Drei Epochen, drei Kriege, eine Familie: ein bewegender Roman, inspiriert von der Familiengeschichte des Autors.
Eine Frau, für ein paar Tage frei von Pflichten, Mann und Kindern, fährt im Januar 1969 von Den Haag über Amsterdam nach Frankfurt. Drei Liebesgeschichten gehen ihr durch den Kopf: ihre eigene, die ihrer Eltern, die einer Vorfahrin während der napoleonischen Kriege. Davon möchte sie erzählen, aber die Geschichten und Leben verflechten sich immer mehr. Das Erinnern der reisenden Erzählerin wird zur Befreiung, auch von der Gefühlsarmut und Sprachlosigkeit der Männer.
Eine Frau, für ein paar Tage frei von Pflichten, Mann und Kindern, fährt im Januar 1969 von Den Haag über Amsterdam nach Frankfurt. Drei Liebesgeschichten gehen ihr durch den Kopf: ihre eigene, die ihrer Eltern, die einer Vorfahrin während der napoleonischen Kriege. Davon möchte sie erzählen, aber die Geschichten und Leben verflechten sich immer mehr. Das Erinnern der reisenden Erzählerin wird zur Befreiung, auch von der Gefühlsarmut und Sprachlosigkeit der Männer.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Tilman Krause will den Leser erst einmal beruhigen: Die Liebe taucht schon noch auf in Friedrich Christian Delius' Roman, wenn auch nicht so prominent, wie es der Buchtitel zunächst vermuten lässt. Vielmehr sei sie integriert in eine "prismatisch funkelnde kleine Deutschland-Rhapsodie", in deren Zentrum eine (klein-)bürgerliche Nachfahrin des niederländischen Königs Wilhelm I. steht, die allerlei Liebeserfahrungen in der Bundesrepublik der Sechzigerjahre machen, fasst Krause zusammen. Ein stilles Buch, in dem Delius viel Einfühlungsvermögen für seine Heldin, die selbst so gern Schriftstellerin wäre, beweist, schließt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2016Vier Skizzen suchen einen Autor
Friedrich Christian Delius nimmt in seinem neuen Roman einen alten Stoff
noch einmal auf – und kehrt zu seiner Familiengeschichte zurück
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Aus den Tagebüchern Thomas Manns wissen wir, wie schwer dem weit über 70-jährigen Autor das Schreiben fiel. „Der Erwählte“, 1951 erschienen, war der kürzeste seiner Romane geworden, nun wandte er sich einem Stoff zu, mit dem er sich vierzig Jahre zuvor schon einmal beschäftigt hatte – einen großen neuen Roman traute er sich nicht mehr zu. Als die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ 1954 publiziert wurden, handelte es sich um die Neubearbeitung eines zuerst 1922, dann 1937 noch einmal erschienenen Buches – und auch sie blieb Fragment.
Bei Friedrich Christian Delius und seinem neuen Roman „Die Liebesgeschichtenerzählerin“ liegt der Fall natürlich anders, aber ein paar auffallende Ähnlichkeiten gibt es doch. Oder weshalb holt der jetzt 73-Jährige einen Stoff noch einmal hervor, aus dem er bereits 2001 den Roman „Der Königsmacher“ gemacht hatte, und verquickt ihn mit einer weiteren Geschichte aus seiner mütterlichen Familie, von der 2006 in seiner Erzählung „Bildnis der Mutter als junge Frau“ schon die Rede war? So tauchen wir jetzt wiederum in die traurige Geschichte der illegitimen Königstochter Wilhelmine „Minna“ von Dietz ein, deren Vater der spätere niederländische König Willem I., deren Mutter eine aus einer Bäckersfamilie stammende Berliner Tänzerin war. 23-jährig starb Minna, nachdem sie von ihrem Vater mit einem großzügigen Erbe ausgestattet und mit einem mecklenburgischen Adligen verheiratet worden war, ohne über ihre Herkunft Bescheid zu wissen.
