»Ein triumphales Debüt über Schwarze Geschichte und das Aufwachsen im Süden der USA.« New York Times Book Review
»Ein brillantes Epos, wie es nur ein Mal in zehn Jahren erscheint. Es wird Ihre Sicht auf Amerika für immer verändern.« Washington Post
Ailey Pearl Garfield ist vorlaut, und sie weiß, was sie will. Jeden Sommer reist das Mädchen nach Chicasetta, Georgia, wo die Familie ihrer Mutter seit Jahrhunderten lebt. Ihre Großmutter wohnt dort in dem Haus, das früher dem Besitzer der Baumwollplantage Wood Place gehörte. Um ihren Platz in der Welt zu finden, muss Ailey die verschlungene Geschichte ihrer Familie verstehen. Denn sie trägt das Erbe der Unterdrückung und des Widerstands, der Sklaverei und der Selbstermächtigung in sich - ein Erbe, so widersprüchlich und lebendig wie Amerika.
Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois ist ein gewaltiger Roman über das wahre, bunte Amerika. Honorée Fanonne Jeffers erzählt die Geschichte von Ailey Pearl Garfield, einer vor Leben sprühenden, selbstbewussten und witzigen Frau, und mit ihr über vierhundert Jahre amerikanischer Geschichte.
»Jeffers feiert Schwarze Frauen als brillante Überlebende, die gerade durch ihre Geschichte Freude und Genie verkörpern.« The Observer
»Ein kraftstrotzender und zärtlicher Coming-of-Age-Roman.« Time
»Erstaunlich ... Ein großes Werk, durchdrungen von Liebe und Wahrhaftigkeit.« Alice Walker
»Ein brillantes Epos, wie es nur ein Mal in zehn Jahren erscheint. Es wird Ihre Sicht auf Amerika für immer verändern.« Washington Post
Ailey Pearl Garfield ist vorlaut, und sie weiß, was sie will. Jeden Sommer reist das Mädchen nach Chicasetta, Georgia, wo die Familie ihrer Mutter seit Jahrhunderten lebt. Ihre Großmutter wohnt dort in dem Haus, das früher dem Besitzer der Baumwollplantage Wood Place gehörte. Um ihren Platz in der Welt zu finden, muss Ailey die verschlungene Geschichte ihrer Familie verstehen. Denn sie trägt das Erbe der Unterdrückung und des Widerstands, der Sklaverei und der Selbstermächtigung in sich - ein Erbe, so widersprüchlich und lebendig wie Amerika.
Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois ist ein gewaltiger Roman über das wahre, bunte Amerika. Honorée Fanonne Jeffers erzählt die Geschichte von Ailey Pearl Garfield, einer vor Leben sprühenden, selbstbewussten und witzigen Frau, und mit ihr über vierhundert Jahre amerikanischer Geschichte.
»Jeffers feiert Schwarze Frauen als brillante Überlebende, die gerade durch ihre Geschichte Freude und Genie verkörpern.« The Observer
»Ein kraftstrotzender und zärtlicher Coming-of-Age-Roman.« Time
»Erstaunlich ... Ein großes Werk, durchdrungen von Liebe und Wahrhaftigkeit.« Alice Walker
Wir sind die Erde, das Land, die Verschleppten
Zitat schlägt Erzählung: Honorée Fanonne Jeffers' Roman "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois"
Fast tausend Seiten für einen literarischen Gegenentwurf amerikanischer Geschichtsschreibung der vergangenen vierhundert Jahre. Tausend Seiten, in denen vieles unvertraut erscheint, das historisch verbürgt ist oder auf der Grundlage von belegten Fakten und Forschung von Honorée Fanonne Jeffers imaginiert wurde. Tausend Seiten für die Geschichte Amerikas, als hätten wir zuvor von der falschen Seite aus auf sie geblickt. Ein Stück Siedlungsgeschichte, die nicht von den Siedlertrecks nach Westen erzählt, sondern zum Beispiel von Lotterien mit gestohlenem Land und einer Gewinnchance von 1 zu 10. Tausend Seiten für einen Roman, dessen Titel bei uns zunächst vermutlich auch denen rätselhaft erscheint, die wissen, wer W.E.B. Du Bois war und die seinen Namen nicht französisch aussprechen. Tausend Seiten für all dies - zu viele? Oder nicht genug?
"Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" von Honorée Fanonne Jeffers ist ein gewaltiges Buch, vom Umfang wie vom Anspruch her. Es erzählt von einem Flecken Land namens "Georgia", von den Menschen, die dort siedelten und es bestellten, und von denen, die heute dort leben. Es ist die Geschichte von Mythen, von Raub, Schurkerei, Versklavung, Widerstand, von Missbrauch und Beharrungskraft, und es ist die Geschichte von Familien unterschiedlicher Herkünfte, die sich miteinander gewaltsam, aus Not oder auch aus Neigung vermischen. Es ist die Geschichte von Nuancen der Hautfarben und Haarstruktur, der verheimlichten Abstammungslinien, von Scham, von Stolz, von Grausamkeit, von vererbten und neuen Traumata, von Traditionen, von Blattkohlgerichten, Süßkartoffelkuchen, Sklavenmärkten, ersten und späteren Lieben, Kindern, Abtreibungen, Zwillingsgeburten, von Drogen, Bibliotheksstudien, Tod, Sex und Sommern in der Hitze des Südens. Eine historische Fiktion. Eine Familiengeschichte. Eine Coming-of-Age-Story. Ein College- und ein Bildungsroman. Eine Ode an die Schwarze Frau. Ein Missbrauchsfall.
Nicht immer lassen sich die wechselnden Tonlagen dieses Buches ins Deutsche hinüberretten. Die Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder haben eine instruktive Nachbemerkung geschrieben, in der sie die Probleme und teilweise die Unmöglichkeit der Übertragung der Sprache dieses Buchs darlegen. Denn es ist teilweise in African American Vernacular English (AAVE) geschrieben, das nicht etwa ein Soziolekt oder Slang oder einfach fehlerhaftes Hochenglisch ist, sondern eine eigene Sprache inklusive eigener Grammatik und Vokabular. Dafür gibt es im Deutschen keine Entsprechung, weshalb sich die Übersetzerinnen entschieden haben, einzelne Sätze in AAVE unübersetzt stehen zu lassen als Markierungen, dass gerade in dieser Sprache gesprochen wird.
