Die berührende Geschichte eines Vaters, der um seine Tochter kämpft
Peter hat eine Tochter, aber das Sorgerecht für sie hat er nicht. Annika war zwei, als er und ihre Mutter sich trennten. Seitdem gerät jede elterliche Absprache zum Machtkampf um die inzwischen dreizehnjährige Annika. Ein Silvesterurlaub auf Sylt wird für Vater und Tochter zur entscheidenden Probe auf ihre Liebe.
Die Reise auf die Insel ist für den Verlagsvertreter Peter auch eine Rückkehr in Landschaften der Vergangenheit. Hier hat er die Sommer seiner Kindheit verbracht, als seine Mutter in einer Buchhandlung in Kampen arbeitete. Die Spaziergänge am Strand, die alte Kirche von Keitum, der Leuchtturm rufen Erinnerungen in ihm wach. Zum ersten Mal versucht er, seiner Tochter von sich zu erzählen. Er begegnet Susanne wieder, einer Freundin aus der Schulzeit, mittlerweile verheiratet und Mutter zweier Kinder. Und er muss erleben, dass er auf die Väter der scheinbar heilen Familien, die diese Ferien zusammen verbringen, wie ein Menetekel wirkt.
Es ist die Zeit zwischen den Jahren, die Rauhnächte, in denen Tiere sprechen können und die Tore der Geisterwelt offen stehen. »Die Wilde Jagd« tobt um das Ferienhaus auf der Düne, ein Wintersturm. Und in der Silvesternacht, zusammen mit Freunden im »Sansibar«, steht plötzlich Peters gesamte Existenz auf dem Spiel. Atemlos folgt man seiner Stimme, die erzählt, was ihm geschieht - gegenwärtig, distanzlos, unmittelbar.
Dieser Roman über die Schwierigkeit, heute Vater zu sein, ist Thomas Hettches persönlichstes Buch. Meisterhaft gelingt es ihm, die Atmosphäre des winterlichen Sylt mit einem Familiendrama zu verbinden, in dem es um die eigene Vergangenheit geht, die persönliche Integrität und eine gemeinsame Zukunft.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Peter hat eine Tochter, aber das Sorgerecht für sie hat er nicht. Annika war zwei, als er und ihre Mutter sich trennten. Seitdem gerät jede elterliche Absprache zum Machtkampf um die inzwischen dreizehnjährige Annika. Ein Silvesterurlaub auf Sylt wird für Vater und Tochter zur entscheidenden Probe auf ihre Liebe.
Die Reise auf die Insel ist für den Verlagsvertreter Peter auch eine Rückkehr in Landschaften der Vergangenheit. Hier hat er die Sommer seiner Kindheit verbracht, als seine Mutter in einer Buchhandlung in Kampen arbeitete. Die Spaziergänge am Strand, die alte Kirche von Keitum, der Leuchtturm rufen Erinnerungen in ihm wach. Zum ersten Mal versucht er, seiner Tochter von sich zu erzählen. Er begegnet Susanne wieder, einer Freundin aus der Schulzeit, mittlerweile verheiratet und Mutter zweier Kinder. Und er muss erleben, dass er auf die Väter der scheinbar heilen Familien, die diese Ferien zusammen verbringen, wie ein Menetekel wirkt.
Es ist die Zeit zwischen den Jahren, die Rauhnächte, in denen Tiere sprechen können und die Tore der Geisterwelt offen stehen. »Die Wilde Jagd« tobt um das Ferienhaus auf der Düne, ein Wintersturm. Und in der Silvesternacht, zusammen mit Freunden im »Sansibar«, steht plötzlich Peters gesamte Existenz auf dem Spiel. Atemlos folgt man seiner Stimme, die erzählt, was ihm geschieht - gegenwärtig, distanzlos, unmittelbar.
Dieser Roman über die Schwierigkeit, heute Vater zu sein, ist Thomas Hettches persönlichstes Buch. Meisterhaft gelingt es ihm, die Atmosphäre des winterlichen Sylt mit einem Familiendrama zu verbinden, in dem es um die eigene Vergangenheit geht, die persönliche Integrität und eine gemeinsame Zukunft.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Christopher Schmidt mag Thomas Hettches Roman "Die Liebe der Väter" nicht. Und weil Kritikerkollegen von FAS und Zeit das Buch sehr gepriesen haben, schließt er sie in seinen zornigen Verriss mit ein. Dabei ist das Thema "ledige Väter" laut Schmidt nicht durch das Sorgerechtsurteil des Verfassungsgerichts hinfällig geworden, denn das Buch hinke nicht nicht der Rechtslage hinterher, sondern der Realität. So einseitig wie Hettche den elterlichen Konflikt um den Kontakt zur Tochter zeichne, ergebe das Buch allenfalls eine tendenziöse Streitschrift, aber weder einen Roman noch eine Novelle. Der Vater, ein "sensibler Intellektueller", will auf Sylt Urlaub mit seiner Tochter machen, die Mutter verhindert ansonsten nahezu jeden Kontakt: Sie sieht Schmidt als "arbeitsscheue Schlampe" gezeichnet, die den Unterhalt verjuxt, das Kind vernachlässigt und ihre Liebhaber auch noch übergriffig werden lässt. Schmidt verübelt dem Autor neben Larmoyanz und einem "winselnden Kulturpessimismus" besonders, dass die mangelnden hausfraulichen Qualitäten der Mutter eine Rolle spielen. Wie gut der Vater das Bügeleisen schwinge, erfahre man nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2010Vampire im Wattenmeer
Thomas Hettche erteilt in seinem Roman einem Vater, der um die Liebe seiner Tochter kämpft, das Wort. "Die Liebe der Väter" erforscht, was Eltern und Kinder im Härtefall zusammenhält - und was sie trennt.
Von Sandra Kegel
Peter ist ein Mann in den besten Jahren. Für ihn heißt das: Er könnte kaum unglücklicher sein. Als Buchhandelsvertreter arbeitet er in einer aussterbenden Branche, wie er gern beteuert. Er lebt allein, menschliche Nähe erträgt er nur schwer, und seit seine geliebte Mutter vor drei Jahren gestorben ist, gibt es nur noch Annika, die ihm etwas bedeutet. Ausgerechnet seine Tochter aber darf er nicht sehen - oder nur dann, wenn es deren Mutter in den Kram passt. Denn Peter und Ines haben sich zwei Jahre nach Annikas Geburt getrennt. Und weil er als Unverheirateter nicht über das Sorgerecht verfügt, ist er Ines' Willkür hilflos ausgeliefert.
