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Alexander Short ist Bibliothekar an der New York Library. Seine Begeisterung für Kataloge, Inventarlisten und Verzeichnisse ist so groß, dass er darüber seine französische Ehefrau Nic sträflich vernachlässigt. Als ein älterer Herr Short bittet, ihm bei einer speziellen Recherche Hilfe zu leisten, ist er nur allzu gern bereit. Eine abenteuerliche Suche beginnt.

Produktbeschreibung
Alexander Short ist Bibliothekar an der New York Library. Seine Begeisterung für Kataloge, Inventarlisten und Verzeichnisse ist so groß, dass er darüber seine französische Ehefrau Nic sträflich vernachlässigt. Als ein älterer Herr Short bittet, ihm bei einer speziellen Recherche Hilfe zu leisten, ist er nur allzu gern bereit. Eine abenteuerliche Suche beginnt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2003

In der Uhr tickt das Symbol
Allen Kurzweil zieht den Geist der Bibliothek auf Flaschen
Jede Abenteuergeschichte ist eine Domestizierung des Abenteuers. Die Erzählung bannt das Exotische und Unverständliche in sinnvolle Sätze, das Buch ist die magische Flasche, in der man den fremden Geist eingeschlossen und auf Vorrat zu haben glaubt. Allen Kurzweil hat mit „Die Leidenschaften eines Bibliothekars” eine Abenteuergeschichte geschrieben, die einen Schritt weiter geht. Sie handelt nicht von fernen Ländern und fremden Kulturen, sondern vom Recherchieren in Bibliotheken. Hier sind alle Geheimnisse unter Dach und Fach.
Weil das Interieur in Kurzweils Roman an die Stelle des offenen Himmels tritt, ist seine Neigung zur Detektivgeschichte keine Überraschung, denn das Interieur ist jener Ort, an dem sich die Spuren, die Menschen hinterlassen, am deutlichsten zeigen. Die Verdrängung des Abenteuers in der Literatur durch die Hermeneutik geht mit der zunehmenden Beschränkung der bürgerlichen Welt auf den Innenraum einher.
Kurzweils Buch ist ein Extrembeispiel dieser Tendenz. Es will eine Abenteuergeschichte gerade dort finden, wo allem Zauber durch Rationalisierung ein Ende gemacht wird. Ist der Bibliothekskatalog nicht viel besser als eine Weltreise, weil in ihm alles enthalten und auffindbar ist, nach dem wir je suchen wollen? Die Katalogsuche, so gibt Kurzweils Buch zu verstehen, ist das eigentliche Abenteuer des Informationszeitalters. Distanzen spielen dabei kaum mehr eine Rolle, im Gegenteil. Die Bibliothek ist Platz genug, und irgendwie fühlt sich der Leser freundlich ermahnt, die Seiten doch bitte leise umzublättern.
Die freundliche Ermahnung ist der gespreizte und kalauernde Plauderton von Alexander Short, der seine Autorität als Erzähler zur Belehrung missbraucht. Er ist der Held, ein Bibliothekar in der New York Library, er trägt wie die Mönche im Mittelalter ein „Beutelbuch” um seine Taille gebunden und erhält eines Tages von einem zwielichtigen älteren Herrn namens Henry James Jesson III das Angebot, gegen Bezahlung Recherchen für ihn anzustellen. Es geht um eine verschollene Uhr namens Marie-Antoinette, das Meisterwerk des gefeierten Uhrmachers Abraham-Louis Breguet. Diese Uhr soll einmal im zehnten Fach des Guckkastens eines Ingenieurs gestanden haben, der in dem Kasten die wichtigsten Ereignisse seines Lebens anhand von zehn Gegenständen symbolisch veranschaulichen wollte.
Nun gilt es für Short, eine Reihe von Abenteuern zu bestehen. Ein Buch muss aus der Binderei entwendet, Suchbegriffe richtig in den Computer eingegeben und die richtigen Dokumente aufgespürt und miteinander verglichen werden. Short, der als verkitschter Vertreter seines Berufsstands wie ein liebenswerter Bücher-Narr wirken soll, aber bloß pedantisch ist, spart nicht an Äußerungen, die seine innere Aufgewühltheit bei der Lösung dieser Aufgaben bezeugen. Damit es nicht ganz so erlebnisarm zugeht wie in Gustav Freytags „Soll und Haben”, wo Kontorsgesellen die Welt weit genug finden, wenn sie einmal am Tag an den Kolonialwaren schnüffeln, darf Short immer wieder seinen Arbeitsplatz verlassen, mit fremden Menschen reden und sich mit seiner Frau streiten.
Probier‘s mal mit Gemütlichkeit
Diese Begegnungen enthüllen eine der großen Schwächen des Buchs: es zeichnet die Nebenfiguren so einseitig und übertrieben wie nur möglich. Shorts Frau Nic ist eine sinnliche Französin, die mit der englischen Sprache nicht zurechtkommt; ein Herr namens Lyons, den Short zur Recherche konsultiert, dreht beim Interview spontan Pirouetten und ist verliebt in Marie-Antoinette; der jüdische Uhrmacher Ornstein rückt nur gegen Geld mit der Wahrheit heraus. Aber auch der alte Jesson gibt keinen Anlass zur Freude. Seine gewollt witzigen, mit Anspielungen gespickten Belehrungen machen das Buch auch nicht interessanter als die enzyklopädischen Ergüsse des Protagonisten über die Herstellung und Klassifikation von Fibeln und Folianten.
Trotz aller Abenteuer und Nachforschungen wickelt sich die Handlung mit großer Gemütlichkeit ab. Erst als die Absichten des Auftraggebers immer fragwürdiger werden, entwickelt der Roman Dynamik. Was gefragt ist, bleibt jedoch Geduld, und am Ende ist nicht ganz klar, ob Short einen geheimnisvollen Fall recherchiert und gelöst oder nur den Inhalt eines Karteikastens neu geordnet hat.
Wer sich für Buchherstellung und Bibliotheken interessiert, für den mag sich die Lektüre lohnen. Denn Kurzweil hat gründlich recherchiert, ehe er den Roman nach neun Jahren fertig stellte. Wer die Leidenschaften des Bibliothekars Alexander Short nicht teilt, bei dem hinterlässt seine Geschichte das Gefühl, beim Lesen zu alt geworden zu sein.
KAI MARTIN WIEGANDT
ALLEN KURZWEIL: Die Leidenschaften eines Bibliothekars. Roman. Luchterhand Verlag, München 2002. 405 Seiten, 22,50 Euro.
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