In diese Ahnenreihe hatte Delius 2001 den erfolglosen Schriftsteller Albert Rusch gestellt, der bei seinen Stammbaum-Recherchen zudem auf seine Verwandtschaft mit dem preußischen Soldatenkönig stieß und mithilfe frischen Adelsglanzes immerhin zum Talkshow-König aufstieg. In der „Liebesgeschichtenerzählerin“ nun wird Ruschs Adels-Geschichte zu derjenigen der Marie von Schabow, die im Januar 1969 in Den Haag Herkunftsforschung betreibt. Fast fünfzig Jahre alt, eine verheiratete von Mollwitz und Mutter von vier Kindern, hofft Marie, nach der Gehaltserhöhung ihres Mannes und einem kleinen Erbe die Nebenarbeiten aufgeben zu können, mit denen sie bislang zum Familieneinkommen beigetragen hat, und eine seit Kindertagen erträumte Laufbahn als Schriftstellerin zu beginnen.
Ein erstes, von der Kritik wohlwollend aufgenommenes Buch hat sie schon veröffentlicht: über Elisabeth von Thadden, ihre verehrte Lehrerin, die im NS-Reich als Widerständlerin hingerichtet worden war. Und an biografische Tatsachen will sie sich auch weiterhin halten, doch sollen daraus nun eben Romane werden: einer über die Tänzerin, ihren Prinzen und deren gemeinsames Kind. Der nächste über Maries Vater, einen früheren U-Boot-Kommandanten, der sich beim Matrosenaufstand 1918 erfolgreich weigerte, mit dem roten Wimpel der Revolution in den Heimathafen einzulaufen. Nach dem Ende des Kaiserreichs von einer Lähmung befallen, hatte er erst zu einer neuen Identität gefunden, nachdem er vom Kaiser- zum Gottes-Soldaten geworden war und als protestantischer Missionar durch deutsche Gemeinden zog. Und schließlich will Marie ihre eigene Liebesgeschichte mit dem mecklenburgischen Landadligen Reinhard erzählen, um dessentwillen sie 1941 ihr Studium abbrach und sich zur Gutsfrau hatte ausbilden lassen. Doch nach Krieg und Gefangenschaft, nach der Flucht der Familie aus der DDR, waren alle Träume vom höheren Landleben hinfällig, Reinhard wurde Angestellter eines Sozialverbands.
Diese drei Liebesgeschichten gehen Marie nacheinander durch den Kopf, während sie in Scheveningen am Meer entlangläuft, in Den Haag ihre Familienrecherche betreibt, in Amsterdam ins Museum geht und schließlich nach Deutschland zurückfährt – Geschichten von der Liebe und dem Ende von Lebensentwürfen allesamt, das die Politik über die Protagonisten verhängt hat. Der Leser folgt ihnen, von Gedankenstrichen immer wieder zum Einhalten genötigt, beobachtet Maries hausfrauliche Sparsamkeit, lernt ihre Überlegungen zur jungen, pazifistischen „Provo“-Generation (der nun wieder Friedrich Christian Delius selbst angehört) sowie ihre Liebe zu Rembrandt kennen.
Er wird sich dabei über manche seltsam altbackene Formulierung wundern, wenn Marie sich im Garten des Archivs „wie von königlicher Huld empfangen“ fühlt oder „in gelassener Sonntagsheiterkeit“ vor sich hin denkt. Am meisten aber wird er doch darüber staunen, dass jemand, der vom Romanschreiben bisher nur träumte, sich nun gleich drei Romanprojekte auf einmal vornimmt, mit Stoffen zumal, an deren erstem schon Delius’ Schriftsteller Rusch gescheitert ist, und dessen letzter stark gefährdet zu sein scheint, da die Geschichtenerzählerin am Ende fürchtet, ihr Mann habe sie während ihrer Abwesenheit mit einer anderen Frau betrogen – „alle ehelichen Übereinkünfte wären gebrochen, die Familie ein Trümmerhaufen . . .“
Wie es mit der Liebe von Marie und Reinhard weitergeht, erfahren wir nicht. Und bleiben so mit drei Skizzen möglicher Romane zurück, nein, eigentlich doch mit vieren: Das Bildnis der zukünftigen Roman-Autorin selbst, das hier in schönen Umrissen entstanden ist, gehört ja auch dazu. Aber wie schade, nur die Umrisse zu kennen. Schon denkt man an den späten Thomas Mann, wie er, ermüdet, seinen „Felix Krull“ wieder vornimmt.
Drei Liebesgeschichten
auf einmal sind vielleicht ein
Schreibprojekt zu viel
Man wundert sich über
altbackene Formulierungen wie
„in gelassener Sonntagsheiterkeit“
Schüttelt den Stammbaum, auf dass ihm literarische Früchte zufallen: Friedrich Christian Delius.
