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Die Sommertage, an denen der erste Mann der Mutter im Segelflugzeug am Himmel über der Rhön kreiste, gehören in die Vorzeit. Er ist gefallen, die Erzählerin bleibt ohne Erinnerung an ihren Vater. Eine einsame Burg wird zur Zuflucht, nicht nur für die Mutter, die ihre Kinder mit Webarbeiten ernährt, sondern auch für entwurzelte Menschen aus der Umgebung. Die Härte des Lebens scheint die ungewöhnlich souveräne Frau nicht zu verbittern. Sie versteht es, sich ihr Glück zu nehmen, wo es sich ankündigt. Wie in ihrer letzten Erzählung Nach dem Gewitter geht es Ulrike Edschmid um die Gelenkstellen,…mehr

Produktbeschreibung
Die Sommertage, an denen der erste Mann der Mutter im Segelflugzeug am Himmel über der Rhön kreiste, gehören in die Vorzeit. Er ist gefallen, die Erzählerin bleibt ohne Erinnerung an ihren Vater. Eine einsame Burg wird zur Zuflucht, nicht nur für die Mutter, die ihre Kinder mit Webarbeiten ernährt, sondern auch für entwurzelte Menschen aus der Umgebung. Die Härte des Lebens scheint die ungewöhnlich souveräne Frau nicht zu verbittern. Sie versteht es, sich ihr Glück zu nehmen, wo es sich ankündigt. Wie in ihrer letzten Erzählung Nach dem Gewitter geht es Ulrike Edschmid um die Gelenkstellen, die Wendepunkte des Lebens. Aus großer Ferne blickt sie zurück auf jene Zwischenzeit, in der die vergangene Welt in Trümmern lag und eine andere als Verheißung am Horizont erschien. Die Freiheit der Mutter, ihre Liebhaber wieder fortzuschicken, war genauso ungewöhnlich wie die Leichtigkeit, mit der sie sich über die materielle Enge erhob. Trotz schmerzlicher Erfahrungen blieb sie dem Leben zugewandt. Als wäre Hannah Arendts Gedanke, immer wieder von vorn beginnen zu können, ihr heimliches Lebensprogramm gewesen.
Liebhaber tauchen auf und gehen, wenn die Zeit um ist. Ein Student, eigentlich der Geliebte ihrer Freundin Claire. Ein amerikanischer Soldat, der mit den Befreiern gekommen ist; nach ein paar Monaten wird seine Einheit abgezogen Abschied von einer Liebe, die ein unerfülltes Versprechen blieb, eines von vielen.
Autorenporträt
Ulrike Edschmid, 1940 in Berlin geboren, aufgewachsen in der Rhön/Hessen, studierte Literaturwissenschaft, Pädagogik und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. 2013 erhielt sie den Preis der SWR-Bestenliste. Ulrike Edschmid lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2007

Es geht auch ohne Männer
Sicherheit im Zeichen der Burg: Ulrike Edschmids Familienroman

"Meine Mutter gehörte zu den Frauen, die nie verlassen wurden", schreibt Ulrike Edschmid - wann eine Liebesbeziehung nicht mehr tragfähig war, bestimmte sie allein. Ihr mutiges Leben war keineswegs ein leichtfertiger Wechsel von einem Liebhaber zum anderen, wie der Titel vermuten lässt, sondern eher eine Suche nach Sinn und Erfüllung in schwerer Zeit.

Ulrike Edschmid (Jahrgang 1940) hat diese Geschichte, die vermutlich zum großen Teil auch ihre eigene Kindheitsgeschichte ist, als Roman bezeichnet. Das gibt ihr die Möglichkeit, mit dem Selbsterlebten frei umzugehen, ohne einschränkende Rücksicht auf Personen, die sich "getroffen" fühlen könnten. Einen Schlüsselroman wollte sie nicht schreiben, doch die Nähe zur nachvollziehbaren Wirklichkeit macht einen großen Reiz dieser Episoden aus.

