Europa schwebt im Zustand zwischen Krieg und Frieden - was passierte in den letzten Tagen vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs?
Richard Overy, einer der führenden britischen Historiker, nimmt in seinem Buch die dramatischen Entwicklungen im Spätsommer 1939 in den Blick, in denen das Schicksal der Welt am seidenen Faden hing. Spannend und auf breiter Quellenbasis schildert er jene atemlosen zehn Tage, die dem deutschen Überfall auf Polen und damit dem Beginn des Krieges vorangingen, und berichtet von diplomatischen Manövern, unmöglichen Ultimaten und folgenreichen Fehleinschätzungen.
Ende August 1939, die Menschen in Europa erlebten gerade ihren letzten Sommer in Friedenszeiten, war die Stimmung unter Politikern und Diplomaten in den Hauptstädten des Kontinents bereits äußerst angespannt. Ein Jahr zuvor war mit dem Münchner Abkommen ein Krieg gerade noch einmal abgewendet worden. Im März 1939 hatte Hitler die sogenannte Rest-Tschechei annektiert und damit einmal mehr bewiesen, dass ihm am Frieden in Europa nicht viel gelegen war. Am 1. September schließlich marschierten deutsche Truppen in Polen ein.
Richard Overy gewährt dem Leser einen Blick hinter die Bürotüren der Regierenden und Machthaber in Berlin, Paris, London und Moskau und zeigt, dass sich auf der politischen Bühne ein Nerven zerreißendes Drama abspielte. Drei Tage schwebte Europa in einem Niemandsland zwischen Krieg und Frieden. Hitlers Hoffnungen, dass Daladier und Chamberlain seinem Expansionsstreben weiterhin tatenlos zusehen würden, wurden enttäuscht. Am 3. September erklärten Frankreich und England Deutschland den Krieg.
Ein atemberaubender Blick auf die letzten Tage vor Kriegsbeginn von einem der führenden Historiker zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Richard Overy, einer der führenden britischen Historiker, nimmt in seinem Buch die dramatischen Entwicklungen im Spätsommer 1939 in den Blick, in denen das Schicksal der Welt am seidenen Faden hing. Spannend und auf breiter Quellenbasis schildert er jene atemlosen zehn Tage, die dem deutschen Überfall auf Polen und damit dem Beginn des Krieges vorangingen, und berichtet von diplomatischen Manövern, unmöglichen Ultimaten und folgenreichen Fehleinschätzungen.
Ende August 1939, die Menschen in Europa erlebten gerade ihren letzten Sommer in Friedenszeiten, war die Stimmung unter Politikern und Diplomaten in den Hauptstädten des Kontinents bereits äußerst angespannt. Ein Jahr zuvor war mit dem Münchner Abkommen ein Krieg gerade noch einmal abgewendet worden. Im März 1939 hatte Hitler die sogenannte Rest-Tschechei annektiert und damit einmal mehr bewiesen, dass ihm am Frieden in Europa nicht viel gelegen war. Am 1. September schließlich marschierten deutsche Truppen in Polen ein.
Richard Overy gewährt dem Leser einen Blick hinter die Bürotüren der Regierenden und Machthaber in Berlin, Paris, London und Moskau und zeigt, dass sich auf der politischen Bühne ein Nerven zerreißendes Drama abspielte. Drei Tage schwebte Europa in einem Niemandsland zwischen Krieg und Frieden. Hitlers Hoffnungen, dass Daladier und Chamberlain seinem Expansionsstreben weiterhin tatenlos zusehen würden, wurden enttäuscht. Am 3. September erklärten Frankreich und England Deutschland den Krieg.
Ein atemberaubender Blick auf die letzten Tage vor Kriegsbeginn von einem der führenden Historiker zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2009Ehrenmänner, Schurkenführer, Radikalkrieger
Die Vorgeschichte des Angriffs auf Polen 1939 und die Brutalität der deutschen Eroberungs- und Besatzungspolitik
Die Ereignisse um den 1. September 1939 aus drei Perspektiven: Den Reporter und Filmemacher Werner Biermann reizt das "faszinierende Bild einer kurzen Epoche" zwischen März und November 1939, außer der Politik auch Alltag, Kultur und Sport. Der britische Historiker Richard Overy analysiert die diplomatischen Manöver von Hitlers erstem Befehl zum Angriff auf Polen am 24. August bis zur Kriegserklärung Großbritanniens am 3. September, um Handlungsspielräume im "Kampf der Willen" auszuloten. Jochen Böhler vom Deutschen Historischen Institut in Warschau schildert Vorgeschichte und Geschichte des Polen-Feldzugs anhand von Briefen, Tagebüchern und Interviews.