Das Buch hat mehrere Erzähler. Ganz am Anfang ist da ein Wir: "Wir sind die Erde, das Land. Die Zunge, die spricht und die stolpert über die Namen der Toten, wenn sie sich herantraut an die Ahnen einer Frau und an ihre Geschichten." Das ist die Stimme der Indigenen, die übergangslos in die einer wissenden Erzählinstanz übergeht, die Fragen stellt und Antworten gibt. Wir, das sind aber auch die aus ihren Dörfern verschleppten Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Über den Abteilungen, die dieser Stimme in die Sklaverei und auf die Plantagen folgen, steht: "Song". Im Lauf des Buchs entwickeln sich dort die Abstammungslinien der Familie, um die es in der Jetztzeit geht.
Das ist die Familie der Ich-Erzählerin Ailey, die in "der Stadt" lebt, aber die Sommer bei den Großeltern und einem geliebten Onkel in einem fiktiven Ort in Georgia verbringt. Der Onkel heißt Onkel Root. Diese Namensgebung - Wurzel - ist ein Beispiel für die Zaunpfähle, mit denen Jeffers die Richtung ihrer Erzählung vorgibt. Denn dieser Onkel Root zeigt Ailey den Weg in eine Zukunft, in der das Wissen um die Geschichte der Schwarzen und ihrer Leitfiguren Früchte trägt. Onkel Root weist über seine Mutter aber auch zurück in die Zeit der Plantagenwirtschaft und die gemischten Herkunftslinien.
Natürlich spricht auch W.E.B. Du Bois. Aus seinen Werken, zu denen "Sorrow Songs" gehören, deren Echo der Titel mit den Liebesliedern beschwört, wird immer wieder zu Beginn einzelner Kapitel zitiert, um die Themen anklingen zu lassen, um die es gehen wird. "Von Norden donnerte der Zug voran, und als wir erwachten, erstreckte sich rechts und links karg und monoton die purpurne Erde Georgias. Hier und da gab es wuchernde, unansehnliche Dörfer, und hagere Männer lungerten untätig an den Bahnhöfen herum; dann folgten wieder Nadelbäume und Lehm. Doch wir dösten nicht und wurden auch des Schauens nicht müde, denn dies ist historischer Boden." Auf diesen Auszug aus "The Souls of Black Folk" folgt das Kapitel "Tiefer Süden". Der Vergleich zwischen Zitat und Erzählung geht zugunsten des Zitats aus.
Onkel Root kannte W.E.B. Du Bois persönlich und hält große Stücke auf ihn, obwohl dieser sich bei ihrer Begegnung als ziemlich unerfreulicher Mann herausstellte. Aber theoretisch und in seiner Bedeutung für das Vorankommen der Schwarzen in den Vereinigten Staaten sei er mit niemandem zu vergleichen, und vor allem sei seinen Schriften der Vorzug zu geben gegenüber Booker T. Washington, seinem intellektuellen Rivalen und Gegenspieler. Das ist eine alte Kontroverse, die inzwischen durch neue Lesarten von Booker T. Washington (und auch von W.E.B. Du Bois) nicht mehr aufrechterhalten wird. Onkel Root hat ein Foto von seiner Familie auf einer Anrichte stehen: "Dieses Foto ist an dem Tag aufgenommen worden, als Booker T. Washington seine berüchtigte Rede auf der Baumwollausstellung in Atlanta gehalten hat." Ein Datum hatte Onkel Root auch genannt, 1895. "Da war er noch der Negro vom Dienst. Vor dieser Rede hielten unsere Leute ihn für Gott. Er hatte sogar im Weißen Haus diniert. Aber jedes Mal, wenn ein Negro getötet wurde, schwieg er nur. Und an jenem Tag bei der Ausstellung in Atlanta war die Veranstaltung nur für Weiße." Onkel Roots Mutter war nur dabei, weil sie auf das Kind einer weißen Familie aufpasste. Und sie hatte sich gemerkt, was Booker T. Washington dort gesagt, wie er sich vor den Weißen in den Staub geworfen und ihnen innigste Ergebenheit versprochen hatte und vor allem sein tiefes Einverständnis mit der Rassentrennung ausdrückte. Dass Onkel Roots Haltung zu Booker T. Washington und seine Verherrlichung von W.E.B. Du Bois nicht haltbar sind, ist in diesem Buch in der Auseinandersetzung mit einem Studenten dokumentiert, der Onkel Root die Unterstützung der schwarzen Arbeiter durch Booker T. Washington unter die Nase reibt, während der Bourgeois Du Bois immer nur Leute im Auge hatte, die bereits privilegiert waren wie er.
Die Erinnerung an diese Erzählung seiner Mutter veranlasst Onkel Root, ein Loblied auf die Weisheit Schwarzer Frauen zu singen. Wobei er nicht nur eine Art aufgeklärter Griot ist, der das Wissen der Seinen weitergibt, sondern auch sehr hellhäutig. Sein Vater, der Plantagenbesitzer Thomas "Big Thom" John Pinchard, hatte mit der Schwarzen Maybelline, die für ihn arbeitete, ein Verhältnis, aus dem Aileys Tante Pearl und ihr Onkel Root, der 1907 geboren wurde, hervorgingen.
Mit Root und seinen Geschichten im Rücken, mit dem Vorbild ihrer Mutter Belle und mit sehr viel Fleiß und Engagement wird aus Ailey schließlich eine Historikerin. Auf dem Weg dorthin werden viele Seminare besucht, und die Gespräche zwischen Ailey und ihren Lehrern geraten immer wieder zu Lehrstunden über die Schwierigkeiten schwarzer Studierender. "Wir dürfen keine Schwäche zeigen", flüstert ihr etwa ihr Geschichtsprofessor zu, der später ihr Doktorvater wird. "Das ist schwer, ich weiß, aber so ist es nun mal, und darum bin ich so streng mit Ihnen. (. . .) Ich glaube an Sie, Ailey. Wir werden Sie in dieses gelobte Land führen, und dann werde ich für eine feste Stelle ein Schwarzes Fakultätsmitglied suchen, das mich ersetzt, und mich in den Ruhestand und zurück nach D.C. in eine hübsche, schokoladenüberzogene Gegend begeben!"
