Der Regisseur Milo Rau hat Material zu den letzten Tagen der Ceausescus zusammengetragen
Im April 1990, nur vier Monate nach dem gewaltsamen Tod Nicolae und Elena Ceausescus, fand in Budapest ein internationales Symposion statt, das sich mit der Rolle des Fernsehens in der rumänischen Revolution beschäftigte. Peter Weibel, der die Beiträge herausgab ("Von der Bürokratie zur Telekratie. Rumänien im Fernsehen", Merve Verlag 1990), stellte damals fest, dass sich ein neues Regime selten "so unverfroren der Massenmedien bedient (hat), um seine militärisch-politischen Ziele zu verfolgen: totalitäre Videokratie im Namen der Freiheit. Das Militär besetzte sogar die TV-Station, um dort seine militärischen Operationen zu koordinieren."
Dass der Machtwechsel nicht durch eine Revolution zustande kam, sondern durch einen mit Hilfe des Fernsehens durchgeführten Putsch eines Teiles der Nomenklatura, der Securitate und der Armee, um die Familiendiktatur Ceausescus zu beenden und dem Verlust der eigenen Macht vorzubeugen, wird heute nur noch von jenen bestritten, die es bestreiten müssen: von Ion Iliescu, Victor Stanculescu, Gelu Voican Voiculescu, Petre Roman, Virgil Magureanu und ihren Komplizen in der sogenannten "Front der Nationalen Rettung".
Jedes Jahr im Dezember wiederholt der rumänische Militärstaatsanwalt Dan Voinea, der dem "Prozess" gegen die Ceausescus beigewohnt hatte und seither vergeblich versucht, die Urheber der im Zuge des gewaltsamen Machtwechsels begangenen Verbrechen vor Gericht zu stellen, vor der Presse sein Mantra: Hinter den Massakern im Dezember 1989, vor und nach der Flucht und der Ermordung Ceausescus, standen dieselben Leute, die im Januar 1990 die Schlägerbrigaden der Bergarbeiter nach Bukarest holten, um die demokratische Opposition und die Studentenbewegung niederzuknüppeln. Nur einer von ihnen, der von Ceausescu noch am 22. Dezember 1989 zum Verteidigungsminister ernannte Stanculescu, befindet sich seit eineinhalb Jahren dort, wo er hingehört, nämlich im Gefängnis. Eine rückhaltlose gerichtliche Klärung und eine Bestrafung der Täter kann von der korrupten und politisch gegängelten rumänischen Justiz nach mehr als zwanzig Jahren systematischer Vertuschung nicht erwartet werden.
Historisch aber sind die Vorgänge im Dezember 1989 längst geklärt, und deshalb wundert es, dass die Ermordung des Ehepaars Ceausescu bisweilen immer noch als der Kulminationspunkt einer revolutionären Entwicklung missverstanden wird. Sogar von einem Schauprozess ist häufig die Rede, obwohl es sich viel eher um einen Wegschau-Prozess handelte. Das in einem kleinen Raum in einer Kaserne in Târgoviste tagende Militärtribunal machte sich nicht einmal die Mühe, Beweise zu fälschen. Es ging lediglich darum, einen politischen Doppelmord für die Zwecke des Fernsehens zu camouflieren. Dieselben Leute, die vor Ceausescus Flucht aus Bukarest und in seinem Auftrag auf die demonstrierenden Bürger geschossen hatten, übernahmen nun die Macht.
Der Nachweis, dass der Diktator tatsächlich tot war, musste rasch erbracht werden, weil sich die Putschisten über die Kräfteverhältnisse in der Armee und in der Securitate nicht im Klaren waren und einem Gegenschlag zuvorkommen wollten. Nach diesem Mord aber musste noch mehr Blut fließen, damit sich die neuen Machthaber vor den TV-Kameras als "Retter der Nation" erweisen konnten. Die offizielle Opferbilanz der rumänischen Revolution weist 1104 Todesopfer und 3352 Verwundete aus. 942 starben und 2251 wurden allerdings erst verwundet, nachdem Ceausescu und seine Frau am 22. Dezember aus Bukarest geflohen waren. Seinen eigenen Terror schrieb das neue Regime anonymen Terroristen zu.
Der Schweizer Regisseur Milo Rau hat die letzten Tage Ceausescus 2009 als "reenactment" inszeniert und das "Gerichtsverfahren" detailgetreu nachspielen lassen, halb als sozialtherapeutische Familienaufstellung, halb als posthistorisches Oberammergau, und das Ganze mit theoretischen Diskursen garniert, die jahrelange Beschäftigung mit unverdaulichen Texten vermuten lassen. Unter dem Titel "Die letzten Tage der Ceausescus" legt er dazu nun ein Buch vor. "Die Geschichte ist eine Schlange, sie kriecht vorwärts, in die Zukunft. Was sie zurücklässt, sind bloß Häute, Bilder, leere Hüllen, bewohnt von redseligen Ameisen", liest man da gleich schon zu Anfang.
Wer sich von solchen Sätzen nicht abschrecken lässt, wird belohnt, denn Rau hat gut recherchiert und wertvolles Material zusammengetragen. Schwerpunkt des Buches ist das Protokoll des "Gerichtsverfahrens" in Târgoviste. Ihm stellt Rau die Aussagen von zwei Protagonisten des demokratischen Widerstandes zur Seite, der Schriftstellerin Ana Blandiana und des Schauspielers Ion Caramitru, aus denen unter anderem hervorgeht, wie sich die "Front der Nationalen Rettung" ihrer bediente, um den Staatsstreich zu maskieren. Der Kasernenkommandant, einer der Fallschirmjäger, die das "Urteil" exekutierten, und Victor Stanculescu erzählen ihre Version der Ereignisse. Das Bild ändert sich dadurch nicht, aber ist nun reicher an Details und schärfer konturiert.
KARL-PETER SCHWARZ
Milo Rau: "Die letzten Tage der Ceausescus". Texte und Materialien. Verbrecher Verlag, Berlin 2010. 272 S., Abb., br., 13,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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