Solche Geschichten kennt man, seit es Väter gibt, die sich damit nicht mehr abfinden wollen - Väter, die die Öffentlichkeit suchen, Druck ausüben und jüngst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in ihren Rechten gestärkt worden sind (F.A.Z. vom 4. August). Auch die Details dieser Geschichte, wie der Erzähler sie in Thomas Hettches neuem Roman "Die Liebe der Väter" ausbreitet, kennt man so oder so ähnlich: das jahrelange Martyrium, das Peter durchlebt, weil Ines den Kontakt zwischen Vater und Tochter immer wieder behindert, ebenso wie die Reaktion der Jugendamtsmitarbeiter, die Peter abwimmeln, als er Ines dort anschwärzt - seine Ex sei nicht in der Lage, für Annika zu sorgen, berichtet er, das Kind werde vernachlässigt und sogar Drogen seien im Spiel. Man wimmelt den Besorgten ab, denn in den Augen der Beamten sind die Rollen klar verteilt: Peter hält man für den Drückeberger, Ines für die tapfer kämpfende alleinerziehende Mutter, die - anders als der einstige Partner - bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Könnte man vor diesem Hintergrund Hettches Roman als Kommentar zur aktuellen Debatte lesen? Meldet sich hier ein Betroffener zu Wort - so zumindest ließe sich die Widmung verstehen -, der sich mit den Qualen eines entrechteten Vaters an die Öffentlichkeit wendet?
Natürlich kann man das Buch so lesen - und verfehlt damit den eigentlichen Impetus dieses erstaunlichen Romans. Denn der 1964 bei Gießen geborene Hettche wendet einen alten poetologischen Trick an, damit aus dem vertrautem Erlebten und Gehörten große Literatur entstehen kann: Das Vaterdrama, das bei einem gemeinsamen Silvesterurlaub von Peter und Annika auf Sylt, wo sie bei Freunden wohnen, in eine Katastrophe mündet, wird einzig und allein aus Sicht des Vaters geschildert. Hettches so umfassend leidender Ich-Erzähler hat naturgemäß einen distanzlosen, zutiefst parteiischen Blick ein, und indem er uns seine Version der Ereignisse ohne Rücksicht, aber auch ohne Eitelkeit schildert, erweckt mit unserem Mitleid gleichzeitig unser Befremden. Peter ist ein also unzuverlässiger Erzähler im klassischen Sinn, einer, dem wir gebannt zuhören und dem wir auch dann noch folgen, wenn er selbst seine Lebenslügen mit seinem Leben zu verwechseln droht: weil wir mit dem Autor wissen, dass diese Geschichte auch ganz anders erzählt werden könnte, nämlich aus der Perspektive von Ines oder Annika. Peters Tragik ist, dass er in seinem Zorn und seiner Verletztheit dies nicht in Betracht zieht und auch nicht ziehen will.
So erst gelangt "Die Liebe der Väter" in den Bereich wirklicher Literatur, und Hettche setzt Signale zuhauf, um die Grenzen von Peters Perspektive an der Suada vorbei zu markieren: Sein Held entlarvt sich selbst. Kann man einem Ich-Erzähler trauen, der unentwegt beteuert, dass er alles versucht hat, seine Tochter aus den Fängen der labilen Mutter zu sich zu holen - und der gleichzeitig als Handelsvertreter Jahr für Jahr mehr als vierzigtausend Kilometer im Auto zurücklegt, um Buchhändlern von Garmisch bis Kampen die Neuerscheinungen vorzustellen?
Thomas Hettche geht es weniger um Peters Wirklichkeit als um Peters Wollen, in der Beschäftigung mit dem entrechteten Vater ist sein Ansatz nicht soziologisch, sondern psychologisch, und so entsteht eben kein argumentativ aufgeladenes Plädoyer für mehr Gerechtigkeit auf dem Feld von Besuchszeiten und Sorgerecht, sondern ein faszinierendes Porträt eines aus der Bahn geworfenen, zunehmend verstörten Mannes. Dass der Übergang zwischen Außen und Innen, zwischen Welt und Ich dabei fließend ist, liegt auf der Hand. Und dass der Ich-Erzähler stets aufs Neue das Aussterben der Bücher und, ja, der ganzen Buchkultur beklagt, ist bei ihm gewiss berufsbedingt. Seine Liebe zu Sylt hingegen ist eng an seine Person geknüpft.
Der Insel gilt seine Sehnsucht, räumlich wie zeitlich: Auf Sylt mit den reetgedeckten Häuschen und den düsteren Sagengeschichten hatte er als Kind glückliche Zeiten mit seiner Mutter verbracht, die dort im Sommer Bücher verkaufte. Als fernen Nachklang dazu erlebt Peter heute, dass hier nun seine pubertierende Tochter liest, wenn auch nicht die ernsthafte Literatur, die er selbt in ihrem Alter verschlang, so doch immerhin Vampirromane. Auch dies kann, ebenso wie Annikas Begeisterung für Schauermärchen und Naturkatastrophen, als Fingerzeig darauf gelesen werden, wer in dieser ausweglosen Konstellation das Opfer mit den meisten Blessuren ist: eben Annika, die seit der Trennung vor mehr als zehn Jahren der Spielball zweier Erwachsener ist, die miteinander gescheitert, nun aber auch egozentrisch genug sind, ihren Hass über die zarte Kinderpsyche auszuspielen.
