Eine berührende Geschichte. Ein außergewöhnlicher Mann, eine kultivierte Frau, vier Kinder, eine Ehe. Dann aber trifft er auf eine Frau, die in ihm Gefühle weckt, die er bisher nicht kannte. Er hat fortan zwei Leben mit zwei Frauen, die jeweils einen Anderen lieben und doch so viel gemeinsam haben: ihre Gärten - eine weitläufige, parkähnliche Wildnis die eine, eine kleines Gärtchen in der Stadt die andere. Eine Dreiecksgeschichte mit Rosen, Lavendel, Phlox, Lupinen, Flieder und Levkojen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2012Erfüllung bleibt versagt
Christine Trüb analysiert die verbotene Liebe
"Diskretion" lautet das Schlüsselwort dieses schmalen Romans. Diskret begegnet die Erzählerin ihren Figuren, die sie nie beim Namen nennt, sondern die stets archetypisch "der Mann", die "Frau" und die "andere Frau" bleiben. Und Diskretion ist das Motto dieses namenlosen Mannes, der im Zentrum der einzelnen Erzählstränge steht. Der starke Wunsch nach Verschwiegenheit gründet in dem großen Lebensgeheimnis des Familienvaters, der als kritischer Zeithistoriker internationale Anerkennung genießt und zu Hause, in der überschaubaren Schweiz, in ein enges Geflecht aus verwandtschaftlichen und kollegialen Beziehungen eingebunden ist.
Alles in diesem Leben scheint zu gelingen, die vier Kinder sind wohlgeraten und erfolgreich, das Haus auf dem Land bietet Komfort und Bequemlichkeit, und die Ehe mit der eleganten Frau, in die sich der Gymnasiast vor Jahrzehnten verliebte, verläuft äußerlich ungetrübt. Die Idylle bekommt jedoch einen irreparablen Riss, als die Ehefrau in den Unterlagen ihres Mannes den Liebesbrief einer Fremden findet. Das alles sei eine längst zurückliegende Affäre gewesen, versucht der Mann sie zu beschwichtigen und verschweigt damit - aus Schwäche, aus Abwehr, aus Rücksichtnahme? - die Wahrheit, denn noch immer verbindet ihn eine tiefe Beziehung mit jener Frau, der er vor Jahren während eines Kongresses in England begegnete und die für ihn längst zur Liebe seines Lebens geworden ist. Diese zweite Frau lebt in Deutschland, sieben Zugstunden entfernt, und alle diskreten Treffen erfordern geschicktes Arrangement. Briefe und lange heimliche Telefonate ermöglichen den fortgesetzten Austausch.
So weit klingen die Fakten bekannt, ja fast trivial, scheint es doch um nichts anderes zu gehen als "diese tausendfach sich täglich wiederholende Tatsache des Ehebetrugs", wie die hintergangene Ehefrau das Verhalten ihres Mannes zunächst zu begreifen sucht. Doch gelingt Christine Trüb das erstaunliche Kunststück, diese Geschichte eines Doppellebens, einer enttäuschten Ehe und einer großen, geheimen Liebe mit so viel Verständnis, Takt und eben auch Diskretion zu erzählen, dass sie stilsicher allen Gefahren der Banalität, des Moralisierens und der Rührseligkeit entgeht. Vielmehr setzt sie das Lebensbild zweier ungewöhnlicher Menschen und ihrer außerordentlichen Verbindung aus vielen Details behutsam zusammen.
Die Erzählperspektive trägt entscheidend dazu bei, dass dieses Wagnis ästhetisch gelingt. Beständig wechseln die Zeitebenen - Rückblenden stehen neben Schilderungen vom Lebensende des Protagonisten, der seinen 91. Geburtstag, körperlich geschwächt, aber geistig so wach wie immer, mit seiner Familie verbringt, während seine heimliche Gefährtin, die in den über dreißig Jahren ihrer Liebe nun selbst gealtert ist, auf eine Möglichkeit zum verschwiegenen Treffen wartet. Neben die Stimmen der beiden konkurrierenden Frauen, die sich nie begegnen, tritt als dritte die der erwachsenen Tochter hinzu, die nach dem Tod ihrer Eltern zu begreifen versucht, warum ihr Vater jahrzehntelang ein geheimes zweites Leben führte. Vor allem ihre Reflexionen geben dem Roman gedankliche Tiefe. Obwohl sie selbst oft an der vermeintlichen Härte und Unnachgiebigkeit ihres Vaters gelitten hat, gewinnt die Tochter allmählich Verständnis für dessen Verhalten.