Werner Biermann versteht es, politische Aktionen und persönliche Schicksale - auch von Opfern der Rassen- und Euthanasiepolitik - in chronologischer Ordnung zu einem fesselnden Text zu verknüpfen. Er setzt ein mit Stalins Rede am 10. März 1939 als erstem Fühler in Richtung Hitler. Etwas willkürlich, wenn auch dramaturgisch geschickt, führt er mit diesem Datum viele der Personen ein, die er durch die nächsten Monate begleitet: den Pianisten Wladyslaw Szpilman in Warschau, den Botschafter Joseph P. Kennedy mit seinen Kindern John Fitzgerald und Edward sowie Tochter Eunice auf Europa-Reise, den Schreiner Georg Elser in einer Dorfkneipe in Königsbronn beim Kartenspielen (er "hat beschlossen, den Mann zu töten, von dem er weiß, dass er den Krieg herbeiführen will") und andere.
Der Leser erfährt, dass der Wissenschaftler Bruno Tesch mit seiner Hamburger Firma "Tesch & Stabenow" (Testa) mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B (noch lediglich) zur Entlausung von Unterkünften beim Jahresumsatz ein "schönes Ergebnis" erzielt; dass ein Soldat aus Bonn und seine jüdische Freundin aus Siegburg am 13. Juni in Usedom aus dem Leben scheiden. Ihren Vater hat sie zuvor in einem Brief angefleht, gemeinsam mit dem Geliebten "in ein Grab" zu kommen. Die letzte Bitte wird nicht erfüllt: "Der Vater lässt das Mädchen auf dem Jüdischen Friedhof in Siegburg beisetzen. Auf dem Grabstein steht: ,Hier ruht mein innigst geliebtes einziges Kind Ilse Fröhlich.' Rudolf Marx wird auf dem Bonner Nordfriedhof in einem Reihengrab beerdigt." Ausführlich widmet sich Biermann der Irrfahrt der in Hamburg auslaufenden "St. Louis" mit 906 jüdischen Flüchtlingen an Bord; nach der Weigerung von Kuba, Kanada und den Vereinigten Staaten, die Passagiere aufzunehmen, gelingt es Kapitän Gustav Schröder in Antwerpen, dass die zur Auswanderung Gezwungenen in westeuropäischen Ländern unterkommen.
Der deutsch-polnische Krieg kommt in diesem Buch etwas zu kurz, stattdessen wird mehr über die Zwangssterilisierungen und Morde an Kranken, insbesondere an Kindern, einschließlich des ärztlichen Gutachter(un)wesens in Deutschland berichtet. Die Miniaturen enden am 8. November, mit dem missglückten Attentat auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller. Nach der Verhaftung will "niemand" Elser glauben, "dass er das Attentat als Einzelner plante und durchführte".
Richard Overy will zeigen, "dass nichts in der Geschichte unausweichlich ist". Diese wenig überraschende Erkenntnis schränkt er leicht ein im Zusammenhang mit der britischen Garantieerklärung vom 31. März 1939 für Polens Unabhängigkeit, die als Reaktion auf "Hitlers Marsch nach Prag" erfolgte: "Vor allem die unnachgiebige Weigerung der Polen, ihren mächtigen deutschen Nachbarn irgendwelche Zugeständnisse einzuräumen, machte den Krieg fast unausweichlich." Seit Frühjahr 1939 sei ein "Kollisionskurs" erkennbar gewesen. In London und Paris, das sich der Garantie anschloss, habe man gehofft, durch eine feste Haltung Hitler entweder abschrecken zu können oder ihn dazu zu bringen, ohne Gewaltandrohung mit Polen zu verhandeln. Weder Premierminister Chamberlain noch Ministerpräsident Daladier hätten je erwogen, "Polen im Stich zu lassen, wenn Deutschland als Aggressor handelte".
