Christoph Ransmayrs großer Roman ist ein Klassiker der deutschen Gegenwartsliteratur.
'Die letzte Welt' ist ein phantastisches Spiel um die Suche nach dem verschollenen römischen Dichter Ovid und einer Abschrift seines Hauptwerks, der legendären 'Metamorphosen'.
Christoph Ransmayrs Roman 'Die letzte Welt' wurde von der Kritik gefeiert wie kaum ein anderer - er wurde zu einem Bestseller und in 29 Sprachen übersetzt. Der Roman, der an Schauplätzen in Rom und am Schwarzen Meer Antike, Gegenwart und Zukunft zusammenfließen lässt, folgt den Spuren des römischen Dichters Ovid, der im Jahr 8 n. Chr. nach Tomi am Schwarzen Meer verbannt wurde. 'Die letzte Welt' erzählt von der abenteuerlichen Reise eines römischen Freundes von Ovid, der auf der Suche nach dem verschwundenen Dichter und seinem verschollenen Werk der 'Metamorphosen' immer tiefer in eine rätselhafte Welt der Bilder, Figuren und wunderbaren Begebenheiten gerät - und sich in eine Romanfigur verwandelt.
'Die letzte Welt' ist ein phantastisches Spiel um die Suche nach dem verschollenen römischen Dichter Ovid und einer Abschrift seines Hauptwerks, der legendären 'Metamorphosen'.
Christoph Ransmayrs Roman 'Die letzte Welt' wurde von der Kritik gefeiert wie kaum ein anderer - er wurde zu einem Bestseller und in 29 Sprachen übersetzt. Der Roman, der an Schauplätzen in Rom und am Schwarzen Meer Antike, Gegenwart und Zukunft zusammenfließen lässt, folgt den Spuren des römischen Dichters Ovid, der im Jahr 8 n. Chr. nach Tomi am Schwarzen Meer verbannt wurde. 'Die letzte Welt' erzählt von der abenteuerlichen Reise eines römischen Freundes von Ovid, der auf der Suche nach dem verschwundenen Dichter und seinem verschollenen Werk der 'Metamorphosen' immer tiefer in eine rätselhafte Welt der Bilder, Figuren und wunderbaren Begebenheiten gerät - und sich in eine Romanfigur verwandelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2009Spurensuche am Schwarzen Meer
Gestaltwandel: Ovids Metamorphosen in Christoph Ransmayrs "Naturpoetik"
Als vor gut zwanzig Jahren Christoph Ransmayrs apokalyptischer Ovid-Roman "Die letzte Welt" erschien und einen Sturm der Begeisterung auslöste, sah sich die Klassische Philologie in große Verlegenheit gebracht: Wie Ovid vor entstellender Rezeption retten, ohne auf die Früchte des Erfolges zu verzichten? Waren nicht im Roman, diesem Amalgam aus Fragmenten ovidischer Figuren (Metamorphosen) und Versatzstücken aus Ovids im Exil verfasster literarischer Biographie (Tristien, Briefe), die Grenzen zwischen Fiktion und Realität postmodern verfremdet, und lag ihm nicht ein ganz unangemessenes Verständnis des ästhetischen Wirkprinzips der Metamorphose zugrunde? Tatsächlich führt der Weg zur Bestimmung des Ortes, den die Prätexte in der literarischen Adaption innehaben, über eine genauere Betrachtung des Wesens der Metamorphose.
