"Es ist wirklich zu toll!""Es funkelt alles von Talent und Geist! EinigeBlätter sind ganz unübertrefflich!"Johann Wolfgang von GoetheSo urteilte Goethe 1831 über die Bildergeschichtendes Genfer Zeichners Rodolphe Töpffer (1799- 1846), die heute als Ursprung der Bilderzählunggelten.Töpffer ist mit seinen Bildergeschichten der Begründereiner Tradition, die über Bilderbögen(z. B. Neuruppiner Bilderbogen, MünchenerBilderbogen), die Arbeiten Wilhelm Buschs undunter Einfluss der amerikanischen Zeitungscomicsschließlich zum europäischen Comic führt.Drei seiner besten Geschichten warten darauf, voneinem neuen Publikum wiederentdeckt zu werden:Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois,Monsieur Pencil und Die Geschichte des MonsieurCryptogame.Haarsträubende Abenteuer, mit denen die Gepflogenheitender guten Gesellschaft, der Wissenschaftlerund Politiker aufs Korn genommenwerden und die mit einem erstaunlich zeitlosenStrich auch heute noch begeistern.Pflichtlektüre für alle, die an grafischer Literaturinteressiert sind!
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Ralph Trommer ist begeistert von dieser kleinen Auswahl der Bildergeschichten Rodolphe Töpffers, Comics avant la lettre aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, die der Comiczeichner Simon Schwartz zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen hat. Schon Goethe war beeindruckt von den langen, humoresken Bildergeschichten, deren Texte nur begleitend oder erklärend waren, was Töpffers Werk von früheren illustrierten Erzählungen deutlich abhob, erklärt der Rezensent. Überhaupt wirken die Geschichten überraschend modern, findet Trommer. Politische Satire mischt sich mit Albernheiten, literarische Genres werden genauso auf die Schippe genommen wie die damalige politische Gegenwart, erzählt der Rezensent. Trommer hofft, dass der Avant Verlag schon bald mehr Töpffer nachlegt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2016Es funkelt alles
von Talent und Geist
Anarchisches Genie:
Rodolphe Töpffer zeichnete
Bildergeschichten – sehr lange,
bevor es Comics gab
VON THOMAS VON STEINAECKER
Hiermit ist es erwiesen: Johann Wolfgang von Goethe war Comicfan! Und nicht nur das. Er betätigte sich sogar als Hebamme bei der Geburt der neunten Kunst. 1830 gibt Eckermann Goethe zwei unveröffentlichte Arbeiten eines befreundeten Schulfreundes namens Rodolphe Töpffer aus Genf zum Lesen. Formal sind die komödiantischen Geschichten äußerst ungewöhnlich, denn das Geschehen wird in untertitelten Bildern erzählt. Goethes begeisterte Reaktion hat Eckermann in seinen „Gesprächen“ überliefert: „Es ist wirklich zu toll! Es funkelt alles von Talent und Geist! Einige Blätter sind ganz unübertrefflich! Wenn er künftig einen weniger frivolen Gegenstand wählte und sich noch ein bisschen mehr zusammennähme, so würde er Dinge machen, die über alle Begriffe wären.“
Für den Hobbymaler und Pensionatslehrer Töpffer, dessen Augen so lichtempfindlich sind, dass er stets eine blau eingefärbte Brille trägt, ist Goethes Urteil wegweisend. Er entschließt sich, seine Arbeiten zu publizieren. Ursprünglich waren sie nur aus einer Laune heraus während des Unterrichts für seine Schüler entstanden. Aber schon das erste Buch, „Histoire de Monsieur Jabot“, erfährt eine gewaltige Resonanz. Ja, in den folgenden Jahren führt Töpffer nach jeder weiteren noch erfolgreicheren Bildgeschichte einen aussichtslosen Kampf gegen die damals legalen Raubkopien, die die bald auch internationale Nachfrage zu befriedigen versuchen.