Einerseits übernimmt Peter als Ich-Erzähler die Rolle von Ines' Ankläger. Deren verkorkste Existenz zwischen immer neuen Männern, Drogen und Lebensentwürfen scheint tatsächlich kaum die richtige Umgebung für ein Kind zu sein. Zugleich aber zwingt Hettche seine Erzählerfigur in einer sagenhaften Volte selbst auf die Angeklagtenbank. Nachdem in der Silvesternacht in einem Restaurant die ohnehin schon aufgeladene Situation zwischen Peter und Annika eskaliert, verliert der Vater die Kontrolle und schlägt Annika ins Gesicht. Dieses unerhörte Ereignis ist eigentlich mehr eine Ohrfeige aus Verzweiflung - das sichtbare Zeichen für die Ohnmacht eines Vaters, der diese Rolle nie ausleben, ja nie probieren durfte. Peter ist überfordert, zuletzt wohl auch damit, dass Annika nun, da er sie endlich einmal bei sich hat, sich zugleich abnabeln will, sie ist dreizehn, und interessiert sich mehr für Jungs als für den Papa. Peters Überreaktion führt dazu, dass seine Freunde am Neujahrsmorgen Gericht über ihn halten. Das Tribunal am Küchentisch, abgehalten von spießigen Richtern aus der Mittelschicht, gehört zu den Höhepunkten des Romans; nicht weniger gespenstisch als die Schauermärchen, mit denen Annika die jüngeren Kinder der Freunde erschreckt.
Hettches Roman ist ein Glücksfall, komplex, vielschichtig und geschrieben in einer artifiziellen Sprache, die der Emotionalität des Geschehens mit wohltuend nüchterner Kühle begegnet. Für diesen, seinen womöglich bisher persönlichsten Roman, hat sich dieser ehrgeizige Schriftsteller auf bemerkenswerte Weise zurückgenommen und die Eigendynamik seiner Geschichte nicht durch zusätzliche Volten gebremst - wie etwa noch in seinem letzten Roman "Woraus wir gemacht sind" (2006). Der Autor erforscht, was einen Vater im Innersten beschäftigt - und da gibt es auch Abgründe zuhauf. Diese radikale Innensicht erinnert an Hettches meisterliches Psychogramm eines Mörders in "Der Fall Arbogast" von 2001. Mit schmerzlicher Präzision beschreibt "Die Liebe der Väter" die Verletztheiten, Wunden und Sehnsüchte von Vätern, die keine sein dürfen. Die Bilder, die er dafür findet, werden bleiben.
Thomas Hettche: "Die Liebe der Väter". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 224 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Hettche erteilt in seinem Roman einem Vater, der um die Liebe seiner Tochter kämpft, das Wort. "Die Liebe der Väter" erforscht, was Eltern und Kinder im Härtefall zusammenhält - und was sie trennt.
Von Sandra Kegel
Peter ist ein Mann in den besten Jahren. Für ihn heißt das: Er könnte kaum unglücklicher sein. Als Buchhandelsvertreter arbeitet er in einer aussterbenden Branche, wie er gern beteuert. Er lebt allein, menschliche Nähe erträgt er nur schwer, und seit seine geliebte Mutter vor drei Jahren gestorben ist, gibt es nur noch Annika, die ihm etwas bedeutet. Ausgerechnet seine Tochter aber darf er nicht sehen - oder nur dann, wenn es deren Mutter in den Kram passt. Denn Peter und Ines haben sich zwei Jahre nach Annikas Geburt getrennt. Und weil er als Unverheirateter nicht über das Sorgerecht verfügt, ist er Ines' Willkür hilflos ausgeliefert.
Solche Geschichten kennt man, seit es Väter gibt, die sich damit nicht mehr abfinden wollen - Väter, die die Öffentlichkeit suchen, Druck ausüben und jüngst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in ihren Rechten gestärkt worden sind (F.A.Z. vom 4. August). Auch die Details dieser Geschichte, wie der Erzähler sie in Thomas Hettches neuem Roman "Die Liebe der Väter" ausbreitet, kennt man so oder so ähnlich: das jahrelange Martyrium, das Peter durchlebt, weil Ines den Kontakt zwischen Vater und Tochter immer wieder behindert, ebenso wie die Reaktion der Jugendamtsmitarbeiter, die Peter abwimmeln, als er Ines dort anschwärzt - seine Ex sei nicht in der Lage, für Annika zu sorgen, berichtet er, das Kind werde vernachlässigt und sogar Drogen seien im Spiel. Man wimmelt den Besorgten ab, denn in den Augen der Beamten sind die Rollen klar verteilt: Peter hält man für den Drückeberger, Ines für die tapfer kämpfende alleinerziehende Mutter, die - anders als der einstige Partner - bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Könnte man vor diesem Hintergrund Hettches Roman als Kommentar zur aktuellen Debatte lesen? Meldet sich hier ein Betroffener zu Wort - so zumindest ließe sich die Widmung verstehen -, der sich mit den Qualen eines entrechteten Vaters an die Öffentlichkeit wendet?
Natürlich kann man das Buch so lesen - und verfehlt damit den eigentlichen Impetus dieses erstaunlichen Romans. Denn der 1964 bei Gießen geborene Hettche wendet einen alten poetologischen Trick an, damit aus dem vertrautem Erlebten und Gehörten große Literatur entstehen kann: Das Vaterdrama, das bei einem gemeinsamen Silvesterurlaub von Peter und Annika auf Sylt, wo sie bei Freunden wohnen, in eine Katastrophe mündet, wird einzig und allein aus Sicht des Vaters geschildert. Hettches so umfassend leidender Ich-Erzähler hat naturgemäß einen distanzlosen, zutiefst parteiischen Blick ein, und indem er uns seine Version der Ereignisse ohne Rücksicht, aber auch ohne Eitelkeit schildert, erweckt mit unserem Mitleid gleichzeitig unser Befremden. Peter ist ein also unzuverlässiger Erzähler im klassischen Sinn, einer, dem wir gebannt zuhören und dem wir auch dann noch folgen, wenn er selbst seine Lebenslügen mit seinem Leben zu verwechseln droht: weil wir mit dem Autor wissen, dass diese Geschichte auch ganz anders erzählt werden könnte, nämlich aus der Perspektive von Ines oder Annika. Peters Tragik ist, dass er in seinem Zorn und seiner Verletztheit dies nicht in Betracht zieht und auch nicht ziehen will.
