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Aus zwei mittellosen jungen Menschen, einer angehenden Fremsprachenkorrespondentin und einem Maschinenbaustudenten, wird 1950 in Hannover ein Liebespaar, das schließlich auch heiratet. Aus Briefen, die weit bis in die Kindheit der späteren Eheleute zurückreichen und danach ihr gesamtes Glück und Unglück erzählen, erschließt sich die Lebensgeschichte zweier Liebender, die am deutschen Wirtschaftswunder teilhaben, unter Mühen ihren sozialen Aufstieg vollbringen und nach fast vierzig Jahren, als alles erreicht ist, vor den Trümmern ihrer Lebenspläne stehen ...

Produktbeschreibung
Aus zwei mittellosen jungen Menschen, einer angehenden Fremsprachenkorrespondentin und einem Maschinenbaustudenten, wird 1950 in Hannover ein Liebespaar, das schließlich auch heiratet. Aus Briefen, die weit bis in die Kindheit der späteren Eheleute zurückreichen und danach ihr gesamtes Glück und Unglück erzählen, erschließt sich die Lebensgeschichte zweier Liebender, die am deutschen Wirtschaftswunder teilhaben, unter Mühen ihren sozialen Aufstieg vollbringen und nach fast vierzig Jahren, als alles erreicht ist, vor den Trümmern ihrer Lebenspläne stehen ...
Autorenporträt
Henschel, Gerhard
Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Sein Briefroman Die Liebenden (2002) begeisterte die Kritik ebenso wie die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser, die mit dem Kindheitsroman 2004 ihren Anfang nahmen. Henschel ist außerdem Autor zahlreicher Sachbücher. Er wurde unter anderen mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Georg-K.-Glaser-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Liebe als Fasson
Gerhard Henschels Dokumentar-Epos vom Schwinden des Lebensglücks / Von Stephan Wackwitz

Die Tragik des Kleinbürgertums besteht darin, daß diese tief untragische Klasse verzweifelt daran arbeitet, die Voraussetzungen des Erfolges herzustellen und damit in Wirklichkeit oft genug ihren Untergang herbeiführt. Sie schaufelt sich unwissentlich ihr eigenes Grab, ein Vorgang, den man, was in sich auch wieder viel Verzweiflungsvolles hat, ebensogut auch komisch finden kann.

Gerhard Henschel hat sich als komischer Schriftsteller einen Namen gemacht. Aber der archivarische Familienroman "Die Liebenden", ein Projekt an dem er in jahre-, vielleicht jahrzehntelanger Sammeltätigkeit planmäßig gearbeitet haben muß, erzählt eine genuin tragische Geschichte. Das Buch besteht aus 752 Druckseiten unkommentierter und offenbar nur unwesentlich gekürzter Familienkorrespondenz, die von den letzten Jahren der Naziherrschaft bis in das Jahr 1993 reicht. Ihre Protagonisten sind ein Liebes-, seit 1954 Ehe- und in den achtziger Jahren dann schließlich nur noch schriftlich miteinander verkehrendes Feindespaar: der Ingenieur Richard Schlosser und seine Frau Inge. Daran, daß Henschel den schrecklichen Verwahrlosungstod Richard Schlossers zu Beginn der Neunziger mit Hilfe von Dokumenten aus der Hand Martin Schlossers, eines der vier Kinder, erzählt und sich in diesen Briefen und Notizen sprachliche Manierismen des komischen Schriftstellers Gerhard Henschel finden, kann man ganz zu Ende des Buchs erkennen, daß Inge und Richard Schlosser in Wirklichkeit die Eltern des Erzählers sind.

Man muß den autobiographischen Mut dieses Verfahrens ebenso bewundern wie die literarische Kunstfertigkeit, mit der Henschel, dem Vorbild von Kempowskis monumentalem Echolot-Projekt folgend, seine Archivalien arrangiert. Aber man muß sich auch darüber wundern, wie Kontinuität und Spannung - ganz so, als sei an der Kompositionstheorie Adornos und Eislers doch etwas dran - aus der "Selbstbewegung des Materials" hervorgehen, ohne daß der Erzähler (er scheint viel entbehrlicher zu sein, als sich der Boom des neuen deutschen Erzählens träumen läßt), sein "sagte sie", "erbleichte der hochgewachsene Mann" und "räusperte sich die Gräfin spitzzüngig" hineinspricht und den angeblichen Ereignissen hinzufügt.