Am 24. August - nach Abschluss des deutsch-sowjetischen Pakts - befahl Hitler den Angriff auf Polen für den Morgen des 26. August. Diesen Befehl zog er am frühen Abend des 25. August zurück, weil es trotz seines Moskau-Coups nicht zum Sturz der britischen Regierung kam, sondern zu Teilmobilmachungen und zum britisch-polnischen Bündnisvertrag über gegenseitige Beistandsleistung. In den Tagen danach glaubte der französische Außenminister Bonnet an "die Möglichkeit eines zweiten München", während sich die britische Führung an Geheimdienstinformationen über angebliche Differenzen im deutschen Generalstab klammerte. Als sich die Chance zu deutsch-polnischen Gesprächen über eine Volksabstimmung im "Korridor" abzeichnete, schraubte der "Führer" die Forderungen höher und verlangte die Entsendung eines polnischen Bevollmächtigten nach Berlin innerhalb von 24 Stunden. Spätestens hier zeigte sich laut Overy, dass Hitler "nie an wirkliche Verhandlungen gedacht hatte".
Den von deutscher Seite fingierten "Überfall" auf den Sender Gleiwitz nahm das in Danzig ankernde Kriegsschiff "Schleswig-Holstein" als Anlass zur Beschießung der polnischen Westerplatte und das deutsche Heer samt Luftwaffe zum Einfall in Polen. Im Verlauf dieses 1. September verlangte die britische Regierung in einer "sorgfältig formulierten" Note von Hitler die Zusicherung, dass die deutschen Truppen "sofort zurückgezogen" würden. Träfe keine Zusicherung ein, so werde Großbritannien "ohne Zögern" den Verpflichtungen gegenüber Polen nachkommen. Um 18 Uhr gab Chamberlain das "Fast-Ultimatum" vor dem Unterhaus bekannt. Sogleich rief ein Abgeordneter dazwischen: "Und die Frist?"
Der Premierminister wich aus, stand seither - wie der in Exeter lehrende Geschichtsprofessor meint - bei Historikern oft im Verdacht, weiterhin auf Appeasement gesetzt zu haben. Overy weist dies zurück. Denn Frankreich habe Chamberlain um eine Verschiebung von zwei bis drei Tagen gebeten, um die militärischen Vorbereitungen abschließen zu können. Und die Intervention des italienischen Diktators Mussolini, der eine internationale Konferenz für den 5. September vorschlug, habe Daladier abgelehnt, Bonnet jedoch befürwortet. Als am 2. September in London das Kabinett zusammentrat, drängten die Stabschefs, das Ultimatum auf Tagesende, 24 Uhr, zu befristen. Dem stimmte das Kabinett um 17 Uhr zu.
Die französische Regierung beharrte wieder auf Verzögerung. Und so redete Chamberlain ab 19 Uhr vor dem Unterhaus vier Minuten lang um den heißen Brei herum. Als für die Opposition der Labour-Abgeordnete Arthur Greenwood das Wort ergreifen wollte, "rief der Konservative Leo Amery: ,Sprechen Sie für England!' in den Saal." Der Zwischenruf ist nicht im offiziellen Sitzungsprotokoll erfasst, aber laut Augenzeugen in dieser Form gefallen. Greenwood sah "die menschliche Zivilisation in Gefahr" und forderte eine definitive Erklärung Chamberlains, ob am nächsten Morgen Krieg herrsche oder Frieden. Um 23.30 Uhr beschloss das Kabinett, dass das Ultimatum am nächsten Morgen um 9 Uhr in Berlin zu übergeben sei; zwei Stunden später sollte es auslaufen. Der Staatssekretär des britischen Außenministeriums, Alexander Cadogan, meinte damals über die Abstimmungsprobleme mit Paris, dass "Bonnet in diesem Stück den Schurken" gespielt habe. Am 3. September befanden sich Großbritannien ab 11 Uhr und Frankreich ab 17 Uhr im Krieg mit Deutschland, wenn auch die Kampfhandlungen ausblieben. "Der Kriegsbeginn in Europa führte rund um die Welt zu hektischen Aktivitäten. Die französische Kriegserklärung galt automatisch auch für das gesamte Kolonialreich, die britische umfasste die Kolonien und Protektorate, während die Kriegserklärungen der anderen Länder des British Commonwealth später in Berlin eintrafen." Dafür sorgten die Zeitunterschiede.