So erst gelangt "Die Liebe der Väter" in den Bereich wirklicher Literatur, und Hettche setzt Signale zuhauf, um die Grenzen von Peters Perspektive an der Suada vorbei zu markieren: Sein Held entlarvt sich selbst. Kann man einem Ich-Erzähler trauen, der unentwegt beteuert, dass er alles versucht hat, seine Tochter aus den Fängen der labilen Mutter zu sich zu holen - und der gleichzeitig als Handelsvertreter Jahr für Jahr mehr als vierzigtausend Kilometer im Auto zurücklegt, um Buchhändlern von Garmisch bis Kampen die Neuerscheinungen vorzustellen?
Thomas Hettche geht es weniger um Peters Wirklichkeit als um Peters Wollen, in der Beschäftigung mit dem entrechteten Vater ist sein Ansatz nicht soziologisch, sondern psychologisch, und so entsteht eben kein argumentativ aufgeladenes Plädoyer für mehr Gerechtigkeit auf dem Feld von Besuchszeiten und Sorgerecht, sondern ein faszinierendes Porträt eines aus der Bahn geworfenen, zunehmend verstörten Mannes. Dass der Übergang zwischen Außen und Innen, zwischen Welt und Ich dabei fließend ist, liegt auf der Hand. Und dass der Ich-Erzähler stets aufs Neue das Aussterben der Bücher und, ja, der ganzen Buchkultur beklagt, ist bei ihm gewiss berufsbedingt. Seine Liebe zu Sylt hingegen ist eng an seine Person geknüpft.
Der Insel gilt seine Sehnsucht, räumlich wie zeitlich: Auf Sylt mit den reetgedeckten Häuschen und den düsteren Sagengeschichten hatte er als Kind glückliche Zeiten mit seiner Mutter verbracht, die dort im Sommer Bücher verkaufte. Als fernen Nachklang dazu erlebt Peter heute, dass hier nun seine pubertierende Tochter liest, wenn auch nicht die ernsthafte Literatur, die er selbt in ihrem Alter verschlang, so doch immerhin Vampirromane. Auch dies kann, ebenso wie Annikas Begeisterung für Schauermärchen und Naturkatastrophen, als Fingerzeig darauf gelesen werden, wer in dieser ausweglosen Konstellation das Opfer mit den meisten Blessuren ist: eben Annika, die seit der Trennung vor mehr als zehn Jahren der Spielball zweier Erwachsener ist, die miteinander gescheitert, nun aber auch egozentrisch genug sind, ihren Hass über die zarte Kinderpsyche auszuspielen.
Einerseits übernimmt Peter als Ich-Erzähler die Rolle von Ines' Ankläger. Deren verkorkste Existenz zwischen immer neuen Männern, Drogen und Lebensentwürfen scheint tatsächlich kaum die richtige Umgebung für ein Kind zu sein. Zugleich aber zwingt Hettche seine Erzählerfigur in einer sagenhaften Volte selbst auf die Angeklagtenbank. Nachdem in der Silvesternacht in einem Restaurant die ohnehin schon aufgeladene Situation zwischen Peter und Annika eskaliert, verliert der Vater die Kontrolle und schlägt Annika ins Gesicht. Dieses unerhörte Ereignis ist eigentlich mehr eine Ohrfeige aus Verzweiflung - das sichtbare Zeichen für die Ohnmacht eines Vaters, der diese Rolle nie ausleben, ja nie probieren durfte. Peter ist überfordert, zuletzt wohl auch damit, dass Annika nun, da er sie endlich einmal bei sich hat, sich zugleich abnabeln will, sie ist dreizehn, und interessiert sich mehr für Jungs als für den Papa. Peters Überreaktion führt dazu, dass seine Freunde am Neujahrsmorgen Gericht über ihn halten. Das Tribunal am Küchentisch, abgehalten von spießigen Richtern aus der Mittelschicht, gehört zu den Höhepunkten des Romans; nicht weniger gespenstisch als die Schauermärchen, mit denen Annika die jüngeren Kinder der Freunde erschreckt.
Hettches Roman ist ein Glücksfall, komplex, vielschichtig und geschrieben in einer artifiziellen Sprache, die der Emotionalität des Geschehens mit wohltuend nüchterner Kühle begegnet. Für diesen, seinen womöglich bisher persönlichsten Roman, hat sich dieser ehrgeizige Schriftsteller auf bemerkenswerte Weise zurückgenommen und die Eigendynamik seiner Geschichte nicht durch zusätzliche Volten gebremst - wie etwa noch in seinem letzten Roman "Woraus wir gemacht sind" (2006). Der Autor erforscht, was einen Vater im Innersten beschäftigt - und da gibt es auch Abgründe zuhauf. Diese radikale Innensicht erinnert an Hettches meisterliches Psychogramm eines Mörders in "Der Fall Arbogast" von 2001. Mit schmerzlicher Präzision beschreibt "Die Liebe der Väter" die Verletztheiten, Wunden und Sehnsüchte von Vätern, die keine sein dürfen. Die Bilder, die er dafür findet, werden bleiben.
Thomas Hettche: "Die Liebe der Väter". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 224 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2010Papalapapp
Thomas Hettches Roman „Die Liebe der Väter“ erzählt von der Not lediger Väter und ist doch bei Erscheinen bereits Makulatur
Und dann zerreißt eine schallende Ohrfeige die Luft im Trend-Restaurant „Sansibar“, und Annika läuft mit blutender Nase hinaus in die eisige Silvesternacht. Die väterliche Ohrfeige, sie ist die unerhörte Begebenheit in Thomas Hettches novellistischem Roman „Die Liebe der Väter“, der an diesem Montag erscheint und von einem Verlagsvertreter erzählt, der zwischen den Jahren ein paar Ferientage mit seiner Tochter auf Sylt verbringt. Annika lebt bei ihrer Mutter in Hamburg, Peter in Köln. Seine Tochter sieht er nur alle paar Wochen, wenn Ines es zulässt, die das gemeinsame Kind als Geisel benutzt, um ihren Ex zu gängeln, zu erpressen und zu strafen. Gezielt versucht sie, ihn von Annika fernzuhalten und dadurch seinem Kind zu entfremden, und verweigert jede Mitsprache in Erziehungsfragen. Ja, selbst als Annika mit einer schweren Medikamentenvergiftung im Krankenhaus landet, weil Ines das Kind mal wieder sich selbst überließ, erfährt es Peter als Letzter.
