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"So, wie es Catch 22 um den Wahnsinn des Krieges geht, geht es in Die letzte Fenstergiraffe den Wahnsinn des Alltags in einer Diktatur" Frank PrescottEin Buch, das uns eine ganze Welt eröffnet - und zudem eines der spannendsten literarischen Debüts der letzten Jahre."So etwas Originelles habe ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr gelesen", meint der ungarische Autor Mihßly Kornis über Peter Zilahys literarisches Debüt, und in der Tat - dem Autor ist ein kleines Wunder gelungen. In kurzen Szenen von großer Sprachmagie erzählt er von den turbulenten Demonstrationen gegen Milosevic, vom Umsturz in…mehr

Produktbeschreibung
"So, wie es Catch 22 um den Wahnsinn des Krieges geht, geht es in Die letzte Fenstergiraffe den Wahnsinn des Alltags in einer Diktatur" Frank PrescottEin Buch, das uns eine ganze Welt eröffnet - und zudem eines der spannendsten literarischen Debüts der letzten Jahre."So etwas Originelles habe ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr gelesen", meint der ungarische Autor Mihßly Kornis über Peter Zilahys literarisches Debüt, und in der Tat - dem Autor ist ein kleines Wunder gelungen. In kurzen Szenen von großer Sprachmagie erzählt er von den turbulenten Demonstrationen gegen Milosevic, vom Umsturz in Ungarn, von der Befreiung Rumäniens, von historischen Kränkungen und uralten Feindschaft zwischen den Völkern des Ostens, von der Euphorie der Wendejahre und von dem was bei uns schon fast in Vergessenheit geraten ist: wieviel die Hoffnung auf demokratische Grundwerte für die bedeuten kann, denen sie nicht so selbstverständlich sind wie uns. Auf raffinierte Weise spielt Zilahy in diesem literarischen Kabinettstück über das politische Erwachsen werden mit der Form eines Kinder-ABCs. Seinem elementaren Mix aus Wörterbuch, Reportage, Roman, Essay, Erlebnisbericht und geschichtlichem Handbuch gelingt es, ein lebendiges Mosaik des verwirrend vielgestaltigen Osteuropa zu entwerfen, durchzogen vom Geruch der Freiheit.
Autorenporträt
Terézia Mora, 1971 in Sopron/Ungarn, geboren, lebt seit 1990 in Berlin und ist Übersetzerin aus dem Ungarischen. Für ihre Erzählungen erhielt sie 1997 den Open-Mike-Literaturpreis, 1999 den Ingeborg-Bachmann-Preis und 2000 den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Für ihr bisheriges literarisches Werk sowie für ihre vielfältigen Aktivitäten als Übersetzerin und Vermittlerin zwischen dem deutschsprachigen und dem ungarischen Kulturraum wurde Terézia Mora 2010 mit dem Chamisso-Preis geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2004

Die Zeit ist auf unserer Seite
Belgrader Winter aus der Froschperspektive: Péter Zilahy schreibt am Wörterbuch der Revolution

Vor dem großen Einschnitt, als das Jahrtausend zu Ende geht, führt der ungarische Schriftsteller Péter Zilahy, neunundzwanzig Jahre jung, ein Tagebuch für das Magazin "Beszélo". Am 5. Dezember 1999 notiert er: "Wir werden 120 Jahre leben, sagt das Fernsehen, so die neuesten Forschungen. Dank der Medizin und der modernen Genetik. Sie zeigen auch das Bild eines Hundertzwanzigjährigen, das könnte jeder von uns sein." Der gewohnte Ablauf von Weltzeit und Lebenszeit ist aus den Fugen geraten, und das Fernsehen macht die Sache nicht besser: "In den Nachrichten erscheint die Zeit begründet, von überall her wird die frischeste Zeit geliefert. Gerade aus Havanna gekommen wie die reifen Orangen. Als würden die Sachen nur passieren, damit das Orakel sie vorlesen kann. Glaubst du an Nachrichten?"