Es ist in der Logik dieses Buchs unabdingbar, dass nicht nur die Lehrinhalte wiedergegeben und von den Spannungen zwischen den Studierenden erzählt, sondern auch die Geschichte des Colleges ausgebreitet wird. Es ist Routledge, gegründet für schwarze Studentinnen, die beweisen sollten, "zu welcher Herrlichkeit wir Schwarzen in der Lage waren, wenn wir all unsere Kräfte darauf ausrichteten". Auf alten Fotos bemerkt Ailey, wie hellhäutig die Studierenden sind, woraufhin ihr der Dekan eine Standpauke darüber hält, wie viele unterschiedliche Farbschattierungen selbst in ein und derselben Familie vorkommen, was Ailey durchaus vertraut ist.
In den Erzählsträngen auf unterschiedlichen Zeitachsen breitet Honorée Fanonne Jeffers viele Informationen aus, was ihren Roman als Quelle historischen Wissens und Korrektur vermeintlicher Gewissheiten über die Geschichte der Vereinigten Staaten lesenswert macht. Das erzählerische Verfahren allerdings wirkt streckenweise plump, vor allem angesichts anderer Bücher, die mit größerem Raffinement und literarischer Erfindungskraft in der Erkundung neuer Formen von Geschichte aus schwarzer Perspektive und undokumentiertem Leben erzählen.
Jeffers hält sich an geläufige Register, wenn auch über eine sehr lange Strecke. Wie immens die Forschungs- und Reflexionsleistung der vergangenen vierzig Jahre ist, in deren Grund das Buch wurzelt und die seinen Kosmos bereichert, davon gibt nicht nur die Danksagung eine Ahnung. Was fehlt, ist eine Figur mit einer eigenen Stimme und ein Leuchten der Form. Manche Bücher sind so und dennoch wichtig. "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" gehört in diese Gruppe, deren Leser ohne Leuchten auskommen müssen und dennoch lesen sollten. VERENA LUEKEN
Honorée Fanonne Jeffers: "Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois". Roman.
Piper Verlag, München 2022. 982 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zitat schlägt Erzählung: Honorée Fanonne Jeffers' Roman "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois"
Fast tausend Seiten für einen literarischen Gegenentwurf amerikanischer Geschichtsschreibung der vergangenen vierhundert Jahre. Tausend Seiten, in denen vieles unvertraut erscheint, das historisch verbürgt ist oder auf der Grundlage von belegten Fakten und Forschung von Honorée Fanonne Jeffers imaginiert wurde. Tausend Seiten für die Geschichte Amerikas, als hätten wir zuvor von der falschen Seite aus auf sie geblickt. Ein Stück Siedlungsgeschichte, die nicht von den Siedlertrecks nach Westen erzählt, sondern zum Beispiel von Lotterien mit gestohlenem Land und einer Gewinnchance von 1 zu 10. Tausend Seiten für einen Roman, dessen Titel bei uns zunächst vermutlich auch denen rätselhaft erscheint, die wissen, wer W.E.B. Du Bois war und die seinen Namen nicht französisch aussprechen. Tausend Seiten für all dies - zu viele? Oder nicht genug?
"Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" von Honorée Fanonne Jeffers ist ein gewaltiges Buch, vom Umfang wie vom Anspruch her. Es erzählt von einem Flecken Land namens "Georgia", von den Menschen, die dort siedelten und es bestellten, und von denen, die heute dort leben. Es ist die Geschichte von Mythen, von Raub, Schurkerei, Versklavung, Widerstand, von Missbrauch und Beharrungskraft, und es ist die Geschichte von Familien unterschiedlicher Herkünfte, die sich miteinander gewaltsam, aus Not oder auch aus Neigung vermischen. Es ist die Geschichte von Nuancen der Hautfarben und Haarstruktur, der verheimlichten Abstammungslinien, von Scham, von Stolz, von Grausamkeit, von vererbten und neuen Traumata, von Traditionen, von Blattkohlgerichten, Süßkartoffelkuchen, Sklavenmärkten, ersten und späteren Lieben, Kindern, Abtreibungen, Zwillingsgeburten, von Drogen, Bibliotheksstudien, Tod, Sex und Sommern in der Hitze des Südens. Eine historische Fiktion. Eine Familiengeschichte. Eine Coming-of-Age-Story. Ein College- und ein Bildungsroman. Eine Ode an die Schwarze Frau. Ein Missbrauchsfall.
Nicht immer lassen sich die wechselnden Tonlagen dieses Buches ins Deutsche hinüberretten. Die Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder haben eine instruktive Nachbemerkung geschrieben, in der sie die Probleme und teilweise die Unmöglichkeit der Übertragung der Sprache dieses Buchs darlegen. Denn es ist teilweise in African American Vernacular English (AAVE) geschrieben, das nicht etwa ein Soziolekt oder Slang oder einfach fehlerhaftes Hochenglisch ist, sondern eine eigene Sprache inklusive eigener Grammatik und Vokabular. Dafür gibt es im Deutschen keine Entsprechung, weshalb sich die Übersetzerinnen entschieden haben, einzelne Sätze in AAVE unübersetzt stehen zu lassen als Markierungen, dass gerade in dieser Sprache gesprochen wird.
Das Buch hat mehrere Erzähler. Ganz am Anfang ist da ein Wir: "Wir sind die Erde, das Land. Die Zunge, die spricht und die stolpert über die Namen der Toten, wenn sie sich herantraut an die Ahnen einer Frau und an ihre Geschichten." Das ist die Stimme der Indigenen, die übergangslos in die einer wissenden Erzählinstanz übergeht, die Fragen stellt und Antworten gibt. Wir, das sind aber auch die aus ihren Dörfern verschleppten Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Über den Abteilungen, die dieser Stimme in die Sklaverei und auf die Plantagen folgen, steht: "Song". Im Lauf des Buchs entwickeln sich dort die Abstammungslinien der Familie, um die es in der Jetztzeit geht.