Sie beginnen unmittelbar nach dem Krieg auf einer Burgruine über dem Kinzigtal. Mit zwei kleinen Kindern ist die Mutter dorthin wie viele andere vor den Luftangriffen im Rheinland geflohen. Sie ist Ende zwanzig und Witwe eines Architekten, der als Pilot über Russland abgeschossen worden ist. An den gefallenen Vater kann sich die Ich-Erzählerin kaum erinnern, doch er ist die einzige beständige und stets gegenwärtige männliche Figur in der kleinen Familie. "Er ist ihr Mann geblieben", stellt die Tochter Jahrzehnte später fest und grübelt über diese ebenso glückliche wie schwierige Beziehung zwischen einem Segelflieger mit phantastischen Träumen und einer dem praktischen Leben zugewandten und auf ihrer Unabhängigkeit bestehenden Frau. Die Mutter hätte die Ansprüche des Mannes auf Hingabe möglicherweise verweigert, wenn ihnen beiden mehr Zeit für Gemeinsamkeit geblieben wäre. Noch etwas hält die Tochter im Nachhinein für konfliktträchtig zwischen ihren Eltern: Der Vater hatte, verlockt von den Angeboten, die er als Architekt im "Dritten Reich" erhielt, "mitgemacht". Sein Tod ersparte ihm den Beweis, wie tief er in das "Verderben verstrickt" gewesen war, was seine Witwe wie eine Erlösung empfindet.

Der Roman liest sich mit seinen kurzen Bildfolgen, seinen poetischen Landschaftsbeschreibungen, seiner sinnhaften Intensität und nicht zuletzt den humorvollen Szenen wie ein Drehbuch. Ulrike Edschmid hat unter anderem an der Berliner Film- und Fernsehakademie studiert, der Leser profitiert davon: Er wird unmittelbar und ohne Anstrengung in das Spannungsfeld eines Beobachters und flüchtigen Zeugen hineingezogen.

Im weitläufigen Marstall der Burg, die unschwer als Burg Schwarzenfels in der Rhön zu erkennen ist, hatten Menschen unterschiedlichster Herkunft ein vorläufiges Zuhause gefunden. Ulrike Edschmid ist dort zusammen mit ihrem Bruder aufgewachsen. Die Mutter schlägt sich mit Teppichweben und Gelegenheitsarbeiten durch. Für ihre Kinder wie für die Mitbewohner ist sie stets die Starke, der das Überleben in Notzeiten gelingt, ja die sogar noch genügend Kraftreserven hat, um Feste zu feiern, bei denen sie, die Nacht durchtanzend, zum Mittelpunkt der zusammengewürfelten Gesellschaft der Entwurzelten wird.

Über die einzelnen Liebhaber ihrer Mutter verliert die Tochter nicht viele Worte. Sie charakterisiert sie jeweils in kurzen Szenen. Der Amerikaner, der die Kinder mit Schokolade, Kaugummi und Orangen beschenkt, ist nur eine flüchtige Erscheinung wie der Freund oder der Ehemann der schönen Schwester, der Schmetterlinge sammelnde Hausarzt, der glatzköpfige Wunderheiler, der Landwirt mit der bösen Mutter oder der Flötist, der heimlich vom Heringssalat nascht und sich damit ein für allemal die Sympathie der Geliebten verscherzt. Allesamt tauchen sie nur für kurze Zeit als personifizierte Versuche der Mutter auf, einen neuen Lebensentwurf zu finden. Sie hinterlassen kaum nachdrückliche Spuren und sind meist von vornherein zum Scheitern verurteilt oder werden mit nachsichtigem Spott der Tochter verabschiedet.

Doch unverdrossen wagt die Mutter nach jeder Enttäuschung einen neuen Anlauf. Ebenso entschlossen zieht sie aber auch einen raschen Schlussstrich unter ein Verhältnis, das sich anschickt ihre Unabhängigkeit zu bedrohen, "selbst die Aussichtslosigkeit blieb noch immer ihre eigene Wahl". Einmal jedoch stößt auch die stets Zuversichtliche an ihre Grenzen. Um sich und ihre Kinder im Winter durchzubringen, wenn sie in der unheizbaren Werkstatt nicht am Webstuhl sitzen kann, zieht sie wie eine Hausiererin mit einem Koffer von Haus zu Haus und bietet Tischdecken zum Kauf an und muss sich demütigen lassen. Es ist das einzige Mal, dass die Tochter Angst um ihre Mutter hat.