Zilahy hat, wie viele Osteuropäer, deren Volljährigkeit ungefähr mit dem Umbruch von 1989 zusammenfiel, den Fernsehsessel verlassen, um weit zu reisen - seine Textsammlung "Drei", im vergangenen Jahr in der schönen Edition Solitude erschienen, umfaßt neben Tagebucheinträgen und Gedichten auch Notizen beispielsweise aus China oder New York. Sie berichten von langen Spaziergängen durch fremde Stadtviertel, geben wieder, was der Reisende unterwegs aufschnappt, halten Augenblickseindrücke fest und sprechen - manchmal beinahe kokett - von Verwirrung und Überforderung angesichts des Gesehenen. Die Umkehrung der Fernsehperspektive, die Reise an die Orte, von denen die Nachrichten stammen, die "das Orakel" vorliest, führt jedenfalls zu keinem geschlossenen Weltbild, im Gegenteil: Was auf dem Bildschirm klar und geordnet erscheint, erweist sich im Erleben als chaotisch und vielfältig gebrochen.

Das ist nicht sonderlich überraschend, wird aber von Zilahy in seinem ersten, vor "Drei" entstandenen, erst jetzt auf deutsch erschienenen Band "Die letzte Fenstergiraffe" mit nachdrücklicher Eleganz gleichzeitig vorgeführt wie reflektiert - und das angesichts jener Belgrader Proteste um die Jahreswende 1996/97, als Demonstranten wochenlang gegen Milosevic auf die Straße gingen.

"Die Nachrichten live zu erleben ist ein alter Traum von mir", heißt es zu Beginn, und Zilahy, der sich im revolutionären Chaos bald Auge in Auge mit martialischen Polizisten, phantasievollen Demonstranten und sympathisierenden Augenzeugen wiederfindet, sammelt beharrlich Eindrücke aus der Froschperspektive: Da sind revolutionäre Techniken (wegen der vielen Würfe kunstvoll zum Faulen gebrachter Eier spricht man in Belgrad bald von der "gelben Revolution"), Diskussionen, Partys und ein weitgefächertes Ideenfeld, für das sehr unterschiedliche Menschen auf die Straße gehen: "Sie demonstrieren, weil sie etwas anderes wollen. Alle wollen etwas anderes. Freie Wahlen, Pressefreiheit, Macht, Frauen, Groß-Serbien. Niemand will Milosevic."

Und alle finden sich bald mit etwas Glück gleichzeitig diesseits und jenseits der Kameras wieder: "In Belgrad hat jeder eine gleich große Chance, auf den Bildschirm zu kommen. Die Nachrichten laufen live, jede auf einem extra Kanal. Am Abschlußtag der Demonstrationen entrollen die Studenten der Kunsthochschule Leinenrollen von 20 Metern Länge vor den Fenstern des Dekanats, auf den Leinwänden steht in schwarzen Lettern: to be continued. Fortsetzung folgt."

Für diesen Strauß an Eindrücken findet Zilahy eine glückliche Form, indem er sich, wie er am Anfang berichtet, an einem 1971 in Budapest erschienenen Kinderlexikon namens "Ablak-Zsiráf" orientiert und seine Notizen grob alphabetisch strukturiert. Das öffnet allen Assoziationen und Abschweifungen Tür und Tor, solange sie durch den gleichen Anfangsbuchstaben zusammengehalten werden. Natürlich verlangt das der Übersetzerin eine Menge ab, und es ist bewundernswert, wie Terézia Mora diesen Zusammenhang noch im Deutschen sichtbar machen kann: Wo im Ungarischen etwa die Anfangsbuchstaben der Worte "Ablak" und "Zsiráf", "Fenster" und "Giraffe", das ganze Alphabet umfassen, schnurrt dieser Raum in der deutschen Übersetzung notgedrungen auf den kleinsten Abstand zwischen zwei Buchstaben zusammen.

Zilahys Hingabe an die lexikalische Form - auch in "Drei" findet sich ein Bericht über den Diebstahl eines Lexikons, den der Autor als Zwölfjähriger begangen haben will - und der kreative Umgang mit lautlicher Verwandtschaft erlaubt es, Geschichte und Gegenwart, Welt, Balkan und das unmittelbare Umfeld, Gehörtes und Erlebtes auf das schönste miteinander zu verweben. Hier hat das Buch seine stärksten Momente. Zilahy berichtet etwa von dem öffentlichen Zuspruch von Terry Gilliam - ehemals Mitglied von "Monty Python's Flying Circus", der die Studenten auffordert, durchzuhalten "bis zum Äußersten", da doch "die Augen der Welt auf Euch gerichtet" seien - und fügt hinzu: "Ich werde ganz sentimental, 56er-Feeling. Alle sind mit uns, nur das Entsatzheer verspätet sich. 1456 kamen 60 000 deutsche und polnische Kreuzritter einige Wochen nach der Schlacht in Weißenburg an."

