Marlene Dietrich - Anna May Wong - Leni Riefenstahl. Vom Berlin der Weimarer Zeit bis zur deutschen Wiedervereinigung, von einem Dorf in den bayerischen Alpen bis nach Los Angeles und Paris und durch die wechselnden politischen Strömungen des 20. Jahrhunderts folgt der Roman den drei Frauen, die so unterschiedlich sind wie die Rollen, die sie spielen: Sirene, Opfer, Schurkin oder Geliebte, jeder Auftritt eine sorgfältige Choreografie. Im Gravitationsfeld eines jeden Stars: all die Menschen, die sie wie Planeten umkreisen, die von ihnen angezogen werden und die sie beeinflussen. Ein unterhaltsamer und eindringlicher Roman über Themen, die aktueller kaum sein können: Identität, Mitschuld und Täterschaft, Verlangen, Liebe und nicht zuletzt Sexismus und Rassismus in der glitzernden Welt des Films und der Kunst.
»Spannend und aufregend ist der Roman über alle Kapitel hinweg. Das Buch ist ein glänzendes Lesefest.« Hauke Harder, Leseschatz-TV, 14.09.2023 Leseschatz-TV Buchhandlung Almut Schmidt 20230914
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tobias Döring stockt vor Pein in der Lektüre von Amanda Lee Koes Debütroman über Marlene Dietrich, die amerikanische Schauspielerin Anna May Wong und Leni Riefenstahl. Nicht nur will die Autorin viel zu viel, indem sie das Weltkriegsgeschehen, das Künstlermilieu der 1920er und die Karrieren ihrer Protagonistinen miteinander verquirlen möchte, findet Döring. Reißerische Szenen mit der Dietrich und Kennedy im Bett oder über die Schamhaare der Figuren kommen bei Döring nicht so gut an. Befremdlich findet er zudem den "kumpelhaften" Ton, mit dem die Autorin Gespräche zwischen Hitler und Riefenstahl wiedergibt oder Walter Benjamin über seinen Bücherkoffer sprechen lässt. Was laut Döring ein gutes Sachbuch hätte werden können, wirkt auf den Rezensenten nur peinlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2022Gegen Marlene Dietrichs Blick ist jedes Glissando machtlos
Auf Du und Du mit Künstlern und Nazis: Amanda Lee Koes Romandebüt "Die letzten Strahlen eines Sterns"
Auf dem Berliner Künstlerball des Jahres 1928 gelang dem jungen, aufstrebenden Bildreporter Alfred Eisenstädt ein denkwürdiges Foto. Es zeigt Marlene Dietrich, die amerikanische Schauspielerin Anna May Wong und Leni Riefenstahl in ungezwungener, vertrauter Pose vor einem Spiegel stehend in die Kamera lächeln. Die drei Frauen, nahezu gleich alt, waren alle in den Mittzwanzigern an einem kritischen Punkt ihrer Karriere. Erste Filmerfolge lagen hinter ihnen, doch der eigentliche Durchbruch zu den Weltstars, die sie werden sollten, stand noch aus. Im Jahr darauf konkurrierten Riefenstahl und Dietrich um den Part der feschen Lola in Sternbergs "Der Blaue Engel", der für Dietrich dann den Sprung nach Hollywood ermöglichte.
Zwei Jahre später stand sie dort mit Wong für "Shanghai Express" vor der Kamera, ein Meistwerk der frühen Filmkunst und einer der größten Triumphe für sie wie für den Regisseur Josef von Sternberg. Als es herauskam, 1932, hatte Riefenstahl ihren Traum einer Tanz- und Schauspielkarriere bereits abgehakt und war ins Regie- und Produktionsfach gewechselt. Außerdem traf Riefenstahl in diesem Jahr auf eigenes Betreiben einen aufstrebenden Politiker namens Adolf Hitler, der sie seiner hohen Wertschätzung für ihre Kunst versicherte. Was also mögen diese Frauen damals auf dem Künstlerball, als sie zu dritt, wie Eisenstädts Kamera einfing, zwanglos miteinander scherzten, sich zu sagen gehabt haben?
Im Jahr 2015 stieß die junge englischsprachige Autorin Amanda Lee Koe, ebenfalls in den Mittzwanzigern, chinesischer Herkunft wie Wong, in Singapur aufgewachsen und seit Kurzem in New York lebend, auf dieses Foto. Nach eigenem Bekunden erkannte sie sogleich, dass es die Geschichte für ihren Debütroman abgeben sollte. Lange schon galt ihre Leidenschaft dem frühen Film und insbesondere Dietrich. Jetzt nahm sie das Bild zum Anlass, sich den Filmstars, die es zeigt, erzählerisch zu nähern und ihre persönlichen wie professionellen Verwicklungen mit den Mitteln der Dokufiktion zu erkunden.
