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Plötzlich sind sie da. Niemand weiß, woher sie kommen, jene fünf geheimnisvollen Gestalten, die in dem von Kriegen und Epidemien, Pogromen und Freiheitskämpfen zerrissenen Mitteleuropa unterwegs sind und Kunststücke mit ihren Tränen darbieten. Ihr klappriges Gefährt taucht überall dort auf, wo die Menschen von Unglück und Gewalt heimgesucht werden. Wer sind die Tränengaukler, auf die zuletzt sogar die Meisterspione des Osmanischen und des Habsburger Reiches angesetzt werden? Agenten, Schmuggler, Verschwörer? Oder nur fünf weinende Engel der Geschichte? Jedenfalls trägt die Welt, über die sie…mehr

Produktbeschreibung
Plötzlich sind sie da. Niemand weiß, woher sie kommen, jene fünf geheimnisvollen Gestalten, die in dem von Kriegen und Epidemien, Pogromen und Freiheitskämpfen zerrissenen Mitteleuropa unterwegs sind und Kunststücke mit ihren Tränen darbieten. Ihr klappriges Gefährt taucht überall dort auf, wo die Menschen von Unglück und Gewalt heimgesucht werden. Wer sind die Tränengaukler, auf die zuletzt sogar die Meisterspione des Osmanischen und des Habsburger Reiches angesetzt werden? Agenten, Schmuggler, Verschwörer? Oder nur fünf weinende Engel der Geschichte? Jedenfalls trägt die Welt, über die sie weinen, Züge der heutigen.
Der Roman spielt zur Zeit der türkischen Besetzung Ungarns im 16. und 17. Jahrhundert. Der Erzähler, unverkennbar mit den Tränengauklern im Bunde, heftet sich an die Fersen Franz Pillingers, eines Jungen mit struppigem Haar und schwermütigem Blick, der seine Eltern bei der Belagerung von Wardein verliert und sich den ungarischen Aufständischen anschließen wird. Die Welt, die ihn umgibt, reicht von Polen bis Siebenbürgen, von Belgrad bis Venedig, von Wien bis Szeged. Seine Geschichte ist eingewoben in einen poetischen Kosmos, in dem vom Märchenhaften und Unerhörten so lakonisch berichtet wird wie von den Wirren der Politik. Die historischen Tatsachen bilden die Kulisse für ein wunderdurchwirktes und aufrührendes Welttheater. Wie das "Licht der Sterne die entlegenen Landstraßen der Himmelswelt durchreist", so durchdringt der Blick des Erzählers die Zeiten - ein Blick, den man nicht mehr vergißt.

Autorenporträt
László Darvasi, 1962 in Törökszentmiklós geboren, war Lehrer und debütierte mit Gedichten und Kurzprosa. Spätestens seit seinem Roman Die Legende von den Tränengauklern (1999; dt. 2001) gilt der vielfach ausgezeichnete Autor als einer der originellsten Schriftsteller seiner Generation. Er lebt in Budapest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Der Jude weint Blut, der Serbe Feuerhonig
Ewiger Krieg: László Darvasi treibt den ungarischen Holzteufel aus / Von Tilman Spreckelsen

Wie schafft man das Böse aus der Welt? Der Holzschnitzer Ignác Arnót aus Sopron versucht es auf eine sehr gegenständliche Weise: Er schließt sich in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1664 in seinem Schuppen ein und arbeitet wie ein Besessener in völliger Dunkelheit. Als er zehn Tage später die Tür wieder öffnet, hat er einen großen Holzteufel geschaffen von so vollendet bösartiger Gestalt, daß sich in ihm alles Schlechte dieser Welt versammeln muß, wie Arnót glaubt. Vor den entsetzten Augen seiner Frau entfacht er im Hof ein Feuer und lädt sich den schweren Holzteufel auf den Rücken, damit dessen Huf die Erde nicht berührt, während sein Schöpfer ihn zu den Flammen schleppt.