Nach seinem Tod 1846 mit nur 47 Jahren gerät er jedoch zusehends in Vergessenheit; ein arg zurechtgestutzter Band mit ausgewählten Arbeiten war in Deutschland zuletzt 1970 erhältlich; erst in jüngster Zeit wird sein Name wiederholt ins Feld geführt, wenn es um die Frage nach dem Ursprung der neunten Kunst geht. Und in der Tat: Definiert man diese als Bildsequenz mit einem wie auch immer gearteten Begleittext, wäre Töpffer ein heißer Kandidat für den Titel „Großvater des Comics“. Zwar sind seine Arbeiten stark von der Tradition der Karikatur geprägt und hier insbesondere von William Hogarths Zyklen; doch in revolutionärer Weise zerlegt Töpffer Bewegungsabläufe, führt Handlungsstränge parallel und wird zum Meister des pointierten Untertitels – und das dreißig Jahre vor dem heute wesentlich präsenteren Wilhelm Busch.
In der vorliegenden Ausgabe, engagiert und klug vom bekannten Comic-Künstler Simon Schwartz eingeführt und herausgegeben, liegen nun drei Bildgeschichten Töpffers aus unterschiedlichen Schaffensphasen vor. Der ersten, „Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois“, war ein sensationeller Erfolg beschieden, und man versteht sofort, warum. Die Parodie auf zeitgenössische Romanzen ist schlichtweg von umwerfender Komik: Weil seine Liebe zu einer Dame, die bezeichnenderweise immer nur „objet aimé“, genannt wird, nicht erwidert wird, beschließt Monsieur Bois, sich umzubringen. Aber ob erstechen, vergiften, erhängen oder ertränken – immer geht der Selbstmord schief. Und als „das geliebte Ding“ ihn endlich doch erhört, ist das Glück nur von kurzer Dauer: „Monsieur Vieux macht drei Stunden lang Freudensprünge. Nach der dritten Stunde kommen die erzürnten Nachbarn herbeigelaufen. Monsieur Vieux Bois wird wegen nächtlicher Ruhestörung ins Gefängnis gesperrt.“
Ebenso hysterisch und atemlos geht es weiter, in immer neuen Verfolgungsjagden; entweder läuft die Titelfigur mit waagrecht durchgestreckten Beinen seiner Dame hinterher oder ihrem Liebhaber. Oder beiden. Oder umgekehrt. Und wenn Töpffer in einer furiosen Gegenschnittsequenz den feindlichen Liebhaber an einem Mühlrad wieder und wieder ins Wasser taucht, während Monsieur Boix in Seelenruhe das Schäferstündchen mit „dem geliebten Ding“ genießt, reibt man sich verwundert die Augen: Das ist Slapstick vom Feinsten wie man ihn eigentlich sonst nur aus Stummfilmkomödien à la Charlie Chaplin oder Stan Laurel und Oliver Hardy zu kennen meint. Den Eindruck, dass hier Techniken des frühen Films vorweggenommen werden, bestätigt die immer sehr ähnliche Perspektive auf das Geschehen: Töpffer verwendet meist nur eine einzige feste Einstellung, die Halbtotale; extreme Blickwinkel hingegen spart er aus. Tempo gewinnt er aus der schnellen Montage, dem genau getimten Wechsel von Ruhe und Raserei. Auf Bilder, die nur mit einem Wort wie „Krise“ untertitelt sind, folgen längere Ausführungen. Seine Lithografien stehen dabei ganz im Dienst des Leseflusses: Mit wenigen, feinen Strichen wird das Wesentliche einer Figur oder eines Ortes eingefangen, sodass das Auge nie zu lange verweilt.
In den beiden anderen Geschichten des Bandes hat Töpffer die Experimente, die er in „Monsieur Vieux Bois“ begann, auf frappante Weise weitergeführt. In „Monsieur Pencil“ hält ein Gelehrter, der seine Fürze in Flaschen sammelt, einen Ohnmächtigen für einen Außerirdischen und sperrt ihn in eine Kiste; als dann ein kleiner Hund auf einen Telegrafenmast springt, wird eine Parallelhandlung in Gang gesetzt, die an Wahnwitz schwer zu überbieten ist. Denn die Hopser des Tieres übermitteln Signale, die, falsch interpretiert, einen Börsencrash und Krieg auslösen.