Dazu greift ihr Roman sehr weit aus. Nicht genug, dass er die quirlige Künstler- und Filmszene der späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre zwischen Berlin und Hollywood einfangen und deren Zentralfiguren porträtieren will. Nicht genug, dass er zugleich den politischen Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte vom Aufstieg der Nazis, über Weltkriegsschrecken, Exilerfahrung und deutsch-deutsche Teilung bis zum Fall der Mauer folgen will. Nicht genug, dass er die Lebensläufe der drei großen Frauen - alle drei Pionierinnen auf ihrem Gebiet und Vorkämpferinnen in der Durchsetzung weiblicher Gestaltungsmacht - noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nachzeichnet und in vielen Einzelheiten szenisch ausmalt. Nicht einmal genug, dass er sein überreiches Tatsachenmaterial, wie es historische Romane verarbeiten müssen, mit allerhand erfundenen Figuren und Geschichten zusätzlich anreichert. Er muss auch noch dauernd weitere Cameo-Auftritte von lauter Prominenten unterbringen und alles, was er präsentiert, mit jeder Menge Bildungszitaten (Kleist, Rilke, Barthes, Sontag, Casablanca) garnieren.
So dürfen wir nicht nur erleben, wie Riefenstahl auf dem Dreh zum "Blauen Engel" die Schamhaare der Dietrich sieht, als diese sich als Lola singend auf dem Fass räkelt, oder wie Dietrich, in ihren späten Jahren in Paris inkontinent geworden, die durchweichte Maxi-Einlage an den Schenkeln klebt "wie eine ranzig anschwellende Zunge" oder wie Riefenstahl vom "Führer" kurz vor Kriegsende erfährt, wie sehr dieser um die Verderblichkeit von Silbernitrat, aus dem Filmrollen bestehen, besorgt ist oder wie sich Wong von Dietrich in Berlin zu einer amourösen Spielerei verführen lässt und noch Jahrzehnte später auf einer prekären Tour durch China daran denken muss. Wir erleben auch hautnah, wie sich Walter Benjamin auf der Flucht in Portbou das Leben nimmt oder wie John F. Kennedy und Dietrich Sex haben oder wie David Bowie einen jungen Mann in einer Bar zu einem Scherzanruf bei Dietrich herausfordert und was dergleichen Höhepunkte mehr sind.
Dargeboten wird dies alles in einer raschen Folge ständig wechselnder Szenarien, die zwischen Zeiten, Orten und Personen springen und durch kuriose Überschriften wie "Der malayische Orang-Utan hat den Schlüssel zum Keller des Leipziger Zoos" oder "Marlon Brando legt ein Ei, als die Nachricht von Pearl Harbor einen Hühnerstall in New York erreicht" annonciert werden, die wenig zur Erhellung beitragen. Gewiss gehört es zum Verfahren von historischen Romanen, dass sie ihren Heldinnen und Helden umstandslos zu Leibe rücken und sie in Lebenslagen zeigen, die sich unseren Blicken sonst entziehen. Eben dazu fordert die Fiktion ihr Recht. Doch in diesem Roman, der von Promis, Nazis, Sensationen und Intimitäten nicht genug bekommt, wirkt das Verfahren abgeschmackt.
Es befremdet, wie fraglos er sich mit Figuren wie Dietrich und Benjamin, Hitler und Goebbels kumpelhaft auf Du und Du stellt. Und es irritiert, was für Banalitäten ihm einfallen, wenn er ihnen Worte in den Mund legen muss: "Wenn Sie strahlen wollen wie die Sonne", sagt Hitler zu Riefenstahl, "dann müssen Sie zuerst brennen wie die Sonne." Benjamin über seinen Bücherkoffer: "Dieser Inhalt bedeutet mir mehr als mein Leben." Goebbels zu Riefenstahl: "Wenn Sie sich niemals lockermachen, dann verwundert es kein bisschen, wie angespannt Sie sind!" Sprachlich erscheint der Roman ohnehin stark überfordert. In der Übersetzung von Zoë Beck, die auch als Verlegerin firmiert, klingt er beispielsweise so: "Marlene starrte finster ein arg plumpes Glissando nieder" oder "der Rückblick ist eine reif erscheinende Frucht, die ein paar hinterhältige Äste zu hoch hängt" oder "Außerdem hatte sie Angst davor, die Violine aufzugeben und nach einem Teil von sich zu suchen, der am Ende vielleicht nicht einfach nur schlummerte, sondern gar nicht erst da war, um dann am Ende die Peinlichkeit der Niederlage verlogen als Mangel an Möglichkeiten wegwischen zu müssen" - all das findet sich bereits auf den ersten Seiten.