Hitler war erschrocken, dass er den "kleinen Krieg" gegen Polen nicht bekommen hatte. Er war das Risiko eines Weltkriegs eingegangen. Und Polen hatte - so Overy - den Krieg riskiert, "um Hitler zu trotzen". Großbritannien und Frankreich kamen ihren Verpflichtungen nach, "denn sie hatten Polen im März 1939 Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit seiner Grenzen" garantiert, heißt es überraschenderweise. Doch auf die Grenzen hatte sich die Garantie vom 31. März nicht bezogen. Die packend geschilderten zehn Tage seit dem 24. August seien ein "charakteristisches Beispiel für hochriskante Konfrontationen". Hinzu traten laut Overy die geistige und körperliche Erschöpfung der Protagonisten, eine "Verengung des Blicks", die zu Irrationalität geführt habe, ferner eine krampfhafte Suche nach Rechtfertigungen. Hitler verwies auf Akte polnischer "Grausamkeit" an Deutschen, die britische und französische Regierung argumentierten mit der Ehre: "Entweder löste man, koste es, was es wolle, die den Polen gegebenen Garantien ein, oder die Nation verhielt sich unehrenhaft." Aller Rhetorik der Ehre zum Trotz sei es nicht "um die Rettung Polens" gegangen, sondern darum, "Großbritannien und Frankreich vor den Gefahren einer aus den Fugen geratenen Welt zu schützen".
Jochen Böhler kann an seine vielbeachtete Studie "Auftakt zum Vernichtungskrieg" (2006) über den Polen-Feldzug anknüpfen. Jetzt bezieht er das ganze Jahr 1939 ein. Er erzählt quellennah von der Brutalität des deutschen Vormarschs und des Beginns der Besatzungszeit, aber auch von der "prekären" Lage der deutschen Minderheit bei Kriegsbeginn. Die Zahl derjenigen, die zunächst mit der Bahn, bald auf entkräftenden Fußmärschen nach Osten geschickt wurde, liege bei zirka 10 000 bis 15 000, darunter Kinder, alte Menschen und Frauen. Viele hätten niemals ihre Bestimmungsorte erreicht, weil die Deportation "unkoordiniert, überhastet und - obwohl offenbar auf höhere Weisung - ohne einen detailliert ausgearbeiteten Plan" erfolgt sei.
Hitler habe bereits vor dem Angriff auf Polen mit solchen Opfern gerechnet, die ihm "als Alibi für die von langer Hand geplanten ethnischen Säuberungen in Polen" dienten. Anfang 1940 sprach das Auswärtige Amt in dem Weißbuch "Die polnischen Greueltaten an den Volksdeutschen in Polen" von "5437 einwandfrei festgestellten Morden". In der zweiten Auflage desselben Jahres wurden "mehr als 58 000 Tote" angegeben und der Rest der Erstauflage eingestampft. Heutzutage wird die Zahl der Opfer auf 4500 geschätzt, "wobei auch die Verluste berücksichtigt sind, die Krieg und Zerstörung mit sich brachten".
Die Einheiten der Wehrmacht hätten sich in einem "Freischärlerwahn" befunden. Dementsprechend habe die Zusammenarbeit zwischen den mordenden Einsatzgruppen und der Wehrmacht "nahezu reibungslos" funktioniert. In Przemysl fand zwischen dem 16. und dem 19. September 1939 das größte Massaker an Juden vor dem Angriff auf die Sowjetunion statt; zwischen 500 und 800 Einzelerschießungen, ausgeführt von einer Einsatzgruppe. Böhler vermutet, dass Wehrmachtssoldaten als Täter "in nicht geringem Maße darin involviert waren". Überhaupt wertet er die massiven Verbrechen durch Wehrmacht-, Polizei- und SS-Einheiten in Polen als Wendepunkt von einer "herkömmlichen" zu einer "radikalen" Kriegführung. Die Wehrmachtsführung habe damals geflissentlich über Verbrechen im eigenen Bereich hinweggesehen und ihr Augenmerk gerichtet "auf das Fehlverhalten der ungeliebten Konkurrentin von der ,SS-Verfügungstruppe', aus der später die Waffen-SS entstand".
