In der Nacht auf den 29. Juli 1994 werden in der Frankfurter Schirn Kunsthalle auf dreiste Weise drei Bilder entwendet: ein Caspar-David-Friedrich- und zwei Turner-Gemälde, welche der Londoner Tate Gallery gehören; letztere sind mit 29 Millionen Euro versichert. Damit beginnt einer der spannendsten Kunst- und Museumskrimi der letzten zwei Jahrzehnte. Sandy Nairne, Autor des vorliegenden Berichtes, ist damals Programmdirektor an der Tate. Er erhält den Auftrag, die Anstrengungen zu koordinieren, welche zur Wiedererlangung der Bilder führen sollen - Bilder, die in den Augen br itischer Kunstliebhaber allerhöchstes Prestige, ja den Status von Nationalheiligtümer n besitzen. Es folgen acht Jahre unendlich verwickelter Bemühungen, zerschlagener Hoffnungen, immer neuer, anstrengender, häufig abenteuerlicher Anläufe. Wie bei jedem Krimi sind Intelligenz, Chuzpe und Durchhaltever mögen - sowie gute Nerven gefragt. Am Schluss sind Nairne und sein Team erfolgreich: Die Bilder kehren wohlbehalten nach London zurück, wo sie heute wieder zu besichtigen sind. Der Bericht von Mr. Nairne über diese mehrjährige Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung und Enttäuschung ist ein Lehrstück in Sachen britischen Kampfgeists. Es ist ein spannendes und erstaunliches Buch geworden, das auch andere, vergleichbare Diebstahlfälle aus der internationalen Museumswelt erwähnt und in diesem Umfeld der Frage nachgeht, was Diebe sich von solchen Raubzügen erhoffen, was sie motiviert. Ein Krimi, der im wahren Leben spielt und Fragen aufwirft, die höchst reale sind - Fragen (beispielsweise museumsethischer Natur), die so komplex sind, dass Antworten auch in Zukunft eine Herausforderung darstellen werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2013Bilderschwund in Frankfurt
Sandy Nairne sucht und findet zwei gestohlene Gemälde
Am Anfang klappt es noch mit der Spannung: Früh am Morgen des 29. Juli 1994 weckt ein Anruf Sandy Nairne, damals stellvertretender Direktor der Tate Gallery. Zwei Gemälde des britischen Romantikers William Turner, die sich als Leihgaben des Museums in der Frankfurter Schirn befanden, seien gestohlen worden. Was nun beginnt, ist eine acht Jahre dauernde Suche nach den beiden Bildern, die schließlich ein gutes Ende nimmt: Seit Januar 2003 sind die beiden Werke, die mit insgesamt 24 Millionen Pfund versichert waren, wieder in London zu besichtigen.
Man möchte meinen, kaum etwas wäre interessanter, als aus erster Hand zu erfahren, wie die Gemälde ihren Weg zurückgefunden haben. Leider aber erzählt Nairne, der von der Tate Gallery mit dem Fall der zwei Turner-Bilder betraut war, diese eigentlich spannende Geschichte auf wenig anregende Weise. Das Geschehen ertrinkt geradezu in nebensächlichen Details, die der Autor akribisch auflistet. Trotz der Ichperspektive und der tagebuchartigen Gliederung (die Abschnitte sind jeweils mit dem Datum überschrieben) will der Funke des Mitbangens um die Bilder nicht recht überspringen.
Dabei gäbe es reichlich Höhen und Tiefen nachzuempfinden. Mal scheinen die Bilder dem heutigen Direktor der National Portrait Gallery zum Greifen nah, mal glaubt er kaum noch an ihre Rückkehr. Unmittelbar nach dem Diebstahl meldet sich ein Mann bei der Tate Gallery, der behauptet, im Besitz der Gemälde zu sein, und Lösegeld fordert. Knapp zwanzig Seiten später entpuppt er sich als Trittbrettfahrer. Der Frankfurter Polizei gelingt es in den folgenden Jahren, drei Täter zu fassen, die für den Raub zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Eine Spur zum Verbleib der Kunstwerke tut sich aber nicht auf. Erst 1999 stößt ein verdeckter Ermittler auf den Frankfurter Rechtsanwalt Edgar Liebrucks, der weiß, wo sich die Gemälde befinden. Für Auskünfte, die zur Wiederbeschaffung der Turners führen, fordert Liebrucks zehn Millionen D-Mark.