Foto: Marc Tirl / dpa
Friedrich Christian Delius: Die Liebesgeschichtenerzählerin. Roman. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2016.
208 Seiten, 18,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Friedrich Christian Delius nimmt in seinem neuen Roman einen alten Stoff
noch einmal auf – und kehrt zu seiner Familiengeschichte zurück
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Aus den Tagebüchern Thomas Manns wissen wir, wie schwer dem weit über 70-jährigen Autor das Schreiben fiel. „Der Erwählte“, 1951 erschienen, war der kürzeste seiner Romane geworden, nun wandte er sich einem Stoff zu, mit dem er sich vierzig Jahre zuvor schon einmal beschäftigt hatte – einen großen neuen Roman traute er sich nicht mehr zu. Als die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ 1954 publiziert wurden, handelte es sich um die Neubearbeitung eines zuerst 1922, dann 1937 noch einmal erschienenen Buches – und auch sie blieb Fragment.
Bei Friedrich Christian Delius und seinem neuen Roman „Die Liebesgeschichtenerzählerin“ liegt der Fall natürlich anders, aber ein paar auffallende Ähnlichkeiten gibt es doch. Oder weshalb holt der jetzt 73-Jährige einen Stoff noch einmal hervor, aus dem er bereits 2001 den Roman „Der Königsmacher“ gemacht hatte, und verquickt ihn mit einer weiteren Geschichte aus seiner mütterlichen Familie, von der 2006 in seiner Erzählung „Bildnis der Mutter als junge Frau“ schon die Rede war? So tauchen wir jetzt wiederum in die traurige Geschichte der illegitimen Königstochter Wilhelmine „Minna“ von Dietz ein, deren Vater der spätere niederländische König Willem I., deren Mutter eine aus einer Bäckersfamilie stammende Berliner Tänzerin war. 23-jährig starb Minna, nachdem sie von ihrem Vater mit einem großzügigen Erbe ausgestattet und mit einem mecklenburgischen Adligen verheiratet worden war, ohne über ihre Herkunft Bescheid zu wissen.
In diese Ahnenreihe hatte Delius 2001 den erfolglosen Schriftsteller Albert Rusch gestellt, der bei seinen Stammbaum-Recherchen zudem auf seine Verwandtschaft mit dem preußischen Soldatenkönig stieß und mithilfe frischen Adelsglanzes immerhin zum Talkshow-König aufstieg. In der „Liebesgeschichtenerzählerin“ nun wird Ruschs Adels-Geschichte zu derjenigen der Marie von Schabow, die im Januar 1969 in Den Haag Herkunftsforschung betreibt. Fast fünfzig Jahre alt, eine verheiratete von Mollwitz und Mutter von vier Kindern, hofft Marie, nach der Gehaltserhöhung ihres Mannes und einem kleinen Erbe die Nebenarbeiten aufgeben zu können, mit denen sie bislang zum Familieneinkommen beigetragen hat, und eine seit Kindertagen erträumte Laufbahn als Schriftstellerin zu beginnen.
Ein erstes, von der Kritik wohlwollend aufgenommenes Buch hat sie schon veröffentlicht: über Elisabeth von Thadden, ihre verehrte Lehrerin, die im NS-Reich als Widerständlerin hingerichtet worden war. Und an biografische Tatsachen will sie sich auch weiterhin halten, doch sollen daraus nun eben Romane werden: einer über die Tänzerin, ihren Prinzen und deren gemeinsames Kind. Der nächste über Maries Vater, einen früheren U-Boot-Kommandanten, der sich beim Matrosenaufstand 1918 erfolgreich weigerte, mit dem roten Wimpel der Revolution in den Heimathafen einzulaufen. Nach dem Ende des Kaiserreichs von einer Lähmung befallen, hatte er erst zu einer neuen Identität gefunden, nachdem er vom Kaiser- zum Gottes-Soldaten geworden war und als protestantischer Missionar durch deutsche Gemeinden zog. Und schließlich will Marie ihre eigene Liebesgeschichte mit dem mecklenburgischen Landadligen Reinhard erzählen, um dessentwillen sie 1941 ihr Studium abbrach und sich zur Gutsfrau hatte ausbilden lassen. Doch nach Krieg und Gefangenschaft, nach der Flucht der Familie aus der DDR, waren alle Träume vom höheren Landleben hinfällig, Reinhard wurde Angestellter eines Sozialverbands.
