Dicht an der Realität der Ära Macron, nur leicht verschoben, entwirft Jérôme Leroy ein hellsichtiges Polit-Drama: Präsidentin Nathalie Séchard, die einst die Hoffnung auf Erneuerung an der Staatsspitze verkörpert hatte, hat sich entschieden, das Handtuch zu werfen und nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Das ruft alte Rivalen und Rivalinnen auf den Plan, zum Beispiel Agnès Dorgelles, Führerin des rechtsradikalen Patriotischen Blocks, und zahlreiche männliche Kulissenschieber auf Regierungsebene, die nur darauf warten, dem »blonden Cougar« die Staatsgewalt aus den Händen zu reißen.Als gäbe es nicht Wichtigeres zu tun. Frankreich ist nach zwei Jahren Pandemie erschöpft, Gelbwesten blockieren die Straßen, Impfgegner machen mobil, die Polizei setzt einen brutalen Lockdown durch. Eine Dürre ist ausgebrochen und das Wasser wird knapp. Inmitten dieses explosiven Settings wird die zwanzigjährige Clio, linke Aktivistin und Studentin einer Elite-Uni, zur Zielscheibe einer Verschwörung, denn ihr Vater ist aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der Grünen.Jérôme Leroy, Meister des Noir und »Schriftsteller von europäischem Rang« (Hannes Hintermeier, FAZ), lässt das Intrigenspiel in eine blutige Auseinandersetzung und den Kampf um die Präsidentschaft in einen regelrechten Bandenkrieg kippen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2023Hanf auf dem Dach
Krimis in Kürze: Jérôme Leroy und Kim Koplin
"Geschichte ist die Summe all dessen, was sie uns nicht erzählen", sagt in Don DeLillos Roman "Sieben Sekunden" einer, der die Wahrheit für ein verschwörerisches Geheimwissen hält. Der Satz wäre auch kein schlechtes Motto für die Kriminalromane von Jérôme Leroy, die von den Intrigen und Finten, den Täuschungsmanövern und Liquidierungen einer französischen Innenpolitik handeln, die manchmal nur einen Wimpernschlag von der Realität entfernt erscheint.
"Die letzten Tage der Raubtiere" (Edition Nautilus, 400 S., br., 24,- Euro) schreibt fort, was Leroy in "Der Block" und "Der Schutzengel" (F.A.Z. vom 4. Mai 2020) begonnen hat. Es ist das Panorama eines Landes, in dem der "patriotische Block", unschwer als fiktionales Pendant des Front National erkennbar, immer stärker wird und in dem alte Allianzen zerfallen. Es regiert eine Präsidentin, die wir im ersten Kapitel im Bett kennenlernen, während sie mit ihrem fünfundzwanzig Jahre jüngeren Ehemann schläft - eine kleine Rolleninversion des Ehepaars Macron.
Die Präsidentin, die als Linke begonnen hat und nun, in der Pandemie, ein bürgerliches, leicht autoritäres Bündnis anführt, ist amtsmüde. Aber sie ist nur eine Figur in einem größeren Tableau. Der Innenminister, ein ehemaliger Fallschirmjäger, der es noch mal wissen will, wartet nur, dass sie strauchelt, und hilft auch gerne nach; der grüne Umweltminister ist zu skrupulös und hat zudem eine Tochter, deren Freund dem alten Innenminister-Haudegen als Ghostwriter für dessen Memoiren dienen soll.
Leroy entwickelt dieses Geflecht sehr subtil, er lässt dazu paramilitärische Akteure und Geheimdienstler mit undurchsichtigen Missionen auftreten. Natürlich geht es in diesem Spiel um die Macht und ihren Preis. Sie kostet Geld und Leben. Auf der Bühne der Öffentlichkeit ist davon nicht viel zu sehen. Was Wirkung zeitigt, bleibt im Halbschatten. Das ist auf eine Weise inszeniert, die filigran und elegant wirkt, die nie auf billige Enthüllungseffekte und Verschwörungsgeraune setzen muss. Man kann davon ausgehen, dass dieser kluge und reflektierte Roman allen, die mit den Feinheiten und Personalien der französischen Innenpolitik besser vertraut sind als der normale deutsche Leser, einen noch reicheren Subtext bietet.
