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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Weidle Verlag
  • 1996.
  • Seitenzahl: 247
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 324g
  • ISBN-13: 9783931135218
  • ISBN-10: 3931135217
  • Artikelnr.: 06510962
Autorenporträt
Albert Vigoleis Thelen, geb. 1903 am Niederrhein, lebte als erklärter Gegner des NS-Regimes von 1931-36 auf Mallorca. Er starb 1989 in Dülken/Niederrhein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Limes der Gleichschaltung
Albert Vigoleis Thelen als Kritiker / Von Thomas Rietzschel

Wieder eine Wiederentdeckung, wieder eine Lücke geschlossen im Regal der Exilliteratur: Man sollte sich freuen und zögert dennoch. Zu oft schon haben die Germanisten in ihrem Eifer ausgegraben, was zum eigenen Vorteil in den Archiven verstaubte. Das Gelungene und das Mißglückte, alles galt ihnen gleich viel, wenn es nur in der Emigration entstanden war. Kein Namenloser entging der Fahndung. Und nun auch noch dies: Ein ganzer Band voller Rezensionen, erschienen in einer niederländischen Zeitung während der dreißiger Jahre, verfaßt von einem Autor, von dem nur wenige noch wissen, daß sein Roman "Die Insel des zweiten Gesichts" seit vierzig Jahren vergessen ist. Man befürchtet das Schlimmste und ist doch nach wenigen Seiten gefesselt wie selten, unverhofft eingetaucht in das literarische Leben der Vergangenheit.

Buch für Buch läßt der vom Niederrhein kommende Albert Vigoleis Thelen (1903 bis 1989) den Leser teilhaben an der Ausbreitung einer Exilliteratur, die er anfangs, 1934, als solche noch gar nicht wahrnehmen will. Von Vicki Baum und Ferdinand Bruckner spannt sich der Bogen über Oskar Maria Graf und Ödön von Horváth bis zu Anna Seghers und Stefan Zweig. Thomas Mann und Max Brod werden ebenso betrachtet wie der Kommunist Willy Bredel oder Bernhard von Brentano. Das Ergebnis ist ein Gruppenbild, das durch die individuelle Zeichnung seiner Figuren besticht. Was die Historiker nachher überwiegend politisch auffaßten, wenn sie das Schaffen der Emigranten auf einen Nenner zu bringen suchten, wird hier noch literarisch gewogen, ohne daß deshalb die historischen Bezüge verlorengingen.

Im Gegenteil, da Thelen aus der Zeit heraus urteilen mußte, ohne das Wissen um den Ausgang der Geschichte, konnte er unbefangener auf die ästhetische Bedeutung eingehen. Bei allem Respekt, den das Schicksal der Autoren gebot, versagte er sich doch nie die literarische Prüfung. Wer sie bestehen wollte, mußte überzeugen wie Heinrich Mann mit dem "Henri Quatre", von dem Thelen meinte, daß er die Gegenwart künstlerisch überhöhe, indem er sie historisch einkleide. Mit der Gestaltung erst begann für den Kritiker die Literatur; wo sich dagegen die Tatsachen, die drängenden Ereignisse in den Vordergrund schoben, warnte er vor zeitigem Verfall.

Die Strenge verstand sich von selbst, sie entsprach "der humanistischen Richtung des Denkens". Um sie nicht aus dem Auge zu verlieren, sah Albert Vigoleis Thelen ab 1934 laufend durch, was deutsche Schriftsteller außerhalb Deutschlands, bei Querido, bei Allert de Lang und anderen Exilverlagen publizierten. Alle paar Wochen erschien seine Kolumne, übersetzt von Menno ter Braak, in der renommierten Den Haager Zeitung "Het Vaderland", insgesamt vierzigmal, zuletzt am 28. April 1940, kurz vor der deutschen Westoffensive. 143 Bücher wurden über die Jahre besprochen, und immer ging es um die "Deutsche Literatur in der Fremde", um das, was jenseits des "Limes der Gleichschaltung" herauskam. Die Grenze freilich verlief quer durch die Länder, sie war durchaus ästhetisch, nicht politisch gezogen, weshalb auch die Innere Emigration früh schon Beachtung fand. Schematische Trennungen, wie sie sich später einbürgerten, waren Thelen allemal suspekt. Gleich im ersten Beitrag verwarf er das "Uniformieren", und noch im letzten erklärte er ganz selbstverständlich: "Man möge den moralischen Protest hochhalten, in der Sphäre der Kunst kommt man aber nicht damit aus."

Daß bei solchen Vorgaben zugleich persönliche Vorlieben wie Abneigungen zum Tragen kamen, lag im Wesen der Kritik begründet. Sie bedurfte der Affekte, die sie bekannte. Noch mit seiner Enttäuschung konnte Thelen überzeugen, wenn er etwa dem über alles geliebten Joseph Roth postum vorhielt, daß sein letztes Werk, "Die Kapuzinergruft", "mehr durch innere Müdigkeit und Verbitterung als durch sein Talent" geprägt sei, daß die "Hoffnung" fehle, die sich der Kritiker selbst wünschte. Solche Offenheit schaffte Vertrauen; sie gewinnt den Leser bis heute, zumal die Darstellung sprachlich noch Ansprüchen genügt, die unterdessen immer seltener erhoben werden. Wer in den Sog dieser Prosa gerät, findet schnell zurück in die Geschichte, in die bunte Fülle des literarischen Lebens. Eine Wiederentdeckung ist anzuzeigen.

Albert Vigoleis Thelen: "Die Literatur in der Fremde". Literaturkritiken. Herausgegeben von Erhard Louven. Weidle Verlag, Bonn 1996. 248 S., br., 38,- DM.

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