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Josef Goebbels und Walter Ulbricht zogen im Hintergrund die Fäden. Kommunisten und Nationalsozialisten arbeiteten in den letzten Tagen der Weimarer Republik massiv zusammen: Beim Streik der Berliner Verkehrsbetriebe, der am 3. November 1932 ausbrach und das gesamte Verkehrssystem der Reichshauptstadt lahmlegte. Unmittelbar vor der letzten uneingeschränkt freien Reichstagswahl.Anhand zeitgenössischer Berichte, Aussagen von Zeitzeugen, Polizeiakten und Parteiarchiven untersucht Klaus Rainer Röhl umfassend Ursachen, Verlauf, Hintergründe und Folgen des herausragenden Ereignisses.

Produktbeschreibung
Josef Goebbels und Walter Ulbricht zogen im Hintergrund die Fäden. Kommunisten und Nationalsozialisten arbeiteten in den letzten Tagen der Weimarer Republik massiv zusammen: Beim Streik der Berliner Verkehrsbetriebe, der am 3. November 1932 ausbrach und das gesamte Verkehrssystem der Reichshauptstadt lahmlegte. Unmittelbar vor der letzten uneingeschränkt freien Reichstagswahl.Anhand zeitgenössischer Berichte, Aussagen von Zeitzeugen, Polizeiakten und Parteiarchiven untersucht Klaus Rainer Röhl umfassend Ursachen, Verlauf, Hintergründe und Folgen des herausragenden Ereignisses.
Autorenporträt
Dr. Klaus Rainer Röhl, geboren 1928 in Danzig, war Herausgeber der führenden linken Zeitschrift "Konkret". Von einem Pargeigänger der Kommunisten, von denen er sich schon 1964 trennte, entwickelte sich Röhl zu einem engagierten Kritiker der so genannten 68er und ihrer Nachwirkungen. Er promovierte bei Ernst Nolte und zählt sich heute zu den Demokratischen Rechten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2008

Revolutionäres Maulheldentum
KPD und NSDAP in einer gemeinsamen Streikfront 1932

Wenn eine historische Studie gut 15 Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen fast unverändert noch einmal - diesmal in einem anderen Verlag, nur angereichert um ein Vorwort von Ernst Nolte - publiziert wird, dann müssen triftige Gründe vorliegen. Hier sind vor allem die Bedeutsamkeit des gewählten Themas sowie eine seit dem ersten Erscheinen nicht wesentlich verbesserte Forschungslage anzuführen. Beide Kriterien treffen für die Dissertation von Klaus Rainer Röhl zu: Mit dem gemeinsamen Vorgehen von Kommunisten und Nationalsozialisten im Berliner Verkehrsarbeiterstreik vom 3. bis 7. November 1932 untersucht er zum einen ein Ereignis, das wesentlich mehr war als ein lokal begrenzter Arbeitskampf. Denn zum ersten Mal arbeiteten Kommunisten und Nationalsozialisten einträchtig bei einer militanten Aktion zusammen, von der unzweifelhaft eine politische Signalwirkung ausging, weil sie offenbarte, dass die beiden eingeschworenen Gegner des demokratischen Verfassungsstaates trotz unübersehbarer ideologischer Gegensätze keine Skrupel besaßen, ein Zweckbündnis gegen die bestehende Ordnung zu schmieden und dabei auch vor schweren Krawallen nicht zurückschreckten. Zum anderen bleibt das Werk von Röhl immer noch die weitaus gründlichste, auf einer breiten Quellenbasis gearbeitete Studie zu diesem unzweifelhaft historisch relevanten Gegenstand.