Kim Koplin heißt nicht so. Der Name ist ein Pseudonym, und nicht zum ersten Mal fragt man sich, weil der Verlag immerhin verrät, es handle sich um die Autorin mehrerer erfolgreicher Bücher, aus welchen Motiven eine Person anonym bleiben möchte, wenn sie doch schreibend in die Öffentlichkeit drängt. Angst vorm Seriositätsverlust? Es gibt jedenfalls keinen Grund, sich zu verstecken, denn "Die Guten und die Toten" (Suhrkamp, 255 S., br., 16,- Euro) ist ein Roman, der weiß, was er tut, gerade weil einige seiner Figuren kein Interesse daran haben, dass jemand erfährt, was sie tun. Die Erzählung wechselt mit jedem Kapitel die Perspektive.
So funktioniert das Buch wie ein Mosaik: Die Wege der Figuren kreuzen sich, Stein für Stein setzt sich ein Bild zusammen, das am Ende komplett vor einem liegt. Da ist Nihal, die junge Polizistin und ambitionierte Boxerin mit aserbaidschanischen Wurzeln und Problemen mit der Affektkontrolle. Sie trifft auf einen schnöseligen, koksenden Staatssekretär, der mit einem Waffenhändler und dessen saudi-arabischen Geschäftspartnern paktiert. Und lernt Saad mit seiner fünfjährigen Tochter kennen, der vorgibt, ein syrischer Flüchtling zu sein. Zum bunten Cast gehören unter anderem auch noch eine junge Investigativjournalistin und ein gerissener Kleingauner mit Migrationshintergrund, der auf einem Parkhausdach in Charlottenburg eine stattliche Hanfplantage angelegt hat.
Die multiperspektivische Erzählweise und Koplins lässiger Ton, dem manchmal allerdings ein paar schiefe Bilder unterlaufen, sorgen für ein gutes Tempo. Im Gegensatz zum umständlich protokollhaften Durchschnittskrimi hat Koplin auch begriffen, dass die eine oder andere Ellipse einer Erzählung nie schaden und biederer Realismus langweilen kann. Außerdem besitzt sie einen ausgeprägten Sinn für tiefschwarzen Humor, der sich nicht erst zeigt, wenn es auf dem Parkhausdach zu einem Finale mit Kettensäge, Schusswaffen und Liebeserklärungen kommt. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Jérôme Leroy und Kim Koplin
"Geschichte ist die Summe all dessen, was sie uns nicht erzählen", sagt in Don DeLillos Roman "Sieben Sekunden" einer, der die Wahrheit für ein verschwörerisches Geheimwissen hält. Der Satz wäre auch kein schlechtes Motto für die Kriminalromane von Jérôme Leroy, die von den Intrigen und Finten, den Täuschungsmanövern und Liquidierungen einer französischen Innenpolitik handeln, die manchmal nur einen Wimpernschlag von der Realität entfernt erscheint.
"Die letzten Tage der Raubtiere" (Edition Nautilus, 400 S., br., 24,- Euro) schreibt fort, was Leroy in "Der Block" und "Der Schutzengel" (F.A.Z. vom 4. Mai 2020) begonnen hat. Es ist das Panorama eines Landes, in dem der "patriotische Block", unschwer als fiktionales Pendant des Front National erkennbar, immer stärker wird und in dem alte Allianzen zerfallen. Es regiert eine Präsidentin, die wir im ersten Kapitel im Bett kennenlernen, während sie mit ihrem fünfundzwanzig Jahre jüngeren Ehemann schläft - eine kleine Rolleninversion des Ehepaars Macron.