Ein Erwartungsdruck von mindestens 10 atü lastet auf den mühsam erkämpften und darum so kostbaren gemeinsamen Urlaubstagen von Vater und Tochter, und so ist es eigentlich keine Überraschung, dass sich dieser Druck in einer gewaltsamen Übersprungshandlung entlädt und die unschuldige Tochter die Ohrfeige abbekommt, die eigentlich ihre Mutter verdient hätte. Deren sadistische Machtspiele haben in Peter den Wunsch „so brennend, so groß, so unaufschiebbar“ werden lassen, „Ines zusammenzuschlagen“, sich von ihrer Tyrannei zu befreien, „indem ich ihr das Maul stopfe“. Der Tropfen aber, der das Papafass zum Überlaufen bringt, ist Annikas lapidare Mitteilung beim Nachtisch, dass sie zum Halbjahr die Schule wechseln werde, vom humanistischen Gymnasium zu einer Privatschule ohne Klassen und Noten. „Drei Jahre Latein umsonst“, seufzt der bildungsbeflissene Peter, denn auch bei dieser Entscheidung wurde er mal wieder übergangen.
Zur ohnmächtigen Wut kommt noch der Hohn, dass Annika sich weniger für das Gespräch über ihre Zukunft interessiert als für den jungen Schnösel an der Bar, zu dem sie ständig hinüberlinst. Annika ist dreizehn und also an der Schwelle zum Erwachsenwerden, und dass sie sich der nie wirklich gelebten Vaterliebe zu entziehen beginnt, empfindet Peter als weitere Schmach. „Nie mehr wird dir ein solcher Körper so nahe kommen“, schreibt Hettche über das „zwiespältige Gefühl, eine schöne Tochter zu haben“. Schmerzlich wird Hettches Ich-Erzähler bewusst, dass er mit seinen Vatergefühlen zu spät kommt, und daran ist eben nicht nur Annikas Mutter schuld, sondern auch der Gesetzgeber, der das Sorgerecht nichtehelicher Kinder allein der Mutter zuspricht. „Damit aber“, so Hettche, „wird ein Machtverhältnis zwischen den Eltern geschaffen“ und „die Macht, die die Mutter deines Kindes über dich hat, verhindert jedes Einvernehmen“. So sät der Staat Zwietracht, indem er in die Familie hineinregiert, und, so spitzt es der Roman zu, provoziert die benachteiligten Väter zur Notwehr, da sie ihr Kind als verlängerten Arm der zu Unrecht privilegierten Mütter empfinden müssen, als „ein Stück von dieser fremden Frau“, das immer in seinem Leben steckt. Wenn ich könnte, würde ich es mir herausoperieren lassen.“
Zu spät kommt aber nicht nur der Vater im Buch, zu spät kommt auch das Buch selbst. Der Fluch des schlechten Timings hat dafür gesorgt, dass der Gesetzgeber gerade den Missstand beseitigt hat, den Hettche beklagt und mit größtem motivischen Aufwand suggestiv zu machen sucht. Auf Druck der EU hat das Bundesverfassungsgericht die Asymmetrie unverheirateter Eltern bereinigt und die Recht lediger Väter gestärkt. Ist Hettches Roman damit Makulatur? Kann überhaupt ein Werk der Literatur durch eine neue Rechtslage entwertet werden? In diesem Fall schon – aber nicht, weil die Wirklichkeit die Fiktion überholt hätte, sondern weil diese Fiktion ihr von Anfang an hinterhinkte. Es ist die Einseitigkeit von Hettches Darstellung, seine Parteilichkeit, die er mit raunender Naturphilosophie, geschmerzter Gefühligkeit und einem wachsweichen, larmoyanten und also scheinbar harmlosen Erzähler zu verbrämen sucht, die sein Buch obsolet macht. Nicht, dass Hettche sein Anliegen in einen Roman verpackt, sondern dass dieser Roman ein schlechter Roman ist, mehr Klageschrift nämlich als Gutachten, mehr Plädoyer als Zeugenaussage, macht ihn überflüssig.
So ist der Vater im Buch immer nur das arme Opfer, ein zur Passivität verurteilter stiller Dulder, die Mutter aber eine wahre Rabenmutter, ja eine Hexe aus dem Schauermärchen. Von Geburt an vernachlässigt sie ihr Kind, lebt nur ihre Egozentrik – was so weit geht, dass Annika schon als Kleinkind einmal mit Drogen ruhig gestellt wurde. Ines setzt das Mädchen den Wechselbädern ständiger Umzüge und unterschiedlicher Milieus aus, denen sich das Kind anpassen muss. Und sie lässt es zu, dass einer ihrer wechselnden Partnern dem Kind zeigt, was ein Zungenkuss ist; Annikas Unterhalt zweigt sie für sich selbst ab und zwingt Peters Vater, für sie die Mietkaution zu stellen. Und natürlich ist sie eine arbeitsscheue Schlampe und miserable Hausfrau, während von den Fertigkeiten des Vaters im Umgang mit Staubsauger und Bügeleisen nie die Rede ist. Aber der ist ja auch ein sensibler Intellektueller.
Um so erstaunlicher, dass Hettches tendenziöse Streitschrift schon vor Erscheinen zu einem literarischen Ereignis hochgetrommelt wurde. Die FAZ hat dem Roman bereits vor Wochen eine Abschussrampe gebaut, die, wenn man ihn gelesen hat, genauso unangemessen wirkt wie die Silvesterböller, die Peter im Buch kauft, nicht wissend, dass auf Sylt alles Feuerwerk verboten ist. „Die Liebe der Väter“ sei der „literarisch gewichtige Roman über die Nöte eines Teilzeitvaters“ und überhaupt der erste, der die männliche Perspektive auf die moderne Patchworkfamilie zu ihrem Recht kommen lasse, war da zu lesen. Für diese gewagte These muss man allerdings davon absehen, dass sich bereits die Literatur der Antike an der Patchworkfamilie abgearbeitet hat, die nur damals noch nicht so hieß. Man nehme nur Euripides, der etwa im „Hippolytos“ von einem Stiefsohn erzählt und selbst mit zwei Ehefrauen drei Kinder großzog.