Röhls klar gegliedertes Buch wartet im Kern mit zwei Grundthesen auf, welche die Politikmächtigkeit des Streiks der Berliner Verkehrsarbeiter untermauern sollen. Die weitergehende These postuliert, dass die in dem Verkehrsarbeiterstreik offen zutage getretene Gewaltdisposition auf die politische Führung des Deutschen Reiches einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und grundlegende personelle Weichenstellungen entscheidend beeinflusst habe. Röhl zeigt durch eine dichte Beschreibung der einzelnen Streiktage eindrücklich auf, mit welcher Militanz die Streikenden in den ersten Streiktagen den Bus-, Straßenbahn- und U-Bahn-Verkehr in der Reichshauptstadt nahezu restlos zum Erliegen brachten. Die Streikenden nötigten die wenigen fahrenden Busse und Straßenbahnen zum Anhalten, stürmten die Wagen, demolierten sie und schreckten auch vor körperlichen Attacken gegen Fahrer und Schaffner nicht zurück. Die Polizei reagierte nach einer ersten Phase der Verunsicherung auf solche Aktionen damit, dass sie auch die Schusswaffe einsetzte, um Menschenmassen auf den Straßen aufzulösen. Auf diese Weise forderte der als Lohnstreik begonnene, sich aber immer mehr radikalisierende Konflikt in Berlin vier Menschenleben und 47 Verletzte; es kam zu 583 Festnahmen. War dies nicht ein Vorgeschmack darauf, dass eine latente Bürgerkriegssituation jederzeit in eine offene Konfrontation mit der Staatsgewalt umschlagen konnte? Und zahlte sich die Beteiligung von SA-Leuten an diesen Gewaltakten für Hitler nicht insofern aus, als er damit die Drohkulisse einer aus dem Ruder laufenden und sich sogar mit Kommunisten solidarisierenden SA errichten und seinen Anspruch auf die Reichskanzlerschaft bei Reichspräsident Paul von Hindenburg vor allem mit dem daraus erwachsenden Argument durchsetzen konnte, dass nur seine Ernennung zum Regierungschef seine unruhige Anhängerschaft disziplinieren und damit innere Unruhen im Keim ersticken konnte?

Röhl legt dies nahe; aber die Schwachstelle seiner Argumentation - und auch all derer, die nach ihm dieses Bürgerkriegsargument stark gemacht haben - liegt darin, dass sie die politischen Entscheidungsabläufe nicht wirklich nachzeichnen können und vor allen Dingen über die Motive Hindenburgs letztlich nur spekulieren. Was den in Personalfragen ausschlaggebenden Reichspräsidenten anbelangt, so sprechen alle quellenmäßig verbürgten Zeugnisse dafür, dass auf diesen die nationalsozialistische Beteiligung am Verkehrsarbeiterstreik eine eher abschreckende Wirkung ausübte, weil sie in ihm den Eindruck der Unberechenbarkeit der NS-Führung nährte.

Anders sieht es mit der Evidenz der engeren These Röhls aus, welche die Ursachen aufspüren möchte, warum sich KPD und NSDAP unter Ausschluss der sozialdemokratisch geprägten Verkehrsarbeitergewerkschaft in einer gemeinsamen Streikfront zusammenfanden. Hier legt Röhl plausibel das parteipolitische Kalkül der jeweiligen Parteiführungen dar: Für Gauleiter Goebbels bot die NS-Beteiligung am Verkehrsarbeiterstreik eine willkommene Gelegenheit, die vermeintliche Verbundenheit seiner Partei mit der Sache der Arbeiter vor der am 6. November 1932 stattfindenden Reichstagswahl zu demonstrieren - und dieses Kalkül ging vordergründig insofern auf, als die Stimmenverluste der NSDAP in Berlin unter denen im Reichsdurchschnitt lagen. Allerdings überzeichnet Röhl die positiven Effekte des BVG-Streiks für die Berliner NSDAP, weil er sich hierbei im Wesentlichen auf eine für die Öffentlichkeit bestimmte und daher nicht authentische Version der Tagebücher von Goebbels stützt. Die seit einigen Jahren vorliegende Edition der Originaltagebücher offenbart uns allerdings einen wesentlich skeptischeren Goebbels, der den Abbruch des BVG-Streiks als Niederlage wertet und auch das Wahlergebnis als "schwere Schlappe" einstuft. An diesem Beispiel wird offenkundig, dass der Verfasser gut daran getan hätte, seine Studie im Lichte neuer Dokumente, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung noch nicht zugänglich waren, zu überarbeiten.