Das ist die Familie der Ich-Erzählerin Ailey, die in "der Stadt" lebt, aber die Sommer bei den Großeltern und einem geliebten Onkel in einem fiktiven Ort in Georgia verbringt. Der Onkel heißt Onkel Root. Diese Namensgebung - Wurzel - ist ein Beispiel für die Zaunpfähle, mit denen Jeffers die Richtung ihrer Erzählung vorgibt. Denn dieser Onkel Root zeigt Ailey den Weg in eine Zukunft, in der das Wissen um die Geschichte der Schwarzen und ihrer Leitfiguren Früchte trägt. Onkel Root weist über seine Mutter aber auch zurück in die Zeit der Plantagenwirtschaft und die gemischten Herkunftslinien.
Natürlich spricht auch W.E.B. Du Bois. Aus seinen Werken, zu denen "Sorrow Songs" gehören, deren Echo der Titel mit den Liebesliedern beschwört, wird immer wieder zu Beginn einzelner Kapitel zitiert, um die Themen anklingen zu lassen, um die es gehen wird. "Von Norden donnerte der Zug voran, und als wir erwachten, erstreckte sich rechts und links karg und monoton die purpurne Erde Georgias. Hier und da gab es wuchernde, unansehnliche Dörfer, und hagere Männer lungerten untätig an den Bahnhöfen herum; dann folgten wieder Nadelbäume und Lehm. Doch wir dösten nicht und wurden auch des Schauens nicht müde, denn dies ist historischer Boden." Auf diesen Auszug aus "The Souls of Black Folk" folgt das Kapitel "Tiefer Süden". Der Vergleich zwischen Zitat und Erzählung geht zugunsten des Zitats aus.
Onkel Root kannte W.E.B. Du Bois persönlich und hält große Stücke auf ihn, obwohl dieser sich bei ihrer Begegnung als ziemlich unerfreulicher Mann herausstellte. Aber theoretisch und in seiner Bedeutung für das Vorankommen der Schwarzen in den Vereinigten Staaten sei er mit niemandem zu vergleichen, und vor allem sei seinen Schriften der Vorzug zu geben gegenüber Booker T. Washington, seinem intellektuellen Rivalen und Gegenspieler. Das ist eine alte Kontroverse, die inzwischen durch neue Lesarten von Booker T. Washington (und auch von W.E.B. Du Bois) nicht mehr aufrechterhalten wird. Onkel Root hat ein Foto von seiner Familie auf einer Anrichte stehen: "Dieses Foto ist an dem Tag aufgenommen worden, als Booker T. Washington seine berüchtigte Rede auf der Baumwollausstellung in Atlanta gehalten hat." Ein Datum hatte Onkel Root auch genannt, 1895. "Da war er noch der Negro vom Dienst. Vor dieser Rede hielten unsere Leute ihn für Gott. Er hatte sogar im Weißen Haus diniert. Aber jedes Mal, wenn ein Negro getötet wurde, schwieg er nur. Und an jenem Tag bei der Ausstellung in Atlanta war die Veranstaltung nur für Weiße." Onkel Roots Mutter war nur dabei, weil sie auf das Kind einer weißen Familie aufpasste. Und sie hatte sich gemerkt, was Booker T. Washington dort gesagt, wie er sich vor den Weißen in den Staub geworfen und ihnen innigste Ergebenheit versprochen hatte und vor allem sein tiefes Einverständnis mit der Rassentrennung ausdrückte. Dass Onkel Roots Haltung zu Booker T. Washington und seine Verherrlichung von W.E.B. Du Bois nicht haltbar sind, ist in diesem Buch in der Auseinandersetzung mit einem Studenten dokumentiert, der Onkel Root die Unterstützung der schwarzen Arbeiter durch Booker T. Washington unter die Nase reibt, während der Bourgeois Du Bois immer nur Leute im Auge hatte, die bereits privilegiert waren wie er.
Die Erinnerung an diese Erzählung seiner Mutter veranlasst Onkel Root, ein Loblied auf die Weisheit Schwarzer Frauen zu singen. Wobei er nicht nur eine Art aufgeklärter Griot ist, der das Wissen der Seinen weitergibt, sondern auch sehr hellhäutig. Sein Vater, der Plantagenbesitzer Thomas "Big Thom" John Pinchard, hatte mit der Schwarzen Maybelline, die für ihn arbeitete, ein Verhältnis, aus dem Aileys Tante Pearl und ihr Onkel Root, der 1907 geboren wurde, hervorgingen.
Mit Root und seinen Geschichten im Rücken, mit dem Vorbild ihrer Mutter Belle und mit sehr viel Fleiß und Engagement wird aus Ailey schließlich eine Historikerin. Auf dem Weg dorthin werden viele Seminare besucht, und die Gespräche zwischen Ailey und ihren Lehrern geraten immer wieder zu Lehrstunden über die Schwierigkeiten schwarzer Studierender. "Wir dürfen keine Schwäche zeigen", flüstert ihr etwa ihr Geschichtsprofessor zu, der später ihr Doktorvater wird. "Das ist schwer, ich weiß, aber so ist es nun mal, und darum bin ich so streng mit Ihnen. (. . .) Ich glaube an Sie, Ailey. Wir werden Sie in dieses gelobte Land führen, und dann werde ich für eine feste Stelle ein Schwarzes Fakultätsmitglied suchen, das mich ersetzt, und mich in den Ruhestand und zurück nach D.C. in eine hübsche, schokoladenüberzogene Gegend begeben!"
Es ist in der Logik dieses Buchs unabdingbar, dass nicht nur die Lehrinhalte wiedergegeben und von den Spannungen zwischen den Studierenden erzählt, sondern auch die Geschichte des Colleges ausgebreitet wird. Es ist Routledge, gegründet für schwarze Studentinnen, die beweisen sollten, "zu welcher Herrlichkeit wir Schwarzen in der Lage waren, wenn wir all unsere Kräfte darauf ausrichteten". Auf alten Fotos bemerkt Ailey, wie hellhäutig die Studierenden sind, woraufhin ihr der Dekan eine Standpauke darüber hält, wie viele unterschiedliche Farbschattierungen selbst in ein und derselben Familie vorkommen, was Ailey durchaus vertraut ist.
In den Erzählsträngen auf unterschiedlichen Zeitachsen breitet Honorée Fanonne Jeffers viele Informationen aus, was ihren Roman als Quelle historischen Wissens und Korrektur vermeintlicher Gewissheiten über die Geschichte der Vereinigten Staaten lesenswert macht. Das erzählerische Verfahren allerdings wirkt streckenweise plump, vor allem angesichts anderer Bücher, die mit größerem Raffinement und literarischer Erfindungskraft in der Erkundung neuer Formen von Geschichte aus schwarzer Perspektive und undokumentiertem Leben erzählen.
