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Vor einiger Zeit wurde Friedemann Bedürftig durch Hörensagen bekannt, dass bei einer Familie im Raum Hamburg ein kleines Päckchen von Briefen Herbert Wehners lagert. Nach Einsicht entpuppte sich der Faszikel als eine Korrespondenz des 18- bis 20jährigen Anarchisten Herbert Wehner aus Dresden mit einem offenbar gleich gesinnten Hamburger im Zeitraum Frühjahr 1924 bis Mai 1926. Vorhanden ist eine ununterbrochene Brieffolge von elf Briefen Wehners und einem Brief seines Freundes.
Aus den Jugendjahren Wehners gibt es nur ganz wenige originale Zeugnisse. Hartmut Soell, Verfasser des Buches »Der
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Produktbeschreibung
Vor einiger Zeit wurde Friedemann Bedürftig durch Hörensagen bekannt, dass bei einer Familie im Raum Hamburg ein kleines Päckchen von Briefen Herbert Wehners lagert. Nach Einsicht entpuppte sich der Faszikel als eine Korrespondenz des 18- bis 20jährigen Anarchisten Herbert Wehner aus Dresden mit einem offenbar gleich gesinnten Hamburger im Zeitraum Frühjahr 1924 bis Mai 1926. Vorhanden ist eine ununterbrochene Brieffolge von elf Briefen Wehners und einem Brief seines Freundes.

Aus den Jugendjahren Wehners gibt es nur ganz wenige originale Zeugnisse. Hartmut Soell, Verfasser des Buches »Der junge Wehner«, hat nur vereinzelte Stücke gefunden. Die nun aufgefundenen Briefe zeigen, dass er die Seelenlage und politische Entwicklung des jungen Mannes trotzdem recht gut erschlossen hat. Denn Wehner geht in seinen Briefen auch auf sehr persönliche Dinge ein. Dabei handelt es sich vor allem um Nöte, Sorgen, Suche, genauer: um Wehners Leiden an beruflicher Ausbeutung, Problemen mit den Eltern, Scheu vor Mädchen, quälender Einsamkeit, Natursehnsucht, politischer Lethargie - möglicherweise eines der Motive für seinen späteren Übergang zu den Kommunisten.
In Wehners Äußerungen zeigen sich die typischen Symptome einer Umbruchphase. Der junge Autodidakt ist noch ganz Revolutionär und doch schon klar in seiner pragmatischen Lagebeurteilung. Es zeigt sich aber auch eine überraschend weiche Seite bei ihm, wie sie sonst nirgends derart deutlich durchscheint.
Friedemann Bedürftig hat die Briefe transkripiert, die im Buch auch als Faksimile wiedergegeben werden und einen Abriss über jene Dresdener Jahre verfasst.
Autorenporträt
Friedemann Bedürftig, geboren 1940 in Breslau, studierte Geschichte und Germanistik in Tübingen. Er arbeitete als Lexikonredakteur, Verlagslektor und Journalist. Seit 1981 lebt er als freier Publizist in Hamburg und ist Autor einer Reihe Taschenlexika in der Serie Piper.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2006

Gegen Kaiser und Republik
Autobiographische Skizzen aus der kommunistischen Arbeiterbewegung

Im Februar 1946 verkündete Anton Ackermann in einem Funktionärsblatt der KPD den "besonderen deutschen Weg zum Sozialismus". Er meinte damit eigentlich nur, daß es unter den Bedingungen der sowjetischen Besatzungsherrschaft in einem Teil Deutschlands möglich sei, eine "demokratische Machtergreifung des Proletariats" ohne Bürgerkrieg herbeizuführen. Die westlichen Besatzungszonen hatte Ackermann zu diesem Zeitpunkt schon an "das Kapital" abgeschrieben. Er äußerte sich freilich nicht aus eigener Verantwortung. Was er verkündete, war eine Verlautbarung der KPD-Führung. Es gab keinen Dissens mit Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht. Nachdem Stalin mit Tito in Streit geraten war und die besonderen nationalen Wege zum Kommunismus außer Mode gekommen waren, mußte Ackermann stellvertretend für die SED-Führung Selbstkritik üben. Im September 1948 bezeichnete er seine früheren Ansichten vom deutschen Weg als "Unklarheiten und Verwirrungen", als eine "falsche und gefährliche Theorie, die wir ausmerzen müssen".