Das Schwarzweißbild vom "anständigen Soldaten" und vom "sadistischen SS-Mann" sei 1939 entstanden und habe sich bis in die neunziger Jahre hinein halten können. Wenige Mannschaften und Offiziere hätten sich über Verbrechen in Polen entrüstet, noch weniger hätten sich bei der Rettung von Juden engagiert. Böhler zitiert schließlich aus einem (seit 1954 bekannten) Brief des Oberstleutnants im Generalstab Helmuth Stieff - später Generalmajor und einer der Männer des 20. Juli 1944 - vom 21. November 1939 aus Warschau an seine Frau: "Es ist so grausam, dass man keinen Augenblick seines Lebens froh ist, wenn man in dieser Stadt weilt . . . Man bewegt sich dort nicht als Sieger, sondern als Schuldbewußter! . . . Dazu kommt noch all das Unglaubliche, was dort am Rande passiert und wo wir mit verschränkten Armen zusehen müssen! Die blühendste Phantasie einer Greuelpropaganda ist arm gegen die Dinge, die eine organisierte Mörder-, Räuber- und Plündererbande unter angeblich höchster Duldung dort verbricht. Da kann man nicht mehr von ,berechtigter Empörung über an Volksdeutschen begangene Verbrechen' sprechen. Diese Ausrottung ganzer Geschlechter mit Frauen und Kindern ist nur von einem Untermenschentum möglich, das den Namen Deutsch nicht mehr verdient. Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein. Diese Minderheit, die durch Morden, Plündern und Sengen den deutschen Namen besudelt, wird das Unglück des ganzen deutschen Volkes werden, wenn wir ihnen nicht bald das Handwerk legen."
RAINER BLASIUS
Werner Biermann: Sommer 1939. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009. 286 S., 19.90 [Euro].
Richard Overy: Die letzten zehn Tage. Europa am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. 24. August bis 3. September 1939. Pantheon Verlag, München 2009. 159 S., 12,95 [Euro].
Jochen Böhler: Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen. Verlag Eichborn, Frankfurt am Main 2009. 272 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Vorgeschichte des Angriffs auf Polen 1939 und die Brutalität der deutschen Eroberungs- und Besatzungspolitik
Die Ereignisse um den 1. September 1939 aus drei Perspektiven: Den Reporter und Filmemacher Werner Biermann reizt das "faszinierende Bild einer kurzen Epoche" zwischen März und November 1939, außer der Politik auch Alltag, Kultur und Sport. Der britische Historiker Richard Overy analysiert die diplomatischen Manöver von Hitlers erstem Befehl zum Angriff auf Polen am 24. August bis zur Kriegserklärung Großbritanniens am 3. September, um Handlungsspielräume im "Kampf der Willen" auszuloten. Jochen Böhler vom Deutschen Historischen Institut in Warschau schildert Vorgeschichte und Geschichte des Polen-Feldzugs anhand von Briefen, Tagebüchern und Interviews.
Werner Biermann versteht es, politische Aktionen und persönliche Schicksale - auch von Opfern der Rassen- und Euthanasiepolitik - in chronologischer Ordnung zu einem fesselnden Text zu verknüpfen. Er setzt ein mit Stalins Rede am 10. März 1939 als erstem Fühler in Richtung Hitler. Etwas willkürlich, wenn auch dramaturgisch geschickt, führt er mit diesem Datum viele der Personen ein, die er durch die nächsten Monate begleitet: den Pianisten Wladyslaw Szpilman in Warschau, den Botschafter Joseph P. Kennedy mit seinen Kindern John Fitzgerald und Edward sowie Tochter Eunice auf Europa-Reise, den Schreiner Georg Elser in einer Dorfkneipe in Königsbronn beim Kartenspielen (er "hat beschlossen, den Mann zu töten, von dem er weiß, dass er den Krieg herbeiführen will") und andere.
Der Leser erfährt, dass der Wissenschaftler Bruno Tesch mit seiner Hamburger Firma "Tesch & Stabenow" (Testa) mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B (noch lediglich) zur Entlausung von Unterkünften beim Jahresumsatz ein "schönes Ergebnis" erzielt; dass ein Soldat aus Bonn und seine jüdische Freundin aus Siegburg am 13. Juni in Usedom aus dem Leben scheiden. Ihren Vater hat sie zuvor in einem Brief angefleht, gemeinsam mit dem Geliebten "in ein Grab" zu kommen. Die letzte Bitte wird nicht erfüllt: "Der Vater lässt das Mädchen auf dem Jüdischen Friedhof in Siegburg beisetzen. Auf dem Grabstein steht: ,Hier ruht mein innigst geliebtes einziges Kind Ilse Fröhlich.' Rudolf Marx wird auf dem Bonner Nordfriedhof in einem Reihengrab beerdigt." Ausführlich widmet sich Biermann der Irrfahrt der in Hamburg auslaufenden "St. Louis" mit 906 jüdischen Flüchtlingen an Bord; nach der Weigerung von Kuba, Kanada und den Vereinigten Staaten, die Passagiere aufzunehmen, gelingt es Kapitän Gustav Schröder in Antwerpen, dass die zur Auswanderung Gezwungenen in westeuropäischen Ländern unterkommen.