Das Tragikomische an den Schriftstellerträumen der überarbeiteten, vereinsamten, intellektuell unterforderten Hausfrau und Mutter Inge Schlosser zum Beispiel macht Henschel rührend und haarsträubend deutlich, indem er - zwischen Briefen an Schwiegermutter und Ehemann voller Kinderanekdoten, Geldsorgen, Marmeladengläsern und Mehrfachwindeln - ein Schreiben des Bundesverbands der Zigarrenhersteller e.V. vom 4. September 1958 einschaltet, in dem dieser Verband seiner Mutter mitteilt, sie habe im Rahmen des Wettbewerbs "Der Zigarrenraucher des Jahres" mit ihrer Geschichte den 159. Preis - "eine Flasche ,Bols alter Weinbrand'" - gewonnen. "Wir wünschen Ihnen viel Freude an Ihrem Gewinn und für IHN gute Laune ,immer mit 'ner guten Zigarre' mit freundlichen Grüßen" und so weiter. ER liegt zu der Zeit, wieder einmal für Monate und Jahre von seiner jungen Frau und Familie getrennt, mit offener Tuberkulose in einem Erholungsheim im Schwarzwald.

Daß Henschel sein Buch mit dem Untertitel "Roman" versieht, ist jedoch nicht allein durch die Kunstfertigkeit und Effektivität seiner Machart gerechtfertigt. Er könnte sich auch darauf berufen, daß der "Familienroman" ebenso wie die "psychoanalytische Novelle" nicht nur literaturwissenschaftliche Begriffe sind, sondern auch zu den Genres gehören, deren sich der große Schriftsteller Sigmund Freud explizit bedient hat. Und er könnte Friedrich Schlegel zitieren, der den "Roman als die ursprünglichste, eigentümlichste, vollkommenste Form der romantischen Poesie" bestimmt. Und poetisch ist sie, die hier entfaltete Geschichte des jungen, viel zu oft und zu lange voneinander getrennten Liebespaars aus den fünfziger Jahren, das sich zart und schüchtern jede Mühe gibt, die richtige Entscheidungen über Gefühls- und Gewissenserforschung, Liebeserklärung, "Aussprachen" mit rivalisierenden Mitbewerbern, Verlobung und schließlich Hochzeit zu treffen und überhaupt jene "Interpenetration der Weltentwürfe" zustande zu bringen, in der die bürgerliche "Liebe als Passion" (Luhmann) entsteht.

So materialreich, rührend und spannend wie in Henschels Familienroman wurden Werbung, Verliebtheit, Verlobung und Heirat in der deutschen Gesellschaft der fünfziger Jahre in keinem Roman Bölls, Grass' oder Koeppens geschildert. Poetisch aber ist auch die langsame, anfangs nur unterschwellig fühlbare und erst in den achtziger Jahren mit schriftlichen Hilfeschreien, Anklagen und Verzweiflungsausbrüchen offen zutage tretende Verfinsterung, die sich während der Jahrzehnte des Wirtschaftswunders, der Achtundsechziger-Kulturrevolution, während der Entstehung, Konsolidierung und Wiedervereinigung der Bundesrepublik über diese große Liebe gelegt hat.

Poetisch und unheimlich ist diese Verfinsterung, an der die Liebenden schließlich in einem sehr buchstäblich-medizinischen Sinn sterben, vor allem, weil man sie sich eigentlich nicht erklären kann. Das Paar versteht sie nicht, und der Leser versteht sie auch nicht. Sichtbar ist nur eine Aufstiegsbewegung, eine Serie heroischer, unwahrscheinlicher und geradezu wunderbarer Lebenssiege: die Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, das Arbeits- und Liebesheldentum des Werkstudenten und der Fremdsprachenkorrespondentin, die sich in demütigende Au-pair-Beschäftigungsverhältnisse nach England und Paris vermitteln läßt, die ersten Anstellungen, der Sieg über die Tuberkulose, die Kinder, die Karriere, die Umzüge und Hausbauten, der hart erarbeitete Wohlstand, die Reisen.

Und doch hat sich hinter all dem das Unheil zusammengezogen und verdichtet, das Richard Schlosser im heißen Juli des Jahres 1989 an seine Schwägerin schreiben läßt: "Inge ist nun weggegangen. Sie hat nicht mehr mit mir leben wollen, ich habe sie nicht rausgeschmissen. Ich war nur nicht bereit, auf alle Verrücktheiten dieser verlorenen Königstochter einzugehen." Und er setzt hinzu: "Es fällt mir schwer, einsehen zu müssen, daß 35 Jahre Ehe offensichtlich nur ein Irrtum waren. Auch unsere Kinder waren nur Betriebsunfälle. Inge hatte keins dieser Kinder haben wollen."