Ransmayrs Roman bietet eine expressive, von Ovid inspirierte Elementarsymbolik, deren Analyse jüngst Alexander Honold unter dem Stichwort "Naturpoetik" unternommen hat ("Verwandlung und Versteinerung. Die letzte Welt als Schauplatz einer Naturpoetik nach Ovid", in: Die Rampe, Heft 3. Trauner-Verlag, Linz 2009). Im Mittelpunkt dieser Naturpoetik steht das Gestein als Chiffre einer spezifischen Kältelehre. Wie jede Metamorphose kennt auch die Versteinerung kein Zurück zum vorgängigen, sei es natürlichen, sei es kulturell überformten Zustand: Hier rührt Honold an den Kern der Metamorphose, der von den Komplexen des Wandels und der Dauer umschlossen wird. Die Gewichtung dieser beiden Prinzipien ist auch in der Ovid-Forschung umstritten: Während die Metamorphose den einen als Symbol der Veränderung und der Vergänglichkeit alles Irdischen gilt und darin der auf Ewigkeit angelegten augusteischen Programmatik zu spotten scheint, wird sie von anderen als Inbegriff der Statik gedeutet: Sie aktualisiere nurmehr eine im betroffenen Individuum bereits angelegte Eigenschaft und stelle gleichsam deren Metapher dar.
Die Verwandlung selbst ist einmalig, ihr Resultat endgültig. Eine Poetik der Metamorphose bestünde nun gerade in der dialektischen Verklammerung von Statik und Dynamik, von der "Dauer im Ende", wie es Reinhart Herzog formuliert hat: Die Metamorphose ist die ästhetische Reflexion dieses grundlegenden Paradoxons. Dies zeigt sich sowohl in Ovids Text als auch in Ransmayrs Adaption in verschiedenen komplementären, programmatischen Begriffspaaren, vor allem in "Natur und Kunst" sowie "Leben und Tod": Im modernen Roman verkörpern die dem Säuretod geopferten Schnecken, die in ihrer schäumenden Auflösung den Blick auf die gesuchten Buchstaben des ovidischen Textes freigeben, diese Verfugungen. Zugleich veranschaulichen sie die Unmöglichkeit von Cottas, des Ransmayrschen Protagonisten, Unterfangen, in Tomi mehr als nur Bruchstücke des Textes, gar die "unbezweifelbare Wahrheit über Leben und Tod des Dichters" in Erfahrung zu bringen und anderen erfahrbar zu machen.
Die Begegnung des suchenden Cotta, der immer mehr zum Schemen verkommt, mit seinen Objekten, dem Werk wie dem Autor, erweist sich als unmöglich. Am Ende des Textes ist Cotta nur noch auf der Suche nach sich selbst, wie Honold schreibt: "Die ins Unbegrenzte sich vorantastende Erkundungsreise verliert ihren vernünftigen Sinn, sie ,sinkt' gleichsam ,ein' in die Umstände und Erscheinungen jener Textwelt, der sie forschend hatte nachspüren wollen."
Die Spannung von Literatur und Leben, von Kultur und Natur scheint in eine Aporie zu führen, aus der weder die literarischen Figuren noch ihr virtueller Begleiter, der Leser, herausfinden sollen. Vielmehr steht sogar die Auflösung, mithin Renaturalisierung der Literatur im Raume, wird sie doch als vergänglich stigmatisiert. Heißt das aber auch, dass sie sinn- und funktionslos ist? Fordert die Natur ihre Gegenstände zurück, ohne Spuren der ästhetischen Transformation zu hinterlassen? Dieser Verdacht erweist sich als unbegründet: Natur und Kunst gehören wohl doch zusammen. Obzwar dem Suchenden der Weg zum Autor versperrt ist, bleiben vom Werk Bruchstücke, Spuren, Zeichen, die mit den Mitteln einer gewaltsam verfahrenden Palimpsestik freigelegt und anverwandelt werden können: Das lassen die steinernen Lettern und die im Wind wehenden beschrifteten Stofffetzen am Ende des Romans, das lässt auch Ransmayrs eigener theoretischer Entwurf erahnen, in dem er als Thema des Romans "das Verschwinden und die Rekonstruktion von Literatur" benennt. In einer Art apokalyptischer Überschreibung stellt Ransmayr den 15 Büchern der Metamorphosen 15 Bücher der "Letzten Welt" gegenüber, um zu verhüllen, was bereits enthüllt schien. Dieses Verfahren veranschaulicht auf seine Weise das Wesen der Metamorphose als Wirkprinzip des Übergangs von einem Zustand in einen anderen, neuen, dessen Strukturen im früheren aber bereits angelegt sind. Es trägt aber auch Ovids Anspruch auf Überzeitlichkeit seines Werkes Rechnung, indem es den Weg in die Richtung der römischen Grundtexte weist, ohne ihn als umweglos begehbar erscheinen zu lassen.