Der deutsch-polnische Krieg kommt in diesem Buch etwas zu kurz, stattdessen wird mehr über die Zwangssterilisierungen und Morde an Kranken, insbesondere an Kindern, einschließlich des ärztlichen Gutachter(un)wesens in Deutschland berichtet. Die Miniaturen enden am 8. November, mit dem missglückten Attentat auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller. Nach der Verhaftung will "niemand" Elser glauben, "dass er das Attentat als Einzelner plante und durchführte".
Richard Overy will zeigen, "dass nichts in der Geschichte unausweichlich ist". Diese wenig überraschende Erkenntnis schränkt er leicht ein im Zusammenhang mit der britischen Garantieerklärung vom 31. März 1939 für Polens Unabhängigkeit, die als Reaktion auf "Hitlers Marsch nach Prag" erfolgte: "Vor allem die unnachgiebige Weigerung der Polen, ihren mächtigen deutschen Nachbarn irgendwelche Zugeständnisse einzuräumen, machte den Krieg fast unausweichlich." Seit Frühjahr 1939 sei ein "Kollisionskurs" erkennbar gewesen. In London und Paris, das sich der Garantie anschloss, habe man gehofft, durch eine feste Haltung Hitler entweder abschrecken zu können oder ihn dazu zu bringen, ohne Gewaltandrohung mit Polen zu verhandeln. Weder Premierminister Chamberlain noch Ministerpräsident Daladier hätten je erwogen, "Polen im Stich zu lassen, wenn Deutschland als Aggressor handelte".
Am 24. August - nach Abschluss des deutsch-sowjetischen Pakts - befahl Hitler den Angriff auf Polen für den Morgen des 26. August. Diesen Befehl zog er am frühen Abend des 25. August zurück, weil es trotz seines Moskau-Coups nicht zum Sturz der britischen Regierung kam, sondern zu Teilmobilmachungen und zum britisch-polnischen Bündnisvertrag über gegenseitige Beistandsleistung. In den Tagen danach glaubte der französische Außenminister Bonnet an "die Möglichkeit eines zweiten München", während sich die britische Führung an Geheimdienstinformationen über angebliche Differenzen im deutschen Generalstab klammerte. Als sich die Chance zu deutsch-polnischen Gesprächen über eine Volksabstimmung im "Korridor" abzeichnete, schraubte der "Führer" die Forderungen höher und verlangte die Entsendung eines polnischen Bevollmächtigten nach Berlin innerhalb von 24 Stunden. Spätestens hier zeigte sich laut Overy, dass Hitler "nie an wirkliche Verhandlungen gedacht hatte".
Den von deutscher Seite fingierten "Überfall" auf den Sender Gleiwitz nahm das in Danzig ankernde Kriegsschiff "Schleswig-Holstein" als Anlass zur Beschießung der polnischen Westerplatte und das deutsche Heer samt Luftwaffe zum Einfall in Polen. Im Verlauf dieses 1. September verlangte die britische Regierung in einer "sorgfältig formulierten" Note von Hitler die Zusicherung, dass die deutschen Truppen "sofort zurückgezogen" würden. Träfe keine Zusicherung ein, so werde Großbritannien "ohne Zögern" den Verpflichtungen gegenüber Polen nachkommen. Um 18 Uhr gab Chamberlain das "Fast-Ultimatum" vor dem Unterhaus bekannt. Sogleich rief ein Abgeordneter dazwischen: "Und die Frist?"
Der Premierminister wich aus, stand seither - wie der in Exeter lehrende Geschichtsprofessor meint - bei Historikern oft im Verdacht, weiterhin auf Appeasement gesetzt zu haben. Overy weist dies zurück. Denn Frankreich habe Chamberlain um eine Verschiebung von zwei bis drei Tagen gebeten, um die militärischen Vorbereitungen abschließen zu können. Und die Intervention des italienischen Diktators Mussolini, der eine internationale Konferenz für den 5. September vorschlug, habe Daladier abgelehnt, Bonnet jedoch befürwortet. Als am 2. September in London das Kabinett zusammentrat, drängten die Stabschefs, das Ultimatum auf Tagesende, 24 Uhr, zu befristen. Dem stimmte das Kabinett um 17 Uhr zu.