Die Burg, die wie ein gestrandetes Schiff aus der Ebene ragt, leert sich allmählich. Zukunft lässt sich hier nicht finden. Flüchtlinge und Ausgebombte suchen sich in den Städten eine neue Existenz. Nur die Mutter hackt noch immer klafterweise Holz, um die großen Räume des Marstalls halbwegs zu heizen. Die Kinder stehen nach wie vor um fünf oder sechs Uhr auf, weil der Weg zur Schule so weit ist. Von den handgewebten Teppichen aus Schafwolle und Stoffresten kann die kleine Familie auf die Dauer aber nicht leben, auch wenn im Garten Obst und Gemüse wachsen und in den Wäldern reichlich Pilze und Beeren zu finden sind. Da kommt ein alter reicher Mann in einem dunkelroten Mercedes geradezu als Retter daher, aber gleichzeitig auch als Versuchung, die Unabhängigkeit gegen Sicherheit einzutauschen und die Hoffnung auf Glück aufzugeben. Wie ein Wunder findet sich jedoch ein Ausweg: Die Mutter erhält die Zulassung für das Pädagogikstudium bei Darmstadt.

Wieder ein neuer Anfang, noch einmal darf sie unter jungen Menschen jung sein und schließlich als Lehrerin einen ersehnten Beruf ergreifen. Nach der erzwungenen Kulturferne auf Burg Schwarzenfels nimmt sie alles begierig auf, was sich ihr in Darmstadt bietet, die Sezession ebenso wie die Neue Musik von Nono bis Stockhausen, die Literaturfreunde auf der Rosenhöhe wie das zeitgemäße Design und die ersten Symbole des Wohlstands.

Ulrike Edschmid beschreibt die turbulente Nachkriegszeit wie das Überleben in einem Niemandsland von Zufällen, in dem sich die Mutter mit traumwandlerischer Sicherheit bewegt. Bei allen Irr- und Abwegen ist sie sich selbst treu geblieben und trotzdem offen für alle Veränderungen. Der letzte Liebhaber und schließlich auch Ehemann der Mutter, ein Kunsthistoriker und Konservator, schenkt ihr endlich Ruhe und Geborgenheit.

"Ich schreibe, was ich kenne", hat Natalia Ginsburg einmal gesagt. Das trifft auch auf Ulrike Edschmid zu. Ihr erstes Buch, "Diesseits des Schreibtischs", 1990 erschienen, basiert auf Gesprächen mit sieben Frauen von Schriftstellern, die bis auf eine, anders als ihre jüngste Romanheldin, mit der Hingabe für den Mann und sein Werk auch sich selbst aufgegeben hatten. Lebensgeschichten von Frauen sind Ulrike Edschmids Thema. In "Frau mit Waffe" fließen ihre Erfahrungen in einer linksradikalen Wohngemeinschaft ein. Von ihrem damaligen politischen Engagement ist in ihrem neuen Roman nichts zu spüren. Es ist eine einzige Liebeserklärung an die bewunderte Mutter und zugleich die Beschwörung einer Kindheit, in der die Vergangenheit dunkle Schatten warf.

MARIA FRISÉ

Ulrike Edschmid: "Die Liebhaber meiner Mutter". Roman. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2007. 151 S., geb., 16,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Mit Lob bedenkt Rezensent Oliver Pfohlmann diesen Roman von Ulrike Edschmid. Er zeigt sich berührt von den Erinnerungen der Ich-Erzählerin an ihre Kindheit und Jugend in der Nachkriegszeit und an ihre Mutter. Im "still-behutsamen" Tonfall berichte die Erzählerin von entwurzelten und geflohenen Menschen, von den gebrochenen Naturen, mit denen die Mutter Freundschaft schloss. Beeindruckend findet Pfohlmann die Eigenwilligkeit der Mutter, die sich nach all der Zeit des dem Schicksal Ausgeliefertseins das bisschen Glück und Selbstständigkeit nicht mehr nehmen lassen wollte.

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