Keinen Revisionsbedarf gibt es allerdings im Falle der Einschätzung der kommunistischen Taktik. Röhl kann aufzeigen, wie beunruhigt die KPD über die Attraktivität der NSDAP in Teilen der proletarisch geprägten Berliner Arbeiterschaft war, die sich gemäß marxistischer Ideologie eigentlich als Bestandteil der unter kommunistischer Führung agierenden Arbeiterklasse zu verstehen hätte. Die "Nähe zum Gegner" in Gestalt einer gemeinsamen Streikbewegung diente der KPD daher nicht zuletzt dazu, die sogenannten "Naziproleten" aus der NS-Bewegung herauszulösen und sie ihrer klassenmäßigen Zuordnung zuzuführen. Röhl liefert aber auch eine bemerkenswerte Einschätzung der mangelnden Fähigkeit der KPD, ihrem selbstformulierten Anspruch zur Entfesselung revolutionärer Massenaktionen gerecht zu werden. Denn die KPD-Führung musste einsehen, dass selbst derjenige Lohnstreik, der am ehesten die Möglichkeit einer Ausweitung zu einem politischen Massenstreik in sich barg, die Schwelle zum politischen Streik nicht überschritt und am Ende sogar mit einer totalen Niederlage der Streikenden endete, da der Stein des Anstoßes - eine Lohnsenkung um 2 Pfennig pro Stunde - nicht beseitigt werden konnte und 1800 Streikende ihre Beteiligung an diesem illegalen Streik mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bezahlten.

Röhl legt das revolutionäre Maulheldentum der KPD-Führung eindringlich bloß und liefert damit zugleich ein starkes Argument für die These, dass die politische Führung des Reiches keine illegalen Massenaktionen durch ein Zusammenspiel der beiden extremistischen Massenbewegungen zu fürchten hatte. Der Berliner Verkehrsarbeiterstreik war demnach ein aus einer ganz spezifischen Situation geborenes Aktionsbündnis, dessen Beteiligte aus der "Feindberührung" jeweils zu Lasten des anderen parteitaktische Vorteile herauszuschlagen suchten und die Kraftprobe mit der Staatsgewalt verloren. Eine längerfristige Kooperation der beiden Todfeinde der Republik - so legt es Röhl nahe - hat dem Weimarer Staatswesen also nie gedroht; höchstens als politisches Schreckgespenst vermochte dieses Szenario seine Wirkung auf manche Zeitgenossen und spätere Historiker zu erzielen.

WOLFRAM PYTA

Klaus Rainer Röhl: Die letzten Tage der Republik von Weimar. Kommunisten und Nationalsozialisten im Berliner BVG-Streik von 1932. Mit einem Geleitwort von Ernst Nolte. Universitas Verlag, München 2008. 318 S., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfram Pyta begrüßt die Neuausgabe von Klaus Rainer Röhls vor 15 Jahren erstmals erschienenem Buch über den Berliner BVG-Streik von 1932, bei dem Kommunisten und Nationalsozialisten gemeinsame Sache machten. Während er die Wirkung des gemeinsamen Zweckbündnisses gegen die bestehende Ordnung auf die politische Führung der Republik zurückhaltender bewertet als der Autor, stimmt er dessen Thesen über die Ursachen der zeitweiligen Zusammenarbeit von KPD und NSDAP bei diesem militanten Streik weitgehend zu. Überzeugend findet er die Darstellung des jeweiligen parteipolitischen Kalküls der beiden Parteiführungen. Allenfalls die Rolle von Goebbels sieht Pyta anders, was auch daran liegt, dass Röhl auf eine für die Öffentlichkeit bestimmte Version von Goebbels Tagebüchern zurückgreift. Im Blick auf die vor einigen Jahren erschienenen Originaltagebücher hätte er sich hier eine Überarbeitung der Studie gewünscht. Besonders erhellend findet er die Abschnitte über das "revolutionäre Maulheldentum" der KPD.

© Perlentaucher Medien GmbH
Wolfram Pyta begrüßt die Neuausgabe von Klaus Rainer Röhls vor 15 Jahren erstmals erschienenem Buch über den Berliner BVG-Streik von 1932, bei dem Kommunisten und Nationalsozialisten gemeinsame Sache machten. Während er die Wirkung des gemeinsamen Zweckbündnisses gegen die bestehende Ordnung auf die politische Führung der Republik zurückhaltender bewertet als der Autor, stimmt er dessen Thesen über die Ursachen der zeitweiligen Zusammenarbeit von KPD und NSDAP bei diesem militanten Streik weitgehend zu. Überzeugend findet er die Darstellung des jeweiligen parteipolitischen Kalküls der beiden Parteiführungen. Allenfalls die Rolle von Goebbels sieht Pyta anders, was auch daran liegt, dass Röhl auf eine für die Öffentlichkeit bestimmte Version von Goebbels Tagebüchern zurückgreift. Im Blick auf die vor einigen Jahren erschienenen Originaltagebücher hätte er sich hier eine Überarbeitung der Studie gewünscht. Besonders erhellend findet er die Abschnitte über das "revolutionäre Maulheldentum" der KPD.

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