Wo er kann, setzt Zilahy das Erlebte in Bezug zur jüngeren Geschichte östlich des Eisernen Vorhangs, ohne sich je auf eine knappe Kausalität festzulegen (solche Konstruktionen veralbert er lieber); Historie wird ihm zur Folie, vor der sich das unmittelbar Erlebte als Einzelfall abhebt. Und so ist sein Buch, allen Arabesken zum Trotz, im Kern ein großes Lied auf einen friedlichen Revolutionswinter:

"Der Offizier ruft uns unter Tränen auf, uns aufzulösen, er sagt es halb ins Megaphon, halb in sein Walkitalki, bitte, lösen Sie sich auf. Lösen Sie sich doch auf, sagt eine Oma um die sechzig, auf ihrem Papierhut die Aufschrift ,Ich bin ein ahnungsloser Passant.' Wir entfernen uns nicht mehr. Wir haben Rückenwind, den Polizisten scheint die Sonne in die Augen. Die Zeit ist auf unserer Seite."

Péter Zilahy: "Die letzte Fenstergiraffe". Ein Revolutions-Alphabet. Aus dem Ungarischen übersetzt von Terézia Mora. Verlag Eichborn Berlin, Frankfurt am Main 2004. 180 S., geb., 22,90 [Euro].

Péter Zilahy: "Drei". Erzählungen, Tagebücher, Gedichte. Aus dem Ungarischen übersetzt von Agnes Relle, Terézia Mora, Ilma Rakusa, Gerhard Falkner, Joachim Helfer und Christian Polzin. Edition Solitude, Stuttgart 2003. 156 S., geb., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2004