Vielleicht ist die Ursache dieser Lebenskatastrophe einfach in der Überanstrengung zu suchen, die der Preis für jene Karrieren und Erwerbsbiographien war und von der sich die Erbengeneration keinen Begriff mehr machen kann. Vielleicht bahnte sich in der zunehmenden Versteinerung, Verbitterung und Verbiesterung Richard Schlossers eine verschleierte Depression einen Weg ins Freie, die die Briefe seines Vaters, des Theologen und zum einfachen Pfarrer im inbrünstig-kulturpessimistisch gehaßten Dortmund degradierten Superintendenten Theodor Schlosser, zu unfreiwillig hochkomischen kleinen Kunstwerken machen. Solch zum Weinen oder Lachen trauriges Spielverderbertum glaubte man vorher nur vom verbitterten Spielzeugesel I-Ah in Milnes Pu-Bär-Romanen zu kennen. Vielleicht ist die Ehe auch für manche Menschen, die sie sich intensiv wünschen und auf sie vorbereiten, einfach nicht das Richtige. Vielleicht sind Ehe, Karriere, Wohlstandserwerb für niemanden wirklich das Richtige. Vielleicht ist die Depression, in der diese Liebenden untergehen, eine Spätfolge nationalsozialistischer Erziehung, des Kriegs, der Gefangenschaft.

Einer der schönsten und einer der wenigen lebensklugen Texte Horkheimers und Adornos findet sich unter dem Titel "Gezeichnet" im Anhang zur "Dialektik der Aufklärung". "Im Alter von 40 bis 50 Jahren", so schreiben sie da, "pflegen Menschen eine seltsame Erfahrung zu machen. Sie entdecken, daß die meisten derer, mit denen sie aufgewachsen sind und Kontakt behielten, Störungen der Gewohnheiten und des Bewußtseins zeigen. Einer läßt in der Arbeit so nach, daß sein Geschäft verkommt, einer zerstört seine Ehe, ohne daß die Schuld bei der Frau läge, einer begeht Unterschlagungen. Aber auch die, bei denen einschneidende Ereignisse nicht eintreten, tragen Zeichen der Dekomposition." Und die beiden Kulturkritiker, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung selber 44 und 52 Jahre alt sind, setzen hinzu: "Es ist, als ob die Menschen zur Strafe dafür, daß sie die Hoffnungen ihrer Jugend verraten und sich in die Welt einleben, mit frühzeitigem Verfall geschlagen würden." Gerhard Henschels archivalischer Familienroman, eines der rührendsten, artistischsten und intelligentesten Bücher, die ich seit langem gelesen habe, läßt sich als poetische Subscriptio dieser traurigen und wahren Sentenz lesen.

Gerhard Henschel: "Die Liebenden". Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2002. 752 S., geb., 25,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieser Familienroman ist eines der rührendsten, artistischsten und intelligentesten Bücher, die er seit langem gelesen habe, schreibt ein ergriffener Stephan Wackwitz. Denn so materialreich, rührend und spannend wie hier fand er "Werbung, Verliebtheit, Verlobung und Heirat" im Deutschland der Fünfziger in keinem Roman von Böll, Grass oder Koeppen geschildert. Wackwitz bewundert den autobiografischen Mut von Gerhard Henschels dokumentarischem Verfahren - er erzählt, wie wir lesen, die tragische Geschichte seiner Eltern - ebenso wie die literarische Kunstfertigkeit dieses archivarischen Familienromans. Das Buch besteht Wackwitz zufolge aus 752 Druckseiten "unkommentierter und offenbar nur unwesentlich gekürzter Familienkorrespondenz", die von den letzten Jahren der Naziherrschaft bis ins Jahr 1993 reichten, dem Zeitpunkt des schrecklichen Verwahrlosungstodes des männlichen Protagonisten. Trotz des dokumentarischen Verfahrens, findet der Rezensent den Untertitel "Roman" durch die Kunstfertigkeit und Effektivität seiner Machart gerechtfertigt, an der ihn besonders die aus der "Selbstbewegung des Materials" hervorgehende Kontinuität und Spannung beeindruckt hat. In diesem Zusammenhang scheut er auch den Vergleich mit Kempowskis "Echolot" nicht. Die Ursache der beschriebenen Lebenskatastrophe sieht der Rezensent in der Überanstrengung, die der Preis für jene Karrieren und Erwerbsbiografien gewesen sei, von der sich die Erbengeneration heute keinen Begriff mehr machen könne. Vielleicht aber sei die Depression, in der er diese Liebenden schließlich ganz physisch untergehen sieht, auch eine Spätfolge von Nationalsozialismus und Krieg.

© Perlentaucher Medien GmbH
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»Gerhard Henschels archivalischer Familienroman (ist) eines der rhrendsten, artitstischten und intelligentesten Bücher, die ich seit langem gelesen habe ...« Stephan Wackwitz FAZ 20021203