Diese drei Liebesgeschichten gehen Marie nacheinander durch den Kopf, während sie in Scheveningen am Meer entlangläuft, in Den Haag ihre Familienrecherche betreibt, in Amsterdam ins Museum geht und schließlich nach Deutschland zurückfährt – Geschichten von der Liebe und dem Ende von Lebensentwürfen allesamt, das die Politik über die Protagonisten verhängt hat. Der Leser folgt ihnen, von Gedankenstrichen immer wieder zum Einhalten genötigt, beobachtet Maries hausfrauliche Sparsamkeit, lernt ihre Überlegungen zur jungen, pazifistischen „Provo“-Generation (der nun wieder Friedrich Christian Delius selbst angehört) sowie ihre Liebe zu Rembrandt kennen.
Er wird sich dabei über manche seltsam altbackene Formulierung wundern, wenn Marie sich im Garten des Archivs „wie von königlicher Huld empfangen“ fühlt oder „in gelassener Sonntagsheiterkeit“ vor sich hin denkt. Am meisten aber wird er doch darüber staunen, dass jemand, der vom Romanschreiben bisher nur träumte, sich nun gleich drei Romanprojekte auf einmal vornimmt, mit Stoffen zumal, an deren erstem schon Delius’ Schriftsteller Rusch gescheitert ist, und dessen letzter stark gefährdet zu sein scheint, da die Geschichtenerzählerin am Ende fürchtet, ihr Mann habe sie während ihrer Abwesenheit mit einer anderen Frau betrogen – „alle ehelichen Übereinkünfte wären gebrochen, die Familie ein Trümmerhaufen . . .“
Wie es mit der Liebe von Marie und Reinhard weitergeht, erfahren wir nicht. Und bleiben so mit drei Skizzen möglicher Romane zurück, nein, eigentlich doch mit vieren: Das Bildnis der zukünftigen Roman-Autorin selbst, das hier in schönen Umrissen entstanden ist, gehört ja auch dazu. Aber wie schade, nur die Umrisse zu kennen. Schon denkt man an den späten Thomas Mann, wie er, ermüdet, seinen „Felix Krull“ wieder vornimmt.
Drei Liebesgeschichten
auf einmal sind vielleicht ein
Schreibprojekt zu viel
Man wundert sich über
altbackene Formulierungen wie
„in gelassener Sonntagsheiterkeit“
Schüttelt den Stammbaum, auf dass ihm literarische Früchte zufallen: Friedrich Christian Delius.
Foto: Marc Tirl / dpa
Friedrich Christian Delius: Die Liebesgeschichtenerzählerin. Roman. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2016.
208 Seiten, 18,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2016Niet instappen
Zum Schönsten im vielfältigen Werk von Friedrich Christian Delius gehören die Geschichten mit autobiographischem Hintergrund, allen voran die großartige Erzählung "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde". So freut sich der treue Delius-Leser auf einen Roman aus der weitverzweigten Familiengeschichte, von der er einige Details schon kennt. Die Erzählerrolle hat der Autor diesmal auf seine Tante Marie von Schabow übertragen. Sie schickt er im Jahr 1969 auf eine Reise durch Holland und Deutschland, um Material für ihre Liebesgeschichten zu sammeln. Es geht um die Affäre des Prinzen von Oranien mit einer Berliner Tänzerin, deren Tochter die Urgroßmutter des Autors war, die Liebe von Maries Vater, dem kaisertreuen U-Boot-Kapitän Hans, der den Nazis widerstand, zu seiner Hildegard sowie um ihre eigene Beziehung zu dem mecklenburgischen Landadeligen Reinhard.