Solche komplexen Verweisungsstrukturen sind kennzeichnend auch für die Metamorphose selbst: Indem sie sich der Differenzbildung, dieses Grundprinzips der sinnlichen und intellektuellen Wahrnehmung bedient, lässt sie Konturen scharf hervortreten - doch nur, um sie mit den Mitteln der Diffusion sogleich wieder zu verfremden. Die Überlagerung von Differenz und Diffusion spiegelt das Paradox von Statik und Dynamik, von der Dauer im Ende wider.
In diesem Sinne hat Ransmayr die Gestalt des Ovid als Summe seiner Werke in den unfasslichen Naso umgewandelt. Es ist die Aufgabe des Lesers, den Spuren des Wandels nachzugehen: Er hat gegenüber den zur Literatur gewordenen Spurensuchern den Vorteil, jederzeit und in alle Richtungen umkehren zu können.
MELANIE MÖLLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gestaltwandel: Ovids Metamorphosen in Christoph Ransmayrs "Naturpoetik"
Als vor gut zwanzig Jahren Christoph Ransmayrs apokalyptischer Ovid-Roman "Die letzte Welt" erschien und einen Sturm der Begeisterung auslöste, sah sich die Klassische Philologie in große Verlegenheit gebracht: Wie Ovid vor entstellender Rezeption retten, ohne auf die Früchte des Erfolges zu verzichten? Waren nicht im Roman, diesem Amalgam aus Fragmenten ovidischer Figuren (Metamorphosen) und Versatzstücken aus Ovids im Exil verfasster literarischer Biographie (Tristien, Briefe), die Grenzen zwischen Fiktion und Realität postmodern verfremdet, und lag ihm nicht ein ganz unangemessenes Verständnis des ästhetischen Wirkprinzips der Metamorphose zugrunde? Tatsächlich führt der Weg zur Bestimmung des Ortes, den die Prätexte in der literarischen Adaption innehaben, über eine genauere Betrachtung des Wesens der Metamorphose.
Ransmayrs Roman bietet eine expressive, von Ovid inspirierte Elementarsymbolik, deren Analyse jüngst Alexander Honold unter dem Stichwort "Naturpoetik" unternommen hat ("Verwandlung und Versteinerung. Die letzte Welt als Schauplatz einer Naturpoetik nach Ovid", in: Die Rampe, Heft 3. Trauner-Verlag, Linz 2009). Im Mittelpunkt dieser Naturpoetik steht das Gestein als Chiffre einer spezifischen Kältelehre. Wie jede Metamorphose kennt auch die Versteinerung kein Zurück zum vorgängigen, sei es natürlichen, sei es kulturell überformten Zustand: Hier rührt Honold an den Kern der Metamorphose, der von den Komplexen des Wandels und der Dauer umschlossen wird. Die Gewichtung dieser beiden Prinzipien ist auch in der Ovid-Forschung umstritten: Während die Metamorphose den einen als Symbol der Veränderung und der Vergänglichkeit alles Irdischen gilt und darin der auf Ewigkeit angelegten augusteischen Programmatik zu spotten scheint, wird sie von anderen als Inbegriff der Statik gedeutet: Sie aktualisiere nurmehr eine im betroffenen Individuum bereits angelegte Eigenschaft und stelle gleichsam deren Metapher dar.