Der von Frank Schumann herausgegebene Dokumentenband über Ackermann enthält einige neue Hintergrundinformationen über das Zustandekommen des "besonderen deutschen Wegs zum Sozialismus". Unmittelbar nach der Konferenz von Jalta 1945 hatte Georgi Dimitroff die Führung der Moskauer Exil-KPD zu sich gebeten und darüber informiert, "daß Berlin geteilt wird, daß Deutschland geteilt wird". Neben Pieck und Ulbricht nahmen auch Ackermann und seine Lebensgefährtin Elli Schmidt an diesem Treffen teil. Elli Schmidt erinnerte sich 1966 in einer SED-internen Zeitzeugenbefragung an die damalige Unterredung mit dem Europabeauftragten der KPdSU. Seit dem Gespräch mit Dimitroff sei sich die KPD-Führung sicher gewesen, "daß der Kapitalismus wenigstens in einem Teil Deutschlands seine Existenz behaupten wird".

Ackermann mußte 1948 nach der Revision seines "deutschen Sonderwegs" keine weiteren Konsequenzen ziehen. Er genoß den besonderen Schutz der sowjetischen Geheimpolizei, deren Mitarbeiter er seit den dreißiger Jahren war. In Ost-Berlin sorgte er im Zusammenspiel mit dem KGB für den Aufbau der DDR-Auslandsspionage, die er 1952 seinem Nachfolger Markus Wolf übergab. Als Ulbricht nach der Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 die Gunst der Stunde nutzte und sich die Gewährsleute des KGB in der SED-Führung vom Hals schaffte, ging es auch mit Ackermann bergab. Der brave Kommunist übernahm ohne jedes Murren alle möglichen nachgeordneten Funktionärsposten, bis er sich 1962 schließlich resigniert zum Invalidenrentner erklären ließ. Nach langer und schwerer Krankheit erschoß er sich am 4. Mai 1973 mit seiner Dienstwaffe.

Sicher werden Erich Honecker und der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert Wehner, als sie sich am 30. Mai 1973 unter sechs Augen - Hermann Axen war auch dabei - zum Abendessen in Honeckers Ferienhaus trafen, auch einige Sätze über Ackermanns Tod gewechselt haben. Wehner war als Spitzenfunktionär der illegalen KPD nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" eine Zeitlang für die politische Anleitung der im Berliner Untergrund tätigen Kommunisten, also auch für Ackermann und Honecker, verantwortlich. Im Moskauer Exil gehörten Wehner und der gleich alte Ackermann mehrere Jahre gemeinsam mit Pieck und Ulbricht zur engeren KPD-Führung. Doch im Unterschied zu Wehner folgte Ackermann mit kommunistischem Kadavergehorsam sämtlichen Richtungswechseln, die ihm in der Sowjetunion und später in der SBZ/DDR abverlangt wurden. Die Gründe dafür mögen zum guten Teil in der sehr unterschiedlichen politischen Sozialisation dieser beiden Funktionäre gelegen haben.

Während Ackermann im Oktober 1923 bereits im illegalen Militärapparat der KPD den bewaffneten Aufstand gegen die Weimarer Republik vorbereitete, beschimpfte Wehner die Kommunisten als korrumpierte Bürokraten. Sie seien ähnlich wie die Sozialdemokraten "bürgerlich und antirevolutionär". Wehner verstand sich als Anarchist. Er fühlte sich berufen, "die Erkenntnis in den Geistern zu wecken, daß es auf den einzelnen Menschen ankommt und daß nur der, der innerlich sich frei gemacht hat, sich befreien kann". Diese Zeilen finden sich in einem Brief an seinen Freund Max Baumann, den er im Sommer 1923 auf einem Arbeiterjugendtag in Nürnberg kennengelernt hatte.

Herausgeber Friedemann Bedürftig stieß vor einigen Jahren in Baumanns Nachlaß auf Wehners ebenso innige wie schwarmgeistige Jugendbriefe aus den Jahren 1924 bis 1926. Diese psychologisch vielsagenden Schlüsseldokumente zum späteren Werdegang des bedeutenden Sozialdemokraten sind nun kurz vor Wehners hundertstem Geburtstag in einer vorzüglich kommentierten und reichbebilderten Dokumentation "einer Brieffreundschaft in bewegter Zeit" erschienen. Das von Bedürftig und Hartmut Soell kommentierte Buch ist eine bibliophile Kostbarkeit - nicht nur für Wehner-Fans. Es öffnet den Nachgeborenen Verständniskanäle zu den Kraftquellen der 1933 untergegangenen deutschen Arbeiterbewegung. Wehners Jugendbriefe bilden einen unbändigen Willen zur individuellen Freiheit ab. In diesem Freiheitswillen dürften die Wurzeln dafür gelegen haben, daß sich der Vollblutpolitiker schließlich nach schwersten stalinistischen Irrwegen gegen den kommunistischen Despotismus wandte, sich für die soziale Demokratie entschied und 1959 die spätmarxistische SPD auf den Godesberger Weg brachte.