Jeffers hält sich an geläufige Register, wenn auch über eine sehr lange Strecke. Wie immens die Forschungs- und Reflexionsleistung der vergangenen vierzig Jahre ist, in deren Grund das Buch wurzelt und die seinen Kosmos bereichert, davon gibt nicht nur die Danksagung eine Ahnung. Was fehlt, ist eine Figur mit einer eigenen Stimme und ein Leuchten der Form. Manche Bücher sind so und dennoch wichtig. "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" gehört in diese Gruppe, deren Leser ohne Leuchten auskommen müssen und dennoch lesen sollten. VERENA LUEKEN
Honorée Fanonne Jeffers: "Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois". Roman.
Piper Verlag, München 2022. 982 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Verena Lueken sagt klar, was diesem Riesenbuch von Honoráe Fanonne Jeffers fehlt: eine Erzählerfigur mit eigener Stimme. Stattdessen liefert der Autor laut Lueken nicht nur ein Sammelsurium an Genres (eine Coming-of-Age-Story, ein historisches Tableau über die Besiedelung Nordamerikas, eine Familiengeschichte, einen Bildungsroman etc.), sondern auch eine Vielzahl von Erzählern, Erzählsträngen, Tonlagen und Zeitebenen. Die mannigfachen Informationen und das breite historische Wissen, das nicht selten Luekens Gewissheiten über die USA über den Haufen wirft, scheinen der Rezensentin beeindruckend und lesenswert. Jeffers' literarisches Verfahren aber findet sie oft "plump". Besondere Beachtung verdienen die Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder, findet Lueken. Sie hatten es bei ihrer Arbeit unter anderem mit dem African American Vernacular English zu tun!
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2023Wir sind die Erde, das Land, die Verschleppten
Zitat schlägt Erzählung: Honorée Fanonne Jeffers' Roman "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois"
Fast tausend Seiten für einen literarischen Gegenentwurf amerikanischer Geschichtsschreibung der vergangenen vierhundert Jahre. Tausend Seiten, in denen vieles unvertraut erscheint, das historisch verbürgt ist oder auf der Grundlage von belegten Fakten und Forschung von Honorée Fanonne Jeffers imaginiert wurde. Tausend Seiten für die Geschichte Amerikas, als hätten wir zuvor von der falschen Seite aus auf sie geblickt. Ein Stück Siedlungsgeschichte, die nicht von den Siedlertrecks nach Westen erzählt, sondern zum Beispiel von Lotterien mit gestohlenem Land und einer Gewinnchance von 1 zu 10. Tausend Seiten für einen Roman, dessen Titel bei uns zunächst vermutlich auch denen rätselhaft erscheint, die wissen, wer W.E.B. Du Bois war und die seinen Namen nicht französisch aussprechen. Tausend Seiten für all dies - zu viele? Oder nicht genug?
"Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" von Honorée Fanonne Jeffers ist ein gewaltiges Buch, vom Umfang wie vom Anspruch her. Es erzählt von einem Flecken Land namens "Georgia", von den Menschen, die dort siedelten und es bestellten, und von denen, die heute dort leben. Es ist die Geschichte von Mythen, von Raub, Schurkerei, Versklavung, Widerstand, von Missbrauch und Beharrungskraft, und es ist die Geschichte von Familien unterschiedlicher Herkünfte, die sich miteinander gewaltsam, aus Not oder auch aus Neigung vermischen. Es ist die Geschichte von Nuancen der Hautfarben und Haarstruktur, der verheimlichten Abstammungslinien, von Scham, von Stolz, von Grausamkeit, von vererbten und neuen Traumata, von Traditionen, von Blattkohlgerichten, Süßkartoffelkuchen, Sklavenmärkten, ersten und späteren Lieben, Kindern, Abtreibungen, Zwillingsgeburten, von Drogen, Bibliotheksstudien, Tod, Sex und Sommern in der Hitze des Südens. Eine historische Fiktion. Eine Familiengeschichte. Eine Coming-of-Age-Story. Ein College- und ein Bildungsroman. Eine Ode an die Schwarze Frau. Ein Missbrauchsfall.
Nicht immer lassen sich die wechselnden Tonlagen dieses Buches ins Deutsche hinüberretten. Die Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder haben eine instruktive Nachbemerkung geschrieben, in der sie die Probleme und teilweise die Unmöglichkeit der Übertragung der Sprache dieses Buchs darlegen. Denn es ist teilweise in African American Vernacular English (AAVE) geschrieben, das nicht etwa ein Soziolekt oder Slang oder einfach fehlerhaftes Hochenglisch ist, sondern eine eigene Sprache inklusive eigener Grammatik und Vokabular. Dafür gibt es im Deutschen keine Entsprechung, weshalb sich die Übersetzerinnen entschieden haben, einzelne Sätze in AAVE unübersetzt stehen zu lassen als Markierungen, dass gerade in dieser Sprache gesprochen wird.
Das Buch hat mehrere Erzähler. Ganz am Anfang ist da ein Wir: "Wir sind die Erde, das Land. Die Zunge, die spricht und die stolpert über die Namen der Toten, wenn sie sich herantraut an die Ahnen einer Frau und an ihre Geschichten." Das ist die Stimme der Indigenen, die übergangslos in die einer wissenden Erzählinstanz übergeht, die Fragen stellt und Antworten gibt. Wir, das sind aber auch die aus ihren Dörfern verschleppten Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Über den Abteilungen, die dieser Stimme in die Sklaverei und auf die Plantagen folgen, steht: "Song". Im Lauf des Buchs entwickeln sich dort die Abstammungslinien der Familie, um die es in der Jetztzeit geht.
Das ist die Familie der Ich-Erzählerin Ailey, die in "der Stadt" lebt, aber die Sommer bei den Großeltern und einem geliebten Onkel in einem fiktiven Ort in Georgia verbringt. Der Onkel heißt Onkel Root. Diese Namensgebung - Wurzel - ist ein Beispiel für die Zaunpfähle, mit denen Jeffers die Richtung ihrer Erzählung vorgibt. Denn dieser Onkel Root zeigt Ailey den Weg in eine Zukunft, in der das Wissen um die Geschichte der Schwarzen und ihrer Leitfiguren Früchte trägt. Onkel Root weist über seine Mutter aber auch zurück in die Zeit der Plantagenwirtschaft und die gemischten Herkunftslinien.