Doch die Last des Bösen ist zu schwer für Arnót, der kurz vor dem Feuer mit seiner Figur in den Schneematsch stürzt. "Da erhebt sich der Teufel. Reckt seine Glieder. Lebendig, er könnte gar nicht lebendiger sein. Arnót liegt im Schlamm. Der Teufel beäugt ihn aufmerksam, mit vorgeneigtem Oberkörper." Schließlich spuckt er ins Feuer, das auflodert und das Anwesen verschlingt. Am Nachmittag, als alles heruntergebrannt ist, wälzt sich der Teufel grinsend in der rauchenden Asche.

Die Welt, wie sie der ungarische Schriftsteller und Journalist László Darvasi in seinem ersten Roman, der "Legende von den Tränengauklern", entwirft, hätte tatsächlich dringend einen Zauber nötig, der ein wenig Leid von ihr nimmt, und gleichzeitig wird mit jeder Seite deutlicher, daß es diesen Zauber nicht geben kann, daß es in dem großen Gemetzel dieses Romans für die meisten Figuren kaum eine andere Hoffnung gibt als den raschen und schmerzlosen Tod - denn vom langsamen und qualvollen Sterben ist oft und in großer Variationsbreite die Rede. Daß der Roman bei aller Anteilnahme die Fallstricke des Sentimentalen konsequent meidet und sogar stellenweise eine groteske Komik entfaltet, macht ihn überhaupt erst genießbar; daß er sich im Verlauf der Handlung als anspielungsreiches, souverän komponiertes Werk einer anscheinend uferlosen Phantasie darstellt, macht ihn zu einem ästhetisch außergewöhnlich geglückten Buch; daß er schließlich eine erschreckend eindringliche Atmosphäre der allgegenwärtigen Gewalt entwirft, läßt ihn trotz der historischen Einkleidung zu einem eminent aktuellen Text werden.

Der Roman schildert in einem Gewebe aus zahlreichen Einzelepisoden eine der blutigsten Epochen der ungarischen Geschichte, deren Eckdaten die Jahre 1526 und 1686 bilden. Zwischen der ungarischen Niederlage in der Schlacht von Mohács und der Eroberung Budas durch die Habsburger bestimmt das Osmanische Reich direkt oder indirekt die Geschicke Ungarns und Siebenbürgens. Es ist eine Zeit ungeheurer Verluste an Menschenleben; die Bevölkerungszahl Ungarns wird mehr als halbiert, weite Landstriche veröden, weil marodierende Einheiten die Bauern tyrannisieren und in die Emigration treiben. Dabei geht die Gefahr von allen Seiten aus - der Erzähler weist weder den Türken noch den Kuruzen, den Habsburgern oder den siebenbürgischen Fürsten die hauptsächliche Verantwortung für die Greuel zu. Unter den wechselnden Perspektiven, die er einnimmt, dominiert die der Zivilisten, die sich im Moment der Verfolgung nur wenig darum scheren, wessen Soldaten auf sie losgehen. In dieser Atmosphäre ist der Bezug zur Gegenwart der Balkankriege des 1999 im Original erschienenen Romans unverkennbar.

Zusammengehalten wird dieses ausufernde Panorama von einer rästselhaft magischen Schaustellergruppe, die sich durch Mitteleuropa ebenso ungehindert bewegt wie durch die verschiedenen Zeitebenen des Romans: 1540 tauchen die Artisten in Buda auf, um die Stadt knapp hundertfünfzig Jahre später äußerlich unverändert wieder zu besuchen. Die fünf Männer aus verschiedenen Ethnien nennen sich "Tränengaukler" und treten mit einem entsprechenden Programm öffentlich auf - der Jude weint Blut, der Kroate Eisstücke, der Muslim Spiegelscherben, der Serbe feurigen Honig und der Ungar schwarze Kiesel. Was sie vereint, ist das Mitleid, das sie mit den Opfern der Gewalt haben, ein distanziertes, von freundlicher Ironie nicht freies Mitleid allerdings, das Akzente der Menschlichkeit setzt und bewahrt, wo immer sich die Gelegenheit bietet. Zu ihren wichtigsten Fähigkeiten zählt das Vermögen, sich und andere in Augenblicken der Gefahr unsichtbar und damit unangreifbar zu machen, also für kurze Zeit ein Asyl zu schaffen in einer gewaltdurchtosten Welt.

