Nacht erleidet Peter Härtling einen schweren Herzinfarkt, der Notarzt bringt ihn in die Klinik. Intensivstation. Operation. Es folgen ein Lungenödem und ein Hirnschlag und eine zweite Operation.
Mit staunenden Augen, sensibel reflektierend beschreibt Härtling seine Wahrnehmungen und Erfahrungen, die Auseinandersetzungen der behandelnden Ärzte, die über sein Schicksal entscheiden, ihre rigiden Verhaltensvorschriften und seine sanfte Rebellion dagegen.
Er vermittelt auf eindringliche Weise seine Verlusterfahrungen, etwa als er Ausfallerscheinungen hat und sich auf der Schreibmaschine nicht mehr zurechtfindet, und den unbezwingbaren Wunsch nach einer Fortführung des gewohnten Lebens - der ihm erfüllt wird, auch wenn die Erschöpfung bleibt. Zur Bewältigung des Erlebten, zum Zurückfinden ins Leben gehört für Härtling wie schon in 'Herzwand' auch die Spurensuche in der eigenen Biografie.
Mit staunenden Augen, sensibel reflektierend beschreibt Härtling seine Wahrnehmungen und Erfahrungen, die Auseinandersetzungen der behandelnden Ärzte, die über sein Schicksal entscheiden, ihre rigiden Verhaltensvorschriften und seine sanfte Rebellion dagegen.
Er vermittelt auf eindringliche Weise seine Verlusterfahrungen, etwa als er Ausfallerscheinungen hat und sich auf der Schreibmaschine nicht mehr zurechtfindet, und den unbezwingbaren Wunsch nach einer Fortführung des gewohnten Lebens - der ihm erfüllt wird, auch wenn die Erschöpfung bleibt. Zur Bewältigung des Erlebten, zum Zurückfinden ins Leben gehört für Härtling wie schon in 'Herzwand' auch die Spurensuche in der eigenen Biografie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2006Das Herz, ein Stein im Adernetz
Peter Härtling bekennt Todesangst und Lebensmut
"Der Tod beugt sich über mich", so beginnt das Zitat des schwedischen Dichters Thomas Tranströmer, das Peter Härtling seinem jüngsten Buch vorangestellt hat. Als vor einigen Jahren "Herzwand" erschien, kam der Patient mit dem Schrecken davon. Er nannte den Bericht von einer Untersuchung seines Herzens mit Hilfe eines "künstlichen Reptils", eines Katheters, "Mein Roman". Es war der Beginn von Peter Härtlings Autobiographie.
Diesmal ist es kein Roman, es ist ernst. Die Krise ist dramatisch. "Das Herz hängt wie ein Stein im Adernetz." Vorderwandinfarkt mit Lungenödem heißt die Diagnose. Ein Hirnschlag mit angstmachenden Folgen kommt hinzu. Der Doppelschlag läßt die "Wörter zu Brei" werden. Nachts kriecht die Angst bis zum Hals, bis zur Carotis hinauf und macht das Atmen schwer. Peter Härtling beobachtet seinen kritischen Zustand zwischen Tod und Leben mit professioneller Genauigkeit, er sieht sich von außen wie die Ärzte und Schwestern, deren Anordnungen er nur mit Mühe folgen kann. "Nun ja, der Stent wird dem Patienten das Leben etwas verlängern", hört er einen der Spezialisten sagen. Wie lange noch? möchte er fragen und weiß, daß es darauf keine Antwort gibt. Er solle sich schonen, heißt der ärztliche Rat. Aber wie soll sich einer schonen, der gewohnt ist, sich mitzuteilen? Der Verzicht auf die lebenslang gewohnte Droge Nikotin allein genügt nicht. Und fünf Liter am Tag trinken ist kaum erträglich ohne den liebgewordenen Wein als Stimulans.
Drei Worte von Robert Schumann, unmittelbar bevor er in die Endenicher Anstalt transportiert wurde, verstören den Patienten: "Ich habe aufgehört." Aber Peter Härtling hört nicht auf. Sobald das Schlimmste überstanden ist, setzt er sein Leben fort. Die geschenkte Zeit füllt er randvoll mit Schreiben, Reisen, Vorlesen, Diskutieren. Mit dem Windsbacher Chor geht er auf Tournee, es kostet ihn seine letzten Kräfte. Doch er genießt es, vertraute Menschen wiederzusehen und neuen zu begegnen. Er braucht das Echo, sein Publikum. Er schreibt, obwohl es ihm Mühe macht, die richtigen Tasten zu treffen. "Ich halte mich erzählend am Leben", aber die Furcht vor einem Zusammenbruch verläßt ihn dabei nicht mehr.