Koe hat durch einen starken Erzählband mit Singapur-Storys vor sechs Jahren auf sich aufmerksam gemacht. Ihre Idee, den Lebenslinien der drei Frauen auf dem Eisenstädt-Bild nachzugehen, hätte womöglich ein gutes Sachbuch werden können. Als Romandebüt ist daraus leider eine Peinlichkeit geworden. TOBIAS DÖRING
Amanda Lee Koe: "Die letzten Strahlen eines Sterns". Roman.
Aus dem Englischen von Zoë Beck. CulturBooks Verlag, Hamburg 2022. 472 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf Du und Du mit Künstlern und Nazis: Amanda Lee Koes Romandebüt "Die letzten Strahlen eines Sterns"
Auf dem Berliner Künstlerball des Jahres 1928 gelang dem jungen, aufstrebenden Bildreporter Alfred Eisenstädt ein denkwürdiges Foto. Es zeigt Marlene Dietrich, die amerikanische Schauspielerin Anna May Wong und Leni Riefenstahl in ungezwungener, vertrauter Pose vor einem Spiegel stehend in die Kamera lächeln. Die drei Frauen, nahezu gleich alt, waren alle in den Mittzwanzigern an einem kritischen Punkt ihrer Karriere. Erste Filmerfolge lagen hinter ihnen, doch der eigentliche Durchbruch zu den Weltstars, die sie werden sollten, stand noch aus. Im Jahr darauf konkurrierten Riefenstahl und Dietrich um den Part der feschen Lola in Sternbergs "Der Blaue Engel", der für Dietrich dann den Sprung nach Hollywood ermöglichte.
Zwei Jahre später stand sie dort mit Wong für "Shanghai Express" vor der Kamera, ein Meistwerk der frühen Filmkunst und einer der größten Triumphe für sie wie für den Regisseur Josef von Sternberg. Als es herauskam, 1932, hatte Riefenstahl ihren Traum einer Tanz- und Schauspielkarriere bereits abgehakt und war ins Regie- und Produktionsfach gewechselt. Außerdem traf Riefenstahl in diesem Jahr auf eigenes Betreiben einen aufstrebenden Politiker namens Adolf Hitler, der sie seiner hohen Wertschätzung für ihre Kunst versicherte. Was also mögen diese Frauen damals auf dem Künstlerball, als sie zu dritt, wie Eisenstädts Kamera einfing, zwanglos miteinander scherzten, sich zu sagen gehabt haben?
Im Jahr 2015 stieß die junge englischsprachige Autorin Amanda Lee Koe, ebenfalls in den Mittzwanzigern, chinesischer Herkunft wie Wong, in Singapur aufgewachsen und seit Kurzem in New York lebend, auf dieses Foto. Nach eigenem Bekunden erkannte sie sogleich, dass es die Geschichte für ihren Debütroman abgeben sollte. Lange schon galt ihre Leidenschaft dem frühen Film und insbesondere Dietrich. Jetzt nahm sie das Bild zum Anlass, sich den Filmstars, die es zeigt, erzählerisch zu nähern und ihre persönlichen wie professionellen Verwicklungen mit den Mitteln der Dokufiktion zu erkunden.
Dazu greift ihr Roman sehr weit aus. Nicht genug, dass er die quirlige Künstler- und Filmszene der späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre zwischen Berlin und Hollywood einfangen und deren Zentralfiguren porträtieren will. Nicht genug, dass er zugleich den politischen Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte vom Aufstieg der Nazis, über Weltkriegsschrecken, Exilerfahrung und deutsch-deutsche Teilung bis zum Fall der Mauer folgen will. Nicht genug, dass er die Lebensläufe der drei großen Frauen - alle drei Pionierinnen auf ihrem Gebiet und Vorkämpferinnen in der Durchsetzung weiblicher Gestaltungsmacht - noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nachzeichnet und in vielen Einzelheiten szenisch ausmalt. Nicht einmal genug, dass er sein überreiches Tatsachenmaterial, wie es historische Romane verarbeiten müssen, mit allerhand erfundenen Figuren und Geschichten zusätzlich anreichert. Er muss auch noch dauernd weitere Cameo-Auftritte von lauter Prominenten unterbringen und alles, was er präsentiert, mit jeder Menge Bildungszitaten (Kleist, Rilke, Barthes, Sontag, Casablanca) garnieren.
