1927 erschien seine Studie Supernatural Horror in Literature, die nach wie vor als eine der besten literarhistorischen Hinführungen in die Phantastik gelten kann. Die kompakte und kenntnisreiche Darstellung zeichnet die Entwicklung des Genres von den Anfängen des »gotischen« Romans im 18. Jahrhundert bis zu den modernen Meistern der Gruselliteratur wie Arthur Machen, M. R. James und Algernon Blackwood nach.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.1995Niederungen für Giftpilze
Howard Phillips Lovecraft pflegt eine Schwäche für das Kosmische
Horace Walpole, der mit seinem Schauerroman "Das Schloß von Otranto" das Genre der gothic novel begründete, ist "gänzlich bar des wahren kosmischen Grauens". Anders verhält es sich mit Mary Shelley, denn ihr "Frankenstein" atmet immerhin das "echte Fluidum kosmischer Angst". Und in Emily Brontës "Sturmhöhen" bietet "der weit abgesteckte kosmische Rahmen" sogar "Raum für Horror der spirituellsten Art". Beinahe unnötig zu erwähnen, daß auch die Erzählungen von Edgar Allen Poe "kontinuierlich den Grundton kosmischen Entsetzens" anschlagen. Übertroffen wird Poe allenfalls von Goethe, dessen "Faust" zwar leider beim "rein Balladesken" anfängt, später aber zum Glück in die (richtig geraten!) "klassische kosmische Tragödie" übergeht. Der Titel des größten Komikers aller Zeiten gebührt indessen nicht dem deutschen Dichterfürsten. Er gebührt mit Abstand Baron Dunsany: "Im Kontext der Literatur aller Zeiten nimmt er den am wahrhaftigsten kosmischen Standpunkt von allen ein."
Das Adjektiv "kosmisch" ist die höchste Auszeichnung, die der amerikanische Horrorschriftsteller Howard Phillips Lovecraft zu vergeben hat. In seinem Essay "Die Literatur der Angst", einem Streifzug durch die Geschichte der gothic fiction von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, gelingen ihm dann auch alle naselang Beobachtungen folgender Qualität: "Das Schauderhafte bei Maturin . . . ist von der Art, die überzeugt", während Lord Lytton "zu jener kristallinen Essenz künstlerisch gestalteter Angst" gelangte, die "dem Bereich der Dichtkunst angehört". Edgar Allen Poes poetische Vision besaß die Kraft, "sich in schwarzmagischen Kristallisationen und Transmutationen niederzuschlagen": und sie schlug sich so lange nieder, bis "ein mondgenährter Garten prächtiger Giftpilze erblühte, wie ihn nicht einmal die Niederungen des Saturn aufzuweisen haben".
Warum aber lesen wir so gerne Bücher, in denen von blutgierigen Dämonen, haarigen Gespenstern, schwabbeligen Monstren und anderen Scheußlichkeiten die Rede ist? Und wie kam es, daß die Sargdeckel sich ausgerechnet im rationalistischen achtzehnten Jahrhundert so zahlreich und knirschend öffneten? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, wird Lovecraft als Anthropologe tätig. Er schreibt: "Kosmischer Schrecken" (da ist er wieder!) "bildet einen Bestandteil der frühesten Folklore aller Rassen." In Europa sei dieser Schrecken jedoch besonders lebendig geblieben, denn in "vorarischen und voragrarischen Zeiten" habe eine "untersetzte mongoloide Rasse" einen "gräßlichen Kult" eingeschleppt, der "in ungemein abstoßenden, unsäglich alten Fruchtbarkeitskulten wurzelte".