In der letzten, von Töpffer unvollendeten Arbeit erweitert sich das Spielfeld schließlich auf die ganze Welt. Vor den Nachstellungen einer Frau flieht Monsieur Cryptogame bis nach Algerien, und zwar im Bauch eines Wals, in dem er unter anderem die Liebe seines Lebens findet und heiratet. In fliegendem Wechsel werden dann Orte und Partner getauscht, fromme Christen verwandeln sich in Moslems und wieder zurück in Christen. Töpffer verknappt dabei sein Prinzip der absurden Kettenreaktion zu einer unvergleichlichen Text-Bild-Sequenz des totalen Chaos: Auf einem Schiff jagen Mauren einem Abbé im Kreis hinterher; und dann geht es los: „Die Haustiere auch, als sie das sehen. Das Geflügel auch, als es das sieht. Die Ratten auch, als sie das sehen. Die gewaltige Flucht erzeugt einen Luftwirbel, und alle Gegenstände an Deck werden in eine kreisende Verfolgung einbezogen.“
Man kann in Töpffers Geschichten, in denen alle ihr Fett wegkriegen, ein Echo auf die damaligen politischen Umbruchszeiten sehen, in denen eben nicht nur die Welt, sondern auch die herkömmliche Erzählform aus den Fugen geriet. Man kann seine helle Freude daran haben, wie sich mit jeder Geschichte der Comic weiterentwickelt und filmisch anmutende Techniken erprobt werden. Vor allem aber sollte man eines: das anarchische Genie des allzu lange viel zu wenig bekannten Rodolphe Töpffer wiederentdecken.
Rodolphe Töpffer: Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois. Avant Verlag, Berlin 2016. 280 Seiten, 39,95 Euro.
Die Dame, um die es geht,
wird immer nur „objet aimé“
genannt, „das geliebte Ding“
In seinen Geschichten gerät
nicht nur die Welt, sondern auch
die Erzählform aus den Fugen
Toepffers Bildergeschichte „Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois“,
der wir beide Abbildungen entnehmen, war ein sensationeller Erfolg beschieden.
Kein Wunder: Die Parodie auf zeitgenössische Romanzen ist umwerfend komisch.
„Vierter Selbstmord. – Glücklicherweise bleibt Monsieur Vieux Bois am Zeiger
einer Sonnenuhr hängen. – Monsieur Vieux Bois wechselt das Hemd. – Große Mutlosigkeit
lässt Monsieur Vieux Bois krank werden.“
Es gibt immer wieder neue atemlose Verfolgungsjagden. Entweder läuft Monsieur Vieux Bois
seiner Dame hinterher oder ihrem Liebhaber. Oder beiden.
„Monsieur Vieux Bois ist überzeugt, dies sei ein Streich der Träger, und macht sich hurtig
zu ihrer Verfolgung auf. Er legt fünfzehn Meilen in drei Stunden zurück. – Monsieur Vieux Bois kann, einmal in Fahrt gekommen, weder ausweichen noch zur rechten Zeit anhalten
und fährt in einen Heuhaufen.“ Abbildungen aus dem besprochenen Band
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von Talent und Geist
Anarchisches Genie:
Rodolphe Töpffer zeichnete
Bildergeschichten – sehr lange,
bevor es Comics gab
VON THOMAS VON STEINAECKER
Hiermit ist es erwiesen: Johann Wolfgang von Goethe war Comicfan! Und nicht nur das. Er betätigte sich sogar als Hebamme bei der Geburt der neunten Kunst. 1830 gibt Eckermann Goethe zwei unveröffentlichte Arbeiten eines befreundeten Schulfreundes namens Rodolphe Töpffer aus Genf zum Lesen. Formal sind die komödiantischen Geschichten äußerst ungewöhnlich, denn das Geschehen wird in untertitelten Bildern erzählt. Goethes begeisterte Reaktion hat Eckermann in seinen „Gesprächen“ überliefert: „Es ist wirklich zu toll! Es funkelt alles von Talent und Geist! Einige Blätter sind ganz unübertrefflich! Wenn er künftig einen weniger frivolen Gegenstand wählte und sich noch ein bisschen mehr zusammennähme, so würde er Dinge machen, die über alle Begriffe wären.“
Für den Hobbymaler und Pensionatslehrer Töpffer, dessen Augen so lichtempfindlich sind, dass er stets eine blau eingefärbte Brille trägt, ist Goethes Urteil wegweisend. Er entschließt sich, seine Arbeiten zu publizieren. Ursprünglich waren sie nur aus einer Laune heraus während des Unterrichts für seine Schüler entstanden. Aber schon das erste Buch, „Histoire de Monsieur Jabot“, erfährt eine gewaltige Resonanz. Ja, in den folgenden Jahren führt Töpffer nach jeder weiteren noch erfolgreicheren Bildgeschichte einen aussichtslosen Kampf gegen die damals legalen Raubkopien, die die bald auch internationale Nachfrage zu befriedigen versuchen.