Nun, da das Buch seinen unmittelbaren juristischen Anlass verloren hat, verrenken sich die Rezensenten in ersten Kritiken nicht schlecht, um es zu retten. Wenn Jens Jessen in der Zeit allerdings argumentiert, der Parabelcharakter des Romans liege darin, dass er nicht gegen ein bestimmtes Gesetz anschreibe, sondern gegen die Intervention des Staates in zwischenmenschliche Beziehungen überhaupt, muss er übersehen haben, dass auch das neue Gesetz ein politischer Willensakt ist. Davon abgesehen hat schon Arno Schmidt, als das Kindergeld eingeführt wurde, die Subventionierung des Paarungsverhaltens als „Bockprämie“ verhöhnt. Im Folgenden versteigt sich Jessen zu der These, die väterliche Gewalt sei letztlich eine Ausfaltung der Naturgewalten, die in Gestalt eines Sturmes am Vorabend der Silvesterereignisse ihre Macht demonstrieren. So gesehen wäre nicht der Vater für die Ohrfeige zur Rechenschaft zu ziehen, sondern der Klimawandel oder der Wintergott. Dabei wirft der Kulissenschieber Hettchebloß im richtigen Moment die Windmaschine an. Alles nur billiger Theaterdonner.
Volker Weidermann verteidigt wiederum in der FAS die Gültigkeit des Romans damit, dass er „seine Wut gegen alle neuen Wirklichkeiten“ behaupte. In der Tat ist Hettches Held nicht nur als Vater, sondern auch als Mensch aus der Zeit gefallen. Doch dass die untergehende Buchkultur, für die er steht, die in der erzählten Zeit des Romans gerade ausbrechende Wirtschaftskrise und die allgemeine Verflüssigung aller Lebensbereiche dafür herhalten müssen, die geknebelten Väter zum Aufstand zu führen, ist die vielleicht größte Infamie des Buches. Denn damit wird implizit auch die Emanzipation der Frauen zu den Verfallserscheinungen gerechnet. All die Vergänglichkeitssymbole – kaum geht Peter aus dem Haus, fällt auch schon eine Möwe tot vom Himmel –, all der winselnde Kulturpessimismus, sie künden letztlich von der Sehnsucht nach einer starken väterlichen Hand, die eben nicht nur führt, sondern auch mal strafen darf. Letztlich ist es kein Buch über Vaterliebe, das Thomas Hettche geschrieben hat, sondern ein Abgesang auf den domestizierten, tausendfach fremdbestimmten Mann. Und weil sich zum Schaden auch noch der Spott gesellt, wird Hettches Romanheld nicht einmal sexuell befriedigt. Bevor es zum Äußersten kommt, zieht Susanne, eine dieser modernen Zicken, ihre Hand zurück aus seinem Schritt.
Was das Thema Patchworkfamilie angeht, sei an Tom Drurys wunderbar leise-lakonischen Roman „Die Traumjäger“ erinnert. Das Buch beginnt damit, dass der kleine Micah seine Halbschwester im Schuppen einschließt, woraufhin Lyris das Tor mit einem Spaten aufbricht. Micah ist eifersüchtig, denn die Tochter aus der ersten Ehe seiner Mutter lebt erst seit kurzem bei ihr und ihrem zweiten Mann, der ebenfalls bereits eine Ehe hinter sich hat. An seinem freien Samstag zimmert der Vater mit beiden Kindern ein neues Tor für den Schuppen, damit sie sich zusammenraufen. Die alten, ungleich langen und lückenhaft zusammengefügten Bretter des neuen Tores aber sind ein Bild für die Patchworkfamilie, die hier entsteht: „Die Flügel ließen sich besser öffnen und schließen, als Lyris gedacht hätte, und sahen auch ganz passabel aus, nur war der eine grün, der andere blau und rot. Doch das konnte durch einen Anstrich behoben werden, allerdings nicht heute.“
Dieses Beispiel zeigt, was einen guten Erzähler von einem schlechten unterscheidet. Und Tom Drurys Patchworkfamilienroman erschien schon vor zehn Jahren.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Die einseitige Rechtslage,
die Hettche beklagt,
besteht seit kurzem nicht mehr
Obsolet wirkt der Roman nicht,
weil er zu spät kommt,
sondern weil er schlecht ist
Muss man für familiäre Gewalt
letztlich den Klimawandel
verantwortlich machen?
Klammern erzeugt noch keine Wärme: Auf langen Spaziergängen am winterlichen Strand von Sylt versucht der Vater in Thomas Hettches neuem Roman, die Kriechkälte in der Beziehung zu seiner Tochter zu vertreiben. Foto: K. Hoffmann/laif
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Thomas Hettches Roman „Die Liebe der Väter“ erzählt von der Not lediger Väter und ist doch bei Erscheinen bereits Makulatur
Und dann zerreißt eine schallende Ohrfeige die Luft im Trend-Restaurant „Sansibar“, und Annika läuft mit blutender Nase hinaus in die eisige Silvesternacht. Die väterliche Ohrfeige, sie ist die unerhörte Begebenheit in Thomas Hettches novellistischem Roman „Die Liebe der Väter“, der an diesem Montag erscheint und von einem Verlagsvertreter erzählt, der zwischen den Jahren ein paar Ferientage mit seiner Tochter auf Sylt verbringt. Annika lebt bei ihrer Mutter in Hamburg, Peter in Köln. Seine Tochter sieht er nur alle paar Wochen, wenn Ines es zulässt, die das gemeinsame Kind als Geisel benutzt, um ihren Ex zu gängeln, zu erpressen und zu strafen. Gezielt versucht sie, ihn von Annika fernzuhalten und dadurch seinem Kind zu entfremden, und verweigert jede Mitsprache in Erziehungsfragen. Ja, selbst als Annika mit einer schweren Medikamentenvergiftung im Krankenhaus landet, weil Ines das Kind mal wieder sich selbst überließ, erfährt es Peter als Letzter.