Die Verwandlung selbst ist einmalig, ihr Resultat endgültig. Eine Poetik der Metamorphose bestünde nun gerade in der dialektischen Verklammerung von Statik und Dynamik, von der "Dauer im Ende", wie es Reinhart Herzog formuliert hat: Die Metamorphose ist die ästhetische Reflexion dieses grundlegenden Paradoxons. Dies zeigt sich sowohl in Ovids Text als auch in Ransmayrs Adaption in verschiedenen komplementären, programmatischen Begriffspaaren, vor allem in "Natur und Kunst" sowie "Leben und Tod": Im modernen Roman verkörpern die dem Säuretod geopferten Schnecken, die in ihrer schäumenden Auflösung den Blick auf die gesuchten Buchstaben des ovidischen Textes freigeben, diese Verfugungen. Zugleich veranschaulichen sie die Unmöglichkeit von Cottas, des Ransmayrschen Protagonisten, Unterfangen, in Tomi mehr als nur Bruchstücke des Textes, gar die "unbezweifelbare Wahrheit über Leben und Tod des Dichters" in Erfahrung zu bringen und anderen erfahrbar zu machen.
Die Begegnung des suchenden Cotta, der immer mehr zum Schemen verkommt, mit seinen Objekten, dem Werk wie dem Autor, erweist sich als unmöglich. Am Ende des Textes ist Cotta nur noch auf der Suche nach sich selbst, wie Honold schreibt: "Die ins Unbegrenzte sich vorantastende Erkundungsreise verliert ihren vernünftigen Sinn, sie ,sinkt' gleichsam ,ein' in die Umstände und Erscheinungen jener Textwelt, der sie forschend hatte nachspüren wollen."
Die Spannung von Literatur und Leben, von Kultur und Natur scheint in eine Aporie zu führen, aus der weder die literarischen Figuren noch ihr virtueller Begleiter, der Leser, herausfinden sollen. Vielmehr steht sogar die Auflösung, mithin Renaturalisierung der Literatur im Raume, wird sie doch als vergänglich stigmatisiert. Heißt das aber auch, dass sie sinn- und funktionslos ist? Fordert die Natur ihre Gegenstände zurück, ohne Spuren der ästhetischen Transformation zu hinterlassen? Dieser Verdacht erweist sich als unbegründet: Natur und Kunst gehören wohl doch zusammen. Obzwar dem Suchenden der Weg zum Autor versperrt ist, bleiben vom Werk Bruchstücke, Spuren, Zeichen, die mit den Mitteln einer gewaltsam verfahrenden Palimpsestik freigelegt und anverwandelt werden können: Das lassen die steinernen Lettern und die im Wind wehenden beschrifteten Stofffetzen am Ende des Romans, das lässt auch Ransmayrs eigener theoretischer Entwurf erahnen, in dem er als Thema des Romans "das Verschwinden und die Rekonstruktion von Literatur" benennt. In einer Art apokalyptischer Überschreibung stellt Ransmayr den 15 Büchern der Metamorphosen 15 Bücher der "Letzten Welt" gegenüber, um zu verhüllen, was bereits enthüllt schien. Dieses Verfahren veranschaulicht auf seine Weise das Wesen der Metamorphose als Wirkprinzip des Übergangs von einem Zustand in einen anderen, neuen, dessen Strukturen im früheren aber bereits angelegt sind. Es trägt aber auch Ovids Anspruch auf Überzeitlichkeit seines Werkes Rechnung, indem es den Weg in die Richtung der römischen Grundtexte weist, ohne ihn als umweglos begehbar erscheinen zu lassen.
Solche komplexen Verweisungsstrukturen sind kennzeichnend auch für die Metamorphose selbst: Indem sie sich der Differenzbildung, dieses Grundprinzips der sinnlichen und intellektuellen Wahrnehmung bedient, lässt sie Konturen scharf hervortreten - doch nur, um sie mit den Mitteln der Diffusion sogleich wieder zu verfremden. Die Überlagerung von Differenz und Diffusion spiegelt das Paradox von Statik und Dynamik, von der Dauer im Ende wider.
In diesem Sinne hat Ransmayr die Gestalt des Ovid als Summe seiner Werke in den unfasslichen Naso umgewandelt. Es ist die Aufgabe des Lesers, den Spuren des Wandels nachzugehen: Er hat gegenüber den zur Literatur gewordenen Spurensuchern den Vorteil, jederzeit und in alle Richtungen umkehren zu können.
MELANIE MÖLLER
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