Wie gruselig. Wir müssen den Ariern und Agrariern wohl dankbar sein, daß sie die mongoloiden Rituale abgeschafft haben. Dank sei aber auch dem Suhrkamp Verlag, der uns dieses wahre Kleinod literarischer Brillanz, das auf den elfenbeinernen Stelzen des großen Stils zu kosmischen Höhen emporschreitet, nicht vorenthalten zu dürfen glaubte. HANNES STEIN
Howard Phillips Lovecraft: "Die Literatur der Angst". Zur Geschichte der Phantastik. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Koseler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 153 S., br., 12,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Howard Phillips Lovecraft pflegt eine Schwäche für das Kosmische
Horace Walpole, der mit seinem Schauerroman "Das Schloß von Otranto" das Genre der gothic novel begründete, ist "gänzlich bar des wahren kosmischen Grauens". Anders verhält es sich mit Mary Shelley, denn ihr "Frankenstein" atmet immerhin das "echte Fluidum kosmischer Angst". Und in Emily Brontës "Sturmhöhen" bietet "der weit abgesteckte kosmische Rahmen" sogar "Raum für Horror der spirituellsten Art". Beinahe unnötig zu erwähnen, daß auch die Erzählungen von Edgar Allen Poe "kontinuierlich den Grundton kosmischen Entsetzens" anschlagen. Übertroffen wird Poe allenfalls von Goethe, dessen "Faust" zwar leider beim "rein Balladesken" anfängt, später aber zum Glück in die (richtig geraten!) "klassische kosmische Tragödie" übergeht. Der Titel des größten Komikers aller Zeiten gebührt indessen nicht dem deutschen Dichterfürsten. Er gebührt mit Abstand Baron Dunsany: "Im Kontext der Literatur aller Zeiten nimmt er den am wahrhaftigsten kosmischen Standpunkt von allen ein."
Das Adjektiv "kosmisch" ist die höchste Auszeichnung, die der amerikanische Horrorschriftsteller Howard Phillips Lovecraft zu vergeben hat. In seinem Essay "Die Literatur der Angst", einem Streifzug durch die Geschichte der gothic fiction von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, gelingen ihm dann auch alle naselang Beobachtungen folgender Qualität: "Das Schauderhafte bei Maturin . . . ist von der Art, die überzeugt", während Lord Lytton "zu jener kristallinen Essenz künstlerisch gestalteter Angst" gelangte, die "dem Bereich der Dichtkunst angehört". Edgar Allen Poes poetische Vision besaß die Kraft, "sich in schwarzmagischen Kristallisationen und Transmutationen niederzuschlagen": und sie schlug sich so lange nieder, bis "ein mondgenährter Garten prächtiger Giftpilze erblühte, wie ihn nicht einmal die Niederungen des Saturn aufzuweisen haben".
Warum aber lesen wir so gerne Bücher, in denen von blutgierigen Dämonen, haarigen Gespenstern, schwabbeligen Monstren und anderen Scheußlichkeiten die Rede ist? Und wie kam es, daß die Sargdeckel sich ausgerechnet im rationalistischen achtzehnten Jahrhundert so zahlreich und knirschend öffneten? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, wird Lovecraft als Anthropologe tätig. Er schreibt: "Kosmischer Schrecken" (da ist er wieder!) "bildet einen Bestandteil der frühesten Folklore aller Rassen." In Europa sei dieser Schrecken jedoch besonders lebendig geblieben, denn in "vorarischen und voragrarischen Zeiten" habe eine "untersetzte mongoloide Rasse" einen "gräßlichen Kult" eingeschleppt, der "in ungemein abstoßenden, unsäglich alten Fruchtbarkeitskulten wurzelte".
Wie gruselig. Wir müssen den Ariern und Agrariern wohl dankbar sein, daß sie die mongoloiden Rituale abgeschafft haben. Dank sei aber auch dem Suhrkamp Verlag, der uns dieses wahre Kleinod literarischer Brillanz, das auf den elfenbeinernen Stelzen des großen Stils zu kosmischen Höhen emporschreitet, nicht vorenthalten zu dürfen glaubte. HANNES STEIN
Howard Phillips Lovecraft: "Die Literatur der Angst". Zur Geschichte der Phantastik. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Koseler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 153 S., br., 12,80 DM.
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