So dürfen wir nicht nur erleben, wie Riefenstahl auf dem Dreh zum "Blauen Engel" die Schamhaare der Dietrich sieht, als diese sich als Lola singend auf dem Fass räkelt, oder wie Dietrich, in ihren späten Jahren in Paris inkontinent geworden, die durchweichte Maxi-Einlage an den Schenkeln klebt "wie eine ranzig anschwellende Zunge" oder wie Riefenstahl vom "Führer" kurz vor Kriegsende erfährt, wie sehr dieser um die Verderblichkeit von Silbernitrat, aus dem Filmrollen bestehen, besorgt ist oder wie sich Wong von Dietrich in Berlin zu einer amourösen Spielerei verführen lässt und noch Jahrzehnte später auf einer prekären Tour durch China daran denken muss. Wir erleben auch hautnah, wie sich Walter Benjamin auf der Flucht in Portbou das Leben nimmt oder wie John F. Kennedy und Dietrich Sex haben oder wie David Bowie einen jungen Mann in einer Bar zu einem Scherzanruf bei Dietrich herausfordert und was dergleichen Höhepunkte mehr sind.
Dargeboten wird dies alles in einer raschen Folge ständig wechselnder Szenarien, die zwischen Zeiten, Orten und Personen springen und durch kuriose Überschriften wie "Der malayische Orang-Utan hat den Schlüssel zum Keller des Leipziger Zoos" oder "Marlon Brando legt ein Ei, als die Nachricht von Pearl Harbor einen Hühnerstall in New York erreicht" annonciert werden, die wenig zur Erhellung beitragen. Gewiss gehört es zum Verfahren von historischen Romanen, dass sie ihren Heldinnen und Helden umstandslos zu Leibe rücken und sie in Lebenslagen zeigen, die sich unseren Blicken sonst entziehen. Eben dazu fordert die Fiktion ihr Recht. Doch in diesem Roman, der von Promis, Nazis, Sensationen und Intimitäten nicht genug bekommt, wirkt das Verfahren abgeschmackt.
Es befremdet, wie fraglos er sich mit Figuren wie Dietrich und Benjamin, Hitler und Goebbels kumpelhaft auf Du und Du stellt. Und es irritiert, was für Banalitäten ihm einfallen, wenn er ihnen Worte in den Mund legen muss: "Wenn Sie strahlen wollen wie die Sonne", sagt Hitler zu Riefenstahl, "dann müssen Sie zuerst brennen wie die Sonne." Benjamin über seinen Bücherkoffer: "Dieser Inhalt bedeutet mir mehr als mein Leben." Goebbels zu Riefenstahl: "Wenn Sie sich niemals lockermachen, dann verwundert es kein bisschen, wie angespannt Sie sind!" Sprachlich erscheint der Roman ohnehin stark überfordert. In der Übersetzung von Zoë Beck, die auch als Verlegerin firmiert, klingt er beispielsweise so: "Marlene starrte finster ein arg plumpes Glissando nieder" oder "der Rückblick ist eine reif erscheinende Frucht, die ein paar hinterhältige Äste zu hoch hängt" oder "Außerdem hatte sie Angst davor, die Violine aufzugeben und nach einem Teil von sich zu suchen, der am Ende vielleicht nicht einfach nur schlummerte, sondern gar nicht erst da war, um dann am Ende die Peinlichkeit der Niederlage verlogen als Mangel an Möglichkeiten wegwischen zu müssen" - all das findet sich bereits auf den ersten Seiten.
Koe hat durch einen starken Erzählband mit Singapur-Storys vor sechs Jahren auf sich aufmerksam gemacht. Ihre Idee, den Lebenslinien der drei Frauen auf dem Eisenstädt-Bild nachzugehen, hätte womöglich ein gutes Sachbuch werden können. Als Romandebüt ist daraus leider eine Peinlichkeit geworden. TOBIAS DÖRING
Amanda Lee Koe: "Die letzten Strahlen eines Sterns". Roman.
Aus dem Englischen von Zoë Beck. CulturBooks Verlag, Hamburg 2022. 472 S., geb., 28,- Euro.
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