Natürlich spricht auch W.E.B. Du Bois. Aus seinen Werken, zu denen "Sorrow Songs" gehören, deren Echo der Titel mit den Liebesliedern beschwört, wird immer wieder zu Beginn einzelner Kapitel zitiert, um die Themen anklingen zu lassen, um die es gehen wird. "Von Norden donnerte der Zug voran, und als wir erwachten, erstreckte sich rechts und links karg und monoton die purpurne Erde Georgias. Hier und da gab es wuchernde, unansehnliche Dörfer, und hagere Männer lungerten untätig an den Bahnhöfen herum; dann folgten wieder Nadelbäume und Lehm. Doch wir dösten nicht und wurden auch des Schauens nicht müde, denn dies ist historischer Boden." Auf diesen Auszug aus "The Souls of Black Folk" folgt das Kapitel "Tiefer Süden". Der Vergleich zwischen Zitat und Erzählung geht zugunsten des Zitats aus.
Onkel Root kannte W.E.B. Du Bois persönlich und hält große Stücke auf ihn, obwohl dieser sich bei ihrer Begegnung als ziemlich unerfreulicher Mann herausstellte. Aber theoretisch und in seiner Bedeutung für das Vorankommen der Schwarzen in den Vereinigten Staaten sei er mit niemandem zu vergleichen, und vor allem sei seinen Schriften der Vorzug zu geben gegenüber Booker T. Washington, seinem intellektuellen Rivalen und Gegenspieler. Das ist eine alte Kontroverse, die inzwischen durch neue Lesarten von Booker T. Washington (und auch von W.E.B. Du Bois) nicht mehr aufrechterhalten wird. Onkel Root hat ein Foto von seiner Familie auf einer Anrichte stehen: "Dieses Foto ist an dem Tag aufgenommen worden, als Booker T. Washington seine berüchtigte Rede auf der Baumwollausstellung in Atlanta gehalten hat." Ein Datum hatte Onkel Root auch genannt, 1895. "Da war er noch der Negro vom Dienst. Vor dieser Rede hielten unsere Leute ihn für Gott. Er hatte sogar im Weißen Haus diniert. Aber jedes Mal, wenn ein Negro getötet wurde, schwieg er nur. Und an jenem Tag bei der Ausstellung in Atlanta war die Veranstaltung nur für Weiße." Onkel Roots Mutter war nur dabei, weil sie auf das Kind einer weißen Familie aufpasste. Und sie hatte sich gemerkt, was Booker T. Washington dort gesagt, wie er sich vor den Weißen in den Staub geworfen und ihnen innigste Ergebenheit versprochen hatte und vor allem sein tiefes Einverständnis mit der Rassentrennung ausdrückte. Dass Onkel Roots Haltung zu Booker T. Washington und seine Verherrlichung von W.E.B. Du Bois nicht haltbar sind, ist in diesem Buch in der Auseinandersetzung mit einem Studenten dokumentiert, der Onkel Root die Unterstützung der schwarzen Arbeiter durch Booker T. Washington unter die Nase reibt, während der Bourgeois Du Bois immer nur Leute im Auge hatte, die bereits privilegiert waren wie er.
Die Erinnerung an diese Erzählung seiner Mutter veranlasst Onkel Root, ein Loblied auf die Weisheit Schwarzer Frauen zu singen. Wobei er nicht nur eine Art aufgeklärter Griot ist, der das Wissen der Seinen weitergibt, sondern auch sehr hellhäutig. Sein Vater, der Plantagenbesitzer Thomas "Big Thom" John Pinchard, hatte mit der Schwarzen Maybelline, die für ihn arbeitete, ein Verhältnis, aus dem Aileys Tante Pearl und ihr Onkel Root, der 1907 geboren wurde, hervorgingen.
Mit Root und seinen Geschichten im Rücken, mit dem Vorbild ihrer Mutter Belle und mit sehr viel Fleiß und Engagement wird aus Ailey schließlich eine Historikerin. Auf dem Weg dorthin werden viele Seminare besucht, und die Gespräche zwischen Ailey und ihren Lehrern geraten immer wieder zu Lehrstunden über die Schwierigkeiten schwarzer Studierender. "Wir dürfen keine Schwäche zeigen", flüstert ihr etwa ihr Geschichtsprofessor zu, der später ihr Doktorvater wird. "Das ist schwer, ich weiß, aber so ist es nun mal, und darum bin ich so streng mit Ihnen. (. . .) Ich glaube an Sie, Ailey. Wir werden Sie in dieses gelobte Land führen, und dann werde ich für eine feste Stelle ein Schwarzes Fakultätsmitglied suchen, das mich ersetzt, und mich in den Ruhestand und zurück nach D.C. in eine hübsche, schokoladenüberzogene Gegend begeben!"
Es ist in der Logik dieses Buchs unabdingbar, dass nicht nur die Lehrinhalte wiedergegeben und von den Spannungen zwischen den Studierenden erzählt, sondern auch die Geschichte des Colleges ausgebreitet wird. Es ist Routledge, gegründet für schwarze Studentinnen, die beweisen sollten, "zu welcher Herrlichkeit wir Schwarzen in der Lage waren, wenn wir all unsere Kräfte darauf ausrichteten". Auf alten Fotos bemerkt Ailey, wie hellhäutig die Studierenden sind, woraufhin ihr der Dekan eine Standpauke darüber hält, wie viele unterschiedliche Farbschattierungen selbst in ein und derselben Familie vorkommen, was Ailey durchaus vertraut ist.
In den Erzählsträngen auf unterschiedlichen Zeitachsen breitet Honorée Fanonne Jeffers viele Informationen aus, was ihren Roman als Quelle historischen Wissens und Korrektur vermeintlicher Gewissheiten über die Geschichte der Vereinigten Staaten lesenswert macht. Das erzählerische Verfahren allerdings wirkt streckenweise plump, vor allem angesichts anderer Bücher, die mit größerem Raffinement und literarischer Erfindungskraft in der Erkundung neuer Formen von Geschichte aus schwarzer Perspektive und undokumentiertem Leben erzählen.
