Brillant, inspiriert und kenntnisreich enthüllt Calasso das göttliche Raunen, das sich hinter der besten Poesie, der schönsten Prosa verbirgt und weiht uns ein in das Geheimnis aller großen Literatur. Er führt in das Reich von Dionysos und Orpheus, von Baudelaire, Novalis, Mallarme und Hölderlin und zeigt, dass sich die Geschichte der Götter auch lesen lässt als eine verschlüsselte, großartige Geschichte der Literatur.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Dieter Borchmeyer hat den Essay von Roberto Calasso durchaus mit Genuss gelesen, obwohl Calassos "Plädoyer" für die Rückkehr der Götter in einer von ihm propagierten "absoluten Literatur" für die hiesige Leser nicht unbedingt neu sei. Aber ihm gefällt die "Unbekümmertheit", mit der der italienische Autor selbst die Argumentationen Heideggers aufgreift, ohne "ängstlich nach rechts und links" zu schauen und ohne auf eine durch die Geschichte hinlänglich als fatal entlarvte "Volks-Bewegung" zu rekurrieren. Calasso interessiert sich weder besonders für mythische Spuren in der modernen "Erfahrungswelt" noch kann er dem psychoanalytischen Umgang mit den Göttern etwas abgewinnen, berichtet Borchmeyer. Stattdessen beziehe er sich auf Novalis und die deutschen Romantiker, die den Mythos in der Literatur überdauern sahen. Die "satz- und wortverliebte Rhetorik" des Autors gefällt wahrscheinlich nicht jedem, räumt der Rezensent ein. Auch die verschiedenen Abschweifungen Calassos mögen "irritieren", doch bei diesen "Seitenblicken" gibt es manches zu entdecken, so Borchmeyer angetan.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2003Entzauberung, nein danke
Im literarischen Olymp gibt Roberto Calasso den Götterboten
Schiller betrauerte die entzauberte Welt. Seine Todesanzeige hieß "Die Götter Griechenlands" und konnte nicht deutlicher sein: Monotheismus und Aufklärung hatten die alten Götter abgeschafft. Wenn sie ausgerechnet beim Entzauberer Max Weber zurückkehrten, dann nur noch als allegorische Revenants. "Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen wieder ihren ewigen Kampf." Solcher Polytheismus meinte den Pluralismus der modernen Welt. Häretisch und witzig wurde er in Odo Marquards "Lob des Polytheismus". Jetzt bezeichnete er den bekömmlichen, weil gewaltenteilenden Einspruch gegen jede Form von Monomythos. Die Postmoderne ist polytheistisch, ohne an die Götter zu glauben.
Aber es gab noch ein anderes polytheistisches Schlupfloch. "Müßig kehren zu dem Dichterlande / Heim die Götter", hieß es in Schillers Gedicht. Wie, wenn man sie von dort wieder hervorzuholen suchte? Manche horchten auf und hofften. Einen "Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst" verlangte wenig später das "Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus", eine "Neue Mythologie" Friedrich Schlegel. Selbst Goethe erklärte gelegentlich, er sei als Dichter und Künstler "Polytheist". Allegorische Spiele auch hier, eine provozierende Façon de parler oder mehr?
Mehr, jedenfalls einen neuen Glaubensmut bietet Roberto Calasso, dessen neuester Essayband just an diesem historischen Umschlagspunkt einsetzt. Max Webers Befund wird kurzerhand durchgestrichen: "Die Welt - es ist an der Zeit, es auszusprechen, auch wenn viele es nicht gern hören werden - hat durchaus nicht die Absicht, sich völlig zu entzaubern", schon der Langeweile wegen. Der polytheistische Häretiker Marquard hingegen dürfte Calasso gefallen haben (er nennt ihn freilich nicht). Denn Calasso bekennt sich zum Polytheismus, weil er die "soziale Theologie" verachtet, jene Machtergreifung des Gesellschaftlichen, das sich an die Stelle des Religiösen gesetzt und die Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts hervorgebracht hat, die "guten Gemeinschaften" und ihre Massaker. Da gilt: "Antisozial zu sein wird gleichbedeutend mit einer Sünde wider den Heiligen Geist."