Nach seinem Tod 1846 mit nur 47 Jahren gerät er jedoch zusehends in Vergessenheit; ein arg zurechtgestutzter Band mit ausgewählten Arbeiten war in Deutschland zuletzt 1970 erhältlich; erst in jüngster Zeit wird sein Name wiederholt ins Feld geführt, wenn es um die Frage nach dem Ursprung der neunten Kunst geht. Und in der Tat: Definiert man diese als Bildsequenz mit einem wie auch immer gearteten Begleittext, wäre Töpffer ein heißer Kandidat für den Titel „Großvater des Comics“. Zwar sind seine Arbeiten stark von der Tradition der Karikatur geprägt und hier insbesondere von William Hogarths Zyklen; doch in revolutionärer Weise zerlegt Töpffer Bewegungsabläufe, führt Handlungsstränge parallel und wird zum Meister des pointierten Untertitels – und das dreißig Jahre vor dem heute wesentlich präsenteren Wilhelm Busch.
In der vorliegenden Ausgabe, engagiert und klug vom bekannten Comic-Künstler Simon Schwartz eingeführt und herausgegeben, liegen nun drei Bildgeschichten Töpffers aus unterschiedlichen Schaffensphasen vor. Der ersten, „Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois“, war ein sensationeller Erfolg beschieden, und man versteht sofort, warum. Die Parodie auf zeitgenössische Romanzen ist schlichtweg von umwerfender Komik: Weil seine Liebe zu einer Dame, die bezeichnenderweise immer nur „objet aimé“, genannt wird, nicht erwidert wird, beschließt Monsieur Bois, sich umzubringen. Aber ob erstechen, vergiften, erhängen oder ertränken – immer geht der Selbstmord schief. Und als „das geliebte Ding“ ihn endlich doch erhört, ist das Glück nur von kurzer Dauer: „Monsieur Vieux macht drei Stunden lang Freudensprünge. Nach der dritten Stunde kommen die erzürnten Nachbarn herbeigelaufen. Monsieur Vieux Bois wird wegen nächtlicher Ruhestörung ins Gefängnis gesperrt.“
Ebenso hysterisch und atemlos geht es weiter, in immer neuen Verfolgungsjagden; entweder läuft die Titelfigur mit waagrecht durchgestreckten Beinen seiner Dame hinterher oder ihrem Liebhaber. Oder beiden. Oder umgekehrt. Und wenn Töpffer in einer furiosen Gegenschnittsequenz den feindlichen Liebhaber an einem Mühlrad wieder und wieder ins Wasser taucht, während Monsieur Boix in Seelenruhe das Schäferstündchen mit „dem geliebten Ding“ genießt, reibt man sich verwundert die Augen: Das ist Slapstick vom Feinsten wie man ihn eigentlich sonst nur aus Stummfilmkomödien à la Charlie Chaplin oder Stan Laurel und Oliver Hardy zu kennen meint. Den Eindruck, dass hier Techniken des frühen Films vorweggenommen werden, bestätigt die immer sehr ähnliche Perspektive auf das Geschehen: Töpffer verwendet meist nur eine einzige feste Einstellung, die Halbtotale; extreme Blickwinkel hingegen spart er aus. Tempo gewinnt er aus der schnellen Montage, dem genau getimten Wechsel von Ruhe und Raserei. Auf Bilder, die nur mit einem Wort wie „Krise“ untertitelt sind, folgen längere Ausführungen. Seine Lithografien stehen dabei ganz im Dienst des Leseflusses: Mit wenigen, feinen Strichen wird das Wesentliche einer Figur oder eines Ortes eingefangen, sodass das Auge nie zu lange verweilt.