Die Arbeitersöhne Ackermann und Wehner verdankten den ehemaligen Sozialdemokraten Käte und Hermann Duncker einen Gutteil ihrer kommunistischen Bildung. Die Dunckers gehörten in den zwanziger Jahren zu den führenden Lehrkräften der Marxistischen Arbeiterschulen (MASCH). Das Ehepaar war schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in der sozialdemokratischen Arbeiterbildungsbewegung aktiv. Nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges schlugen sich Käte und Hermann Duncker auf die Seite der radikalen Kriegsgegner um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Clara Zetkin. Der promovierte Nationalökonom Duncker mußte 1915 im Alter von 41 Jahren in den Krieg ziehen. Mit seiner Frau Käte, die sich mit zwei Kindern, wenig Geld und reichlich revolutionärer Gesinnung in Berlin durchschlug, wechselte er Briefe voller Poesie, voller Empfindsamkeit füreinander und voller Seelenqual über die fürchterlichen Gemetzel auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs. Dieser Briefwechsel zeugt von einem tiefen Pazifismus, aber auch von einer Glanzzeit der deutschen Sprache. Es ist ein Genuß, diese Texte zu lesen und zu verstehen, wie sich das Paar durch die schwere Zeit schlug. Duncker hatte Glück. Der fast vollständig nachtblinde Brillenträger wurde im Schützengraben zu einer größeren Gefahr für die eigenen Leute als für den Feind. Nachdem er mit aufgepflanztem Bajonett fast einen Vorgesetzten aufgespießt hatte, kam er in die Schreibstube und überlebte die Schlacht von Verdun.

Heinz Deutschland, zu DDR-Zeiten Professor für Gewerkschaftsgeschichte, präsentiert den bislang unbekannten Briefwechsel der Dunckers. Bis zu seinem Tod im Jahr 1960 leitete Duncker die Bundesschule des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB in Bernau. Seine Briefe aus dem Ersten Weltkrieg lagerten bis zum Ende der DDR im geheimen SED-Parteiarchiv. Der militaristische SED-Staat konnte ihr Erscheinen nicht zulassen. Sie wären zur Berufungsinstanz für jeden Wehrdienstgegner mißraten.

Die Zerstörung von Individualität unter militärischem Drill, die Duncker in seinen Briefen von 1915 schilderte, lesen sich wie Subtexte zu den literarischen Erlebnisberichten von Jürgen Fuchs über den Dienst in der Nationalen Volksarmee. Heinz Deutschland erklärt mit keinem Wort, warum der beeindruckende Briefwechsel aus dem Dunckerschen Nachlaß, mit dem er sich "seit 1960 beschäftigt habe", erst jetzt erscheint. Statt dessen murmelt er, wie "erstaunlich aktuell" die teilweise in konspirativer Sprache gehaltenen Texte doch seien, und verweist auf die angeblich "inzwischen auch in Friedenszeiten üblichen Hightec-Spionierereien". Auch Frank Schumann pflegt sein in der DDR erlerntes Agitatorenhandwerk und will Anton Ackermann als "deutschen Patrioten" verkaufen. Genau das aber war dieser Gefolgsmann und Funktionär Moskaus weder vor und schon gar nicht nach 1945. Ganz im Unterschied zu Herbert Wehner.

JOCHEN STAADT

Frank Schumann (Herausgeber): Anton Ackermann - Der deutsche Weg zum Sozialismus. Selbstzeugnisse und Dokumente eines Patrioten. Eulenspiegel Verlagsgruppe Das neue Berlin, Berlin 2005. 288 S., 19,90 [Euro].

Friedemann Bedürftig: Die Leiden des jungen Wehner. Dokumentiert in einer Brieffreundschaft in bewegter Zeit 1924-1926. Parthas Verlag, Berlin 2005. 160 S., 28,- [Euro].

Heinz Deutschland (Herausgeber): "Ich kann nicht durch Morden mein Leben erhalten". Briefwechsel zwischen Käte und Hermann Duncker 1915 bis 1917. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2005. 210 S., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Überaus instruktiv findet Rezensent Alfred Cattani die vorliegenden Briefe Herbert Wehners aus den Jahren 1924 bis 1926, die Friedemann Bedürftig herausgegeben hat. Die Briefe vermitteln nach Cattanis Ansicht einen prägnanten Eindruck vom Denken des knapp 20-jährigen Wehner, der damals seine revolutionäre Phase durchlebte. Doch trotz seiner revolutionären Ambitionen schien der spätere SPD-Fraktionsvorsitzende einen kühlen Kopf zu bewahren. Cattani jedenfalls bescheinigt dem jungen Wehner eine recht sachliche und nüchterne Einschätzung der Situation der Weimarer Republik.

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