Die ersehnte Erfüllung blieb den Liebenden versagt. Nüchtern werden die letzten Wochen des "Uralten" beschrieben, der, pflegebedürftig geworden, in einem Heim lebt, wo ihn seine Ehefrau nur kurz und unregelmäßig besucht. Stattdessen kann nun aber, unbehelligt von der öffentlichen Meinung, seine vertraute Partnerin Tag für Tag in seiner Nähe sein. Glücklich über diese Zweisamkeit im Angesicht des Todes, die so gar nicht ihren früheren Träumen von einem gemeinsamem Leben entspricht, notiert sie jedes Wort des zwar oft verwirrten, aber noch immer charakterstarken und liebenden Mannes. Später werden diese Worte auch der Tochter Trost geben.
Kein heiteres Happy End also, sondern die bewegende Geschichte einer großen Liebe bis in den Tod, die gerade durch diese existentielle Dimension ihre eigene Wahrhaftigkeit erhält. Christine Trüb, die in Zürich lebt, veröffentlichte in den vergangenen Jahren mehrere Bände mit Erzählungen und Prosaskizzen. Mit diesem Roman erweist sie sich als subtile Erzählerin auf der Höhe ihres Könnens, die dem alten Thema der verbotenen Liebe jenseits aller Klischees neue, anrührende Facetten hinzufügt.
SABINE DOERING
Christine Trüb: "Die Liebe der beiden Frauen zu den Gärten". Roman.
Limbus Verlag, Innsbruck 2011. 120 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christine Trüb analysiert die verbotene Liebe
"Diskretion" lautet das Schlüsselwort dieses schmalen Romans. Diskret begegnet die Erzählerin ihren Figuren, die sie nie beim Namen nennt, sondern die stets archetypisch "der Mann", die "Frau" und die "andere Frau" bleiben. Und Diskretion ist das Motto dieses namenlosen Mannes, der im Zentrum der einzelnen Erzählstränge steht. Der starke Wunsch nach Verschwiegenheit gründet in dem großen Lebensgeheimnis des Familienvaters, der als kritischer Zeithistoriker internationale Anerkennung genießt und zu Hause, in der überschaubaren Schweiz, in ein enges Geflecht aus verwandtschaftlichen und kollegialen Beziehungen eingebunden ist.
Alles in diesem Leben scheint zu gelingen, die vier Kinder sind wohlgeraten und erfolgreich, das Haus auf dem Land bietet Komfort und Bequemlichkeit, und die Ehe mit der eleganten Frau, in die sich der Gymnasiast vor Jahrzehnten verliebte, verläuft äußerlich ungetrübt. Die Idylle bekommt jedoch einen irreparablen Riss, als die Ehefrau in den Unterlagen ihres Mannes den Liebesbrief einer Fremden findet. Das alles sei eine längst zurückliegende Affäre gewesen, versucht der Mann sie zu beschwichtigen und verschweigt damit - aus Schwäche, aus Abwehr, aus Rücksichtnahme? - die Wahrheit, denn noch immer verbindet ihn eine tiefe Beziehung mit jener Frau, der er vor Jahren während eines Kongresses in England begegnete und die für ihn längst zur Liebe seines Lebens geworden ist. Diese zweite Frau lebt in Deutschland, sieben Zugstunden entfernt, und alle diskreten Treffen erfordern geschicktes Arrangement. Briefe und lange heimliche Telefonate ermöglichen den fortgesetzten Austausch.