In den beiden anderen Geschichten des Bandes hat Töpffer die Experimente, die er in „Monsieur Vieux Bois“ begann, auf frappante Weise weitergeführt. In „Monsieur Pencil“ hält ein Gelehrter, der seine Fürze in Flaschen sammelt, einen Ohnmächtigen für einen Außerirdischen und sperrt ihn in eine Kiste; als dann ein kleiner Hund auf einen Telegrafenmast springt, wird eine Parallelhandlung in Gang gesetzt, die an Wahnwitz schwer zu überbieten ist. Denn die Hopser des Tieres übermitteln Signale, die, falsch interpretiert, einen Börsencrash und Krieg auslösen.
In der letzten, von Töpffer unvollendeten Arbeit erweitert sich das Spielfeld schließlich auf die ganze Welt. Vor den Nachstellungen einer Frau flieht Monsieur Cryptogame bis nach Algerien, und zwar im Bauch eines Wals, in dem er unter anderem die Liebe seines Lebens findet und heiratet. In fliegendem Wechsel werden dann Orte und Partner getauscht, fromme Christen verwandeln sich in Moslems und wieder zurück in Christen. Töpffer verknappt dabei sein Prinzip der absurden Kettenreaktion zu einer unvergleichlichen Text-Bild-Sequenz des totalen Chaos: Auf einem Schiff jagen Mauren einem Abbé im Kreis hinterher; und dann geht es los: „Die Haustiere auch, als sie das sehen. Das Geflügel auch, als es das sieht. Die Ratten auch, als sie das sehen. Die gewaltige Flucht erzeugt einen Luftwirbel, und alle Gegenstände an Deck werden in eine kreisende Verfolgung einbezogen.“
Man kann in Töpffers Geschichten, in denen alle ihr Fett wegkriegen, ein Echo auf die damaligen politischen Umbruchszeiten sehen, in denen eben nicht nur die Welt, sondern auch die herkömmliche Erzählform aus den Fugen geriet. Man kann seine helle Freude daran haben, wie sich mit jeder Geschichte der Comic weiterentwickelt und filmisch anmutende Techniken erprobt werden. Vor allem aber sollte man eines: das anarchische Genie des allzu lange viel zu wenig bekannten Rodolphe Töpffer wiederentdecken.
Rodolphe Töpffer: Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois. Avant Verlag, Berlin 2016. 280 Seiten, 39,95 Euro.
Die Dame, um die es geht,
wird immer nur „objet aimé“
genannt, „das geliebte Ding“
In seinen Geschichten gerät
nicht nur die Welt, sondern auch
die Erzählform aus den Fugen
Toepffers Bildergeschichte „Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois“,
der wir beide Abbildungen entnehmen, war ein sensationeller Erfolg beschieden.
Kein Wunder: Die Parodie auf zeitgenössische Romanzen ist umwerfend komisch.
„Vierter Selbstmord. – Glücklicherweise bleibt Monsieur Vieux Bois am Zeiger
einer Sonnenuhr hängen. – Monsieur Vieux Bois wechselt das Hemd. – Große Mutlosigkeit
lässt Monsieur Vieux Bois krank werden.“
Es gibt immer wieder neue atemlose Verfolgungsjagden. Entweder läuft Monsieur Vieux Bois
seiner Dame hinterher oder ihrem Liebhaber. Oder beiden.
„Monsieur Vieux Bois ist überzeugt, dies sei ein Streich der Träger, und macht sich hurtig
zu ihrer Verfolgung auf. Er legt fünfzehn Meilen in drei Stunden zurück. – Monsieur Vieux Bois kann, einmal in Fahrt gekommen, weder ausweichen noch zur rechten Zeit anhalten
und fährt in einen Heuhaufen.“ Abbildungen aus dem besprochenen Band
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