Die französische Regierung beharrte wieder auf Verzögerung. Und so redete Chamberlain ab 19 Uhr vor dem Unterhaus vier Minuten lang um den heißen Brei herum. Als für die Opposition der Labour-Abgeordnete Arthur Greenwood das Wort ergreifen wollte, "rief der Konservative Leo Amery: ,Sprechen Sie für England!' in den Saal." Der Zwischenruf ist nicht im offiziellen Sitzungsprotokoll erfasst, aber laut Augenzeugen in dieser Form gefallen. Greenwood sah "die menschliche Zivilisation in Gefahr" und forderte eine definitive Erklärung Chamberlains, ob am nächsten Morgen Krieg herrsche oder Frieden. Um 23.30 Uhr beschloss das Kabinett, dass das Ultimatum am nächsten Morgen um 9 Uhr in Berlin zu übergeben sei; zwei Stunden später sollte es auslaufen. Der Staatssekretär des britischen Außenministeriums, Alexander Cadogan, meinte damals über die Abstimmungsprobleme mit Paris, dass "Bonnet in diesem Stück den Schurken" gespielt habe. Am 3. September befanden sich Großbritannien ab 11 Uhr und Frankreich ab 17 Uhr im Krieg mit Deutschland, wenn auch die Kampfhandlungen ausblieben. "Der Kriegsbeginn in Europa führte rund um die Welt zu hektischen Aktivitäten. Die französische Kriegserklärung galt automatisch auch für das gesamte Kolonialreich, die britische umfasste die Kolonien und Protektorate, während die Kriegserklärungen der anderen Länder des British Commonwealth später in Berlin eintrafen." Dafür sorgten die Zeitunterschiede.
Hitler war erschrocken, dass er den "kleinen Krieg" gegen Polen nicht bekommen hatte. Er war das Risiko eines Weltkriegs eingegangen. Und Polen hatte - so Overy - den Krieg riskiert, "um Hitler zu trotzen". Großbritannien und Frankreich kamen ihren Verpflichtungen nach, "denn sie hatten Polen im März 1939 Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit seiner Grenzen" garantiert, heißt es überraschenderweise. Doch auf die Grenzen hatte sich die Garantie vom 31. März nicht bezogen. Die packend geschilderten zehn Tage seit dem 24. August seien ein "charakteristisches Beispiel für hochriskante Konfrontationen". Hinzu traten laut Overy die geistige und körperliche Erschöpfung der Protagonisten, eine "Verengung des Blicks", die zu Irrationalität geführt habe, ferner eine krampfhafte Suche nach Rechtfertigungen. Hitler verwies auf Akte polnischer "Grausamkeit" an Deutschen, die britische und französische Regierung argumentierten mit der Ehre: "Entweder löste man, koste es, was es wolle, die den Polen gegebenen Garantien ein, oder die Nation verhielt sich unehrenhaft." Aller Rhetorik der Ehre zum Trotz sei es nicht "um die Rettung Polens" gegangen, sondern darum, "Großbritannien und Frankreich vor den Gefahren einer aus den Fugen geratenen Welt zu schützen".
Jochen Böhler kann an seine vielbeachtete Studie "Auftakt zum Vernichtungskrieg" (2006) über den Polen-Feldzug anknüpfen. Jetzt bezieht er das ganze Jahr 1939 ein. Er erzählt quellennah von der Brutalität des deutschen Vormarschs und des Beginns der Besatzungszeit, aber auch von der "prekären" Lage der deutschen Minderheit bei Kriegsbeginn. Die Zahl derjenigen, die zunächst mit der Bahn, bald auf entkräftenden Fußmärschen nach Osten geschickt wurde, liege bei zirka 10 000 bis 15 000, darunter Kinder, alte Menschen und Frauen. Viele hätten niemals ihre Bestimmungsorte erreicht, weil die Deportation "unkoordiniert, überhastet und - obwohl offenbar auf höhere Weisung - ohne einen detailliert ausgearbeiteten Plan" erfolgt sei.
Hitler habe bereits vor dem Angriff auf Polen mit solchen Opfern gerechnet, die ihm "als Alibi für die von langer Hand geplanten ethnischen Säuberungen in Polen" dienten. Anfang 1940 sprach das Auswärtige Amt in dem Weißbuch "Die polnischen Greueltaten an den Volksdeutschen in Polen" von "5437 einwandfrei festgestellten Morden". In der zweiten Auflage desselben Jahres wurden "mehr als 58 000 Tote" angegeben und der Rest der Erstauflage eingestampft. Heutzutage wird die Zahl der Opfer auf 4500 geschätzt, "wobei auch die Verluste berücksichtigt sind, die Krieg und Zerstörung mit sich brachten".