So weit klingen die Fakten bekannt, ja fast trivial, scheint es doch um nichts anderes zu gehen als "diese tausendfach sich täglich wiederholende Tatsache des Ehebetrugs", wie die hintergangene Ehefrau das Verhalten ihres Mannes zunächst zu begreifen sucht. Doch gelingt Christine Trüb das erstaunliche Kunststück, diese Geschichte eines Doppellebens, einer enttäuschten Ehe und einer großen, geheimen Liebe mit so viel Verständnis, Takt und eben auch Diskretion zu erzählen, dass sie stilsicher allen Gefahren der Banalität, des Moralisierens und der Rührseligkeit entgeht. Vielmehr setzt sie das Lebensbild zweier ungewöhnlicher Menschen und ihrer außerordentlichen Verbindung aus vielen Details behutsam zusammen.
Die Erzählperspektive trägt entscheidend dazu bei, dass dieses Wagnis ästhetisch gelingt. Beständig wechseln die Zeitebenen - Rückblenden stehen neben Schilderungen vom Lebensende des Protagonisten, der seinen 91. Geburtstag, körperlich geschwächt, aber geistig so wach wie immer, mit seiner Familie verbringt, während seine heimliche Gefährtin, die in den über dreißig Jahren ihrer Liebe nun selbst gealtert ist, auf eine Möglichkeit zum verschwiegenen Treffen wartet. Neben die Stimmen der beiden konkurrierenden Frauen, die sich nie begegnen, tritt als dritte die der erwachsenen Tochter hinzu, die nach dem Tod ihrer Eltern zu begreifen versucht, warum ihr Vater jahrzehntelang ein geheimes zweites Leben führte. Vor allem ihre Reflexionen geben dem Roman gedankliche Tiefe. Obwohl sie selbst oft an der vermeintlichen Härte und Unnachgiebigkeit ihres Vaters gelitten hat, gewinnt die Tochter allmählich Verständnis für dessen Verhalten.
Die ersehnte Erfüllung blieb den Liebenden versagt. Nüchtern werden die letzten Wochen des "Uralten" beschrieben, der, pflegebedürftig geworden, in einem Heim lebt, wo ihn seine Ehefrau nur kurz und unregelmäßig besucht. Stattdessen kann nun aber, unbehelligt von der öffentlichen Meinung, seine vertraute Partnerin Tag für Tag in seiner Nähe sein. Glücklich über diese Zweisamkeit im Angesicht des Todes, die so gar nicht ihren früheren Träumen von einem gemeinsamem Leben entspricht, notiert sie jedes Wort des zwar oft verwirrten, aber noch immer charakterstarken und liebenden Mannes. Später werden diese Worte auch der Tochter Trost geben.
Kein heiteres Happy End also, sondern die bewegende Geschichte einer großen Liebe bis in den Tod, die gerade durch diese existentielle Dimension ihre eigene Wahrhaftigkeit erhält. Christine Trüb, die in Zürich lebt, veröffentlichte in den vergangenen Jahren mehrere Bände mit Erzählungen und Prosaskizzen. Mit diesem Roman erweist sie sich als subtile Erzählerin auf der Höhe ihres Könnens, die dem alten Thema der verbotenen Liebe jenseits aller Klischees neue, anrührende Facetten hinzufügt.
SABINE DOERING
Christine Trüb: "Die Liebe der beiden Frauen zu den Gärten". Roman.
Limbus Verlag, Innsbruck 2011. 120 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Altes Thema alte Liebe? Sabine Doering empfiehlt den Roman der Schweizer Autorin Christine Trüb, weil er dem bekannten Topos neue Facetten abgewinnt und Klischees vermeidet, meint die Rezensentin. Wie die Autorin mittels einer über die verschiedenen Familienmitglieder und Zeitebenen weit aufgefächerten Erzählperspektivik sowohl gedankliche Tiefe erlangt als auch eine anrührende existentielle Dimension des Themas herausarbeitet, gefällt Doering gut. Von Ehebruch mag sie angesichts dieser Geschichte um einen alten Mann, seine jahrzehntelange Geliebte und seine Familie nicht sprechen. Zu diskret und zu stilsicher inszeniere Trüb das Geschehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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