All dies wird berichtet in einem Tonfall, der zwischen Märchen, Legendendichtung und realistischer Erzählung changiert. Inhaltlich muß mit der Gegenwart von Magie fortwährend gerechnet werden; die Natur ist belebt und spielt ihr eigenes Spiel mit der Menschheit. Dies gilt besonders für das literarisch vielfach als "Feenland" ausgewiesene Siebenbürgen. Zum Roman steuert es eine Kolonie von Elfen bei, die aus Angelo, dem verlausten Exsklaven und späteren König der Huren von Buda, für einige Jahre eine zarte Fee machen (und dabei das Vorbild des "Sommernachtstraum" zitieren). Andere Regionen haben ihre eigenen magischen Gesetze, etwa das Grenzland zwischen Moldawien und der Walachei, dessen Bewohnern immer alles doppelt widerfährt - sogar sterben müssen sie zweimal, wie auch die Sonne hier jeden Tag zweimal aufgeht, damit sich ihr Licht überhaupt gegen die Nacht durchsetzen kann.

Daß die Grenze zwischen Tod und Leben nicht klar umrissen ist, führen die vielen Untoten des Romans vor Augen: Die Nebelsoldaten des tapferen Bauernführers Bálint Homonnai-Nagy, die seit über hundert Jahren zu jeder Schlacht zu spät kommen, gehören noch zu den harmlosen. Die Wasserleichen der Ermordeten, die in den Flüssen treiben, bedrängen die Lebenden hingegen erheblich durch ihre Präsenz: "Sie irren in den Wassern und den verschlungenen Gäßchen der Schildwelt herum wie die ruhelosen Juden, Ahasvers Kinder" - weil auf jede Beerdigung Steuern zu entrichten sind, so daß es kaum einer wagt, die Leichen herauszufischen. Ein hundeköpfiger Tatarenfürst legt sich eine Sammlung von Leichenteilen an, aus denen sich später eine hinreißend schöne Frau formt. Sie läuft am Ende als Personifikation des kollektiven Leidens durch das gerade eroberte Buda und fällt nacheinander den Soldaten sämtlicher Parteien in die Hände. Und schließlich sind auch die Tränengaukler Untote, die das Gemetzel durch die Jahrhunderte begleiten, hier und dort lenkend eingreifen, insgesamt aber kaum mehr als Chronisten des Schreckens sind.

Bei allen magischen Elementen, die Darvasis Roman eine Dimension des Allgemeingültigen verleihen, und so grausig-skurril einige der Metzelbeschreibungen anmuten, so sehr der Phantasie eines Autors entsprungen, der auch vor dem Schrecklichsten, was Menschen einander antun können, nicht haltmacht - nur wenige dieser Einfälle sind Fiktion. Offenbar hat der Autor eifrig zeitgenössische Berichte konsultiert und sie - oft ohne Nachweis der Quelle - in seinen Roman integriert. So übernimmt er eine Passage aus der Autobiographie des brandenburgischen Feldschers Johann Dietz, der bei der Eroberung Budas beobachtete, was den gefangenen Türken widerfuhr: "Wurde auch keiner bei dem Leben gelassen, sondern alle massakrieret und meist die Haut abgezogen, das Fett ausgebraten und die membra virilia abgeschnitten und große Säcke voll gedörret, und aufbehalten. Als woraus die allerkostbarste mumia gemacht wird" - Darvasi erweitert den Bericht noch, indem er sich die Krankheiten ausmalt, gegen die jene Arznei aus getrockneten Genitalien helfen soll.