Ein Erwartungsdruck von mindestens 10 atü lastet auf den mühsam erkämpften und darum so kostbaren gemeinsamen Urlaubstagen von Vater und Tochter, und so ist es eigentlich keine Überraschung, dass sich dieser Druck in einer gewaltsamen Übersprungshandlung entlädt und die unschuldige Tochter die Ohrfeige abbekommt, die eigentlich ihre Mutter verdient hätte. Deren sadistische Machtspiele haben in Peter den Wunsch „so brennend, so groß, so unaufschiebbar“ werden lassen, „Ines zusammenzuschlagen“, sich von ihrer Tyrannei zu befreien, „indem ich ihr das Maul stopfe“. Der Tropfen aber, der das Papafass zum Überlaufen bringt, ist Annikas lapidare Mitteilung beim Nachtisch, dass sie zum Halbjahr die Schule wechseln werde, vom humanistischen Gymnasium zu einer Privatschule ohne Klassen und Noten. „Drei Jahre Latein umsonst“, seufzt der bildungsbeflissene Peter, denn auch bei dieser Entscheidung wurde er mal wieder übergangen.
Zur ohnmächtigen Wut kommt noch der Hohn, dass Annika sich weniger für das Gespräch über ihre Zukunft interessiert als für den jungen Schnösel an der Bar, zu dem sie ständig hinüberlinst. Annika ist dreizehn und also an der Schwelle zum Erwachsenwerden, und dass sie sich der nie wirklich gelebten Vaterliebe zu entziehen beginnt, empfindet Peter als weitere Schmach. „Nie mehr wird dir ein solcher Körper so nahe kommen“, schreibt Hettche über das „zwiespältige Gefühl, eine schöne Tochter zu haben“. Schmerzlich wird Hettches Ich-Erzähler bewusst, dass er mit seinen Vatergefühlen zu spät kommt, und daran ist eben nicht nur Annikas Mutter schuld, sondern auch der Gesetzgeber, der das Sorgerecht nichtehelicher Kinder allein der Mutter zuspricht. „Damit aber“, so Hettche, „wird ein Machtverhältnis zwischen den Eltern geschaffen“ und „die Macht, die die Mutter deines Kindes über dich hat, verhindert jedes Einvernehmen“. So sät der Staat Zwietracht, indem er in die Familie hineinregiert, und, so spitzt es der Roman zu, provoziert die benachteiligten Väter zur Notwehr, da sie ihr Kind als verlängerten Arm der zu Unrecht privilegierten Mütter empfinden müssen, als „ein Stück von dieser fremden Frau“, das immer in seinem Leben steckt. Wenn ich könnte, würde ich es mir herausoperieren lassen.“
Zu spät kommt aber nicht nur der Vater im Buch, zu spät kommt auch das Buch selbst. Der Fluch des schlechten Timings hat dafür gesorgt, dass der Gesetzgeber gerade den Missstand beseitigt hat, den Hettche beklagt und mit größtem motivischen Aufwand suggestiv zu machen sucht. Auf Druck der EU hat das Bundesverfassungsgericht die Asymmetrie unverheirateter Eltern bereinigt und die Recht lediger Väter gestärkt. Ist Hettches Roman damit Makulatur? Kann überhaupt ein Werk der Literatur durch eine neue Rechtslage entwertet werden? In diesem Fall schon – aber nicht, weil die Wirklichkeit die Fiktion überholt hätte, sondern weil diese Fiktion ihr von Anfang an hinterhinkte. Es ist die Einseitigkeit von Hettches Darstellung, seine Parteilichkeit, die er mit raunender Naturphilosophie, geschmerzter Gefühligkeit und einem wachsweichen, larmoyanten und also scheinbar harmlosen Erzähler zu verbrämen sucht, die sein Buch obsolet macht. Nicht, dass Hettche sein Anliegen in einen Roman verpackt, sondern dass dieser Roman ein schlechter Roman ist, mehr Klageschrift nämlich als Gutachten, mehr Plädoyer als Zeugenaussage, macht ihn überflüssig.
So ist der Vater im Buch immer nur das arme Opfer, ein zur Passivität verurteilter stiller Dulder, die Mutter aber eine wahre Rabenmutter, ja eine Hexe aus dem Schauermärchen. Von Geburt an vernachlässigt sie ihr Kind, lebt nur ihre Egozentrik – was so weit geht, dass Annika schon als Kleinkind einmal mit Drogen ruhig gestellt wurde. Ines setzt das Mädchen den Wechselbädern ständiger Umzüge und unterschiedlicher Milieus aus, denen sich das Kind anpassen muss. Und sie lässt es zu, dass einer ihrer wechselnden Partnern dem Kind zeigt, was ein Zungenkuss ist; Annikas Unterhalt zweigt sie für sich selbst ab und zwingt Peters Vater, für sie die Mietkaution zu stellen. Und natürlich ist sie eine arbeitsscheue Schlampe und miserable Hausfrau, während von den Fertigkeiten des Vaters im Umgang mit Staubsauger und Bügeleisen nie die Rede ist. Aber der ist ja auch ein sensibler Intellektueller.
Um so erstaunlicher, dass Hettches tendenziöse Streitschrift schon vor Erscheinen zu einem literarischen Ereignis hochgetrommelt wurde. Die FAZ hat dem Roman bereits vor Wochen eine Abschussrampe gebaut, die, wenn man ihn gelesen hat, genauso unangemessen wirkt wie die Silvesterböller, die Peter im Buch kauft, nicht wissend, dass auf Sylt alles Feuerwerk verboten ist. „Die Liebe der Väter“ sei der „literarisch gewichtige Roman über die Nöte eines Teilzeitvaters“ und überhaupt der erste, der die männliche Perspektive auf die moderne Patchworkfamilie zu ihrem Recht kommen lasse, war da zu lesen. Für diese gewagte These muss man allerdings davon absehen, dass sich bereits die Literatur der Antike an der Patchworkfamilie abgearbeitet hat, die nur damals noch nicht so hieß. Man nehme nur Euripides, der etwa im „Hippolytos“ von einem Stiefsohn erzählt und selbst mit zwei Ehefrauen drei Kinder großzog.