Seinem Vater, der nach dem Krieg in einem Gefangenenlager im österreichischen Waldviertel umkam, ist er in den Stunden wieder nahegekommen, als sein eigenes Ende nahe schien. In Zwettl will er noch einmal das Grab des Vaters suchen. Er braucht das Grab, um "ein Stück Kindertrauer nachzuholen". Den Verlust des Vaters hat er ebensowenig verwunden wie den Selbstmord der Mutter. Seine Lebenslinie führt an den Anfang zurück, eine dünne, mehrfach gebrochene zitternde Linie. Er weiß es.
MARIA FRISÉ.
Peter Härtling: "Die Lebenslinie". Eine Erfahrung. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 110 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Härtling bekennt Todesangst und Lebensmut
"Der Tod beugt sich über mich", so beginnt das Zitat des schwedischen Dichters Thomas Tranströmer, das Peter Härtling seinem jüngsten Buch vorangestellt hat. Als vor einigen Jahren "Herzwand" erschien, kam der Patient mit dem Schrecken davon. Er nannte den Bericht von einer Untersuchung seines Herzens mit Hilfe eines "künstlichen Reptils", eines Katheters, "Mein Roman". Es war der Beginn von Peter Härtlings Autobiographie.
Diesmal ist es kein Roman, es ist ernst. Die Krise ist dramatisch. "Das Herz hängt wie ein Stein im Adernetz." Vorderwandinfarkt mit Lungenödem heißt die Diagnose. Ein Hirnschlag mit angstmachenden Folgen kommt hinzu. Der Doppelschlag läßt die "Wörter zu Brei" werden. Nachts kriecht die Angst bis zum Hals, bis zur Carotis hinauf und macht das Atmen schwer. Peter Härtling beobachtet seinen kritischen Zustand zwischen Tod und Leben mit professioneller Genauigkeit, er sieht sich von außen wie die Ärzte und Schwestern, deren Anordnungen er nur mit Mühe folgen kann. "Nun ja, der Stent wird dem Patienten das Leben etwas verlängern", hört er einen der Spezialisten sagen. Wie lange noch? möchte er fragen und weiß, daß es darauf keine Antwort gibt. Er solle sich schonen, heißt der ärztliche Rat. Aber wie soll sich einer schonen, der gewohnt ist, sich mitzuteilen? Der Verzicht auf die lebenslang gewohnte Droge Nikotin allein genügt nicht. Und fünf Liter am Tag trinken ist kaum erträglich ohne den liebgewordenen Wein als Stimulans.
Drei Worte von Robert Schumann, unmittelbar bevor er in die Endenicher Anstalt transportiert wurde, verstören den Patienten: "Ich habe aufgehört." Aber Peter Härtling hört nicht auf. Sobald das Schlimmste überstanden ist, setzt er sein Leben fort. Die geschenkte Zeit füllt er randvoll mit Schreiben, Reisen, Vorlesen, Diskutieren. Mit dem Windsbacher Chor geht er auf Tournee, es kostet ihn seine letzten Kräfte. Doch er genießt es, vertraute Menschen wiederzusehen und neuen zu begegnen. Er braucht das Echo, sein Publikum. Er schreibt, obwohl es ihm Mühe macht, die richtigen Tasten zu treffen. "Ich halte mich erzählend am Leben", aber die Furcht vor einem Zusammenbruch verläßt ihn dabei nicht mehr.
Seinem Vater, der nach dem Krieg in einem Gefangenenlager im österreichischen Waldviertel umkam, ist er in den Stunden wieder nahegekommen, als sein eigenes Ende nahe schien. In Zwettl will er noch einmal das Grab des Vaters suchen. Er braucht das Grab, um "ein Stück Kindertrauer nachzuholen". Den Verlust des Vaters hat er ebensowenig verwunden wie den Selbstmord der Mutter. Seine Lebenslinie führt an den Anfang zurück, eine dünne, mehrfach gebrochene zitternde Linie. Er weiß es.
MARIA FRISÉ.
Peter Härtling: "Die Lebenslinie". Eine Erfahrung. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 110 S., geb., 14,90 [Euro].
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