Die Einheiten der Wehrmacht hätten sich in einem "Freischärlerwahn" befunden. Dementsprechend habe die Zusammenarbeit zwischen den mordenden Einsatzgruppen und der Wehrmacht "nahezu reibungslos" funktioniert. In Przemysl fand zwischen dem 16. und dem 19. September 1939 das größte Massaker an Juden vor dem Angriff auf die Sowjetunion statt; zwischen 500 und 800 Einzelerschießungen, ausgeführt von einer Einsatzgruppe. Böhler vermutet, dass Wehrmachtssoldaten als Täter "in nicht geringem Maße darin involviert waren". Überhaupt wertet er die massiven Verbrechen durch Wehrmacht-, Polizei- und SS-Einheiten in Polen als Wendepunkt von einer "herkömmlichen" zu einer "radikalen" Kriegführung. Die Wehrmachtsführung habe damals geflissentlich über Verbrechen im eigenen Bereich hinweggesehen und ihr Augenmerk gerichtet "auf das Fehlverhalten der ungeliebten Konkurrentin von der ,SS-Verfügungstruppe', aus der später die Waffen-SS entstand".
Das Schwarzweißbild vom "anständigen Soldaten" und vom "sadistischen SS-Mann" sei 1939 entstanden und habe sich bis in die neunziger Jahre hinein halten können. Wenige Mannschaften und Offiziere hätten sich über Verbrechen in Polen entrüstet, noch weniger hätten sich bei der Rettung von Juden engagiert. Böhler zitiert schließlich aus einem (seit 1954 bekannten) Brief des Oberstleutnants im Generalstab Helmuth Stieff - später Generalmajor und einer der Männer des 20. Juli 1944 - vom 21. November 1939 aus Warschau an seine Frau: "Es ist so grausam, dass man keinen Augenblick seines Lebens froh ist, wenn man in dieser Stadt weilt . . . Man bewegt sich dort nicht als Sieger, sondern als Schuldbewußter! . . . Dazu kommt noch all das Unglaubliche, was dort am Rande passiert und wo wir mit verschränkten Armen zusehen müssen! Die blühendste Phantasie einer Greuelpropaganda ist arm gegen die Dinge, die eine organisierte Mörder-, Räuber- und Plündererbande unter angeblich höchster Duldung dort verbricht. Da kann man nicht mehr von ,berechtigter Empörung über an Volksdeutschen begangene Verbrechen' sprechen. Diese Ausrottung ganzer Geschlechter mit Frauen und Kindern ist nur von einem Untermenschentum möglich, das den Namen Deutsch nicht mehr verdient. Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein. Diese Minderheit, die durch Morden, Plündern und Sengen den deutschen Namen besudelt, wird das Unglück des ganzen deutschen Volkes werden, wenn wir ihnen nicht bald das Handwerk legen."
RAINER BLASIUS
Werner Biermann: Sommer 1939. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009. 286 S., 19.90 [Euro].
Richard Overy: Die letzten zehn Tage. Europa am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. 24. August bis 3. September 1939. Pantheon Verlag, München 2009. 159 S., 12,95 [Euro].
Jochen Böhler: Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen. Verlag Eichborn, Frankfurt am Main 2009. 272 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zufrieden scheint Rezensent Rainer Blasius mit Richard Overys Buch über "Europa am Vorabend des Zweiten Weltkriegs". Er findet darin eine genaue Analyse der diplomatischen Manöver von Hitlers Angriffsbefehl auf Polen am 24. August bis zur Kriegserklärung Großbritanniens am 3. September. Ausführlich rekapituliert Blasius, den Autor immer wieder zitierend, die dramatischen Ereignisse dieser zehn Tage, das diplomatische Hin und Her in London und Paris, das schließlich zu einem Ultimatum Englands gegenüber Deutschland führte. Dabei erkläre der britische Historiker, dass Hitler nie wirklich an Verhandlungen gedacht hätte. Das Buch zeichnet sich für Blasius vor allem durch seine packende Schilderung aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Der britische Zeithistoriker ist ein Meister seines Fachs. Spannend geschrieben.« Die Welt