Nun, da das Buch seinen unmittelbaren juristischen Anlass verloren hat, verrenken sich die Rezensenten in ersten Kritiken nicht schlecht, um es zu retten. Wenn Jens Jessen in der Zeit allerdings argumentiert, der Parabelcharakter des Romans liege darin, dass er nicht gegen ein bestimmtes Gesetz anschreibe, sondern gegen die Intervention des Staates in zwischenmenschliche Beziehungen überhaupt, muss er übersehen haben, dass auch das neue Gesetz ein politischer Willensakt ist. Davon abgesehen hat schon Arno Schmidt, als das Kindergeld eingeführt wurde, die Subventionierung des Paarungsverhaltens als „Bockprämie“ verhöhnt. Im Folgenden versteigt sich Jessen zu der These, die väterliche Gewalt sei letztlich eine Ausfaltung der Naturgewalten, die in Gestalt eines Sturmes am Vorabend der Silvesterereignisse ihre Macht demonstrieren. So gesehen wäre nicht der Vater für die Ohrfeige zur Rechenschaft zu ziehen, sondern der Klimawandel oder der Wintergott. Dabei wirft der Kulissenschieber Hettchebloß im richtigen Moment die Windmaschine an. Alles nur billiger Theaterdonner.
Volker Weidermann verteidigt wiederum in der FAS die Gültigkeit des Romans damit, dass er „seine Wut gegen alle neuen Wirklichkeiten“ behaupte. In der Tat ist Hettches Held nicht nur als Vater, sondern auch als Mensch aus der Zeit gefallen. Doch dass die untergehende Buchkultur, für die er steht, die in der erzählten Zeit des Romans gerade ausbrechende Wirtschaftskrise und die allgemeine Verflüssigung aller Lebensbereiche dafür herhalten müssen, die geknebelten Väter zum Aufstand zu führen, ist die vielleicht größte Infamie des Buches. Denn damit wird implizit auch die Emanzipation der Frauen zu den Verfallserscheinungen gerechnet. All die Vergänglichkeitssymbole – kaum geht Peter aus dem Haus, fällt auch schon eine Möwe tot vom Himmel –, all der winselnde Kulturpessimismus, sie künden letztlich von der Sehnsucht nach einer starken väterlichen Hand, die eben nicht nur führt, sondern auch mal strafen darf. Letztlich ist es kein Buch über Vaterliebe, das Thomas Hettche geschrieben hat, sondern ein Abgesang auf den domestizierten, tausendfach fremdbestimmten Mann. Und weil sich zum Schaden auch noch der Spott gesellt, wird Hettches Romanheld nicht einmal sexuell befriedigt. Bevor es zum Äußersten kommt, zieht Susanne, eine dieser modernen Zicken, ihre Hand zurück aus seinem Schritt.
Was das Thema Patchworkfamilie angeht, sei an Tom Drurys wunderbar leise-lakonischen Roman „Die Traumjäger“ erinnert. Das Buch beginnt damit, dass der kleine Micah seine Halbschwester im Schuppen einschließt, woraufhin Lyris das Tor mit einem Spaten aufbricht. Micah ist eifersüchtig, denn die Tochter aus der ersten Ehe seiner Mutter lebt erst seit kurzem bei ihr und ihrem zweiten Mann, der ebenfalls bereits eine Ehe hinter sich hat. An seinem freien Samstag zimmert der Vater mit beiden Kindern ein neues Tor für den Schuppen, damit sie sich zusammenraufen. Die alten, ungleich langen und lückenhaft zusammengefügten Bretter des neuen Tores aber sind ein Bild für die Patchworkfamilie, die hier entsteht: „Die Flügel ließen sich besser öffnen und schließen, als Lyris gedacht hätte, und sahen auch ganz passabel aus, nur war der eine grün, der andere blau und rot. Doch das konnte durch einen Anstrich behoben werden, allerdings nicht heute.“
Dieses Beispiel zeigt, was einen guten Erzähler von einem schlechten unterscheidet. Und Tom Drurys Patchworkfamilienroman erschien schon vor zehn Jahren.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Die einseitige Rechtslage,
die Hettche beklagt,
besteht seit kurzem nicht mehr
Obsolet wirkt der Roman nicht,
weil er zu spät kommt,
sondern weil er schlecht ist
Muss man für familiäre Gewalt
letztlich den Klimawandel
verantwortlich machen?
Klammern erzeugt noch keine Wärme: Auf langen Spaziergängen am winterlichen Strand von Sylt versucht der Vater in Thomas Hettches neuem Roman, die Kriechkälte in der Beziehung zu seiner Tochter zu vertreiben. Foto: K. Hoffmann/laif
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Christopher Schmidt mag Thomas Hettches Roman "Die Liebe der Väter" nicht. Und weil Kritikerkollegen von FAS und Zeit das Buch sehr gepriesen haben, schließt er sie in seinen zornigen Verriss mit ein. Dabei ist das Thema "ledige Väter" laut Schmidt nicht durch das Sorgerechtsurteil des Verfassungsgerichts hinfällig geworden, denn das Buch hinke nicht nicht der Rechtslage hinterher, sondern der Realität. So einseitig wie Hettche den elterlichen Konflikt um den Kontakt zur Tochter zeichne, ergebe das Buch allenfalls eine tendenziöse Streitschrift, aber weder einen Roman noch eine Novelle. Der Vater, ein "sensibler Intellektueller", will auf Sylt Urlaub mit seiner Tochter machen, die Mutter verhindert ansonsten nahezu jeden Kontakt: Sie sieht Schmidt als "arbeitsscheue Schlampe" gezeichnet, die den Unterhalt verjuxt, das Kind vernachlässigt und ihre Liebhaber auch noch übergriffig werden lässt. Schmidt verübelt dem Autor neben Larmoyanz und einem "winselnden Kulturpessimismus" besonders, dass die mangelnden hausfraulichen Qualitäten der Mutter eine Rolle spielen. Wie gut der Vater das Bügeleisen schwinge, erfahre man nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Thomas Hettche hat das Buch einer leisen Verzweiflung geschrieben, böse traurig, abschiednehmend. Ein Buch, das jenseits aller Gesetzessprüche wahr bleibt.« Volker Weidermann FAS
»Distanzlos und in eindringlichen Bildern schildert Thomas Hettche die hilflosen Versuche des Vaters, sich seiner Tochter zu nähern«