Calasso scheut diese Sünde nicht (in seinem Personenverzeichnis steht deshalb unter "Marx" nur Groucho) und schlägt sich zur "Sekte der Widerspenstigen". Nur dort findet man die Götter wieder. Und so statuiert der große italienische Mythenerzähler ("Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia", "Ka") die alten Götter - in der "absoluten Literatur". Absolut nennt er die Literatur, die sich (unter anderem) allen Forderungen des "Gesellschaftskörpers" ein für allemal entzieht. Wo also absolute Literatur ist, da sind die Götter - und umgekehrt. Mit diesem Glaubenssatz begibt sich Calasso auf die Suche nach Epiphanien in der modernen Diaspora.
Er wird solchermaßen zum Edgar Wind des Jahrhunderts zwischen 1798, dem Jahr von Schlegels "Athenaeum"-Aperçu, und 1898, dem Todesjahr Mallarmés. Wind allerdings schrieb die "Heidnischen Mysterien der Renaissance", ohne sich selbst zu deren Anhänger zu machen, Calasso, kaum weniger gelehrt, denkt als Adept und überläßt sich deshalb dem behenden Zauber der Assoziation. So wird der Leser zum Staunen eingeladen und muß zumindest Langeweile nicht befürchten.
Der Heilige dieses Buches, immer wieder beschworen, ist natürlich Hölderlin. Aber wo sonst erscheint dessen Götterfrömmigkeit wieder? Schon bei Nietzsche kann Calasso sein Unbehagen nicht unterdrücken. Wohl erlebt Nietzsche die Götter wieder in Hölderlinscher Intensität, doch der Ton hat sich geändert: "Wo Hölderlin elliptisch und ernst war, ist Nietzsche schamlos wie ein Zirkusdirektor." Ein Grund zur Entmutigung muß das nicht sein, denn durchweg haben die Götterasyle des neunzehnten Jahrhunderts mit Glanz und Wohlbefinden das wenigste zu tun. Calasso sucht sie vornehmlich bei den Franzosen, im Symbolismus, überlebt hier doch, so schon Manfred Franks Geschichte der "Neuen Mythologie", "das Heilige unter Bedingungen allgemeiner Entzauberung". Baudelaires "École païenne" freilich muß sehr gegen den Strich gelesen werden, um das "Hintergrundgeräusch der Götter" noch im Kuhblick einer handfesten Pariser Juno herzugeben. Lautréamonts "Chants de Maldoror" warten mit Infernalismen auf, deren Delirien nur mühsam in ein Stück absoluter Literatur umgebogen werden können - dann handelt es sich eben um die "tödliche Spitze einer Autonomie". Je rebellischer und besessener, desto signifikanter. Lautréamont übertrifft und vertritt deshalb gleich auch Rimbaud, so daß Calasso, eigentlich schade, auf ein eigenes Rimbaud-Kapitel verzichtet.
Geschmeidiger bewährt sich die Kunst des polytheistischen Rapports an Mallarmé, der zentralen Figur des Buches. Elegant richtet Calasso die Aufmerksamkeit zunächst auf ein Detail, um dann ein wahres Feuerwerk von Bezügen zu zünden. Da ist also die Metapher der "heiligen Spinne" oder das Sonett "auf -ix" und dessen "leeres Zimmer" oder der Satz "On a touché au vers" ("Es ist an den Vers gerührt worden") in Mallarmés Oxforder Vortrag. Und dann landet man, nicht ohne Schwindelgefühl, über kurz oder lang in Calassos Lieblingsregion, in der Welt der Upanischaden, wo dies alles schon da war.
Hofmannsthal hat einmal notiert: "Auf ein Werk das entsteht, blicken alle Dichtwerke, blicken auch die Veden - nirgends kann es sich bergen." Aus souveräner Kennerschaft macht sich Calasso diesen Blick zu eigen. Ihren Höhepunkt erreichen seine polytheistischen Streifzüge deshalb in einem Virtuosenstück über die vedischen Lehren von den Metren. "Wenn man wissen will, was die Metren sind, muß man zu den Göttern zurückgehen und über die Götter hinaus bis hin zu Prajapati, dem Stammvater", dessen Name das Interrogativpronomen "Ka, Wer?" ist. Denn dort, Calasso zeigt es, entsteht der Mythos der Form, von dem noch jede absolute Dichtung zehrt. Wo also Metren sind, da sind auch die Götter? Calasso versteht es, für seinen literarischen Polytheismus zu werben.
"Man kann die Kunst auf doppelte Weise hassen. Erstens, indem man sie haßt. Zweitens, indem man sie in den Grenzen der Vernunft liebt", heißt es bei Oscar Wilde. Calasso ist Polytheist, weil er ein grenzenlos kühner Liebhaber der Kunst ist.