Jeffers hält sich an geläufige Register, wenn auch über eine sehr lange Strecke. Wie immens die Forschungs- und Reflexionsleistung der vergangenen vierzig Jahre ist, in deren Grund das Buch wurzelt und die seinen Kosmos bereichert, davon gibt nicht nur die Danksagung eine Ahnung. Was fehlt, ist eine Figur mit einer eigenen Stimme und ein Leuchten der Form. Manche Bücher sind so und dennoch wichtig. "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" gehört in diese Gruppe, deren Leser ohne Leuchten auskommen müssen und dennoch lesen sollten. VERENA LUEKEN
Honorée Fanonne Jeffers: "Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois". Roman.
Piper Verlag, München 2022. 982 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zitat schlägt Erzählung: Honorée Fanonne Jeffers' Roman "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois"
Fast tausend Seiten für einen literarischen Gegenentwurf amerikanischer Geschichtsschreibung der vergangenen vierhundert Jahre. Tausend Seiten, in denen vieles unvertraut erscheint, das historisch verbürgt ist oder auf der Grundlage von belegten Fakten und Forschung von Honorée Fanonne Jeffers imaginiert wurde. Tausend Seiten für die Geschichte Amerikas, als hätten wir zuvor von der falschen Seite aus auf sie geblickt. Ein Stück Siedlungsgeschichte, die nicht von den Siedlertrecks nach Westen erzählt, sondern zum Beispiel von Lotterien mit gestohlenem Land und einer Gewinnchance von 1 zu 10. Tausend Seiten für einen Roman, dessen Titel bei uns zunächst vermutlich auch denen rätselhaft erscheint, die wissen, wer W.E.B. Du Bois war und die seinen Namen nicht französisch aussprechen. Tausend Seiten für all dies - zu viele? Oder nicht genug?
"Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" von Honorée Fanonne Jeffers ist ein gewaltiges Buch, vom Umfang wie vom Anspruch her. Es erzählt von einem Flecken Land namens "Georgia", von den Menschen, die dort siedelten und es bestellten, und von denen, die heute dort leben. Es ist die Geschichte von Mythen, von Raub, Schurkerei, Versklavung, Widerstand, von Missbrauch und Beharrungskraft, und es ist die Geschichte von Familien unterschiedlicher Herkünfte, die sich miteinander gewaltsam, aus Not oder auch aus Neigung vermischen. Es ist die Geschichte von Nuancen der Hautfarben und Haarstruktur, der verheimlichten Abstammungslinien, von Scham, von Stolz, von Grausamkeit, von vererbten und neuen Traumata, von Traditionen, von Blattkohlgerichten, Süßkartoffelkuchen, Sklavenmärkten, ersten und späteren Lieben, Kindern, Abtreibungen, Zwillingsgeburten, von Drogen, Bibliotheksstudien, Tod, Sex und Sommern in der Hitze des Südens. Eine historische Fiktion. Eine Familiengeschichte. Eine Coming-of-Age-Story. Ein College- und ein Bildungsroman. Eine Ode an die Schwarze Frau. Ein Missbrauchsfall.
Nicht immer lassen sich die wechselnden Tonlagen dieses Buches ins Deutsche hinüberretten. Die Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder haben eine instruktive Nachbemerkung geschrieben, in der sie die Probleme und teilweise die Unmöglichkeit der Übertragung der Sprache dieses Buchs darlegen. Denn es ist teilweise in African American Vernacular English (AAVE) geschrieben, das nicht etwa ein Soziolekt oder Slang oder einfach fehlerhaftes Hochenglisch ist, sondern eine eigene Sprache inklusive eigener Grammatik und Vokabular. Dafür gibt es im Deutschen keine Entsprechung, weshalb sich die Übersetzerinnen entschieden haben, einzelne Sätze in AAVE unübersetzt stehen zu lassen als Markierungen, dass gerade in dieser Sprache gesprochen wird.
Das Buch hat mehrere Erzähler. Ganz am Anfang ist da ein Wir: "Wir sind die Erde, das Land. Die Zunge, die spricht und die stolpert über die Namen der Toten, wenn sie sich herantraut an die Ahnen einer Frau und an ihre Geschichten." Das ist die Stimme der Indigenen, die übergangslos in die einer wissenden Erzählinstanz übergeht, die Fragen stellt und Antworten gibt. Wir, das sind aber auch die aus ihren Dörfern verschleppten Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Über den Abteilungen, die dieser Stimme in die Sklaverei und auf die Plantagen folgen, steht: "Song". Im Lauf des Buchs entwickeln sich dort die Abstammungslinien der Familie, um die es in der Jetztzeit geht.
Das ist die Familie der Ich-Erzählerin Ailey, die in "der Stadt" lebt, aber die Sommer bei den Großeltern und einem geliebten Onkel in einem fiktiven Ort in Georgia verbringt. Der Onkel heißt Onkel Root. Diese Namensgebung - Wurzel - ist ein Beispiel für die Zaunpfähle, mit denen Jeffers die Richtung ihrer Erzählung vorgibt. Denn dieser Onkel Root zeigt Ailey den Weg in eine Zukunft, in der das Wissen um die Geschichte der Schwarzen und ihrer Leitfiguren Früchte trägt. Onkel Root weist über seine Mutter aber auch zurück in die Zeit der Plantagenwirtschaft und die gemischten Herkunftslinien.
Natürlich spricht auch W.E.B. Du Bois. Aus seinen Werken, zu denen "Sorrow Songs" gehören, deren Echo der Titel mit den Liebesliedern beschwört, wird immer wieder zu Beginn einzelner Kapitel zitiert, um die Themen anklingen zu lassen, um die es gehen wird. "Von Norden donnerte der Zug voran, und als wir erwachten, erstreckte sich rechts und links karg und monoton die purpurne Erde Georgias. Hier und da gab es wuchernde, unansehnliche Dörfer, und hagere Männer lungerten untätig an den Bahnhöfen herum; dann folgten wieder Nadelbäume und Lehm. Doch wir dösten nicht und wurden auch des Schauens nicht müde, denn dies ist historischer Boden." Auf diesen Auszug aus "The Souls of Black Folk" folgt das Kapitel "Tiefer Süden". Der Vergleich zwischen Zitat und Erzählung geht zugunsten des Zitats aus.