Wer denkt, der Rest sei nun ein Kinderspiel gewesen, irrt sich. Bis im Juli 2000 das erste Bild zurückgegeben wird, sind zähe Verhandlungen zu überstehen. So manches Mal fliegt Nairne nach Deutschland in der Hoffnung, mit den Gemälden im Gepäck zurückzukehren, und wird doch wieder enttäuscht. Seine Beschreibungen dieser Jahre bemühen sich so sehr um Realitätsnähe, dass die Spannung zu kurz kommt. Von seiner Seite nimmt sich die Wiederbeschaffung der Turners weniger als detektivische Arbeit aus, sondern eher als bürokratischer Akt, dessen einzelne Abläufe den Segen diverser Gremien (etwa der Charity Commission der Tate) benötigen.
Je länger man liest, desto mehr hat man das Gefühl, Nairne wolle sich rechtfertigen - dafür, dass die Tate insgesamt 3,5 Millionen Pfund in die Ermittlung investiert hat. Neben Spesen fiel darunter auch die an Liebrucks entrichtete "Belohnung". Dieses Wort betont der Autor immer wieder, denn die Presse warf der Tate 2005 vor, Lösegeld für die Turners gezahlt zu haben. In Großbritannien ist das verboten. Nairne legt durchaus überzeugend dar, dass er im Namen des Museums stets rechtskonform gehandelt hat. Die theoretischen Reflexionen über die Unterschiede zwischen Lösegeldern und Auskunftshonoraren, über den ökonomischen und ideellen Wert von Kunst hätte er sich allerdings sparen können. Das Buch ist als Ganzes recht trocken geraten. Anschaulicher ist der Ausblick auf einige berühmte Fälle von Kunstraub - von der Mona Lisa im Jahr 1911 bis zum Überfall auf das Musée d'art moderne de la Ville de Paris 2010.
Welche Schlüsse zieht Nairne aus alledem? Wie kann man Kunst in Zukunft besser schützen? Seine Antwort bleibt vage. Er spricht von einer engen Zusammenarbeit zwischen Museum und Polizei, die nötig sei, von politischen Richtlinien, "mit Hilfe deren sich bessere Standards für die Abläufe bei der Rückholung gestohlener Kunstwerke und Antiquitäten schaffen lassen". Solche zähen Formulierungen sind leider typisch für den Autor. Und so schließt man das Buch, das interessant begann, mit einem Gähnen.
ANNE KOHLICK.
Sandy Nairne: "Die leere Wand". Museumsdiebstahl. Der Fall der zwei Turner-Bilder.
Aus dem Englischen von Werner Richter. Piet Meyer Verlag, Bern & Wien 2012. 320 S., geb., 23,30 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sandy Nairne sucht und findet zwei gestohlene Gemälde
Am Anfang klappt es noch mit der Spannung: Früh am Morgen des 29. Juli 1994 weckt ein Anruf Sandy Nairne, damals stellvertretender Direktor der Tate Gallery. Zwei Gemälde des britischen Romantikers William Turner, die sich als Leihgaben des Museums in der Frankfurter Schirn befanden, seien gestohlen worden. Was nun beginnt, ist eine acht Jahre dauernde Suche nach den beiden Bildern, die schließlich ein gutes Ende nimmt: Seit Januar 2003 sind die beiden Werke, die mit insgesamt 24 Millionen Pfund versichert waren, wieder in London zu besichtigen.
Man möchte meinen, kaum etwas wäre interessanter, als aus erster Hand zu erfahren, wie die Gemälde ihren Weg zurückgefunden haben. Leider aber erzählt Nairne, der von der Tate Gallery mit dem Fall der zwei Turner-Bilder betraut war, diese eigentlich spannende Geschichte auf wenig anregende Weise. Das Geschehen ertrinkt geradezu in nebensächlichen Details, die der Autor akribisch auflistet. Trotz der Ichperspektive und der tagebuchartigen Gliederung (die Abschnitte sind jeweils mit dem Datum überschrieben) will der Funke des Mitbangens um die Bilder nicht recht überspringen.
Dabei gäbe es reichlich Höhen und Tiefen nachzuempfinden. Mal scheinen die Bilder dem heutigen Direktor der National Portrait Gallery zum Greifen nah, mal glaubt er kaum noch an ihre Rückkehr. Unmittelbar nach dem Diebstahl meldet sich ein Mann bei der Tate Gallery, der behauptet, im Besitz der Gemälde zu sein, und Lösegeld fordert. Knapp zwanzig Seiten später entpuppt er sich als Trittbrettfahrer. Der Frankfurter Polizei gelingt es in den folgenden Jahren, drei Täter zu fassen, die für den Raub zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Eine Spur zum Verbleib der Kunstwerke tut sich aber nicht auf. Erst 1999 stößt ein verdeckter Ermittler auf den Frankfurter Rechtsanwalt Edgar Liebrucks, der weiß, wo sich die Gemälde befinden. Für Auskünfte, die zur Wiederbeschaffung der Turners führen, fordert Liebrucks zehn Millionen D-Mark.