Roberto Calasso: "Die Literatur und die Götter". Aus dem Italienischen übersetzt von Reimar Klein. Hanser Verlag, München 2003. 184 S., geb., 17,90 [Euro].
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Im literarischen Olymp gibt Roberto Calasso den Götterboten
Schiller betrauerte die entzauberte Welt. Seine Todesanzeige hieß "Die Götter Griechenlands" und konnte nicht deutlicher sein: Monotheismus und Aufklärung hatten die alten Götter abgeschafft. Wenn sie ausgerechnet beim Entzauberer Max Weber zurückkehrten, dann nur noch als allegorische Revenants. "Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen wieder ihren ewigen Kampf." Solcher Polytheismus meinte den Pluralismus der modernen Welt. Häretisch und witzig wurde er in Odo Marquards "Lob des Polytheismus". Jetzt bezeichnete er den bekömmlichen, weil gewaltenteilenden Einspruch gegen jede Form von Monomythos. Die Postmoderne ist polytheistisch, ohne an die Götter zu glauben.
Aber es gab noch ein anderes polytheistisches Schlupfloch. "Müßig kehren zu dem Dichterlande / Heim die Götter", hieß es in Schillers Gedicht. Wie, wenn man sie von dort wieder hervorzuholen suchte? Manche horchten auf und hofften. Einen "Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst" verlangte wenig später das "Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus", eine "Neue Mythologie" Friedrich Schlegel. Selbst Goethe erklärte gelegentlich, er sei als Dichter und Künstler "Polytheist". Allegorische Spiele auch hier, eine provozierende Façon de parler oder mehr?
Mehr, jedenfalls einen neuen Glaubensmut bietet Roberto Calasso, dessen neuester Essayband just an diesem historischen Umschlagspunkt einsetzt. Max Webers Befund wird kurzerhand durchgestrichen: "Die Welt - es ist an der Zeit, es auszusprechen, auch wenn viele es nicht gern hören werden - hat durchaus nicht die Absicht, sich völlig zu entzaubern", schon der Langeweile wegen. Der polytheistische Häretiker Marquard hingegen dürfte Calasso gefallen haben (er nennt ihn freilich nicht). Denn Calasso bekennt sich zum Polytheismus, weil er die "soziale Theologie" verachtet, jene Machtergreifung des Gesellschaftlichen, das sich an die Stelle des Religiösen gesetzt und die Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts hervorgebracht hat, die "guten Gemeinschaften" und ihre Massaker. Da gilt: "Antisozial zu sein wird gleichbedeutend mit einer Sünde wider den Heiligen Geist."
Calasso scheut diese Sünde nicht (in seinem Personenverzeichnis steht deshalb unter "Marx" nur Groucho) und schlägt sich zur "Sekte der Widerspenstigen". Nur dort findet man die Götter wieder. Und so statuiert der große italienische Mythenerzähler ("Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia", "Ka") die alten Götter - in der "absoluten Literatur". Absolut nennt er die Literatur, die sich (unter anderem) allen Forderungen des "Gesellschaftskörpers" ein für allemal entzieht. Wo also absolute Literatur ist, da sind die Götter - und umgekehrt. Mit diesem Glaubenssatz begibt sich Calasso auf die Suche nach Epiphanien in der modernen Diaspora.
Er wird solchermaßen zum Edgar Wind des Jahrhunderts zwischen 1798, dem Jahr von Schlegels "Athenaeum"-Aperçu, und 1898, dem Todesjahr Mallarmés. Wind allerdings schrieb die "Heidnischen Mysterien der Renaissance", ohne sich selbst zu deren Anhänger zu machen, Calasso, kaum weniger gelehrt, denkt als Adept und überläßt sich deshalb dem behenden Zauber der Assoziation. So wird der Leser zum Staunen eingeladen und muß zumindest Langeweile nicht befürchten.