Onkel Root kannte W.E.B. Du Bois persönlich und hält große Stücke auf ihn, obwohl dieser sich bei ihrer Begegnung als ziemlich unerfreulicher Mann herausstellte. Aber theoretisch und in seiner Bedeutung für das Vorankommen der Schwarzen in den Vereinigten Staaten sei er mit niemandem zu vergleichen, und vor allem sei seinen Schriften der Vorzug zu geben gegenüber Booker T. Washington, seinem intellektuellen Rivalen und Gegenspieler. Das ist eine alte Kontroverse, die inzwischen durch neue Lesarten von Booker T. Washington (und auch von W.E.B. Du Bois) nicht mehr aufrechterhalten wird. Onkel Root hat ein Foto von seiner Familie auf einer Anrichte stehen: "Dieses Foto ist an dem Tag aufgenommen worden, als Booker T. Washington seine berüchtigte Rede auf der Baumwollausstellung in Atlanta gehalten hat." Ein Datum hatte Onkel Root auch genannt, 1895. "Da war er noch der Negro vom Dienst. Vor dieser Rede hielten unsere Leute ihn für Gott. Er hatte sogar im Weißen Haus diniert. Aber jedes Mal, wenn ein Negro getötet wurde, schwieg er nur. Und an jenem Tag bei der Ausstellung in Atlanta war die Veranstaltung nur für Weiße." Onkel Roots Mutter war nur dabei, weil sie auf das Kind einer weißen Familie aufpasste. Und sie hatte sich gemerkt, was Booker T. Washington dort gesagt, wie er sich vor den Weißen in den Staub geworfen und ihnen innigste Ergebenheit versprochen hatte und vor allem sein tiefes Einverständnis mit der Rassentrennung ausdrückte. Dass Onkel Roots Haltung zu Booker T. Washington und seine Verherrlichung von W.E.B. Du Bois nicht haltbar sind, ist in diesem Buch in der Auseinandersetzung mit einem Studenten dokumentiert, der Onkel Root die Unterstützung der schwarzen Arbeiter durch Booker T. Washington unter die Nase reibt, während der Bourgeois Du Bois immer nur Leute im Auge hatte, die bereits privilegiert waren wie er.
Die Erinnerung an diese Erzählung seiner Mutter veranlasst Onkel Root, ein Loblied auf die Weisheit Schwarzer Frauen zu singen. Wobei er nicht nur eine Art aufgeklärter Griot ist, der das Wissen der Seinen weitergibt, sondern auch sehr hellhäutig. Sein Vater, der Plantagenbesitzer Thomas "Big Thom" John Pinchard, hatte mit der Schwarzen Maybelline, die für ihn arbeitete, ein Verhältnis, aus dem Aileys Tante Pearl und ihr Onkel Root, der 1907 geboren wurde, hervorgingen.
Mit Root und seinen Geschichten im Rücken, mit dem Vorbild ihrer Mutter Belle und mit sehr viel Fleiß und Engagement wird aus Ailey schließlich eine Historikerin. Auf dem Weg dorthin werden viele Seminare besucht, und die Gespräche zwischen Ailey und ihren Lehrern geraten immer wieder zu Lehrstunden über die Schwierigkeiten schwarzer Studierender. "Wir dürfen keine Schwäche zeigen", flüstert ihr etwa ihr Geschichtsprofessor zu, der später ihr Doktorvater wird. "Das ist schwer, ich weiß, aber so ist es nun mal, und darum bin ich so streng mit Ihnen. (. . .) Ich glaube an Sie, Ailey. Wir werden Sie in dieses gelobte Land führen, und dann werde ich für eine feste Stelle ein Schwarzes Fakultätsmitglied suchen, das mich ersetzt, und mich in den Ruhestand und zurück nach D.C. in eine hübsche, schokoladenüberzogene Gegend begeben!"
Es ist in der Logik dieses Buchs unabdingbar, dass nicht nur die Lehrinhalte wiedergegeben und von den Spannungen zwischen den Studierenden erzählt, sondern auch die Geschichte des Colleges ausgebreitet wird. Es ist Routledge, gegründet für schwarze Studentinnen, die beweisen sollten, "zu welcher Herrlichkeit wir Schwarzen in der Lage waren, wenn wir all unsere Kräfte darauf ausrichteten". Auf alten Fotos bemerkt Ailey, wie hellhäutig die Studierenden sind, woraufhin ihr der Dekan eine Standpauke darüber hält, wie viele unterschiedliche Farbschattierungen selbst in ein und derselben Familie vorkommen, was Ailey durchaus vertraut ist.
In den Erzählsträngen auf unterschiedlichen Zeitachsen breitet Honorée Fanonne Jeffers viele Informationen aus, was ihren Roman als Quelle historischen Wissens und Korrektur vermeintlicher Gewissheiten über die Geschichte der Vereinigten Staaten lesenswert macht. Das erzählerische Verfahren allerdings wirkt streckenweise plump, vor allem angesichts anderer Bücher, die mit größerem Raffinement und literarischer Erfindungskraft in der Erkundung neuer Formen von Geschichte aus schwarzer Perspektive und undokumentiertem Leben erzählen.
Jeffers hält sich an geläufige Register, wenn auch über eine sehr lange Strecke. Wie immens die Forschungs- und Reflexionsleistung der vergangenen vierzig Jahre ist, in deren Grund das Buch wurzelt und die seinen Kosmos bereichert, davon gibt nicht nur die Danksagung eine Ahnung. Was fehlt, ist eine Figur mit einer eigenen Stimme und ein Leuchten der Form. Manche Bücher sind so und dennoch wichtig. "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" gehört in diese Gruppe, deren Leser ohne Leuchten auskommen müssen und dennoch lesen sollten. VERENA LUEKEN
Honorée Fanonne Jeffers: "Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois". Roman.
Piper Verlag, München 2022. 982 S., geb., 28,- Euro.
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»In den Erzählsträngen auf unterschiedlichen Zeitachsen breitet Honorée Fanonne Jeffers viele Informationen aus, was ihren Roman als Quelle historischen Wissens und Korrektur vermeintlicher Gewissheiten über die Geschichte der Vereinigten Staaten lesenswert macht.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230509