Wer denkt, der Rest sei nun ein Kinderspiel gewesen, irrt sich. Bis im Juli 2000 das erste Bild zurückgegeben wird, sind zähe Verhandlungen zu überstehen. So manches Mal fliegt Nairne nach Deutschland in der Hoffnung, mit den Gemälden im Gepäck zurückzukehren, und wird doch wieder enttäuscht. Seine Beschreibungen dieser Jahre bemühen sich so sehr um Realitätsnähe, dass die Spannung zu kurz kommt. Von seiner Seite nimmt sich die Wiederbeschaffung der Turners weniger als detektivische Arbeit aus, sondern eher als bürokratischer Akt, dessen einzelne Abläufe den Segen diverser Gremien (etwa der Charity Commission der Tate) benötigen.
Je länger man liest, desto mehr hat man das Gefühl, Nairne wolle sich rechtfertigen - dafür, dass die Tate insgesamt 3,5 Millionen Pfund in die Ermittlung investiert hat. Neben Spesen fiel darunter auch die an Liebrucks entrichtete "Belohnung". Dieses Wort betont der Autor immer wieder, denn die Presse warf der Tate 2005 vor, Lösegeld für die Turners gezahlt zu haben. In Großbritannien ist das verboten. Nairne legt durchaus überzeugend dar, dass er im Namen des Museums stets rechtskonform gehandelt hat. Die theoretischen Reflexionen über die Unterschiede zwischen Lösegeldern und Auskunftshonoraren, über den ökonomischen und ideellen Wert von Kunst hätte er sich allerdings sparen können. Das Buch ist als Ganzes recht trocken geraten. Anschaulicher ist der Ausblick auf einige berühmte Fälle von Kunstraub - von der Mona Lisa im Jahr 1911 bis zum Überfall auf das Musée d'art moderne de la Ville de Paris 2010.
Welche Schlüsse zieht Nairne aus alledem? Wie kann man Kunst in Zukunft besser schützen? Seine Antwort bleibt vage. Er spricht von einer engen Zusammenarbeit zwischen Museum und Polizei, die nötig sei, von politischen Richtlinien, "mit Hilfe deren sich bessere Standards für die Abläufe bei der Rückholung gestohlener Kunstwerke und Antiquitäten schaffen lassen". Solche zähen Formulierungen sind leider typisch für den Autor. Und so schließt man das Buch, das interessant begann, mit einem Gähnen.
ANNE KOHLICK.
Sandy Nairne: "Die leere Wand". Museumsdiebstahl. Der Fall der zwei Turner-Bilder.
Aus dem Englischen von Werner Richter. Piet Meyer Verlag, Bern & Wien 2012. 320 S., geb., 23,30 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Andreas Strobl ist begeistert von dem Blick hinter die Kulissen eines spannenden Kriminalfalls, den Sandy Nairne, der Direktor der Londoner National Portrait Gallery, in seinem Buch "Die leere Wand" bietet. Im Juli 1994 hatten Kunstdiebe zwei Gemälde William Turners und eines von Caspar David Friedrich aus einem Frankfurter Museum gestohlen. Nairne war damals der Verantwortliche. Was den Rezensenten wirklich beeindruckt hat: andere Bücher, die ähnliche Themen verhandeln, bleiben ziemlich an der Oberfläche, Nairne schildert bis ins kleinste Detail die Abläufe, berichtet Strobl: die Ermittlungen, falschen Fährten, kleinen Erfolge, aber auch die Verhandlungen mit den Versicherungen, Rechts- und Zuständigkeitsprobleme, die bürokratischen Hürden also, die zu bewältigen waren, bis die Bilder schließlich zurückgewonnen werden konnten. Ganz nebenbei erschließt sich so, wie und warum Kunst zum "inoffiziellen Zahlungsmittel der organisierten Kriminalität" geworden ist und wie naiv die romantischen Verbrechermythen des heutigen Hollywood eigentlich sind, lobt Strobl.
© Perlentaucher Medien GmbH
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