REZENSION – Mit den ersten freien Wahlen endete 1977 das diktatorische Franco-Regime. Doch die politische und literarische Aufarbeitung der grausamen und Millionen Opfer fordernden Militärdiktatur begann erst in den 2000er Jahren. Die Auswirkungen des Franquismus halten gesellschaftlich und
politisch sogar bis heute an. Vergleichbar vor allem mit der deutschen Nachkriegsliteratur, sind deshalb in…mehrREZENSION – Mit den ersten freien Wahlen endete 1977 das diktatorische Franco-Regime. Doch die politische und literarische Aufarbeitung der grausamen und Millionen Opfer fordernden Militärdiktatur begann erst in den 2000er Jahren. Die Auswirkungen des Franquismus halten gesellschaftlich und politisch sogar bis heute an. Vergleichbar vor allem mit der deutschen Nachkriegsliteratur, sind deshalb in Spanien die Jahre der Franco-Diktatur noch immer ein für Autoren wichtiges Thema. Aktuelles Beispiel ist der im Juli im Limes Verlag veröffentlichte Roman „Die Lichter von Barcelona“ des mehrfach ausgezeichneten spanischen Schriftstellers und Drehbuch-Autors Pere Cervantes (51).
Die Handlung des Romans beginnt direkt nach dem Zweitem Weltkrieg im Jahr 1945 und setzt sich über 1947 bis 1949 fort. Diese Zeitspanne war einerseits die Zeit der Erholung vom Krieg, andererseits die düsterste Zeit der spanischen Diktatur in der Verfolgung des politischen Widerstands, eine Zeit gesellschaftlicher Unsicherheit, eine Phase der andauernden Bespitzelung. „Es war eine Art Waffenstillstand, während dem es verboten war, bei Tisch über Politik zu sprechen und die [Menschen] zu erwähnen, die nicht da waren, vor allem, wenn der Krieg und seine Folgen schuld daran waren.“ In dieser dunklen Zeit wächst der 13-jährige Nil Roig in der alleinigen Obhut seiner Mutter Soledad auf, denn Vater David lebt seit Jahren als Mitglied einer Widerstandsgruppe im Verborgenen. Nur des Vaters Stimme, der früher Hollywood-Filme synchronisierte, ist dem Sohn auf alten Filmrollen geblieben.
Um den armseligen Lohn seiner Mutter aufzustocken, bringt der Junge mit seinem Fahrrad die jeweils benötigten Filmrollen von einem Kino zum anderen. Ansonsten entzieht sich Nil der Wirklichkeit des unbarmherzigen Alltags, indem er in die Traumwelt der Filme und verbotenen Bücher entflieht. Beides ermöglicht ihm Buchhändler Leo, der nicht nur ein kleines Antiquariat betreibt, sondern im Keller auch ein geheimes Kino. Väterliche Freunde sind zudem der Filmvorführer Bernardo und sein Lebensgefährte und Platzanweiser Paulino. Eines Tages wird Nil im heimischen Hausflur Zeuge eines Mordes. Der Sterbende steckt ihm noch ein Schauspieler-Sammelfoto zu und flüstert den Namen seines Vaters David. Bald bekommt Nil zu spüren, dass andere auf der Jagd nach diesem Foto sind.
Nicht nur der Zeitrahmen der Handlung, das Gefängnis von Montjuïc und Leos Antiquariat mit verbotenen Büchern erinnern zwangsläufig an die ab 2001 erschienene vierbändige Bestseller-Reihe „Friedhof der vergessenen Bücher“ von Carlos Ruiz Zafón über die Geschehnisse um die Buchhandlung Sempere & Söhne in Barcelona. Wohl ganz bewusst hat der Limes Verlag für den Cervantes-Roman „El chico de las bobinas“ - auf Deutsch „ Der Junge mit den Filmrollen“ - deshalb auch als Titel „Die Lichter von Barcelona“ gewählt, ähnelt dieser doch Zafóns viertem Band „Das Labyrinth der Lichter“ aus dem Jahr 2017.
Doch an das literarische Niveau Zafóns reicht Pere Cervantes keinesfalls heran. Bei ihm spürt man vielmehr die Erfahrung des modernen Drehbuch-Autors. Die Handlung ist stark vereinfacht, die Personenzahl überschaubar, was der Autor von seinem Alter Ego am Schluss indirekt bestätigen lässt: „Um mit den Stimmen einiger weniger die Geschichte so vieler zu erzählen.“ Cervantes' Protagonisten sind zu strikt in bitterarme, politisch verfolgte Republikaner, die wie in einem Ghetto zusammenleben, sowie reiche System- und Kriegsgewinnler (Falangisten) eingeteilt. Dazwischen scheint es nichts und niemanden zu geben. Besonders störend ist vor allem die in Einzelheiten ergehende Schilderung sexueller und gewalttätiger Misshandlungen an den Opfern des Geheimdienstlers Victor Valiente, wo schon Andeutungen ausreichend gewesen wären. Dadurch verliert der Roman leider zusätzlich an literarischem Niveau. Dennoch: Das Buch „Die Lichter von Barcelona“ ist durchaus spannend, nur historisch allzu klischeehaft. So bleibt es allein ein gut zu lesender und aktionsreicher, deshalb sicher gut verfilmbarer Unterhaltungsroman mit interessanter Handlung.