Der Heilige dieses Buches, immer wieder beschworen, ist natürlich Hölderlin. Aber wo sonst erscheint dessen Götterfrömmigkeit wieder? Schon bei Nietzsche kann Calasso sein Unbehagen nicht unterdrücken. Wohl erlebt Nietzsche die Götter wieder in Hölderlinscher Intensität, doch der Ton hat sich geändert: "Wo Hölderlin elliptisch und ernst war, ist Nietzsche schamlos wie ein Zirkusdirektor." Ein Grund zur Entmutigung muß das nicht sein, denn durchweg haben die Götterasyle des neunzehnten Jahrhunderts mit Glanz und Wohlbefinden das wenigste zu tun. Calasso sucht sie vornehmlich bei den Franzosen, im Symbolismus, überlebt hier doch, so schon Manfred Franks Geschichte der "Neuen Mythologie", "das Heilige unter Bedingungen allgemeiner Entzauberung". Baudelaires "École païenne" freilich muß sehr gegen den Strich gelesen werden, um das "Hintergrundgeräusch der Götter" noch im Kuhblick einer handfesten Pariser Juno herzugeben. Lautréamonts "Chants de Maldoror" warten mit Infernalismen auf, deren Delirien nur mühsam in ein Stück absoluter Literatur umgebogen werden können - dann handelt es sich eben um die "tödliche Spitze einer Autonomie". Je rebellischer und besessener, desto signifikanter. Lautréamont übertrifft und vertritt deshalb gleich auch Rimbaud, so daß Calasso, eigentlich schade, auf ein eigenes Rimbaud-Kapitel verzichtet.
Geschmeidiger bewährt sich die Kunst des polytheistischen Rapports an Mallarmé, der zentralen Figur des Buches. Elegant richtet Calasso die Aufmerksamkeit zunächst auf ein Detail, um dann ein wahres Feuerwerk von Bezügen zu zünden. Da ist also die Metapher der "heiligen Spinne" oder das Sonett "auf -ix" und dessen "leeres Zimmer" oder der Satz "On a touché au vers" ("Es ist an den Vers gerührt worden") in Mallarmés Oxforder Vortrag. Und dann landet man, nicht ohne Schwindelgefühl, über kurz oder lang in Calassos Lieblingsregion, in der Welt der Upanischaden, wo dies alles schon da war.
Hofmannsthal hat einmal notiert: "Auf ein Werk das entsteht, blicken alle Dichtwerke, blicken auch die Veden - nirgends kann es sich bergen." Aus souveräner Kennerschaft macht sich Calasso diesen Blick zu eigen. Ihren Höhepunkt erreichen seine polytheistischen Streifzüge deshalb in einem Virtuosenstück über die vedischen Lehren von den Metren. "Wenn man wissen will, was die Metren sind, muß man zu den Göttern zurückgehen und über die Götter hinaus bis hin zu Prajapati, dem Stammvater", dessen Name das Interrogativpronomen "Ka, Wer?" ist. Denn dort, Calasso zeigt es, entsteht der Mythos der Form, von dem noch jede absolute Dichtung zehrt. Wo also Metren sind, da sind auch die Götter? Calasso versteht es, für seinen literarischen Polytheismus zu werben.
"Man kann die Kunst auf doppelte Weise hassen. Erstens, indem man sie haßt. Zweitens, indem man sie in den Grenzen der Vernunft liebt", heißt es bei Oscar Wilde. Calasso ist Polytheist, weil er ein grenzenlos kühner Liebhaber der Kunst ist.
Roberto Calasso: "Die Literatur und die Götter". Aus dem Italienischen übersetzt von Reimar Klein. Hanser Verlag, München 2003. 184 S., geb., 17,90 [Euro].
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"Die Antike bietet eben nicht bloß Stoff, um soziale Prozesse, wie den Umgang mit dem Alter, in der Vergangenheit zu beobachten. Sie hält auch Lektüren bereit, die Fenster zu Göttern öffnen. Der Autor ... ruft damit die seiner Überzeugung nach einzige kultische Handlung ins Gedächtnis, die modernen Sterblichen geblieben ist: das Lesen. Wo kein Ereignis die Götter mehr zur Erscheinung bringt, bieten sie sich allen den Lesenden noch dar." Cornelia Vismann, Literaturen, 05/03 "Ein stupend gelehrter Essayist, dem immer neue Analogien einfallen, um Fernliegendes zu verknüpfen." Roland H. Wiegenstein, Frankfurter Rundschau, 12.07.03 "... (man lernt) ernsthaft, gediegen und elegant etwas über Literatur: dass sie nämlich zwar auf der Erde entsteht, aber mit ihrem Kopf in den Äther reicht." Jörg Drews, Tages-Anzeiger, 6.8.03 "... ein kluges, sprachlich wie inhaltlich geradezu betörendes Buch ..." Alexandra Lavizzari, Der kleine Bund, 23.08.03