Die Präsidentin, die als Linke begonnen hat und nun, in der Pandemie, ein bürgerliches, leicht autoritäres Bündnis anführt, ist amtsmüde. Aber sie ist nur eine Figur in einem größeren Tableau. Der Innenminister, ein ehemaliger Fallschirmjäger, der es noch mal wissen will, wartet nur, dass sie strauchelt, und hilft auch gerne nach; der grüne Umweltminister ist zu skrupulös und hat zudem eine Tochter, deren Freund dem alten Innenminister-Haudegen als Ghostwriter für dessen Memoiren dienen soll.
Leroy entwickelt dieses Geflecht sehr subtil, er lässt dazu paramilitärische Akteure und Geheimdienstler mit undurchsichtigen Missionen auftreten. Natürlich geht es in diesem Spiel um die Macht und ihren Preis. Sie kostet Geld und Leben. Auf der Bühne der Öffentlichkeit ist davon nicht viel zu sehen. Was Wirkung zeitigt, bleibt im Halbschatten. Das ist auf eine Weise inszeniert, die filigran und elegant wirkt, die nie auf billige Enthüllungseffekte und Verschwörungsgeraune setzen muss. Man kann davon ausgehen, dass dieser kluge und reflektierte Roman allen, die mit den Feinheiten und Personalien der französischen Innenpolitik besser vertraut sind als der normale deutsche Leser, einen noch reicheren Subtext bietet.
Kim Koplin heißt nicht so. Der Name ist ein Pseudonym, und nicht zum ersten Mal fragt man sich, weil der Verlag immerhin verrät, es handle sich um die Autorin mehrerer erfolgreicher Bücher, aus welchen Motiven eine Person anonym bleiben möchte, wenn sie doch schreibend in die Öffentlichkeit drängt. Angst vorm Seriositätsverlust? Es gibt jedenfalls keinen Grund, sich zu verstecken, denn "Die Guten und die Toten" (Suhrkamp, 255 S., br., 16,- Euro) ist ein Roman, der weiß, was er tut, gerade weil einige seiner Figuren kein Interesse daran haben, dass jemand erfährt, was sie tun. Die Erzählung wechselt mit jedem Kapitel die Perspektive.
So funktioniert das Buch wie ein Mosaik: Die Wege der Figuren kreuzen sich, Stein für Stein setzt sich ein Bild zusammen, das am Ende komplett vor einem liegt. Da ist Nihal, die junge Polizistin und ambitionierte Boxerin mit aserbaidschanischen Wurzeln und Problemen mit der Affektkontrolle. Sie trifft auf einen schnöseligen, koksenden Staatssekretär, der mit einem Waffenhändler und dessen saudi-arabischen Geschäftspartnern paktiert. Und lernt Saad mit seiner fünfjährigen Tochter kennen, der vorgibt, ein syrischer Flüchtling zu sein. Zum bunten Cast gehören unter anderem auch noch eine junge Investigativjournalistin und ein gerissener Kleingauner mit Migrationshintergrund, der auf einem Parkhausdach in Charlottenburg eine stattliche Hanfplantage angelegt hat.
Die multiperspektivische Erzählweise und Koplins lässiger Ton, dem manchmal allerdings ein paar schiefe Bilder unterlaufen, sorgen für ein gutes Tempo. Im Gegensatz zum umständlich protokollhaften Durchschnittskrimi hat Koplin auch begriffen, dass die eine oder andere Ellipse einer Erzählung nie schaden und biederer Realismus langweilen kann. Außerdem besitzt sie einen ausgeprägten Sinn für tiefschwarzen Humor, der sich nicht erst zeigt, wenn es auf dem Parkhausdach zu einem Finale mit Kettensäge, Schusswaffen und Liebeserklärungen kommt. PETER KÖRTE
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