Helme mit Tortenglasur
Statt Kraut und Rüben: Péter Zilahy erzählt von A bis Z, von Alpha bis Omega, vom Anfang bis zum Ende die Geschichte Mitteleuropas - „Die letzte Fenstergiraffe. Ein Revolutions-Alphabet”
Das sicherste Mittel, eine große Menge Stoff so zu organisieren, dass daraus nicht automatisch eine Geschichte oder eine Erzählung wird, ist das Alphabet. Wo dem Autor sonst mit jeder seiner Entscheidungen, zuerst von diesem und dann von jenem zu erzählen, eine verborgene Sinnanmutung unterstellt wird, leugnet die alphabetische Anordnung hartnäckig jeden Aussagewillen. Nicht zufällig sind es jene Textgattungen und Schriftformen, die keinen Autor im vollen Sinn haben, welche diesem Prinzip folgen: Archive, Register, Telefonbücher und Enzyklopädien. Ihnen garantiert die alphabetische Anordnung sowohl die Gleichwertigkeit ihrer Einträge als auch die einfache Nachschlagbarkeit. So lässt sich Wissen organisieren und verfügbar halten, ohne es inhaltlich qualifizieren zu müssen.
Wenn aber ein Schriftsteller das Lexikon-Prinzip in die Belletristik einführt, so wird eines seiner Hauptvorteile, die Nachschlagbarkeit, funktionslos. Denn was nachzuschlagen uns interessieren könnte, erfahren wir in der Literatur ja erst während der Lektüre. Und dass die Ordnung des Alphabets unsere konventionelle Erwartungshaltung an einen Spannungsbogen aufhöbe, ist auch nicht der Fall: Wir lesen von A bis Z wie vom Anfang zum Ende. Findet mit Z, mit dem Ende, die vermiedene Geschichte aber auch ihren abrundenden Schluss? Péter Zilahys Lexikon-Roman „Die letzte Fenstergiraffe. Ein Revolutions-Alphabet” hat das sympathischste Happy End, das die Literatur kennt. Der scheinbar technische, anonyme, alphabetische Geist der Erzählung endet mit den Worten: „Mit herzlichen Grüßen / Dein Freund Péter”.
Was ist das überhaupt für ein Lexikon, das immer wieder in die Erste Person Singular fällt? Péter Zilahy ist Jahrgang 1970 und in Budapest geboren. Und das heißt, er ist mit einem Bildlexikon für Kinder aufgewachsen, das erstmals 1971 verlegt wurde und das auf ungarisch „Fenstergiraffe” heißt, Ablak-Zsiráf, also alle Dinge dieser Welt von A bis Z, von Ablak bis Zsiráf, von Fenster bis Giraffe, umfasst. Den spezifischen Geist dieses Lexikons kann der deutsche Leser nur erahnen, insofern Zilahy in seinem Buch für jeden Buchstaben einen Eintrag daraus zitiert.
Dieses Kinderlexikon kennt die in ihrer Sachlichkeit schon fast tautologische Information: „Der Trommler schlägt die Trommel: er schlägt sie mit dem Trommelschlegel.” Daneben hält es pragmatisches Weltwissen bereit: „Aus dem Rohgummi (des Gummibaums) werden in der Gummifabrik Autoräder, Gummistiefel, Gummibälle und Radiergummis hergestellt.” Aber auch, zum Stichwort „loslassen”, Einträge von so philosophischer Abgründigkeit, dass einen das kosmische Grausen erfassen könnte: „Wenn wir etwas loslassen, bleibt es nie von alleine stehen.”
Ebenso psycho-pädagogisch durchaus zweideutige, mit der Angstlust spielende Äußerungen: „Der Drache im Märchen hat 7 Köpfe. Wenn wir nicht wüssten, dass es ihn nur im Märchen gibt, hätten wir Angst vor ihm.” Dann gibt es moralisch-normative Einträge: „Was wäre, wenn jedes Kind dann zur Schule ginge, wenn es ihm gerade einfällt?” Und manche Einträge sind so dadaistisch vergnügt, dass sie einem wie die reine Subversion vorkommen: „Der Scheinheilige ist kein Heiliger mit einem Schein, sondern er scheint nur ein Heiliger zu sein.” (Dass das alles übrigens auch im Deutschen ganz wunderbar funktioniert, dafür zeichnet Terézia Mora als Übersetzerin verantwortlich.)
Von November 1996 bis Februar 1997 gingen in Belgrad zuerst die Studenten, dann schließlich die halbe Stadt auf die Straße und protestierten gegen die Milosevic-Regierung, die die Ergebnisse der Kommunalwahlen nicht anerkennen wollte. Zum Sturz der Regierung führte diese Protestbewegung nicht (der folgte erst 2000), aber ihre konkreten Forderungen konnte sie durchsetzen. Sie hatte aber noch einen ganz anderen Effekt: Durch diesen Aufstand, bei dem sich über Wochen Regierungspolizei und Bevölkerung gegenüberstanden und jeden Moment die Konfrontation in ein Blutbad überzugehen drohte, gewann das serbische Volk in den Augen der (westlichen) Öffentlichkeit erstmals wieder ein Gesicht, das zur Identifikation einlud, weil die Einheit aus Terrorregime und ergebener Gefolgschaft aufbrach.
