Scott Bradfield zerlegt die Welt in ihre Bestandteile, um sie anschließend neu angeordnet wieder zusammenzusetzten und das Ergebnis ist „Die Leute, die sie vorübergehen sahen“.
Sal Jenkins ist drei Jahre alt als sie von einem Handwerker aus dem Keller ihrer Eltern entführt wird. Schnell passt sich
das Mädchen seiner neuen Umgebung an und nennt seinen Entführer ab diesem Augenblick Daddy. Grund…mehrScott Bradfield zerlegt die Welt in ihre Bestandteile, um sie anschließend neu angeordnet wieder zusammenzusetzten und das Ergebnis ist „Die Leute, die sie vorübergehen sahen“.
Sal Jenkins ist drei Jahre alt als sie von einem Handwerker aus dem Keller ihrer Eltern entführt wird. Schnell passt sich das Mädchen seiner neuen Umgebung an und nennt seinen Entführer ab diesem Augenblick Daddy. Grund für sein Handeln ist die Unschuld und Unvoreingenommenheit Sals, die er bewahren und zugleich fördern möchte, da er glaubt, dass nur er sie bestmöglich für diese Welt erziehen kann, ohne sie zu verderben. Doch schon nach kurzer Zeit verschwindet Daddy aus Sals Leben und eine lange Reise beginnt für das Mädchen, während derer ihm unterschiedliche Menschen und auch Orte begegnen, die jeweils ein anderes Bild der Wirklichkeit leben und ihr vermitteln. Mit stoischer Ruhe und Gelassenheit lässt Sal alles mit sich geschehen und treibt durch Häuser, Städte und Landstriche an Menschen vorbei. In dieser Zeit erfährt sie Freiheit, die jedoch durch eine zeitweilige Heimunterbringung stark eingeschränkt wird. Doch ihr Daddy taucht abermals auf, um sie mitzunehmen und wieder an den eigentlichen Zweck, sich nicht in der Welt zu verlieren und ihren Zwängen zu unterwerfen, zu erinnern. Und Sal betreibt Freiheit in Extremum, indem sie sich auf dem Weg durch die Wüste zur Selbstfindung macht. Sal kehrt mit einem neuen Verständnis von sich selbst und der Welt zurück, mit dem Versprechen, dass von nun an alles besser wird…
Salome, deren Name so viel wie die Friedliche oder Friedenbringende heißt, ist eine Abwandlung von dem hebräischen Namen Salomon, der durch seine weisen Urteilssprüche bekannt wurde. Beide Eigenschaften treffen auf das kleine Mädchen zu, dessen Ausstrahlung die Menschen, denen sie begegnet, beeindruckt. Auch das Verständnis von der Welt und von sich selbst ist größer als das der meisten Menschen. Und das besonders für eine Dreijährige. Fremd und grotesk erscheinen die abgeklärte Sicht und das bedachte Verhalten des Kleinkindes. Auch die Charaktere, denen Sal begegnet wirken zum Teil wie aus der Irrenanstalt entsprungen und zeichnen kein schmeichelhaftes Bild der menschlichen Gesellschaft. Mit diesen Mitteln versteht es der Autor umzugehen und dem Leser zum Nachdenken anzuregen, da sich die Figur des kleinen Mädchens eignet, die Realität, zu formen, drehen, auseinanderzunehmen und zusammenzusetzten, sie also sogar neu zu gestalten und zu präsentieren.
Erst am Ende fügen sich vereinzelte Stücke zu einem Bild zusammen, so die Anziehung von Kellern auf Sal und ihre Besessenheit von rosa Kleidern. Je länger man über den Roman nachdenkt desto mehr Stücke rücken an den rechten Platz, aber gleichzeitig öffnen sich neue Türen die erkundet werden wollen. Und so gehe ich dem Autor in die Falle.
Schwer zu beschreiben sind die Eindrücke von dem Roman „Die Leute, die sie vorübergehen sahen“, da nichts in dem Roman das ist, was es scheint. Am ehesten gelingt ein Vergleich mit dem Maler und Denker René Magritte, der sich nicht nur in seinen Bildern mit dem Verhältnis von Wirklichkeit und Realität auseinandersetzt. Ebenso wie Magritte spielt Bradfield mit beiden Begriffen und irritiert den Leser, indem er ihn die Realität des kleinen Mädchens erleben lässt, also wie es die Wirklichkeit wahrnimmt. Doch sind beide nicht gleichzusetzten. Und immer, wenn man meint, man habe beide miteinander vereint und die Wahrheit erkannt, so belehrt Bradfield einen eines Besseren. Denn keiner kann den Anspruch auf Wahrheiten erheben, der in der Welt lebt und darin verankert ist. Und Sal muss ihre Erkenntnisse teuer bezahlen, da sie durch dieselben nicht in und mit der Welt leben kann, jedoch muss.
Schwere Kost, die noch lange im Gedächtnis bleibt und die sehr eindringlich ist. Wer sich gerne auf philosophische Pfade begibt und über das Sein und Nichtsein nachgrübelt, wird voll auf seine Kosten kommen.