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Ein Flug, der wegen eines sterbenden Hundes Tausende von Kilometern umgeleitet wird, eine Hundemutter, die sich von einer Kette befreit, um ihren lebendig vergrabenen Welpen das Leben zu retten, ein herrenloser Hund, den gleich fünfhundert Menschen zu adoptieren bereit sind: Die "human interest stories", wie sie im Boulevardzeitungsdeutsch heißen, also Geschichten, die die Menschen in besonderer Weise anrühren, sind in der Mehrzahl Hundegeschichten. Bedeutet dies möglicherweise, daß unumstößlich erscheinende Werte wie Verantwortungsbewußtsein, Loyalität, Mileid und Mut zunehmend nur noch im…mehr

Produktbeschreibung
Ein Flug, der wegen eines sterbenden Hundes Tausende von Kilometern umgeleitet wird, eine Hundemutter, die sich von einer Kette befreit, um ihren lebendig vergrabenen Welpen das Leben zu retten, ein herrenloser Hund, den gleich fünfhundert Menschen zu adoptieren bereit sind: Die "human interest stories", wie sie im Boulevardzeitungsdeutsch heißen, also Geschichten, die die Menschen in besonderer Weise anrühren, sind in der Mehrzahl Hundegeschichten. Bedeutet dies möglicherweise, daß unumstößlich erscheinende Werte wie Verantwortungsbewußtsein, Loyalität, Mileid und Mut zunehmend nur noch im Verhältnis zu Hunden Geltung haben? Welche sozialen, emotionalen, psychologischen und sogar erotischen Bedürfnisse liegen der Hundeliebe zugrunde? Um diese Fragen zu beantworten, analysiert die Autorin die Rolle von Hunden in populären Fernsehserien und Hundebiographien, sie widmet sich den verschiedenen Formen der Hundeliebe und rehabilitiert u.a. diese Liebe als eine emotionale Leistung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

Hundejahrtausende
Marjorie Garber über wahre Freundschaft / Von Eckhard Fuhr

Den Rentier- und Wildpferdherden, die durch das eiszeitliche Europa zogen, folgten Wolfsrudel und Menschenhorden. Wölfe und Menschen waren Konkurrenten. Sie waren sich sehr ähnlich in ihren Jagdmethoden und wahrscheinlich auch in ihrer sozialen Organisation. Irgendwann fand ein eiszeitlicher Jäger in einer Höhle einen Wurf gerade geborener Wolfswelpen. Vielleicht hat er die Wölfin vorher erschlagen. Er nahm die Welpen mit. Einige gingen bald ein, andere überlebten, weil sich Frauen fanden, die die Welpen an der Brust nährten. Andere Milch war nicht verfügbar, denn es gab weder Rinder noch Schafe noch Ziegen als Haustiere. Innig war der Urakt der Domestikation des Wolfes also aus Not. Doch nur so gelang es dem Menschen, dieses hochentwickelte Raubtier auf sich zu prägen.

Der Mensch zähmte seinen Hauptkonkurrenten auf der nördlichen Erdhalbkugel aber nicht einfach. Er machte den Wolf zum Hund: Er schuf eine neue Art nach seinen Bedürfnissen. Dieser erste Domestikationserfolg der Menschheitsgeschichte war auch der durchgreifendste. Kein anderes Haustier weist in seiner äußeren Erscheinung und in seinem Verhalten so große Abweichungen von seiner Wildform auf. Am Anfang der Zivilisationsgeschichte steht die Schöpfung des Hundes, ein grandioser Akt der Naturbeherrschung, der mit einem Wolfswelpen an einer Frauenbrust seinen Anfang nahm. Die Liebe zum Hund ist wahrlich ein Menschheitsthema, aller ernsthaften intellektuellen und literarischen Anstrengung wert. Der Herrchen- und Frauchen-Schwachsinn, der beim Thema Hund sich meist hemmungslos austobt, ist eine Kulturschande.

Marjorie Garber lehrt englische Literatur an der Harvard Universität. Vor vier Jahren erschien von ihr der Band "Verhüllte Interessen. Transvestismus und kulturelle Angst", wahrscheinlich die umfangreichste Materialsammlung zum Thema des sexuellen Grenzgängertums. Marjorie Garber widerstehe nicht dem Sog des Erzählens, schrieb eine Rezensentin. Das gilt ohne Einschränkung auch für ihr Hunde-Buch. Sie muß einen gigantischen Zettelkasten zum Verhältnis von Mensch und Hund besitzen. Den hat sie jetzt ausgeschüttet und auf vierhundert Buchseiten wieder zusammengekehrt.

Beschrieben wird die Liebe zum Hund ohne den leisesten Zungenschlag der Denunziation. In den Augen der Autorin ist die Hundeliebe nicht eine Kompensation zwischenmenschlicher Verarmung: "Die Liebe zu Hunden ist weder eine Ausflucht noch ein Ersatz. Dieselbe Spannweite und Tiefe von Gefühlen, die Menschen für Menschen hegen, ist in ihr präsent. In vergangenen wie in modernen Zeiten hat sie in uns das Beste zum Vorschein gebracht."

Die Methode des Aneinanderreihens von Beispielen und Zitaten mag im Falle des Transvestismus den Effekt haben, eine weithin verborgene Wirklichkeit ins Licht zu heben. Der Leser staunt und lernt. In ihrem Hundebuch breitet Marjorie Garber aus, was ohnehin offen zutage liegt. Muß ein deutscher oder amerikanischer Leser wirklich darauf gestoßen werden, daß Lassie in besonderer Weise Familientugenden wie Verläßlichkeit und Hingabe verkörpert oder daß amerikanische Politiker es schon früh verstanden haben, Hunde in den Medien als Sympathieträger für sich zu nutzen?

Wer mit besonderer Neugierde das Kapitel über die sexuelle Liebe zum Hund aufschlägt, sieht sich enttäuscht. Beim Sodomie-Spezialisten Midas Dekkers hat er das alles schon einmal gelesen. Ein Abschnitt über "reine Rasse" darf natürlich auch nicht fehlen. Er enthält eine ganz gelungene Skizze über den Aufstieg des Bürgertums und die moderne Hundezucht im vorigen Jahrhundert. Die wenigen Häppchen Sozial- und Kulturgeschichte zeigen, was in dem Thema steckt und was die Autorin alles nicht herausholt. Denn sie muß der Vollständigkeit halber ja auch noch den Hund im Recht und die Trauer um den Hund abhandeln. Man merkt, welche Mühe es machte, aus einem Einfall ein Buch werden zu lassen.

Auf die große anthropologische und kulturgeschichtliche Beschreibung des Verhältnisses von Mensch und Hund, die über Konrad Lorenz und seine Irrtümer hinausgeht, wartet man noch. Marjorie Garber kommt das Verdienst zu, dieses Verhältnis als Schlüssel zur menschlichen Selbsterkenntnis in Erinnerung gebracht zu haben.

Marjorie Garber: "Die Liebe zum Hund". Beschreibung eines Gefühls. Aus dem Amerikanischen von Hans Voges. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 400 S., geb., 39,80 DM.

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