Für einen Ungarn sieht das anders aus. Sein Land ist Nachbar Serbiens. Und so war Péter Zilahy denn auch bei den Protestzügen - halb Beobachter, halb Demonstrant - dabei. „Die letzte Fenstergiraffe. Ein Revolutionsalphabet” erzählt von diesen Tagen in Belgrad (mit vielen verspielt-dokumentarischen Bildern zwischen die Stichworte gestreut). Aber es erzählt auch von der Geschichte Jugoslawiens, Episoden aus dem Leben Titos, von Ungarns Vergangenheit, von der Türkenbedrohung und von einer Kindheit im Sozialismus (was das Alphabet eben gerade abverlangt). „Die letzte Fenstergiraffe” bespielt jenen Geschichtsraum, wie er lange mit Vibrato in der Stimme unter der Chiffre „Mitteleuropa” abgerufen wurde.
Und doch ist das Ergebnis bei Zilahy ein ganz anderes. Denn dieser junge, sehr quirlige Autor hat die verhangen-melancholischen Beschwörungen einer untergegangenen, nurmehr im Wort zu rekonstruierenden Lebensform im warmen Zwielicht Kakaniens nicht nötig. Mit leichter Hand greift Zilahy zwar aus in die Tiefe der Jahrhunderte, aber sein Buch ist geprägt von den wachen Erfahrungen eines Lebens, das im Spätsozialismus begann, um sodann von dem chaotischen, aber befreienden Transformationsprozess ergriffen zu werden. „Mein Vater war das Beste am alten System. (. . .) Er lebte im real existierenden Sozialismus, als existiere der gar nicht. Er erzog seine Söhne gemäß seinen ritterlichen Prinzipien.”
Wollte man die Atmosphäre beschreiben, mit der die „Fenstergiraffe” auf die Welt schaut, so wäre es dies: Nichts ist versteinert oder endgültig oder unbeweglich, das meiste schimmert mehrdeutig, und an die Ehrwürdigkeit von Gegensätzen lohnt es sich schon gar nicht zu glauben. Tatsächlich gehört es auch zu den lebensweltlich sehr aufgeklärten Strategien der Belgrader Demonstranten, den Gegensatz von Staatsmacht und Volk spielerisch aufzuweichen. Damit die Polizisten während der langen Tage, wenn sie sich in ihrem Kordon die Beine in den Bauch stehen, nicht verhungern, bringen die Demonstranten Kuchen mit: „Die Visiere der Helme sind voller Tortenglasur”, schreibt Zilahy.
„Die letzte Fenstergiraffe” ist ein heiterer Abschied von jeder pathetischen Geschichtskonzeption. Statt an große Sinnentwürfe ans Alphabet sich zu halten, ist auch eine menschenfreundliche Verneigung vor der Kontingenz. „Die Belgrader verabschieden sich heiter von der Vergangenheit, deswegen bin ich hier. (. . .) So einen Winter wird es nicht mehr geben und so einen Frühling auch nicht. Vielleicht werde ich auch nie mehr so voller Vertrauen sein.”
Péter Zilahy
Die letzte Fenstergiraffe
Ein Revolutions-Alphabet ab fünf Jahren. Aus dem Ungarischen von Terézia Mora. Eichborn Berlin, Berlin 2004. 181 Seiten, 22,90 Euro.
Péter Zilahy ist nicht nur ein wunderbarer Autor, sondern auch ein großer Selbstvermarkter. Er schafft es stets, bedeutende Menschen dazu zu bringen, ihm ihre Bewunderung auszudrücken. Péter Esterhazy sagt, Zilahy sei „der weiße Rabe der ungarischen Literatur”. Victor Pelewin erklärt: „Wonderful”. Und Arnon Grunberg nennt ihn gar den „ungarischen Andy Warhol”. Jedenfalls ist er ein Multitalent, und seine Fotografien kann man zur Zeit im Neuen Berliner Kunstverein sehen.
Foto: Péter Zilahy
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wie Rezensent Paul Jandl erläutert, nimmt der junge ungarische Schriftsteller Peter Zilahy mit seinem Roman auf einen Klassiker des ungarisch-kommunistischen Schrifttums Bezug, nämlich auf das bunt illustrierte Kinderlexikon "Ablak-Zsiraf" (von Fenster bis Giraffe). Dieses Lexikon-Prinzip habe Zilahy nun in seinem Roman angewandt, der für den Rezensenten den "ungeniert hoffnungsvollen Versuch" darstellt, "sich die mitteleuropäische Welt noch einmal zusammen zu denken". Dabei begebe sich Zilahy Eintrag um Eintrag zurück in die Geschichte, grabe sich dort regelrecht ein, um schließlich in das Serbien der neunziger Jahre und seine Demonstrationen gegen das Milosevic-Regime zurückzukehren. Angenehm findet der Rezensent, dass hier "keine großen Thesen" aufgestellt werden, und auch nicht wehmütig in die K.u.K.-Zeit zurückgeblickt wird. Im Gegenteil, mit unverhohlener Freude an der produktiven Willkür des Zufalls - die Jandl an den Dichter Milorad Pavic erinnert - gelange Zilahy auf akrobatischen Wegen zu der Erkenntnis, dass ein europäisches Ganzes wohl nicht mehr zu haben sei. Wohl aber so etwas wie eine individuelle Identität, für die der Roman als Entwicklungsroman Pate stehe: Folgerichtig schließe der Roman mit dem Eintrag "Z" (wie Zilahy) und den Worten "Mit herzlichen Grüssen, dein Freund Peter". Mit "Die letzte Fenstergiraffe", so das angetane Fazit des Rezensenten, liefert Zilahy ein "provokant-unpathetisches Europa-Lexikon", das Terezia Mora zudem "sprachlich sensibel" und "punktgenau" übersetzt hat.

© Perlentaucher Medien GmbH
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