An die Seite dieser Textgenese aus Überlieferung und Autorenphantasie tritt die - im Roman auch erörterte - eigentümliche Polyperspektivik, die alle Parteien ausgiebig zu Wort kommen läßt und dabei unaufhörliche Widersprüche hervorbringt, die nicht aufgelöst werden. So ist vom hingerichteten "Verräter Franz Báchy" die Rede, nur um einen Absatz später den "Märtyrertod" Báchys zu betrauern. Daß alles eine Frage der Perspektive ist, wird auch bei der Wiedergabe von zeitgenössischen Quellen deutlich, wenn etwa ein Budaer Färbermeister von den Greueltaten der türkischen Invasoren berichtet - wenig später ist allerdings von einem Traum jenes Färbermeisters die Rede, auf den sein Bericht zurückgeht und den er dazu noch ordentlich aufbauscht.

Wie also schafft man das Böse aus der Welt? Der unermüdliche Ignác Arnót unternimmt viele Jahre später einen zweiten Versuch, als ihn sein Holzteufel noch einmal heimsucht und sich an der kleinen Tochter des Schnitzers vergreifen will. Arnót reißt einen jungen Baum aus, dessen Samen er vor Jahren von den Tränengauklern bekommen hatte, und prügelt den Teufel damit zu Tode: "Kaum eine Viertelstunde später sind von dem . . . Teufel nur noch ein paar zerbrochene Stöcke und gespaltene Holzstücke übrig." Hat er damit wirklich einen Sieg für das Gute errungen? Sein Versuch, alles Böse der Welt in die Holzfigur zu bannen, galt schon bald unter seinen Nachbarn als völlig mißlungen; Arnót habe, so sagen sie, nur einen höchst unvollkommenen Teufel geschaffen, der niemanden ins Verderben stoßen kann: "Manchmal taucht er auf, wiegt ein kleines Mädchen, ein altes Weiblein, einen jungen Herrn, aber im Grunde ist er harmlos. So einen Versager von einem Teufel gibt es nicht noch mal auf dieser Welt!"

László Darvasi: "Die Legende von den Tränengauklern". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Heinrich Eisterer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 576 S., geb., 49,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Souverän komponiert und ästhetisch außergewöhnlich geglückt findet Rezensent Tilman Spreckelsen dieses anspielungsreiche Werk. Dass Autor Darvasi "eine erschreckend eindringliche Atmosphäre der allgegenwärtigen Gewalt" entwerfe, mache das Buch "trotz der historischen Einkleidung" zu einem "eminent aktuellen Text". Der Roman schildere "in einem Geweben aus zahlreichen Einzelepisoden" eine der blutigsten Epochen der ungarischen Geschichte, deren Eckdaten 1526 und 1886 bildeten. Der Bezug zur Gegenwart der Balkankriege des 1999 im Original erschienen Roman sei dabei unverkennbar. Der beeindruckte Rezensent beschreibt ein "ausuferndes Panorama", das von einer "rätselhaft magischen Schaustellergruppe" zusammengehalten wird, die sich durch Mitteleuropa ebenso ungehindert bewegen, wie durch die Zeitebenen des Romans. Zu den wichtigsten Fähigkeiten dieser "Tränengaukler" zählt Spreckelsen deren Fähigkeit, "sich und andere im Augenblick der Gefahr unsichtbar zu machen" und so für eine kurze Zeit in der "gewaltdurchtosten Welt" ein Asyl zu schaffen. Der Rezensent steht sichtlich im Bann des Romans und seines Tonfalls "zwischen Märchen, Legendendichtung und realistischer Erzählung. Bei allen "magischen Elementen", die Darvasis Roman "die Dimension des Allgemeingültigen" verleihe, "und so grausig-skurril einige der "Metzelbeschreibungen" anmuten würden: nur wenige dieser Einfälle seien Fiktion.

© Perlentaucher Medien GmbH"
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