Auf ihrer Reise schaut die Erzählerin den Möwen zu, erfreut sich an der putzigen holländische Sprache, staunt über die Hippies, schaut aus dem Zugfenster und macht sich schließlich Sorgen um ihre Ehe. Zwischendurch fallen ihr Bruchstücke ihres geplanten Romans ein. Sie werden je als absatzlange Sätze wiedergegeben, die mit einem Gedankenstrich enden: "Angefangen mit der Generalstochter, die um ihren geliebten abgestürzten Flieger trauert, und mit dem Wachoffizier, der um seine Brüder, seine Schwester und seine Eltern trauert und die Schöne mit leisem Humor und gereimten Gedichten zu gewinnen versucht, angefangen mit dem verschmitzten, dem lachenden Soldaten, dem Reimdichter in Uniform, bevor er zum felsenfest Gläubigen und Gottgehorsamen wurde, der lachende Mann mit den Rembrandtaugenbrauen -".
Solches Erzählen mit Hochdruck ergibt einen Kontrast zwischen der etwas läppischen Rahmengeschichte, mit den extrem verdichteten, summarischen und oft auch abstrakten Sätzen. Mit dem Verfahren will Delius offenbar der Gefahr der Harmonisierung von historischen Ereignissen in einem kontinuierlichen Erzählen entgehen. Der passionierte Leser versteht, dass er die Grenzen der Einfühlung in historische Personen erkennen soll, tut sich aber trotzdem schwer mit den Brüchen, zumal er häufig die Übersicht verliert. So ist er bei aller Anerkennung für die kunstvolle Konstruktion ziemlich enttäuscht und wünscht sich den Erzählfluss zurück, den Friedrich Christian Delius so gut beherrscht.
fap.
Friedrich Christian Delius: "Die Liebesgeschichtenerzählerin". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 208 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum Schönsten im vielfältigen Werk von Friedrich Christian Delius gehören die Geschichten mit autobiographischem Hintergrund, allen voran die großartige Erzählung "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde". So freut sich der treue Delius-Leser auf einen Roman aus der weitverzweigten Familiengeschichte, von der er einige Details schon kennt. Die Erzählerrolle hat der Autor diesmal auf seine Tante Marie von Schabow übertragen. Sie schickt er im Jahr 1969 auf eine Reise durch Holland und Deutschland, um Material für ihre Liebesgeschichten zu sammeln. Es geht um die Affäre des Prinzen von Oranien mit einer Berliner Tänzerin, deren Tochter die Urgroßmutter des Autors war, die Liebe von Maries Vater, dem kaisertreuen U-Boot-Kapitän Hans, der den Nazis widerstand, zu seiner Hildegard sowie um ihre eigene Beziehung zu dem mecklenburgischen Landadeligen Reinhard.
Auf ihrer Reise schaut die Erzählerin den Möwen zu, erfreut sich an der putzigen holländische Sprache, staunt über die Hippies, schaut aus dem Zugfenster und macht sich schließlich Sorgen um ihre Ehe. Zwischendurch fallen ihr Bruchstücke ihres geplanten Romans ein. Sie werden je als absatzlange Sätze wiedergegeben, die mit einem Gedankenstrich enden: "Angefangen mit der Generalstochter, die um ihren geliebten abgestürzten Flieger trauert, und mit dem Wachoffizier, der um seine Brüder, seine Schwester und seine Eltern trauert und die Schöne mit leisem Humor und gereimten Gedichten zu gewinnen versucht, angefangen mit dem verschmitzten, dem lachenden Soldaten, dem Reimdichter in Uniform, bevor er zum felsenfest Gläubigen und Gottgehorsamen wurde, der lachende Mann mit den Rembrandtaugenbrauen -".
Solches Erzählen mit Hochdruck ergibt einen Kontrast zwischen der etwas läppischen Rahmengeschichte, mit den extrem verdichteten, summarischen und oft auch abstrakten Sätzen. Mit dem Verfahren will Delius offenbar der Gefahr der Harmonisierung von historischen Ereignissen in einem kontinuierlichen Erzählen entgehen. Der passionierte Leser versteht, dass er die Grenzen der Einfühlung in historische Personen erkennen soll, tut sich aber trotzdem schwer mit den Brüchen, zumal er häufig die Übersicht verliert. So ist er bei aller Anerkennung für die kunstvolle Konstruktion ziemlich enttäuscht und wünscht sich den Erzählfluss zurück, den Friedrich Christian Delius so gut beherrscht.
fap.
Friedrich Christian Delius: "Die Liebesgeschichtenerzählerin". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 208 S., geb., 18,95 [Euro].
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Delius schreibt voller Liebe zu seiner Hauptfigur, der man sich als Leser nicht entziehen kann. Leipziger Volkszeitung